Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes im Kontext seines filmischen Oeuvres


Magisterarbeit, 2005

124 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I Carlos Saura: Der lange Weg bis zum „totalen Kino“
1. Von der Fotografie zum Film
1.1 Das junge spanische Kino – die realistische Filmästhetik
1.2 Die Entwicklung einer verschlüsselten Filmsprache
2. Der Ausbau von Bildsprache und Themenkomplexen
2.1 Das Aufbrechen der Zeit, - und Bewusstseinsebenen
2.2 Das Kammerspiel
2.3 Das (Theater-) Spiel
2.4 Der Tanz und die Musik
2.5 Extremsituationen – Gewalt und Destruktivität, Liebe und Tod
2.6 Die Dominanz der Frauen in der Männerwelt
3. Zwischenfazit
4. Die Konzeption eines Gesamtkunstwerks – das musikalische Genre
4.1 Die Geschichte des Flamencos im spanischen Kino
4.2 Die Trilogie – Zusammenkunft der Künste Musik, Tanz, Theater und Film
4.3 Späte Werke – Die Kamera übernimmt die Hauptrolle
4.4 Zwischenfazit – Die Choreografie der Kamera

II Carmen: Der lange Weg bis zum „universellen Mythos“
1. Mérimées Carmen – die Spannung zwischen Form und Inhalt
2. Bizets Carmen – die Spannung zwischen Erfolg und Misserfolg
2.1 Vergleich Mérimée – Bizet
3. Von Novelle und Oper zum Film – der Stoff geht um die Welt

III Carlos Sauras Carmen: Die starke Frau bis zum „tödlichen Finale“
1. Auf der Suche nach Carmen
2. Carmen wird Carmen
2.1 Das Lied der Liebe
2.2 Der Tanz der Liebe
3. Zwischenfazit – Die Macht des Blicks
4. Antonio wird Don José
4.1 Das Spiel im Spiel
4.2 Sieg vs. Untergang
5. Der Raum der Präsentation
5.1 Die räumliche Abgrenzung
5.2 Die reduzierte Anordnung im Licht
5.3 Der reflexive Blick durch den Spiegel
6. Der Flamenco in Carmen
7. Carmen – das Klischee
8. Der Film im Verhältnis zu seinen Vorlagen
8.1 Der Eingang der Novelle in den Film
8.2 Der Eingang der Oper in den Film
9. Die Bedeutung des Stierkampfs
9.1 Flamenco und der Stier – Der Tanz des Todes
9.2 Carmen und der Stier – Das Spiel mit dem Tod
10. Carmen im Rahmen des Gesamtwerks von Carlos Saura und darüber hinaus
11. Zeitgenössische Rezeption und Lesarten

Fazit
1. Carmen – eine von vielen Frauen
2. Sauras Carmen – mehr als nur eine weitere Carmen-Version
2.1 Traditionelles Frauenbild vs. Modernes Rollenverständnis
2.2 Kulturgeschichtlicher Fundus vs. Fantasieprodukt

Anhang
1. Sequenzprotokoll
2. Filmographie
2.1 Die Filme von Carlos Saura in chronologischer Reihenfolge
2.2 Alle weiteren zitierten Filme in alphabetischer Reihenfolge
3. Literaturverzeichnis

Einleitung

Carlos Saura zählt seit den 50er Jahren zu den bedeutendsten Repräsentanten des spanischen Films. Seine Filmografie kennzeichnet über Jahrzehnte hinweg eine außergewöhnliche Kontinuität und Beständigkeit[1], die die politische Zensur in der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg überdauert[2] und sich bis heute, Carlos Saura ist 73 Jahre alt, fortsetzt. Bis zu seinem wohl größten Welterfolg Carmen von 1983 realisiert der spanische Regisseur 18 Filme. Nach Carmen folgen weitere 17. Die meisten seiner Werke finden über die eigenen Landesgrenzen hinaus breite Beachtung, sind besonders in Cineastenkreisen anerkannt und bewundert und erhielten Auszeichnungen auf den internationalen Filmfestspielen (vor allem in Berlin und Cannes).[3] Carlos Saura ist der spanische Regisseur, der mit Luis Buñuel und Pedro Almodóvar den größten Weltruf genießt. Er ist neben diesen eine der kohärentesten Persönlichkeiten, die der spanische Film hervorgebracht hat. Sein Interesse gilt vor allem dem menschlichen Individuum, dessen Innenwelt er in seiner ganzen Dichte filmisch zu vermitteln vermag. Insbesondere kristallisiert sich die Darstellung von Frauenfiguren in Bezug zu deren männlichen Lebenspartnern als ein Thema heraus, das sich als roter Faden durch das Gesamtwerk Sauras hindurchzieht. Bereits in seinem Frühwerk stehen der zwischenmenschliche Austausch und die partnerschaftlichen Verhältnisse im Vordergrund der Filme, auch wenn sich hinter den Beziehungsstudien, in Anbetracht des faschistischen Systems, zu dem Saura in klarer Opposition stand, stets auch politische und sozialkritische Hinweise verbergen.

In den 80er Jahren erlebt Saura einen Höhepunkt der internationalen Resonanz auf sein Werk. Die Kritik schenkt insbesondere seinem Film Carmen höchste Aufmerksamkeit. Dieser, wie die anderen Filme jener Schaffensphase des Spaniers, beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema Frau und Mann als sich liebende genauso wie sich hassende, als sich anziehende genauso wie sich abstoßende Wesen. Sauras diesbezügliche Reflexionen ziehen sich durch sein Werk bis hin zu den historischen Darstellungen seiner jüngsten Filme. Carmen, dieser viel gerühmte und hitzig diskutierte Film, so wird sich herausstellen, ist der Dreh, - und Angelpunkt der Filmografie Carlos Sauras. Als hervorstechend und bahnbrechend soll der Film im Kontext von Sauras Gesamtwerk zunächst im Rahmen der Filmtrilogie, deren Teil er ist[4], entstehungsgeschichtlich eingeordnet werden, um ihn dann im dritten Kapitel einer ausführlichen Analyse zu unterziehen. In der Verbindung der Carmen-Version von Carlos Saura mit dessen filmischem Oeuvre soll überprüft werden, ob es der „Carmen-Boom“[5] der 80er Jahre war, der dem Mythos die Renaissance und Saura seine Stoffidee brachte, oder ob der Regisseur den Carmen-Stoff nicht vielmehr aus einer logischen und konsequenten Entwicklung seines Werks heraus gewissermaßen ergreifen „musste“. Vor diesem Hintergrund wird im ersten Kapitel die Entwicklungslinie des Filmemachers und seines Werks im Kontext des spanischen Filmschaffens und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu rekonstruieren und zu analysieren sein. Dabei werden Sauras Konzentration auf bestimmte Themenkomplexe herausgearbeitet und seine filmsprachlichen Mittel analysiert. Es werden Sauras Selbstverständnis, seine Sujets und Narrationsprinzipien dargestellt und vor allem auf seine Frauenfiguren hingewiesen, die, wie sich zeigen wird, tatsächlich bereits Teile der zentralen Figur mit dem assoziativen Namen in sich tragen. Insgesamt wird zu zeigen sein, wie alles vorherige Schaffen auf Carmen hinausläuft, und wie alle nachfolgenden Werke von dem profitieren und das weiterführen, was Saura dort verwirklicht hat.

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet der Fokus des dritten Kapitels auf Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes in seiner spezifisch spanischen Darstellung: der Etablierung der Carmen-Geschichte über die Ausdrucksform des Flamencos in einem zeitgenössischen Kontext.[6] Vor der ausführlichen Einzeluntersuchung von Sauras Film Carmen soll zunächst in einem zweiten Kapitel die Entstehungsgeschichte des Carmen-Stoffes und dessen Vielfältigkeit der Bearbeitung aufgezeigt werden, wobei besonders auf die Ursprungsquellen, die Novelle Prosper Mérimées und die Geschichte der Oper George Bizets eingegangen wird, um am Ende der Arbeit festzustellen, an welchen Stellen seines Films sich Saura auf die Vorlagen von Mérimée und an welchen auf die von Bizet bezieht, sowie durch welche ganz neuen Merkmale sich seine Version auszeichnet. Dabei wird Sauras Carmen als Teil der Bewegung angesehen, durch die die Frauenfigur zu dem Mythos geworden ist, den sie heute verkörpert.

Da der Carmen-Stoff eine Verselbstständigung erfuhr, ging oftmals die Funktion einer kritischen Analyse verloren, die mit dem Blick auf Sauras Arbeit wieder belebt werden soll. Die zahlreichen Ausprägungen und Facetten der Geschlechterpolarität und die konkreten Frauen- und Männerrollen des Stoffes lassen Platz für vielfältige Projektionen.[7] Diese in ihrer Vielzahl und ihren tendenziellen Ausprägungen aufzudecken und darzustellen, wird in dieser Arbeit angestrebt.

Sehr bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang der spanische Stierkampf, der mit dem Flamenco mehr als den Ursprung in der Romantik des 19.Jh. gemeinsam hat, und der zudem die Geschlechterproblematik symbolhaft in Szene setzt.[8]

Warum ist Sauras Carmenverfilmung eine Aktualisierung der Thematik rund um den Mythos? Was ist das für ein Spanienbild, welches dem Betrachter vermittelt wird? Warum muss Carmen am Ende sterben? Stirbt sie überhaupt? Sauras Werk wirft allein deshalb schon viele Fragen auf, weil der Regisseur die Geschichte nicht linear erzählt, sondern sie einflicht in eine übergeordnete Erzählebene und damit den Filmbetrachter ununterbrochen dazu anregt, zu reflektieren und die Vorgänge zu hinterfragen. In der Analyse des Films soll sowohl auf das figurative und inhaltsspezifische als auch auf das formale Konzept mit seinen erzähltechnischen Besonderheiten eingegangen werden. Außer der Analyse der Handlungsdarbietung sollen Methode und stilistische Mittel der komplexen und mehrdimensionalen Erzählweise und die dramaturgische Konzeption Sauras unter Berücksichtigung der Zuschauerwirkung herausgearbeitet werden.

Im Schlusswort und Fazit werden die Beobachtungen und Ergebnisse, die sich aus den verschiedenen zu untersuchenden Aspekten ergeben, zusammenfassend dargestellt.

Die ausgewählte Literatur bezieht sich vorwiegend auf deutsch-, spanisch-, und englischsprachige Texte. Die spanischsprachigen Zitate, die Eingang in die Arbeit finden, sind von mir ins Deutsche übersetzt worden, wobei das Original in der jeweiligen Fußnote nachgelesen werden kann. Das zu Grunde liegende Filmmaterial ist im Anhang einzusehen. Außer den Filmen Carlos Sauras wurden weitere Filme von anderen Regisseuren hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um die wichtigsten Carmen-Verfilmungen sowie Filme, die das Thema des Flamencos oder des Stierkampfes behandeln. (Auch die Filme der Regisseure Luis Buñuel und Pedro Almodóvar sind von außerordentlicher Bedeutung und stets im Blick zu behalten.) Die in den Text eingefügten Screenshots sind direkt den Filmen entnommen.[9]

Nach dem Prinzip der deduktiv-analytischen Methode versteht sich die vorliegende Arbeit als Versuch, sich der Komplexität des Carmen-Stoffes zu nähern, zum einen über die filmische Entwicklung Carlos Sauras hin zu seiner persönlichen Carmen-Version und deren Analyse, sowie zum anderen über das Nachvollziehen der Entstehung des Mythos innerhalb der internationalen Kulturgeschichte und dessen künstlerischer Bearbeitung.

I Carlos Saura: Der lange Weg bis zum „totalen Kino“

1. Von der Fotografie zum Film

Carlos Saura Atarés, geboren am 4. Januar 1932 in Huesca als Sohn politisch liberaler Eltern, kommt über die Fotografie, der er sich im Anschluss an sein Abitur (1949) leidenschaftlich widmet, zum Film, der neben vereinzelten Opern- und Theaterinszenierungen bis heute sein künstlerischer Lebensinhalt ist.[10]

„Den Einstieg in das Kino [...] in die Welt des Bildes habe ich über die Fotografie realisiert. Ich bin immer ein Mensch gewesen, der die Welt des Bildes kultiviert hat, die mich immer faszinierte und weiterhin fasziniert.“[11]

Die Kindheit des als zweites von vier Kindern geborenen Aragonesen, ist geprägt von den Schrecken des spanischen Bürgerkriegs[12], denn auch wenn Carlos Saura gerade erst vier Jahre alt ist, als der Krieg ausbricht, sind es doch drei lange Jahre, in denen in Spanien der Ausnahmezustand herrscht. Nach dem Sieg des faschistischen Diktators Francisco Franco 1939 lebt Saura in seiner Geburtsstadt Huesca bei profrankistisch eingestellten Verwandten seiner Mutter, wo er vier Jahre lang einer konservativen, puritanischen Erziehung seitens Mutter, Tanten und Großmutter ausgesetzt ist, bevor er nach Madrid zurückkehrt.[13] Sauras verfilmte Familiengeschichten geben einen Einruck davon, was jene Zeit für ihn bedeutet haben muss.[14] Seine Kindheit, von starken, dominanten Frauen geprägt, lässt auf eine frühe Sensibilisierung für die ambivalente Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie schließen. Explizit autobiografisch werden die persönlichen Erfahrungen sowie das kollektive Trauma des Bürgerkriegs nie von ihm bearbeitet.[15] Die Erinnerungen jedoch tauchen in seinen Filmen immer wieder auf.[16]

Insgesamt sind Sauras Filme alle persönlich geprägt: „Ich habe mich selbst über meine eigenen Filme kennen gelernt.“[17] “I cant’t separate cinema from my life. The two things are interrelated and enrich or impoverish each other.”[18] „Mein Werk ist ein Teil meines Lebens.“[19]

Das Kino ist schon immer Sauras Leidenschaft.[20] Doch zunächst ist es die Fotografie, der er sich aktiv widmet, und die er professionell einsetzt. Das fotografische Bild wird bei all seinen filmischen Produktionen immer wieder eine Rolle spielen, sei es als Inspirationsquelle[21], als bloßes Dokumentationswerkzeug seiner Arbeit beim Dreh oder als Mittel der Darstellung im Film selbst.[22]

„Ich war immer vom Bild begeistert und bin es heute noch. Das Bild bedeutete mir mehr als das Wort.“ So äußert sich der Regisseur in einem Interview bei Eichenlaub[23]. „I`m an investigator of images.”, so bestätigt er bei Willem, wo es auch heißt: „Saura is known as a visual filmmaker.“[24]

Bereits mit 18 Jahren nimmt Saura als anerkannter Fotograf an verschiedenen Ausstellungen teil und dokumentiert die Musik- und Tanzfestivals von Granada und Santander.[25] Durch seine Spezialisierung auf die Festivals entwickelt Saura eine Vorliebe und ein tiefer gehendes Interesse für die Welt hinter der Bühne, was dazu führt, dass er seine Fotografien nicht etwa während der Aufführungen, sondern während der Proben macht.[26]

“(…) what I like is the mounting of a theatrical work, the mounting of a film: the rehearsals, the preparations, the whole structuring process, that is what interests me the most. The performance itself is less interesting.”[27]

Auf diese, für den Zuschauer sonst unsichtbare Welt des making of, kommt Saura in seinen späteren Filmen immer wieder zurück. Insgesamt wird das künstlerische Schaffen des Spaniers getragen von der Leidenschaft für Details. Hierbei verbindet er das persönliche Einzelschicksal und die individuell- menschliche Ebene stets mit den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit.

1.1 Das junge spanische Kino – die realistische Filmästhetik

Nach einem abgebrochenen dreijährigen Ingenieurstudium schreibt sich Saura 1953 in das Fach Regie an der 1947 nach italienischem, russischem und französischem Vorbild gegründeten Filmhochschule in Madrid ein, dem Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematográficas (IIEC).[28] Im IIEC lernt Saura die Werke von Eisenstein und Pudowkin, die expressionistischen deutschen Filme und den italienischen Neorealismus kennen[29] und beginnt seine ersten kurzen Filme zu drehen.[30] Saura spürt, dass der Film seine Berufung ist, und „dass ich Filmregisseur sein wollte.“[31] Das Studium stellt für Saura auch einen geistigen Treffpunkt mit Gleichgesinnten dar: „Zu jenem Zeitpunkt befanden wir uns am Anfang dessen, was später die neue spanische Filmkunst, el Nuevo Cine Español (NCE), genannt werden sollte.“[32] Die jungen Filmemacher

„(...) strebten eine Erneuerung des spanischen Kinos im Sinne eines authentischen nationalen Films an, der im Gegensatz zu den heroisch-patriotischen oder historisch-imperialistischen und seichten Komödien stand, die alle politische und moralische Grundsätze im Sinne des Regimes vertraten.“[33]

25-jährig schließt Saura sein Studium ab, verbleibt aber noch weitere sechs Jahre, bis 1964, als Dozent für Drehbuch und Regie am IIEC, bis er sich im Anschluss vollständig der Produktion von Filmen zuwendet.[34] Seinen endgültigen Durchbruch als junger Filmemacher der neuen, neorealistisch beeinflussten europäischen Filmkunst[35] bringt Saura 1965 der Film La Caza (die Jagd)[36], eine filmische Allegorie der Männlichkeitsrituale und der Unmoral des spanischen Bürgertums unter dem faschistischen Regime. La caza ist das wichtigste Werk der spanischen Filmkunst jener Jahre.[37] Statt offener filmischer Kommentare zur Politik legt Saura den Bewusstseinszustand des gehobenen spanischen Bürgertums mit symbolischen Mitteln bloß.[38] Was von da ab der Grundton in Sauras Filmen sein wird, ist schon hier vorhanden: eine Handlung, die sich spaltet und auf zweifacher, symbolischer Ebene weiterentwickelt.[39]

Mit La caza beginnt Saura mit der Welt der Symbole, Metaphern und Allegorien zu experimentieren. Der Film ist in seiner Darstellung der ritualisierten Gewalt eine eindrückliche Parabel auf den Bürgerkrieg.[40] Schwartz kommentiert: „Saura worked very well within the constraints of Franco`s censorship policies (...)“.[41]

1.2 Die Entwicklung einer verschlüsselten Filmsprache

Unter dem faschistischen Regime Francos unterliegt die gesamte spanische Filmindustrie der Kontrolle und dem Zensurapparat der Regierung.[42] Die meisten Regisseure, die dem Regime kritisch gegenüberstehen, verlassen entweder das Land oder ihren Beruf.[43] Carlos Saura bleibt. Doch auch er bekommt schnell zu spüren[44], was es bedeutet, unter Zensurbedingungen Filme zu machen.[45] Auch im Zuge der Präsentation von La caza bekommt er nicht nur Beifall, sondern auch harte Reaktionen zu spüren, anonyme, persönliche Angriffe und Bedrohungen bleiben nicht aus.[46] Bis zu seinem nächstem Film vergehen zwei Jahre, da alle Projekte von der Zensur des Regimes abgelehnt werden. Und auch danach muss Saura für jeden einzelnen Film kämpfen.[47]. Um seine Haltung und Einstellung den Verhältnissen gegenüber weder verstecken noch verraten zu müssen, versucht er die Zensoren auszutricksen, entwickelt eine verschlüsselte Filmsprache und behandelt brisante Themen wie die erstarrte geldscheffelnde Bourgeoisie, die scheinheilige katholische Kirche mit ihrer prüden Sexualmoral sowie die Brutalität des Militärs. Ana y los lobos (Ana und die Wölfe) von 1972 und La prima Angelica ( Die Cousine Angelika ) von 1973 sind wohl die beiden Filme, in denen Saura die direkteste und offenste Sprache benutzt, um der frankistischen Gesellschaft entgegenzutreten.[48] Im Fall von La prima Angélica reagiert die Zensur heftig auf die Anspielungen Sauras; faschistische Kommandos versuchen noch im Moment der Uraufführung mit allen denkbaren Mitteln die Projektion zu verhindern.[49] In Madrid verboten, wird der Film 1974 sehr erfolgreich in Cannes gezeigt.[50]

Aus dem Zwang und der Not, unter der frankistischen Diktatur mit offenen politischen und gesellschaftskritischen Kommentaren vorsichtig zu sein, findet Saura zu einer vielschichtigen filmischen Ausdrucksform, die seine große Leidenschaft wird. Es entspricht seinem künstlerischen Empfinden, eine intellektuell komplexe Welt auf mehreren Ebenen darzustellen. Diese Art der filmischen Äußerung scheint ihm als derart reich, dass er bis in die Gegenwart hinein keine ganz linearen Geschichten mehr erzählt.

„Es gibt viele, die denken, dass meine Art zu erzählen ein Produkt der frankistischen Zensur sei. Davon bin ich nicht ganz überzeugt. Die Unmöglichkeit, die Themen, die mich beschäftigen, direkt anzusprechen, verpflichtet mich, eine indirekte narrative Form zu finden, einen Umweg zu gehen, Metaphern zu verwenden. Aber tatsächlich ist es genau diese Erzählform, die mich immer interessiert hat und die am besten zu mir passt.“[51]

Saura kommentiert, dass er von Film zu Film weniger an einer Reflexion über eine „objektive Realität“ interessiert ist. Er bevorzugt das Intime, das Persönliche und Individuelle.[52]

„In „La caza“ war es mein Bestreben, das Feld des “Realismus” auszuweiten. Es ist vielleicht sinnvoll klarzustellen, dass damals „Realismus“ ein Synonym war für die Behandlung sozialer und politischer Probleme der Zeit. Ich aber war davon überzeugt, dass die Wirklichkeit sehr viel komplexer ist, und, vielleicht weil mich die Individuen mehr interessierten als die Gesellschaft, dachte ich, dass die Träume, die Halluzinationen und die Bilder der Gedanken genauso viel Kraft und vollkommen gleiche Gewichtigkeit haben wie konkrete Tatsachen.“[53]

Die Wirklichkeit besteht für Saura nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Erinnerungen, Träumen und Visionen, die auf das Leben zurückwirken. “Fantasy presented as fact and fact as fiction“.[54] Saura findet auf diese Weise nach und nach zu einem „erweiterten Realitätsbegriff“, der die reale, politische Welt nicht etwa ausschließt, doch aber das Individuum in den Vordergrund rückt.

„(…) Saura is fascinated by the inner lives of his characters and by the complex processes that make them what they are. But these processes are linked to, and exacerbated by, the society in which the characters live and are therefore a comment on Francoism itself.”[55]

2. Der Ausbau von Bildsprache und Themenkomplexen

2.1 Das Aufbrechen der Zeit, - und Bewusstseinsebenen

„In einem bestimmten Moment in meinem Leben – tatsächlich wäre ich nicht in der Lage zu sagen wann genau – entschied ich, dass kein Unterschied zwischen der Realität und der Imagination existiert.“[56]

Verbunden mit der verschlüsselten Bildersprache, gehört es zu Sauras filmischer Vorliebe, zwischen den verschiedenen Zeitebenen seiner Filmhandlungen sowie den Bewusstseinsebenen seiner Figuren zu changieren, deren Grenzen zu verwischen und einfache rationale Strukturen zu Gunsten von komplexeren emotionalen Darstellungen aufzubrechen. „It`s that it excites me to play with the idea of time and its cinematographic coordinates.”[57] „Ich mache keinen Unterschied zwischen dem Vergangenen, der Gegenwart, dem Traum oder der Imagination, weil mir scheint, dass alles in einem bestimmten Moment einen Wert hat.“, äußert sich Saura in einem 1978 geführten Interview[58] und fügt später hinzu: „Für mich ist das Leben eine Mischung aus Realitäten, mit welchen sich die Erinnerungen, die Träume und die Bilder unserer Wünsche vermischen.“[59] Gegenwart und Vergangenheit, Wirklichkeit und Fantasie, Erinnerung und Traum sind in Sauras Arbeiten miteinander verwoben, wechseln beständig und dabei oft unmerklich, überlappen sich oder bestehen als Einheit gleichzeitig nebeneinander und geben so Einblick in die Komplexität der menschlichen Psyche.[60] Das Erfassen des Menschen in all seinen Facetten fasziniert Saura bereits in jungen Jahren im Kino von Luis Buñuel.[61] Mit ihren künstlerischen Techniken fordern beide Regisseure die Seh- und Denkgewohnheiten der Zuschauer heraus und bringen sie dazu, einen ganzen Film hindurch Hypothesen zu bilden und wieder zu verwerfen, wodurch die Rezipienten-Wahrnehmung von der unbewussten auf die bewusste Ebene verlagert wird.

Über seinen Buñuel gewidmeten psychologischen Thriller von 1967, Peppermint frappé, äußert sich Saura: „ Peppermint war für mich der erste Schritt, den ich brauchte, um mich in die unbestimmte Welt der Irrealität-Realität hineinzubegeben.“[62] Darstellerin Geraldine Chaplin verkörpert hier (genau wie in Cría cuervos und Elisa, vida mía) gleich zwei Gestalten: die hässliche Krankenschwester und die schöne Ausländerin, die auch ein und dieselbe Figur sein könnten.[63] Mit diesem, Sauras ersten Film in Farbe, gibt der Regisseur die lineare Erzählweise der neorealistisch beeinflussten Filme[64] endgültig zugunsten einer komplizierten „shifting chronology“ Struktur auf, in der „fast unmerklich Übergänge von der Wirklichkeit in die Erinnerung oder auch in die Imagination führen“.[65] Diese Art des Aufbrechens der Ebenen wird in seinen späteren Filmen vervollkommnet werden. „Durch die (...) Obsessionen seiner Protagonisten, liegt das Geschehen immer [wieder] an der Grenze zur Irrealität bzw. Surrealität, über dem das Klima der Gewalt und Erotik herrscht.“[66] Letztere ist ebenfalls von dem bestimmt, was „hinter“ der Realität liegt und wird bei Saura in die psychische Welt der Individuen integriert.[67] Während Buñuel jedoch „ganz in der Tradition des Surrealismus[68] darauf aus ist, die Spuren zu verwischen, die von der Ebene des Unbewussten in die Wirklichkeit und (...) von der Wirklichkeit ins Unbewusste führen, ist Saura eher der rationale Aufklärer“, der die Spuren des Individuellen verbunden mit denen des Gesellschaftlichen aufdeckt.[69] Dabei geht es dem Regisseur um die Darstellung der Psyche seiner Hauptpersonen, nicht aber um deren Interpretation. Eine Bewertung der Beobachtungen erfolgt selten. Gleichwohl liegt es auf der Hand, dass Carlos Saura die Ursachen der Probleme seiner Figuren in den frühen Filmen vor allem im Bürgerkrieg und dessen jahrzehntelangen Folgen, in den späteren Filmen zunehmend in den patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen, sieht.[70]

Das immer „metaphorischer werdende Kino“ Carlos Sauras scheint das Fundament seiner Karriere zu sein.[71] Cría cuervos wird nicht nur in Spanien ein voller Erfolg, sondern bedeutet auch Sauras endgültiger Eintritt in internationale Cineastenkreise.[72] Zu diesem Zeitpunkt zeichnet sich das Ende des Frankismus ab. In La prima Angélica, einem der vielschichtigsten der frühen Filme Sauras, verschwimmen Kindheit und Erwachsensein der Hauptfigur miteinander. Dulces Horas erinnert an La prima Angélica. Der Wechsel zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart des Protagonisten verläuft in beiden Werken leise, fast unsichtbar und wird filmisch so integriert, dass noch nicht einmal ein Schnitt die Ebenen, die z.T. in einem einzigen Filmbild präsent sind, voneinander trennt. Die Figur der toten Mutter des Protagonisten und der sie darstellenden Schauspielerin innerhalb des Films ist auch hier als Doppelrolle besetzt. Die Zeitebenen begegnen sich, wenn der junge Mann an sich selbst als Erwachsenem vorüberläuft. Dieses ungewöhnliche und den Zuschauer irritierende Stilmittel hat Saura später noch in Antonieta von 1982 und in Goya en Burdeos (Goya in Bordeaux) von 1999 angewandt.

Saura beschreibt in der Zeitschrift „Cambio“, dass La prima Angélica der Film ist, in dem er die meisten seiner persönlichen Erlebnisse und Reflexionen über den spanischen Krieg resümiert und damit den Kreis schließt, dem er sich bis dahin ethisch-moralisch verpflichtet fühlte. Gesellschaftskritische Aspekte werden jedoch nie gänzlich aus seinem Werk verschwinden.[73]

Zusammenfassend kann festgehalten werden: die Vermischung und Überlagerung von Bewusstseinsebenen erfolgt durch den verschiedenartigen Einsatz filmischer Techniken, durch die es Saura gelingt, dem Zuschauer die Gedanken und Visionen seiner Figuren kenntlich zu machen. Die Rückblenden in die Vergangenheit kennzeichnet Saura als subjektive Erinnerung der Hauptfiguren und dringt auf diese Weise in deren Psyche ein, ohne jemals zu psychologisieren. Die Darstellung von Träumen und Fantasien zielt ebenfalls auf das Sichtbarmachen des Bewusstseins der Protagonisten. Dabei sind es stets genau durchkomponierte Stimmungsbilder, geprägt von einer durchdachten Lichtsetzung, der bewussten Gestaltung mit Farben und musikalischer Untermalung. Durch die Herausarbeitung erhöhter Kontraste in der ästhetisch-künstlerischen Gestaltung akzentuiert Saura den Wechsel der Bewusstseinsebenen. Andere, bereits erwähnte Stilmittel sind die Begegnungen der Figuren auf verschiedenen Zeitebenen, die Doppelrollen der Schauspieler sowie ein ständiger, kommentarloser Wechsel zwischen den verschiedenen Ebenen, die keine klaren Abgrenzungen erfahren.[74]

2.2 Das Kammerspiel

Der offene Erzählraum, der die realistische Filmästhetik der frühen Filme Sauras prägt und der bestimmt ist durch die Straße und die weite Landschaft wie bspw. in Los golfos[75], steht im Gegensatz zu dem geschlossenen Erzählraum, den Saura ab Peppermint frappé für seine Filmhandlungen wählt. Die Arbeit mit wenigen Figuren an einem übersichtlichen Schauplatz ist bereits in La caza angelegt, da die Weite und Offenheit der Umgebung nicht über die Begrenztheit des Bewusstseins und des Horizontes der Figuren hinwegtäuscht. In den meisten Filmen sind die handelnden Personen gemäß ihrer mentalen Gefangenheit auch in ihrer räumlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt und in den Mikrokosmos eingeschlossen, in den Saura sie situiert. In La madriguera stellt der Regisseur in dem kaum bebauten Vorortquartier von Madrid eine Art „Inselsituation“ seiner Figuren her.[76]

Was Saura innerhalb der Geschlossenheit seiner Räume besonders interessiert, ist der durchdachte Einsatz von Hell- und Dunkelflächen, wobei das Spiel mit Licht und Schatten ihm dazu verhilft, den Raum der Präsentation ganz bewusst zu gestalten, die verschiedensten Atmosphären zu schaffen und diese eindrücklich zu vermitteln.

Die Technik des Kammerspiels ist die dramatische Struktur, die Sauras Filmografie noch lange prägen wird. Wobei die Einheit des Raums in seinen frühen Filmen vergleichbar ist mit der Etablierung einer Bühne in den späteren Werken; wirkt ein begrenzter Raum doch seinerseits im Grunde wie eine Bühne, auf der man verfolgt, wie sich Verhältnisse entwickeln und auf der einem bestimmte Aussagen vermittelt werden. Das stilistische Mittel, die Figuren aus dem Bildkader heraustreten zu lassen, ohne dass die Kamera ihnen folgen würde, unterstreicht den Bühnencharakter. Der junge Enrique beispielsweise, der sich in La caza von den drei Kaninchenjägern in die Macht des Tötens[77] hat einführen lassen, flieht nach dem Schussgemetzel in Richtung des Hauses von José, woraufhin das Bild erstarrt und der Film zu Ende ist. Hier läuft zum ersten Mal bei Saura eine Figur aus dem Filmausschnitt, was für viele seiner folgenden Arbeiten programmatisch werden wird.

Zusammenfassend kann bis hierhin festgehalten werden, dass Carlos Saura in jedem einzelnen seiner Filme eine Welt im Kleinen aufbaut, sie als einen beispielhaften Rahmen betrachtet, als einen Mikrokosmos, der bestimmte Verhältnisse der Gesellschaft repräsentiert und die Welt im Großen zu verdeutlichen vermag.[78] Carlos Saura überträgt in seinen Filmen „das politische Welttheater“ der spanischen Gesellschaft auf das „persönliche Theater“ seiner Filmfiguren[79], weshalb behauptet werden kann: „(…) for Saura, performance has become the allegorical key to reading Spanish culture.”[80]

2.3 Das (Theater-) Spiel

Saura interessiert das Theater vor allem als ein Element innerhalb des Films. „Wenn ein Theaterstück mein Interesse erweckt, sage ich mir oftmals, dass es als Film noch besser wäre.“[81]

Die Vorliebe des Regisseurs, in seinen Filmen eine zusätzliche Welt, ein Theaterstück oder ein Spiel zu inszenieren und anschließend die Grenzen zwischen filmischer Realität und fiktionaler Inszenierung zu verwischen, realisiert er in fast allen seinen Filmen. Wobei sich die erzählte Handlung in den Theaterstücken spiegelt und umgekehrt;[82] denn das Leben gleiche in gewisser Weise einem Spiel, so Saura.[83]

Bereits die frühen Filme sind von der Verwandlung im Spiel geprägt, auch wenn es sich dabei ausschließlich um eine persönliche Ebene handelt und keinerlei Bühnenrepräsentation nach außen vorliegt. Der Protagonist entwickelt in Peppermint frappé eine Leidenschaft dafür, seine unscheinbare Sprechstundenhilfe mit Schminke und extravaganter Kleidung in seine Traumfrau zu verwandeln. Auch die Jagd in La caza ist im Grunde als eine Art Spiel anzusehen, und in El jardín de las delicias (Der Garten der Lüste) von 1970 wird in Rollenspielen das Leben Antonios rekonstruiert, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.[84] Die Kinder in Ana y los lobos und Cría cuervos spielen vor allem die Welt der Erwachsenen nach. In Los zancos (Zeit der Illusionen) von 1984 wird Straßentheater auf Stelzen veranstaltet. In Los ojos vendados inszeniert der Regisseur Luis eine Theateraufführung, und im Laufe seiner Arbeit am Stück wiederholt sich die Thematik in der (filmischen) Wirklichkeit. Auch in Los ojos vendados und in ¡ Ay, Carmela! (Ay, Carmela – Lied der Freiheit) von 1990 geht es um künstlerische Darbietungen, in Elisa vida mía spielen die Schulkinder ein Theaterstück, genau wie das Theater im Film in den Tanzfilmen der 80er Jahre und den noch neueren Produktionen wie Tango und Salomé eine große Rolle spielt.

Das Spiel und Schauspiel in Sauras Filmen ist nicht nur in seiner repräsentativen Funktion einer Darstellung zu begreifen, sondern auch als experimentelles Rollenspiel, als „Spiel des Menschen mit sich selbst, mit seinem Ich“, in Auseinandersetzung mit einer bestimmten Lebenssituation.[85] In den Filmen Sauras mischt sich das Spiel mit der Realität, wobei dem Spiel des öfteren auch eine Art therapeutische Funktion zukommt.[86] So inszeniert z.B. Juan in Dulces horas Szenen aus seiner Kindheit, um Komplexe abzubauen. In der spannungsreichen Konfliktsituation, in der sich das Dreiergespann in Stress es tres, tres (Stress zu dritt) von 1968 befindet, fallen die Figuren in ihrem Spiel in ein kindliches Schema zurück, wodurch die Probleme erst zu Sprache kommen. Dieses Phänomen wird in La madriguera auf die Spitze getrieben, wo ein Ehepaar, das in einer Ehekrise steckt, Szenen aus seinem eigenen Leben nachspielt. Zunächst scheint diese Art von „Therapie“ der Kommunikation der beiden untereinander auf die Sprünge zu helfen. Doch allmählich verselbstständigt es sich und wird bedrohlich.[87]

Es liegt bereits in den frühen Filmen das verborgen, was seine späteren Tanzfilme auszeichnet, in denen die Menschen Schauspieler und Tänzer sind, die das Leben einzig durch ihre Rolle auf der Bühne zu definieren imstande sind, deren Ich sich in der Tanz- und Theaterrolle verliert und deren Existenz nur noch auf der Bühne stattfindet.[88] Über die Spiele der Figuren in den frühen Filmen Sauras wird einem als Betrachter des Gesamtwerks des Regisseurs dessen Entwicklung hin zum Theater im Kino nachvollziehbar und schlüssig.

2.4 Der Tanz und die Musik

Bereits in Sauras Frühwerk wird der Tanz ganz bewusst eingesetzt, um Gefühle, Stimmungen und Sehnsüchte zu transportieren.[89] In La tarde del domingo (Sonntagnachmittag) von 1956/57, zeigt Saura ein Dienstmädchen, welches jeden Sonntagnachmittag von Hoffnungen auf Zerstreuung und vergnügliche Stunden getrieben, in eine Tanzbar eilt.[90] In Cría cuervos greift Ana in einem Moment des Unglücks zum Plattenspieler und legt „¿Por qué te vas?“[91] auf. Der Tanz der drei Schwestern im Kinderzimmer verdeutlicht ihre Abgrenzung nach außen, er wirkt erlösend, schenkt Geborgenheit und ist ein Befreiungsmoment angesichts des durchorganisierten Alltags der Erwachsenenwelt sowie eine Rebellion gegen die Erziehung der strengen Tante. In Peppermint frappé zerreißt plötzlich wilde Musik die nachmittägliche Stille. Elena tanzt im Freien, aufgesogen vom Rhythmus der Musik. In Deprisa, deprisa (Los, Tempo!) von 1980 sitzt die ganze Clique gelangweilt in einer Disco, bis Angela, die zuvor nur Mitläuferin war, aufsteht, und alleine auf die Tanzfläche geht und tanzt.[92] Der ausgelassen-einsame Tanz ist typisch für Sauras Protagonistinnen. Die Frau, gelangweilt, frustriert oder einsam, versucht sich durch die Bewegung zu Musik aus dem Alltag zu retten. An den Tänzen haben die Männer keinen Anteil, sie sind höchstens am Rand stehende Beobachter. Der Tanz gibt den Frauenfiguren ihre Stärke. Auch Carmens Tanz, so wird sich später zeigen, ist ihr Symbol, das Zeichen ihrer Stärke und Freiheit, das Zeichen und das Ausdrucksmittel ihres Stolzes.

Grundlage des Tanzes ist die Musik. Bereits in den frühen Filmen Cuenca [93] von 1958 und Los golfos setzt Saura die Musik zunächst nur punktuell aber bereits sehr bewusst ein. Bezüglich des Ohrwurms „¿Por qué te vas?“ von Jeannette in Cría cuervos äußert sich Zimmer in seiner Rezension von 1976: „[Lange] hat kein Regisseur so viel wahres Gefühl in eine durch und durch banale Musik hineingehört.“ Der Einsatz der Musik in Sauras Filmen wirkt oftmals wie eine Allegorie des momentanen Lebensgefühls seiner Protagonisten. In Deprisa, deprisa wird dieser Eindruck bestätigt. Als einer der Jungs in der ersten Szene eine Kassette in sein Autoradio schiebt und damit die Melodie des Vorspanns übernimmt, wird deutlich, dass die Musik hier nicht nur passende atmosphärische Untermalung ist, sondern direkt mit den Darstellern in Verbindung steht. Die Musik ist bei Saura meistens mehr als ein unabhängig von der Narration stehender Soundtrack, sondern funktioniert als Leitfaden der Erzählung.

Im Zuge der Erweiterung des Kinos von Carlos Saura hin zu einem Künste übergreifenden Werk, wird der Musik eine immer tragendere Funktion zukommen. Es scheint gerade so, als hätte sich der Regisseur jahrelang darauf vorbereitet, eines Tages musikalische Tanzfilme zu machen; denn in ihnen wird die Musik zu einem Element der Protagonisten.[94]

2.5 Extremsituationen – Gewalt und Destruktivität, Liebe und Tod

In nahezu allen seinen Arbeiten stellt Saura eine Figur in den Mittelpunkt, die sich in einer extremen Lage befindet. Immer sind es außergewöhnliche Einzelschicksale, Menschen in Grenzsituationen und solche, die mit ihren Problemen, Ängsten und Zwängen zu kämpfen haben, die den Regisseur beschäftigen. Dabei kann es sich zum einen um eine innere Extremsituation handeln, die aus der Psyche, den Gedanken oder der Erinnerung einer Figur heraus erwächst, oder es kann sich zum anderen um ein durch äußere Faktoren bedingtes Extrem handeln. In jedem Fall aber schlagen die problematischen Lebenslagen der Figuren Sauras schnell in destruktive Situationen um; und in einem Großteil der Filme kommt es zu aggressiven Gewalttaten durch die Hauptfiguren. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es für diese nur einen einzigen Ausweg aus ihrer Extremsituation – den tödlichen. Der ein oder andere Zweifel bleibt jedoch an der Katastrophe, da in vielen Filmen offen gelassen ist, ob es sich nicht doch um ein fatales Spiel der Figuren handelt. In La caza erschießen sich die Figuren in ihrem Wahnsinnsspiel wirklich, in La madriguera ist der Selbstmord zunächst nur ein Spiel, welches sich daraufhin in der Realität wiederholt, zuerst Mord, dann Selbstmord. Man hört den Schuss und der Film ist zu Ende.

Carmela in ¡Ay, Carmela! wird erschossen als sie auf der Bühne steht, Emilia und Luis in Los ojos vendados sterben einen Theatertod auf der Bühne. In Tango steht Elena nach ihrem Bühnentod wieder auf. In Los zancos wird der herbeigesehnte Tod verhindert, da die Nachbarin den Hauptdarsteller während seines Selbstmordversuchs überrascht und rettet. Außergewöhnlich ist, wie Saura den Tod metaphorisch in Goya en Burdeos inszeniert.[95] Cría cuervos ist gleichsam eine Reflexion über das Leben wie den Tod. Dass ihre Mutter so früh sterben musste, darüber kommt die neunjährige Ana nicht hinweg. Sie zieht sich in die Isolation und in ihre Fantasiewelt zurück und bildet sich ein, sie besäße ein Mittel und damit die Macht, die Menschen sterben zu lassen. Den Tod und damit auch das Leben beeinflussen zu können, ist und bleibt ein Thema in Sauras Filmen.

Zu resümieren bleibt, dass in vielen seiner Arbeiten Saura die exakte Interpretation des Schlusses offen lässt. Es ist zum einen der Zuschauer, der dadurch in die Irre geführt wird, wobei es zum anderen meistens auch die Figuren selber sind, die nicht mehr deutlich vor Augen haben, auf welcher Ebene, der fiktionalen oder der realen, sie sich befinden. Am Ende bleibt es dem Zuschauer überlassen, eine Interpretation zu vollziehen und sich das „tatsächliche Ende“ zu denken.

Zusammen mit dem Tod ist auch die Liebe ein wesentliches Element der Filme Carlos Sauras. Beide, Liebe und Tod, zählen zu den stärksten Emotionen im Leben eines Menschen, und in Sauras Filmen werden sie oft in dramatischer Weise miteinander verbunden. So erzählt fast jeder Film eine Liebesgeschichte, die oft als zentrales Thema die Handlung bestimmt und sich ansonsten zumindest in einer Nebenhandlung Raum verschafft. Trotzdem sind die Arbeiten keine Liebesfilme im herkömmlichen Sinn, da die Liebe überwiegend unglücklich ist. Eifersucht (Stress es tres, tres, Carmen), Betrug (Mamá cumple cien años), kalte Abwendung (Los zancos) und fehlende Kommunikation (La madriguera) bestimmen den (Liebes-)Alltag der Protagonisten. Kommt es doch einmal vor, dass sich wirklich Liebende zueinander finden und diese sogar einen glücklichen Eindruck machen, wie Carmela und ihr Mann in ¡Ay, Carmela!, so wird das Glück durch die äußeren dramatischen Ereignisse getrübt und durch den Tod gebrochen. (Deprisa, deprisa, ¡Ay, Carmela!, ¡Dispara!). Meistens jedoch sind die Figuren aktiv an der Entscheidung über den Ausgang des Liebes-Spiels und der Gestaltung ihres Schicksals beteiligt.

2.6 Die Dominanz der Frauen in der Männerwelt

Mit La madriguera fokussiert Saura zum dritten Mal nach Peppermint frappé und Stress es tres tres eine Zweierbeziehung, wobei hier nun vor allem das Bewusst- und Selbstbewusstsein der Frau und deren subjektive Sicht im Vordergrund steht.[96] Teresa wird sich in diesem Film dem Zwang, einem bestimmten sozial konstruierten Schema von Weiblichkeit zu entsprechen, bewusst und unterläuft daraufhin die in Spanien vorherrschende enge Definition der Rolle der Frau.[97] Angefangen mit La madriguera sind es immer wieder starke Frauengestalten, die die Werke Sauras bestimmen. Diese sind zwar oft nicht von der ersten Szene an als Protagonistinnen des jeweiligen Films erkennbar, da sie erst in einer späteren Szene auftreten; einmal eingeführt jedoch, stehen sie bis zum Ende des Films im Vordergrund.

Angela, die junge Frau in Deprisa, deprisa, gibt ihre finanzielle Sicherheit zu Gunsten eines Mannes auf und wirkt zu Anfang zwar selbstbewusst aber nicht sehr gefestigt und noch unerfahren. Im Laufe des Films wird sie, die am Anfang völlig auf das Wohlwollen ihres Freundes angewiesen zu sein scheint, zu einer unabhängigen, eigenständigen Person, die gar nicht daran denkt, Paco zu heiraten. Auch Elisa (Elisa, vida mía), Antonieta (Antonieta), Berta (Dulces horas), Teresa (Los zancos), Carmen (Carmen) und Elena (Tango), alle sind sie moderne, selbständige, emanzipierte Frauen, die ihre Sexualität unbeschwert ausleben. Die älteren Frauen der Filme Sauras dagegen, meist sind es die Großmütter, entsprechen eher dem traditionellen Rollenverständnis und führen ein Leben im Dienste der Familie.

Das Frauenbild in Sauras Filmen von Peppermint frappé bis Elisa, vida mía ist geprägt von der Zusammenarbeit des Regisseurs mit Geraldine Chaplin, deren Bekanntschaft an dieser Stelle hervorzuheben von Bedeutung ist.[98] Saura kommentiert: „Während einer Zeit von mehr als zehn Jahren teilte ich Leben und Filme mit Geraldine. Sie veränderte mein Konzept der Frau.“[99]

„Today all of that has changed with the years, of course, but thirty years ago the bourgeois Spanish woman, which is what interested me in my work because it was what I knew the best, generally did not have a job and dedicated herself to getting married, to having children; she dedicated herself to the house.“[100]

Chaplins sehr einprägsames Gesicht charakterisiert die Frauenfiguren Sauras Filme von 1967 bis 1979 und rückt sie unwillkürlich zueinander, „so dass sich für den Zuschauer die einzelnen Personen vom Gefühl her zu vermischen beginnen“.[101] Die Geschichten stehen nicht isoliert voneinander, sondern gehen ineinander über, und so begegnet man den Figuren in den verschiedenen Stadien des Werks von Saura immer wieder.

Es stellt sich heraus, dass die Summe von Sauras Filmen einen Diskurs über die Situation und das Wesen der Frau durch die Zeiten hindurch ergibt. „Saura (…) continues to explore themes and issues from earlier films – in particular the role of woman (…) in a changing context.”[102] Saura hat sich für dieses Thema auf sehr besondere Weise sensibilisiert.

„Ich ziehe es vor, von dem zu sprechen, was ich am besten kenne, von den Personen meiner Umgebung, Bürgern, die repräsentativ sind für eine bestimmte religiöse Erziehung, für eine nur in Spanien mögliche Lebensweise, vor allem, was die Auffassung des Mannes von der Frau betrifft.“[103]

Prinzipiell trägt jede Frau in Sauras Filmen die anderen Frauengestalten sowie die unterschiedlichen Entwürfe und das Selbstverständnis von Frausein als Möglichkeit in sich. An dieser Stelle gewinnen die Männer an Bedeutung, die die Frauen in ihre Kategorien von alt und jung, von schön und hässlich einordnen und ihnen dadurch bestimmte Rollenmuster zuschreiben.

„Das Bild der Frau, das uns unsere spanische Erziehung vermittelt hat, erscheint mir ungeheuerlich: auf der einen Seite die Vergötterung, auf der anderen Seite die Frau als Lustobjekt, das schön und repräsentativ zu sein hat, und schließlich die Frau als passives Wesen, das die ganze Impertinenz des Mannes zu erleiden hat: der ruhige Pol, wo sich der Kämpfer erholen kann. Keine dieser drei Konzeptionen scheint mir richtig.“[104]

„Die Frau ruft bald Entsetzen hervor, bald Erfurcht, sie entzückt und erschreckt. Sie ist der dunkle Kontinent (...).“[105] Die Frauen in Sauras Filmen stehen stets im Spiegel und im Zusammenhang der männlichen Figuren, die die starken Schönen einerseits verehren, gleichzeitig aber auch fürchten und sie obendrein und dennoch dominieren wollen.

Die Männer ihrerseits sind, bis auf die in Elisa, vida mía, mittleren Alters, verdienen gut und haben an materiellen Gütern alles was sie brauchen.[106] Was ihnen fehlt ist eine gewisse emotionale Reife. Es sind die Frauengestalten, die in Sauras Filmen und den dort enthaltenen Paarbeziehungen die aktiven Rollen einnehmen. (In Peppermint frappé sind sie es „die den Mann mit einer für ihn selbst völlig undenkbaren Reife verführen.“[107] ) Sie reißen die Männer aus ihrer Lethargie und bringen sie in Bewegung, lehnen sich gegen Erziehungs- und Moraldogmen auf, folgen ihren Gefühlen, sprengen soziale Fesseln und Traditionen und suchen sich aus der repressiven und nach außen hin männlich dominierten Welt zu befreien. Es ist bezeichnend, dass es gerade die weibliche Hauptdarstellerin ist, die in Los zancos den selbstmordgefährdeten, verzweifelten älteren Mann rettet und ihm durch ihre selbstsichere, im Leben stehende und anpackende Art neuen Lebensmut und -freude gibt. Teresa geht schließlich ein Liebesabenteuer mit Angel ein, entscheidet etwas später aber, die Affäre zu beenden. Auch die verheirateten Männer, wie Juan in La Caza und Juan in Ana y los lobos, werden von ihren Frauen verlassen. Die Frau ist in nahezu allen Filmen diejenige, die sich in das Leben des Mannes hineinbegibt, und sie ist es auch, die sich wieder aus ihm löst, die sich entfernt, verabschiedet, umbringt oder umbringen lässt. Der Mann ist ungleich mehr in der Beziehung zu der Frau verhaftet als umgekehrt; er ist geradezu abhängig von ihr. Nicht selten wird die Frau zu einer Art Therapeutin, die zusammen mit dem Mann den Alltag und die Vergangenheit zu bewältigen sucht[108], wie Berta in Dulces horas, Elisa in Elisa, vida mía, Emilia in Los ojos vendados, Angélica in La prima Angélica und Teresa in La madriguera. Alle diese Frauenfiguren bringen die Männer an ihrer Seite dazu, sich mit der Vergangenheit aktiv auseinanderzusetzen. Die Männer für sich gesehen sind zunächst hilflos und machen einen resignierten Eindruck. Sie gehen „seltsam leblos durch die Bilder“ der Filme, und dabei sind sie nicht etwa ruhende Pole, sondern machen eher den Eindruck von erstarrten, statischen Momenten.[109]

In seinen zwischen 1970 und 1979 gedrehten Familienfilmen reflektiert Saura die traditionellen Familienstrukturen als kleine, familiäre Patriarchate. In diesen Strukturen sind die Männer zwar nach außen die Familienoberhäupter, doch nach innen sind die Frauen, die Mütter, und Großmütter die eigentlichen Triebfedern und Gestalter des Lebens. Ein filmisches Beispiel hierfür ist Cría cuervos, wo die Familie aus Ana y los lobos in drei Generationen ausschließlich von Frauen geprägt wird: durch Ana, deren Mutter und Großmutter, durch die Tante und das Hausmädchen.[110] Es liegt nahe, diesbezüglich in Umkehrung des Patriarchats[111] von einem Matriarchat zu sprechen, welches von autoritären Frauen nach innen hin regiert wird.[112]

Was die „typisch spanische bzw. südromanische Problematik“ allerdings betrifft, so kennt „das patriarchalische Denken eine sehr lange und hartnäckige Geschichte“, und deshalb, so erklärt Mathis, müsse „der Einbruch eines neuen Denkens so schmerzhaft“ gewesen sein.[113] Martin Walder spricht in seinem Artikel in der NZZ vom 25.11.1976 von der „Macht der Vergangenheit“ über das moderne Leben, das Saura in seinen Filmen bis in die 80er Jahre hinein darstellt.[114] In allen seinen Filmen reflektiert Saura das politische und familiäre Trauma der spanischen Gesellschaft, wobei seine Filme eine Kritik am Patriarchat immer beinhalten.

“Everything is set up, in fact, for a self-conscious interrogation into the problematic issue of social identity and the positioning of the female subject to submit to preordained social roles.”[115]

Tradition und modernes Leben – diesen Konflikt zu bewältigen, die eigene Position und eine persönliche Lebensgestaltung zu finden, ohne sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu verraten, mit diesem Problem konfrontiert Saura seine Filmfiguren. Die Männer scheinen „in den alten Wertmustern [gefesselt,] die ihnen die repressive katholische Kirche indoktriniert hat“.[116] Im Vergleich zu den aktiven Frauen stehen sie dem Konflikt mit einer viel größeren Hilflosigkeit gegenüber und sind in der Ambivalenz zwischen ihrer persönlichen, von Sehnsucht geprägten und der öffentlichen, von Traditionen bestimmten Welt gefangen. Sie erträumen sich eine Welt, in der sie mit den Frauen zusammenleben, verwirklichen ihre Wünsche jedoch nicht und verbinden sich nicht mit den real vorhandenen Frauen, sondern erträumen sich leicht zu handhabende Traumfrauen und vermögen „die Liebe“ letztlich nur in Fantasieprojektionen „zu leben“. Das regelrechte Eingesperrtsein der Männer in ihren emotionalen Konflikten und ihrer Traumwelt bringt Carlos Saura immer wieder, auch in seinen jüngeren Filmen, metaphorisch ins Bild.[117]

3. Zwischenfazit

Saura lässt sich nicht von den harten Repressions- und Zensurmaßnahmen der frankistischen Gesellschaft abbringen, seinen eigenen künstlerischen Weg zu gehen und die eigenen Ansichten filmisch zu realisieren. Saura thematisiert mit seinen Filmen das gesellschaftspolitische Treiben in Spanien, ohne es direkt anzusprechen. Seine Gesellschaftskritik, seine Kritik am eingefahrenen Rollenverständnis von Mann und Frau sowie die Verarbeitung seiner eigenen Sozialisation, verbirgt sich hinter einem fein gesponnenen Netz aus Symbolen, Träumen, Hinweisen und Parabeln. Es ist nicht Sauras Anspruch, die Gesellschaft dokumentarisch genau abzubilden. Vom Neorealismus geprägt ist sein Werk höchstens bis 1965.

Obwohl das künstlerische Schaffen Sauras über die Jahre hinweg mit immer neuen Herausforderungen politischer, gesellschaftlicher und persönlicher Art konfrontiert ist, kann bis hierhin bereits aufgezeigt werden, dass seine Filmografie zahlreiche Konstanten prägen, die der Regisseur konsequent immer weiter verfolgt. Daneben befindet er sich auf einem Weg der Weiterentwicklung seiner Filmsprache und des Experiments mit den filmischen Bilderwelten. Er erschließt sich neue Möglichkeiten des Kinos, um die eigenen Anliegen in einer persönlichen und äußert künstlerischen Form auf die Leinwand zu bringen.[118] In Bezug auf Sauras Filmfiguren spricht Müller von einem „Rollenwechsel“, der sich insofern äußert, als dass die Männer eine Identitätskrise durchleben, die sie dazu bringt, sich in der weiblichen Rolle zu versuchen. Im „umgekehrten Rollenwechsel“ klebt sich bspw. Angela in Deprisa, deprisa zwecks Banküberfall einen Schnurrbart an.[119]

4. Die Konzeption eines Gesamtkunstwerks – das musikalische Genre

Mit dem Tod Francos, in dem Moment wo ganz Spanien sich politisiert und unpolitische Kunst immer weniger gefragt ist, entspricht Carlos Saura auf den ersten Blick nicht der Erwartungshaltung nach politischen Filmen.[120] Seine neuen Projekte verwirren Publikum wie Kritiker[121], die demzufolge über den „neuen Saura“ spekulieren und „Saura auf neuen Wegen“ zu deklarieren beginnen.[122] Es ist tatsächlich so, dass sich die gewaltige Vielfalt der Filme Sauras in den achtziger Jahren[123] in einigen Aspekten von den vierzehn vorangegangenen Filmen abhebt. Gleichzeitig jedoch sind sie ohne Zweifel immer noch ein Teil des bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen filmischen Kanons. “(…) each film in this cycle suggests a move both backward to earlier Saura films and forward to new thematic and cinematic experiments.“[124] Immer auf der Suche, seine Filmsprache zu erweitern, andere Künste in sein Medium mit einzubeziehen, mit dem Ziel des von ihm so bezeichneten „totalen“ Kinos[125], entwickelt Carlos Saura das musikalische Genre, dem auch Carmen angehört. Dass die Tanz- und Flamencofilme, die den folgenden Abschnitt der Filmografie Sauras prägen, keinesfalls unpolitisch sind, wie auf den ersten Blick gemeinhin angenommen, soll eine kleine Einführung in die Geschichte des Flamencos im spanischen Film zeigen.

4.1 Die Geschichte des Flamencos im spanischen Kino

Das Kino kommt 1896 nach Spanien[126], ein Jahr, in dem der Flamenco seine Blütezeit hat,[127] was bedeutet, dass zwischen diesem und dem spanischen Kino eine historische Verbundenheit besteht. Der Flamenco-Tanz ist von den allerersten Anfängen des Kinos auf der Leinwand vertreten.[128] Auch wenn sich dessen Einsatz seitens der Filmemacher nicht mehr nur auf eine akustische Untermalung beschränkt, sondern auf die visuelle Ebene ausweitet, so bezieht man ihn noch lange nicht in die narrative Dramatik mit ein, ist er doch einzig dazu da, ein bestimmtes Ambiente zu vermitteln.[129] In den 40er Jahren entwickelt sich der Flamencotanz vom abstrakten Element hin zu einem Träger bestimmter Themen innerhalb des Kinos, wobei die Filmemacher immer noch passiv gegenüber der Möglichkeit bleiben, den Flamenco tatsächlich in die narrative Struktur des Films einzubeziehen.[130] Unter Franco wird der Flamenco von der stereotypen Ikone zu einem Mittel, politische und ideologische Intensionen zu vermitteln.[131] Auf diese Weise kann das international isolierte Spanien gegenüber dem Ausland das Image eines Landes mit einheitlichen nationalen Werten vermitteln, genauso wie es im Innern das geteilte Land zu homogenisieren hofft.[132] Die Themen der Musical-Filme jener Zeit sind bereits ähnlich dem Thema von Carmen. Oft ist die Protagonistin eine Zigeunerin, und ebenfalls vertreten ist meist ein Torero. Identifiziert und personalisiert wird der Flamenco über die Frauenfigur, deren Name noch vor dem Titel des Films die Leinwand ziert. Die Schauspieler, die die Flamenco-Kultur im Film verkörpern, gehören dieser in Wirklichkeit gar nicht an.[133]

Ende der 40er Jahre schließlich tauchen laut Gómez González die ersten Versuche auf, den Tanz als erzählendes Moment in den Film mit einzubeziehen. Ein Choreograf wird hinzugezogen, und die Kamera beginnt sich um Bewegung zu bemühen, so dass die Statik der Aufnahme des Tanzes durchbrochen wird. Einhergehend mit den Versuchen des neuen spanischen Kinos, mit anderen Themen und neuen Techniken zu experimentieren, erfolgt in den 60er Jahren der Schritt, den Tanz vollkommen in die Narration der Filme mit einzubeziehen.[134]

Die sich zu Beginn der 50er Jahre abzeichnende Euphorie um den Flamenco verwandelt sich, zeitgleich mit dem Demokratisierungsprozess des Landes, in ein Modell des Widerstandes mit politischem und ideologischem Charakter, wodurch sich mit Beginn der Demokratie der Gedanke einer nichtkommerzialisierten Flamenco-Kunst endgültig etabliert.[135] Zeitgleich entwickelt sich eine neue Richtung des Flamencogenres, eine Mischung zwischen Flamenco und klassischem Ballett; ein Tanz mit theatralischem Gestus, geprägt von Farbe, Licht und verbalen Sequenzen,[136] wodurch sich immer mehr Regisseure, darunter auch Pedro Almodovár, für den Flamenco im Film zu interessieren beginnen.[137] Carlos Saura ist es, der die wahre Revolution des Flamencos innerhalb des Kinos bringt.[138] In Bodas de sangre (Bluthochzeit) von 1981, Carmen und El amor brujo (Liebeszauber) von 1985, in Sevillanas von 1992 und Flamenco von 1995 ist der Flamenco lange nicht mehr nur ein Accessoire, sondern der eigentliche Protagonist des Films.[139]

4.2 Die Trilogie – Zusammenkunft der Künste Musik, Tanz, Theater und Film

Carmen entsteht im Rahmen zwei weiterer Filme, Bodas de sangre und El amor brujo, die, obwohl sie getrennt voneinander produziert sind,[140] im Nachhinein zur Trilogie zusammengeschlossen werden, da sie eine konzeptionelle Einheit – nicht nur aufgrund des Flamencos – bilden. In allen drei Filmen entspringen die Konflikte der Protagonisten aus dem Ringen mit authentischen Emotionen und vernunftgesteuerten Handlungen, traditionell geprägten Rollenzuschreibungen, geschlechtsspezifischen Problematiken, der Spannung zwischen kollektiver, institutioneller Unterwerfung und den individuellen Bedürfnissen einzelner Charaktere sowie deren Rebellion gegen das Diktat der sozialen Anordnung und dem Kampf der Gesellschaftsschichten.

„Saura portrayed a society concerned with name, honour and the traditional roles of men and woman, whose values, going back beyond the beginning of the Civil War, still largely exist in the twentieth century.”[141]

In El amor brujo, um ein Beispiel herauszugreifen, dreht sich der Plot um Candela, die ihrem kürzlich ermordeten Mann als kleines Mädchen versprochen wurde und nun jede Nacht von dessen Geist heimgeholt wird. Die Befreiung von ihren Fantasien kann in gewisser Weise als die Befeiung der Frau von ihrer festgeschriebenen Rolle im Kontext der Zigeunertradition verstanden werden, die diese in solchem Maße dominiert, dass sie sich in moralischer Verpflichtung selbst ihrem bereits toten Mann gegenüber fühlt.

Mit Bodas de sangre, Carmen und El amor brujo sowie mit Sevillanas, Flamenco, Tango von 1998 und Salomé von 2002, schließt Saura jedoch nicht nur thematisch seinen Schaffenskreis, sondern erweitert diesen vor allem in film-ästhetischer Hinsicht. Bereits in jungen Jahren ist Saura als Fotograf bei den Proben der Tanzfestivals mehr an den künstlerischen Prozessen als an den fertigen Produkten interessiert, und bereits damals fasziniert ihn das Leben hinter der Bühne,[142] welches er nun auch in seine Filmkunst integriert. In einem Interview von 2003 erklärt er:

I`ve already been a ballet photographer and I´ve always been fascinated by rehearsals. It fascinates me to observe the physical effort of the dancers, to see how they execute the movements with an authentic passion, killing themselves to do it well.[143]

Schweißtreibende Proben, der Widerstand der noch kalten Körper, die Bemühung um Konzentration, die Entwicklung einer Choreografie, das Aufwärmen vor den Proben und die Natürlichkeit der Tänzerinnen, das Menschliche im Künstler etc. – all das erfährt und erlebt man ausschließlich während des Probenprozesses, der einem die ganze Komplexität von dem zeigt, was später auf der Bühne scheinbar leicht und spontan präsentiert wird.[144]

„Deswegen bin ich lieber der Zuschauer einer Probe als der einer fertigen Aufführung. Und deswegen interessieren mich in meinen Filmen genau die Momente, in denen die Akteure, die Tänzer oder die Musiker um den passenden Ausdruck, die stimmige Geste, die präzise Bewegung und den perfekten Ton kämpfen.“[145]

Die Frage nach dem Theater im Film, mit der sich bereits in einem vorangehenden Kapitel beschäftigt wurde, drängt sich in El amor brujo, dem Film, der die Trilogie beschließt, wieder auf. Es handelt sich hierbei um einen sehr theatralischen und stilisierten Film[146], in den eine Bühne[147] als Referenz direkt in den Film eingebracht ist.

Das Geschehen weicht in keinem Moment von diesem konstruierten Raum ab, auch wenn im Laufe des Films die Illusion von „filmischer Realität“ suggeriert wird. (…) the film creates the curious effect of realism within the confines of its own artificial space.”[148] Die “reale Ebene“ bleibt jedoch letztlich ein Rahmen, der nicht thematisiert wird – ein Versäumnis. Das Ausstellen der Fiktionalität durch die Konstruktion von an das Theater erinnernden Kulissen ist ein Selbstverweis auf das Medium Film, was Saura später in Tango mit der sich selbst fokussierenden Kamera auf die Spitze treibt. Die artifizielle mise-en-scène in El amor brujo umgibt Charaktere und Aktionen mit einer Aura, ähnlich wie es die traditionellen Spanien-Klischees tun, die ebenfalls Künstlichkeit ausstellen und sie gleichzeitig als Realität proklamieren.[149]

Alle Tanzfilme Sauras beinhalten die Verfilmung der Probe eines Tanztheaterstücks, welches die Darsteller neben der „filmischen Realität“ als „innerfilmische Fiktion“ auf die Bühne bringen. Sehr beeindruckend ist diesbezüglich Bodas de sangre. Saura stellt der Bühneninszenierung die Gegenwartsebene der Tänzer und Musiker voran, die sich auf die Generalprobe vorbereiten.

Die Szene vermittelt äußerst präzise die angespannt konzentrierte Atmosphäre im Umkleideraum, wobei die Kamera sich Zeit für Details nimmt: verlängerte Wimpern werden an den Augen befestigt, die Schuhe der Braut weiß angemalt, Augen betont, Nervosität eingefangen, die ersten Steppschritte geübt etc.

Während sich Antonio Gades schminkt, hört man seine Stimme aus dem Off erzählen, wie er zum Tanz gekommen ist. Die Kamera ersetzt währenddessen immer wieder den Platz des Spiegels, vor dem der Choreograf sitzt.[150]

Die Frage nach dem Genre und den Vorbildern von Sauras musikalischen Tanzfilmen, die als Studien über die Arbeit von Künstlern allgemein zu verstehen sind, ist schwer zu beantworten. Von dem amerikanischen Stil, Musical-Filme zu machen, distanziert sich Saura jedenfalls deutlich.[151] Was er mit Bodas de sangre beabsichtigt habe, so der Regisseur, sei „eine Dokumentation des Schöpferischen“ gewesen.[152] Saura stellt hier „seine Mittel ganz in den Dienst der tänzerischen Ausdrucksform“[153], die den Flamencotanz eindrucksvoll in Szene setzen und die inhaltlichen Aussagen des Stücks unterstützen.

Hervorgehoben sei die bemerkenswerte Kameraarbeit Teo Escamillas[154], der zum Teil extrem lange Einstellungen gestaltet, was besonders angesichts der wandgroßen Spiegelfläche bemerkenswert erscheint. Durch die große Bandbreite der Einstellungen, von Übersichts- bis hin zu Detailaufnahmen, wird die Choreografie in narrative Elemente gegliedert. Tatsächlich fällt es schwer, sich bezüglich Bodas de sangre festzulegen, was beeindruckender ist: die pantomimisch-tänzerische Darbietung oder die Blickrichtungen und Sichtweisen, die einem die Kamera offenbart. Deren Bewegungen unterstützen, ja übertreffen zum Teil den Tanz. Die Kamera zeichnet körpersprachliche Gesten nach und pointiert diese. Blitzschnell folgt sie dem Arm, wenn Leonardo nach seiner Braut greift, flink folgt sie einzelnen Blickrichtungen der Darsteller, und in einem Moment verharrt sie, während die Tänzer zu beiden Seiten dem Bild-Ausschnitt entweichen, mit dem Fokus in Richtung geradeaus auf ein Fenster, das sie behutsam aber entschlossen heranzoomt – ein überraschender Effekt, der einen inne halten lässt. Die intensivsten Momente, wie die Suche nach der Braut im Wald[155], zeichnen sich durch einen Verzicht auf Musik aus. Dies ist auch in einer der letzten über 5 Minuten langen Szene des Films der Fall. Der Messerkampf[156] wird in weichen 360 Grad Kamera-Schwenks aufgenommen, so dass der Eindruck entsteht, die Kamera tanze ihrerseits.

Für einen Augenblick zögert man, ob die Bewegungen der Tänzer natürlich, d.h. im Tanz verlangsamt sind oder ob der Effekt erst durch das filmische Hilfsmittel der slow motion entsteht. Der Effekt wird durch das Ausbleiben der Musik noch unterstützt. Die Kamera umrundet die kämpfenden Darsteller – das Geschehen wäre nicht interessant, ohne diese exzellente Kameraführung. Die Dramatik vermag sich gerade durch die Langsamkeit und die Stille zu entfalten. Sauras großes Ziel wird in dieser Szene konkret: Tanz und Film kommen nahezu zur Deckung.

Die Ausdruckskraft aller drei Teile der Trilogie liegt in jedem Fall in der Verbindung der unterschiedlichen Elemente von Musik, Tanz und Film.[157] Die Zusammenkunft der Künste zu einem filmischen „Gesamtkunstwerk“[158], das ist vielleicht tatsächlich eine Art neues Genre, etwas, was es so zuvor noch nicht gegeben hat. Mit seiner Filmtrilogie nähert sich Saura seinem Traum, seiner persönlichen Herausforderung eines „totalen Kinos“[159], welches mit disparaten Elementen wie Theater, Oper, Literatur, Musik und Tanz spielt und die Künste nicht gegeneinander ausspielt, sondern die eine in den Dienst der jeweils anderen stellt.

Die Trilogie hat einen derart intensiven Einfluss auf Sauras Werk, dass der Regisseur 1981, das Jahr in dem Bodas de sangre entsteht, als Wendepunkt in seinem Leben bezeichnet.[160] In mancherlei Hinsicht ist Bodas de sangre sicherlich als eine Art Vorstudie zu Carmen zu bezeichnen,[161] denn auch wenn der erste Film der Trilogie ein gelungenes und eigenständiges Werk ist, so bezeichnet ihn Saura auch als „ästhetisches Experiment“.[162]

Im Gegensatz zu Bodas de sangre, wo Saura auf eine bereits bestehende Tanz-Inszenierung der Gades-Truppe des Dramas von Federico García Lorca[163] zurückgreift, entwickelt sich die Zusammenarbeit von Saura und Gades im Fall von Carmen, wo Gades wieder den Part der männlichen Hauptrolle übernimmt,[164] einzig auf der Basis der Novelle Prosper Mérimées sowie der bekannten Operninterpretation des Stoffes von Georges Bizet.[165] Das in den Film integrierte Ballett entsteht nachdem der Film bereits fertig konzipiert ist. Die Dreharbeiten in einem Pavillon des Messegeländes von Madrid, wo man Gades Tanzstudio rekonstruiert,[166] dauern nach dreiwöchiger Probezeit 2 Monate.[167] In Carmen hebt Saura das in Bodas de sangre bereits angelegte Konzept der Metanarration auf eine umfassendere und komplexere Ebene. Er vermittelt den Carmen-Stoff einmal durch Antonio in der Funktion einer Art von Erzähler, der gleichzeitig in die Geschichte involviert ist, ähnlich wie es in der literarischen Originalversion von Mérimée der Fall ist.[168] Zum anderen werden die Tanzszenen fragmentarisch in Form von Proben für eine künftige Bühnendarbietung eingefügt. Und wie in seinen ganz frühen Filmen, kommt Saura auch in Carmen auf seine Leidenschaft, der Vermischung der Bewusstseinsebenen seiner Filmfiguren zurück. Um das Reale mit dem Irrealen im Medium der Fiktion zu verbinden, entwirft Saura hier eine Parallelgeschichte zwischen dem Choreographen und der Tänzerin, der diese für die Rolle der Carmen auserwählt[169] und entwickelt die Geschichte „entsprechend der doppelten Quelle (Oper und Novelle) auf zwei Ebenen“.[170]

[...]


[1] Carlos Saura drehte in der Zeit von 1959 bis heute alle ein bis zwei Jahre einen Film.

[2] Unter Franco behauptet sich Saura mit seinen, im Zeichen linksliberaler, intellektueller Opposition stehenden Filme.

[3] Für seine Musik/Tanz-Filme erhielt Saura insgesamt 5 Preise in Cannes und 2 Oskarnominierungen. Erst kürzlich wurde er von der Europäischen Filmakademie für sein Gesamtwerk ausgezeichnet: Er habe mit seinem künstlerischen, vor allem seinem filmischen Schaffen die Kultur sowohl Spaniens als auch Europas stark beeinflusst. Saura nahm den Preis während der Verleihung des Europäischen Filmpreises am 11. Dezember 2004 in Barcelona entgegen.

[4] Die Trilogie bilden die Filme Bodas de sangre (Bluthochzeit) von 1981 Carmen von 1983 und El amor brujo (Liebeszauber) von 1985.

[5] Außer der Verfilmung Sauras entstehen 1983 auch die von Peter Brook, Francesco Rosi und Jean-Luc Godard.

[6] Die Vermittlung der Inhalte durch die Darstellungsform des Flamenco-Tanzes spielt eine bedeutende Rolle bezüglich der Transformation und Aktualisierung des Carmen-Stoffes im Rahmen eines sich modernisierenden, zeitgenössischen Spaniens.

[7] Nebhuth: Interpretation von Opern. 1990. S.17f.

[8] Dies wird filmisch eindrucksvoll von Pedro Almodóvar umgesetzt, worauf noch zurückzukommen wäre.

[9] Abbildungen Sauras sind ebenfalls aus den Special features und Making of-Teilen der DVDs entnommen.

[10] Hönig: Saura. 1987. S.158f.

[11] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.24. (“La entrada en el cine (...) al mundo de la imagen, yo la realicé a través de la fotografía. Yo he sido una persona que ha cultivado el mundo de la image que siempre me ha fascinado y me sigue fascinando.”) Und Eichenlaub: Saura. 1984. S.169: “(…) das erste Material, das mir in den Sinn kommt, [ist] immer fotografischer Art (…).”

[12] Nachdem Spanien von 1931 an eine Demokratische Republik war, organisierte eine Gruppe von Generälen um Franco schließlich den erwarteten Militärputsch, der 1936 den Bürgerkrieg auslöste. Als dessen Sieger ging 1939 das faschistische Regime unter General Franco hervor. Von den politischen Diskontinuitäten, die auch nach Francos Tod 1975 noch fortdauerten, wurde auch das spanische Kino bis Ende der 70er Jahre geprägt. (Vgl. Gubern: Cine español. 2000. )

[13] Saura erklärt, die Zeit seiner Kindheit sei keine „idyllisch glückliche gewesen, sondern eine, die ihn Elend, Trauer und Hass lehrte“. (Müller: Saura. 1989. S.67.)

[14] Insbesondere in La prima Angélica (Die Cousine Angelica), wohl Sauras bestem Film der 70er Jahre, spiegelt er die Zeit des Bürgerkriegs über die Kindheit des Helden Luis. (Hönig: Saura. 1987. S.178) „Angelica is a triumph because Saura finally brought together all of his youthful memories into a surging, artful work which reveals as much about himself as his preoccupations with his memories of the Spanish Civil War. (…) Cousin Angelica is his most controlled, unified, fluid and best conceived film work of the Seventies, in which autobiography is merged with filmic art.” (Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.182.)

[15] Müller: Saura. 1989. S.77. Und Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.IX.

[16] Mit ¡Ay, Carmela! (Ay, Carmela – Lied der Freiheit) begibt sich Saura 1990 noch einmal in die Vergangenheit Spaniens. Der Film spielt im spanischen Bürgerkrieg und erzählt am Beispiel der tragisch-komischen Geschichte einer durchs Land ziehenden Varieté-Truppe von den Schrecken und Qualen dieser Zeit, gerade für Künstler. (Sauras einziger Roman, ¡Esa luz! von 2000, begibt sich mit seiner Fabel ebenfalls in die Zeit des spanischen Bürgerkrieges zurück. Das Leid von Sauras Roman-Familie steht stellvertretend für unzählige ähnliche Schicksale aus jener Zeit und spiegelt damit ein Stück spanische Geschichte wider.)

[17] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.3.

[18] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.97.

[19] Saura: De Saura. 1993. S. 94.Und Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.7.

[20] Ebenda. S.111.

[21] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.60. (Oft wird Saura allein durch eine Fotografie, durch ein einzelnes Bild zu einem ganzen Film inspiriert.)

[22] In zahlreichen von Sauras Filmen trifft man auf das fotografische Bild im Filmbild: Fotos und Zeitschriftenausschnitte in Peppermint frappé; Gruppenfotografien zu Anfang, Mitte und Ende von Bodas de Sangre, in Form von Diaprojektionen in Tango etc.

[23] Eichenlaub: Saura. 1984. S.65.

[24] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.99 und S.XIII.

[25] Saura: Carmen. 1985. S.50.

[26] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.69. (Hinter der Bühne werden die Anstrengungen der Tänzer deutlich, die ihre Unnahbarkeit verlieren, so dass man den Menschen aus Fleisch und Blut hinter dem Körper des perfekten Virtuosen erkennen kann.)

[27] Ebenda. S.161.

[28] Hönig: Saura. 1987. S.159.

[29] Müller: Saura. 1989. S.68.

[30] Flamenco von 1955 und El pequeño rio Manzanares (Der kleine Fluss Manzanares) von 1955. La tarde del domingo (Sonntagnachmittag) von 1956/57 und Cuenca von 1958.

[31] Saura zitiert in: Hönig: Saura. 1987. S.159.

[32] Borau: Diccionario del Cine español. 1998. S.634f: Die Geburt der theoretischen Strömung des NCE zu Beginn der 60er Jahre sieht die Notwendigkeit eine kinematographische Alternative zu schaffen, die mit der festgefahrenen offiziellen Produktion brechen, und den Blick auf die Situation des Landes wenden soll, um den Zuschauern die gesellschaftliche Realität zu verdeutlichen. (Das NCE kann jedoch nicht als geschlossene Schule bezeichnet werden und war, im Gegensatz zu anderen jungen europäischen Filmströmungen wie der Nouvelle Vague, letztlich nicht in der Lage, entscheidende Schritte hin zu einer neuen Ästhetik zu vollziehen.) Carlos Saura gilt als Teil der neuen, nonkonformistischen Generation junger Regisseure und prominentester Vertreter des NCE.

[33] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.24.

[34] In der Süddeutschen Zeitung vom 05.02.1972 heißt es im Artikel „Schlechte Zeiten für Spaniens Filmemacher“, dass Saura wegen seiner, in den Augen des Regimes, zweifelhaften politischen Ansichten von der Filmhochschule entlassen wurde. (Eine Annahme, die ausschließlich in dieser einen Quelle gefunden wurde.)

[35] Borau: Diccionario del Cine.1998. S.634f: Die realistische Filmästhetik des NCE zeichnet in erster Linie die frühen Arbeiten Sauras aus. Deren dokumentarisch-realistische Filmästhetik ist auf Einflüsse des italienischen Neorealismus zurückzuführen, der den jungen Saura bereits während des Studiums prägte.

[36] Walder: Sauras Kino der Erinnerungen.1977. S.26f: Mit seinem dritten Spielfilm La caza gelingt Saura der internationale Durchbruch. La caza begründet sein Renommee im Ausland und damit auch sein Prestige in Spanien. Es ist der erste einer Reihe von Filmen, die Saura in Zusammenarbeit mit dem als antikonformistisch geltenden Produzenten Elías Querejeta macht, der Saura stark unterstützt und fördert. Saura wird auf der Berlinale 1965 mit La caza für die beste Regie mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.

[37] Haubrich: Francos Erben. 1976. S.549f.

[38] Zimmer: Der Tod und das Mädchen. Die Zeit, 03.12.1976. S.41.

[39] Miret Jorba: Carlos Saura. 1976. S.7.

[40] Gregor: Geschichte des Films ab 1960. 1978. S.247.

[41] Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.182.

[42] Saura: Por una mayor libertad de la cámara. 1966. S.32.

[43] Gubern: Cine español. 2000. S.189ff. (Zu den Wegen die Zensur zu umgehen zählte die Flucht ins Exil, die innere Emigration, die Anpassung oder auch die offene Kritik, die in vielen Fällen zu lebenslanger Haft führte.)

[44] Bereits Los golfos (Die Straßenjungen) von 1959 wird vier mal hintereinander von der Zensur verboten.

[45] Müller: Saura. 1989. S.68.

[46] Was es für einen Künstler heißt, sich angesichts der gesellschafts-politischen Bedingungen zurückzuhalten und gleichzeitig die eigene Meinung nicht zu verleugnen und weiter zu arbeiten, das verarbeitet Saura in ¡Ay, Carmela!.

[47] Miret Jorba: Carlos Saura. 1976. S.3. (Dabei ist es eine ausgefuchste Taktik des Franco-Regimes, genau die Filme, denen in Spanien in Realisation und Distribution härteste Hindernisse in den Weg gestellt werden, als aller erste zu den internationalen Wettbewerben zu schicken, um im Ausland ein freiheitlich-liberales Spanienbild vorzuführen.)

[48] Hönig: Saura. 1987. S.177.

[49] Ebenda. S.179.

[50] „(...) die Spanier strömten zuhauf in die Kinos, um sich den Bürgerkrieg aus der Sicht der Unterlegenen anzusehen.“ (Boom: Kunst und Politik. FAZ, 24.03.1980.)

[51] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.76. („Hay muchos que piensan que mi forma de narrar es producto de la censura franquista. No estoy tan seguro de ello. La imposibilidad de tratar directamente los temas que me preocupaban me obligaba a buscar una forma narrativa indirecta, dar una vuelta, utilizat metáforas, pero resulta que es ésa la forma de narrar que siempre me ha interesado y la que corresponde mejor a mi personalidad.”)

[52] Hönig: Saura. 1987. S.163.

[53] Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.74. (“En “La caza” traté de ampliar el campo del “realismo”. Quizá convenga aclarar aqui que enonces “realismo” era sinomino del tratamiento de los problemas sociales y politicos del momento. Yo estaba convencido de que la realidad era más compleja y quiza porque me interesaban más los individuos que la sociedad, creía que los sueños, las alucinaciones y las imagenes de los pensamientos tenian tanta fuerza e identica entidad que hechos mas concretos.”)

[54] Müller: Saura. 1989. S.77. Und Schwartz: Spanish film directors. 1986. S.177.

[55] Edwards: Indecent Exposures. 1995. S.17f.

[56] Blanco; Collado: Carlos Saura. 1993. S.1. (“En un determinado momento de mi vida – la verdad es que no sería capaz de decir cuándo - decidí que no existía ninguna diferencia entre la realidad y la imaginación.”)

[57] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.29.

[58] Zitiert nach Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.48. („Yo no establezco ningún distingo entre lo que es el pasado, el presente, el sueño o una cosa imaginativa, porque me parece que todo eso tiene un valor en un momento determinado.”)

[59] Eichenlaub: Saura. 1984. S.169.

[60] Die Spaltung der Zeiten und Ebenen geht einher mit der psychischen Spaltung der Filmfiguren, was auf einen Einfluss der psychoanalytischen Theorien Freuds schließen lässt. (Miret Jorba: Estudio sobre Carlos Saura. 1976. S.5.)

[61] Gubern: cine español. 2000. S.292. Und Edwards: Indecent Exposures. 1995. S.17: „(...) there is a strong Freudian influence and, beyond that, a clear link between Saura and Buñuel.“

[62] Haubrich: Francos Erben. 1976. S.151. (Peppermint frappé wird 1968 bei den Berliner Filmfestspielen mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet. Der Film enthält eindeutige Bezüge zu Luis Buñuel. Um nur ein Beispiel zu nennen: In einer Szene, in der Julian seiner Sprechstunden künstliche Wimpern anklebt, sieht man in Großaufnahme eine Messerklinge sich dem Auge nähern wie in Le chien andalou (Der andalusische Hund) , 1928.)

[63] Alfred Hitchcock hat eine ähnliche Untersuchung in Vertigo von 1958 gemacht, und 1977 ist Buñuel in Cet obscur objet du désir (Dieses obskure Objekt der Begierde) von 1977 noch weiter gegangen, indem er zwei gänzlich verschiedenen Frauen ein und dieselbe Hauptdarstellerin verkörpern lässt.

[64] Los golfos (Die Straßenjungen), 1959; Llanto por un bandido (Córdoba), 1963; La caza (Die Jagd), 1965.

[65] Eichenlaub: Saura. 1984. S.87.

[66] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.52.

[67] Die Erotik vermittelt sich nie vordergründig-direkt und wird nicht in speziell für sie vorgesehenen Szenen dargestellt, sondern entfaltet sich vielmehr in intellektuellen oder künstlerischen Prozessen, sowie durch das Spiel und die Ausdrucksform des Tanzes.

[68] Der Surrealismus bezieht sich auf das „Überwirkliche“.

[69] Jansen: Saura. 1981. S.65f.

[70] Caparrós: cine español. 1992. S.225.

[71] Gubern: cine español. 2000. S.50. („ (…) cine cada vez más metafórico.”)

[72] Oliver: Viaje al mundo de Carlos Saura. 1977. S.101. (Cría cuervos initiiert die Eroberung des ausländischen Marktes durch den spanischen Film.)

[73] Oliver: Viaje al mundo de Carlos Saura. 1977. S.101f.

[74] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.XII f.. (“Saura favors nonlinear narration and innovative expressions of time and space. Instead of using traditional flashbacks to signal different time periods, he often conflates all times into one time by having caracters and events exist on several temporal planes simultaneously. He reflects the subjective points of view of his charakters by fusing reality with fantasy, past with present, and memory with hallucination. (…) He explores the relationship between representation and life through theatrical performances embedded in his plotlines.”)

[75] Los golfos ist eine dokumentarische Studie halbkrimineller Jugendlicher. Die Ereignisse wirken, wie auch in La caza, realistisch; es gibt keine Brüche in der Zeitachse. Mit Deprisa, deprisa kehrt Saura 1980 zur Thematik von Los golfos zurück. Doch nicht nur die dargestellte Kriminalität der Jugendlichen erinnert an den Debütfilm. Auch die realistische Darstellungsweise kommt nach fast zwanzig Jahren, in welchen Saura mit den Brechungen von Zeit- und Bewusstseinsstrukturen experimentierte, wieder zum Vorschein. ¡Ay, Carmela!, ¡Dispara! und Taxi verfügen gleichfalls über eine geradlinige, chronologische Erzählweisen.

[76] Eichenlaub: Saura. 1984. S.94.

[77] „Macht bedeutet die zunächst abstrakte Möglichkeit, den Entscheidungs- und Handlungsspielraum eines Individuums einzuschränken.“ Bei der Jagd geht es darum, dass „ein Wesen sich eines anderen bemächtigt und es unter Umständen sogar tötet.“ (Hoefer: Die Jagd im Film. 1994. S.3ff.)

[78] Vgl. Eichenlaub: Saura. 1984. S.114ff.

[79] Koch: Genealogie mütterlicher Macht. FR, 14.09.1983.

[80] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.208.

[81] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.82ff (Saura lässt sich dazu animieren, am Theater Regie zu führen und dort Aufführungen zu realisieren. Im Oktober 1983 inszeniert er zusammen mit Gades in Paris eine Theaterversion des Balletts Carmen, welche 1985 auch in Deutschland gastiert. 1991 inszeniert er in Stuttgart eine Operninszenierung, bei der sein Bruder Antonio das Bühnenbild entwirft. Und im September 2004 wäre es fast zu einer Inszenierung von Carmen unter der Regie von Saura anlässlich des Musikfestivals in Sevilla gekommen. (Der Orchesterleiter wird krank und die Aufführung auf weiteres verschoben). 1990 machen Gades und Saura eine weitere Theateraufführung, diesmal eine freie Version von El amor brujo von Manuel de Falla. Das Stück nennt sich Fuego und wird in Paris mit viel Erfolg uraufgeführt. Am 25.01.2002 wurde das Bühnenstück zum Film Salomé in Santander vorgestellt. Eine große Tournee durch ganz Spanien folgte.

[82] Müller: Saura. 1989. S.86.

[83] Braso: Zwischen Wirklichkeit und Traum. 1979. S.41. Und Eichenlaub: Saura. 1984. S.122. (An dem Morgen als der Vater von Elisa in Elisa, vida mía stirbt, übernimmt Elisa dessen Theaterklasse. Die Schülerinnen proben das Stück „Das große Welttheater“ von Calderón de la Barca. Wie ein Refrain tönt es aus dem Schulzimmer: „Das ganze Leben ist ein Schauspiel.“)

[84] Miret Jorba: Estudio sobre Carlos Saura. 1976. S.9.

[85] Müller: Saura. 1989. S.86.

[86] Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.69.

[87] Am Ende des Films werden Mord und Selbstmord zunächst gespielt und erfolgen dann real, was einen als Zuschauer zutiefst schockt. – Ein faszinierend eindringlicher Film.

[88] Verbringt das Paar in La madriguera sein Leben größtenteils im Spiel, so wird das Spiel später in Carmen zum Leben der Protagonisten. In Tango beschreibt das Drehbuch Marios eigenes Leben, Juan in Dulces horas bearbeitet seine eigene Kindheit als Theaterstück, Antonio inszeniert in Carmen seine eigene Fantasien etc.

[89] Vgl. Felsenstein: Schriften zum Musiktheater. 1976. S.70.

[90] Ebenda. S.66.

[91] Eichenlaub: Saura. 1984. S.116. (Spanischer Popsong von Jeanette, 1977 erster Platz auch in der deutschen Hitparade.)

[92] Sie ist im Übrigen auch die einzige, die aus persönlicher Kraft und Stärke heraus das Ende des Films überlebt.

[93] Cuenca ist eine filmische Studie zu der gleichnamigen Provinz Spaniens, mit der sich Saura die Aufmerksamkeit schafft, die es ihm ermöglicht 1959 mit Los golfos seinen ersten Spielfilm zu machen. (Walder: Saura oder die Gewalt der Erinnerungen. NZZ, 25.11.1976.)

[94] Die Opernmusik Bizets wird gleichsam zu einem Teil Antonios, und wenn am Ende aus dem Hintergrund „Oh, Carmen!“ erschallt, so erfolgt dies stellvertretend für Antonios inneren Schrei. (Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.158.)

[95] Der Schatten der verstorbenen Cayetana tritt zweimal an Goyas Bett und umhüllt diesen mit seiner Dunkelheit. Das erste Mal wehrt sich der noch junge Goya voll Schrecken, der Schatten zieht sich daraufhin langsam zurück. Das zweite Mal aber, als Goya alt und krank im Exil lebt, wehrt er sich nicht mehr. Der Schatten fällt auf sein Bett, nimmt ihn in sich auf und mit sich fort. Als die Dunkelheit vom Bett weicht, ist dieses leer – Goya ist gestorben.

[96] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.87.

[97] Eichenlaub: Saura. 1984. S.14.

[98] Die Schauspielerin, eine Tochter des großen Stummfilmkomikers, wird nicht nur Sauras Frau, mit der er von 1967 bis zur Trennung des Paars 1979 in Madrid zusammenlebt, sondern auch „seine“ Darstellerin, die in jener Zeit in acht seiner Filme die weibliche Hauptrolle spielt, in manchen sogar mehrere Rollen gleichzeitig. Sie beeinflusst sowohl die Konzeption seiner Filme, z.B. als Co-Autorin von La madriguera, als auch Sauras Frauenbild.

[99] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.49.

[100] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.88.

[101] Müller: Saura. 1989. S.89.

[102] Edwards: Indecent Exposures. 1995. S.114.

[103] Carlos Saura zitiert in: Oliver: Viaje al mundo de Carlos Saura. 1977. S.247.

[104] Eichenlaub: Saura. 1984. S.53.

[105] Sigmund Freud zitiert in: Goritschewa: Das Anderssein der Frau. 1988. S.19.

[106] Müller: Saura. 1989. S.89.

[107] Saura: Carmen. 1985. S.44.

[108] Müller: Saura. 1989. S.90.

[109] Ebenda.

[110] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.133. (“The family constructs the mise-en scène of the female’s imaging of her destiny.”)

[111] Miret Jorba: Estudio sobre Carlos Saura. 1976. S.6. (Das Patriarchat besteht aus der Dialektik von Unterdrücker und Unterdrückten, die ihrerseits wieder zu Unterdrückern werden.)

[112] Dargestellt in La casa de Bernarda Alba (Bernarda Albas Haus) von Federico García Lorca (1933-36. Hrsg. postum 1945).

[113] Mathis: Carlos Sauras Carmen. 1986. S.12.

[114] Walder: Saura oder die Gewalt der Erinnerungen. NZZ, 25.11.1976.

[115] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.146.

[116] Müller: Saura. 1989. S.90.

[117] Hier ein Beispiel aus Tango: Regisseur Mario auf der Suche nach Inspiration.

[118] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.76: „A la búsqueda de un nuevo lenguaje.“

[119] Müller: Saura. 1989. S.92.

[120] Eichenlaub: Saura. 1984. S.152. Und S.168. (Saura mag sich nicht festlegen lassen, sich keiner politischen Formation anschließen, sondern unopportunistisch und frei bleiben, was er im übrigen mit vielen seiner Hauptfiguren gemeinsam hat.)

[121] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.161.

[122] Eichenlaub: Saura. 1984. S.175.

[123] In einer Zeitspanne von vier Jahren arbeitet Saura an sechs Filmprojekten. Wobei Bodas de sangre und Deprisa, deprisa fast parallel laufende Arbeiten sind.

[124] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.162.

[125] Eichenlaub: Saura. 1984. S.141. S.157.

[126] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.26.

[127] Freisen: Báilame a la gitana. 2000. S.110: Im Zuge des Zeitalters der Romantik formiert sich die Kunst des Flamencos. „Der [bis dahin herrschenden] bürgerlichen Körperdistanzierung und Triebdämpfung standen [nun] Entfesselung und Körperbetonung gegenüber.“ Die Romantik konstituiert also den historisch-kulturellen Schlüssel des Flamenco, sie fördert seine Kommerzialisierung und seine Entwicklung als öffentliches Spektakel.

[128] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.22.

[129] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.45.

[130] Ebenda. S.81. (Der Flamenco erhält innerhalb des Films ein eigenes narratives Thema, was aber nichts mit der Filmgeschichte zu tun hat.)

[131] Ebenda. S.34. (Es ist bemerkenswert, dass gerade die ausländische Komponente Spaniens, die Wurzeln der Zigeuner und Araber, dazu dienen, eine „Españolidad“, d.h. das „typisch Spanische“ herauszufiltern und hervorzuheben.)

[132] Ebenda. S.136. (Saura macht mit ¡Ay, Carmela! klare Anspielungen auf die Flamenco-Darbietungen und das frankistische Kino zur Zeit der Diktatur.)

[133] Ebenda. S.57ff. (In Sauras Film wird im Unterschied dazu die Carmen-Geschichte von denjenigen dargestellt, die selber als Spanier und Flamenco-Künstler die eigentlichen „Opfer“ des Klischeedenkens sind.)

[134] Ebenda. S.82ff. (Z.B. Rovira Beleta mit seinem Film Los Tarantos (1963), einer Verfilmung des Theaterstoffes von Alfredo Mañas. Der Tanz ist hier Teil des Dramas, die Figuren tragen Straßenkleidung und befinden sich auch auf der Straße während sie tanzen. Zudem gehören die Darsteller tatsächlich der Ethnie der Zigeuner an. Die Kamera schafft es allerdings noch nicht wirklich, sich von ihrer Unbeweglichkeit frei zu machen. Gómez hebt diesen Film als Vorgänger der Filme hervor, die Saura in den 80er Jahren drehen wird.)

[135] Ebenda. S.102. (Viele Anhänger des Flamencos setzen sich in einer puristischen Bewegung für den Schutz und die Weiterentwicklung der authentischen Flamenco-Kunst ein.)

[136] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.82. (Der Flamenco erneuert sich und wird zu einer weltoffenen, internationalen Musik. Der zeitgenössische Choreograf mit dem größten Einfluss, der in diesem neuen Genre arbeitet, ist Antonio Gades mit seiner Kompanie des spanischen Nationalballetts.)

[137] Mit seinen skurrilen Filmen gelingt es Almodóvar, eine ausgefallene, urwüchsige Sexualität als Ersatz für die „Españolada“ als neues kulturelles Klischee eines besonders liberalen Spaniens nach Franco zu etablieren.

[138] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.107.

[139] Zudem vereint Saura Tanz, Theater, Farben, Licht, Mimik, den Ton und eine Reihe weiterer Komponenten.

[140] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.192.

[141] Edwards: Indecent Exposures. 1995. S.17.

[142] Eichenlaub: Saura. 1984. S.141.

[143] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.69. Und S.161. (Saura empfindet es als spannender die Korrekturen, die Anstrengungen, den Prozess in seiner ganzen Natürlichkeit zu verfolgen als sich mit dem fertigen Produkt zu beschäftigen.)

[144] Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.157.

[145] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.86. („Por eso soy más espectador de ensayos que de la obra terminada, por eso trato de introducir en mis películas esos momentos en los que los actores, los bailarines o los músicos luchan por encontrar el gesto justo, el movimiento preciso, el sonido perfecto.”)

[146] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.84. Auch auf der Bildebene wird bereits in der ersten Einstellung, wenn die Titel noch über das Bild laufen, die Illusionswirkung des Kinos ausgestellt: Man sieht Antonio Gades, der die Rolle des Carmelo spielt, wie er sich von einem kleinen Jungen zu einem erwachsenen Mann wandelt. „This masterful sequence cleverly aligns the artifices of cinematic and stage illusion (…).” (D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.217.)

[147] Willem: Carlos Saura. Interviews. 2003. S.91. (Die Suggestion der Bühne am Anfang des Films hat verschiedene mögliche Bedeutungen. Saura beabsichtigte die Suggestion einer Theatervorstellung. Sein Ziel ist es, einen künstlichen, künstlerischen Rahmen zu schaffen, in dem sich Dinge abspielen, die nach und nach zur Realität werden. Der Vorhang öffnet aber auch symbolisch den Einblick in die Fremden normalerweise verschlossene Welt der Zigeuner.)

[148] D’Lugo: The films of Carlos Saura. 1991. S.215.

[149] In Bezug auf Carmen werden in Kapitel III Sauras filmische Reflektionen über die traditionellen Spanien-Klischees weiter ausgeführt und analysiert.

[150] Dasselbe liegt in ¡Ay, Carmela! vor, wenn Carmela und Paulino sich vor dem Spiegel für ihre Vorstellungen bei den Faschisten schminken und in den Spiegel/die Kamera sprechend ihre Bedenken und Sorgen äußern.

[151] Sauras Filme sind keine Musicals in dem Sinne, als dass dort singend Geschichten erzählt würden. (Eichenlaub: Saura. 1984. S.17. Und Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.66.)

[152] Saura: Carmen. 1985. S.49.

[153] Eichenlaub: Saura. 1984. S.139f.

[154] Teo Escamilla hat von 1975 bis 1989 in sämtlichen Filmen von Carlos Saura die Kamera geführt.

[155] Man muss das Drama von Lorca gelesen haben, um zu verstehen, dass es sich bei der Darstellung in der letzten Szene um einen Ritt durch den Wald handelt.

[156] In Lorcas Stück wird der Messerkampf gar nicht beschrieben, sondern auf metaphorischer Ebene von einer alten Frau und dem Mond als Symbole des Todes vermittelt.

[157] Saura: Carmen.1985. S.51.

[158] Eichenlaub: Saura. 1984. S.156.

[159] Ebenda. S.157.

[160] Vidal: Retrato de Carlos Saura. 1994. S.89.

[161] Gompper: Carlos Saura, die „totale Realität“. 1994. S.83. Und Eichenlaub: Saura. 1984. S.142.

[162] Eichenlaub: Saura. 1984. S.139.

[163] Federico García Lorca (1899-1936). Span. Schriftsteller. 1933 veröffentlicht er sein Drama Bodas de sangre. In seinen Werken stehen häufig Frauengestalten im Vordergrund.

[164] Gómez: La reconstrucción del flamenco. 2002. S.301.

[165] Vidal: El cine de Carlos Saura. 1988. S.182f.

[166] Filius-Jehne: Carmen. 1982. S.137.

[167] Saura: Carmen. 1985. S.48.

[168] Ebenda. S.162. (Ein Element, was sich weder in der Oper Bizets noch in anderen kinematographischen Umsetzungen des Stoffes findet.)

[169] Zeul: Carmen & Co. 1997. S.33. Und Krüger-Zeul: „Carmen“ und die falschen Träume. 1986. S.106.

[170] Hoefer: Carlos Saura. 1995. S.14.

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes im Kontext seines filmischen Oeuvres
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Medienwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
124
Katalognummer
V41454
ISBN (eBook)
9783638397117
ISBN (Buch)
9783638902236
Dateigröße
1458 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Explizit als "exzellente Arbeit" vom betreuenden Prof + Co-Korrekteur gelobt, filmwissenschaftlich interdisziplinär,kulturwissenschaftlich,Romanistik,Interkultureller Ansatz der Analyse,soziokulturell,Portrait des Regisseurs, Analyse dessen Gesamtwerk nach Themen gegliedert,Einzelanalyse von Carmen mit ausführlichem Sequenzprotokoll,Einordnung des Carmen-Films in Sauras Werk,in die Filmgeschichte überhaupt u.in einen entstehungsgeschichtlichen intertextuellen wie interkulturellen Kontext
Schlagworte
Carlos, Sauras, Version, Carmen-Stoffes, Kontext, Oeuvres
Arbeit zitieren
Ann-Katrin Kutzner (Autor:in), 2005, Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes im Kontext seines filmischen Oeuvres, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41454

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Carlos Sauras Version des Carmen-Stoffes im Kontext seines filmischen Oeuvres



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden