In Deutschland sehen das Umwandlungs- und das Aktiengesetz Maßnahmen vor, die es dem Hauptaktionär einer Aktiengesellschaft mittels Hauptversammlungsbeschluss ermöglichen, Streubesitzaktien mittelbar oder unmittelbar zu erwerben oder Unternehmensverträge mit anderen Unternehmen abzuschließen. In diesen Fällen haben die in ihren Rechten beschnittenen außenstehenden Aktionäre Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich oder eine angemessene Abfindung (u.a. §§ 304, 305, 320b, 327a AktG sowie §§ 2, 29 UmwG). Im Rahmen der funktionalen Unternehmensbewertungstheorie ist bei der Bestimmung der Abfindung auf das Konzept der vermittlungsorientierten Unternehmensbewertung abzustellen. Da es sich in den behandelten Fällen i.d.R. um dominierte Konfliktsituationen handelt, ist eine angemessene Abfindung festzusetzen, die als Arbitrumswert dem Interessenausgleich zwischen den beteiligten Parteien gerecht wird. Bei börsennotierten Gesellschaften stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Börsenkurs der Anteile bei der Festsetzung einer angemessenen Abfindung für die Beeinträchtigung der Gesellschafterrechte der Minderheitsaktionäre hat. Bis zum Beschluss des BVerfG in Sachen DAT/Altana am 27.04.1999 wurde der Börsenkurs von der Rechtsprechung als Abfindungsmaßstab abgelehnt. Auch in der Literatur wurde der Sachverhalt kritisch diskutiert. Laut BVerfG ist der Börsenkurs bei der Abfindungsbestimmung nicht außer Acht zu lassen und stellt gleichzeitig ihre Untergrenze dar.
Als Diskussionsbasis dient die formalrechtliche Betrachtung möglicher Abfindungsanlässe, ergänzt durch eine Betrachtung der Rechtsprechung zur Ermittlung einer angemessenen Abfindung. Zu klären ist insbesondere, inwieweit der Aktienkurs aus theoretischer Sicht ein zweckadäquates Instrument zur Abfindungsbemessung darstellt. Zur Klärung dieser Frage wird darauf eingegangen, welche Rolle vom Hauptaktionär erwartete Synergieeffekte spielen, inwiefern der Börsenkurs den Grenzpreis der Minderheitsaktionäre als am Markt realisierbarer Deinvestitionspreis widerspiegelt und ob die Ablehnung des Börsenwertes der herrschenden Gesellschaft als Obergrenze im Fall der Abfindung in Aktien durch das BVerfG gerechtfertigt ist. Als zweiter Problemkreis ergibt sich die Beurteilung der Praktikabilität der richterlichen Vorgaben für die Kursbestimmung. Dabei ist abzuwägen, ob ein Stichtags- oder ein Durchschnittskurs als Referenzkurs maßgeblich ist.
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- 1. Problemstellung
- 2. Grundlagen der Abfindungsproblematik
- 2.1. Die Unternehmensbewertung in den Rechtswissenschaften
- 2.2. Gesetzliche Abfindungsanlässe
- 2.2.1. Eingliederung
- 2.2.2. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
- 2.2.3. Verschmelzung
- 2.2.4. Squeeze-out von Minderheitsaktionären
- 2.2.5. Rechtsformwechsel und Rückzug von der Börse
- 2.2.6. Spaltungs- und Übernahmevertrag
- 2.2.7. Übertragende Auflösung
- 3. Historische Entwicklung der Rechtsprechung zum Abfindungsfall
- 3.1. Der Grundsatz der vollen Entschädigung
- 3.2. Rechtsprechung
- 3.2.1. Die alte Sichtweise
- 3.2.2. Die neue Rechtsprechung
- 3.2.2.1 Bayerisches Oberstes Landesgericht
- 3.2.2.2 Bundesverfassungsgericht
- 3.2.2.3 Bundesgerichtshof
- 4. Konsistenz von Bewertungsziel und -methode
- 4.1.1. Börsenkurs und Grenzpreisbestimmung
- 4.1.2. Berücksichtigung von Synergieeffekten
- 4.1.3. Die Verschmelzungswertrelation und der Börsenkurs des herrschenden Unternehmens
- 5. Probleme bei der Kursbestimmung
- 5.1. Referenzzeitraum
- 5.2. Börseneffizienz
- 5.3. Kursmanipulation, Marktenge und fehlender Handel
- 5.4. Berücksichtigung des außerbörslichen Erwerbs
- 6. Relevanz des Börsenkurses für Verschmelzung und Squeeze-out
- 6.1. Fall der Verschmelzung
- 6.1.1. Zustimmung
- 6.1.2. Ablehnung
- 6.2. Fall des Squeeze-out
- 6.2.1. Zustimmung
- 6.2.2. Ablehnung
- 7. Thesenförmige Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern der Börsenkurs bei Abfindungen in verschiedenen Rechtsformen der Umwandlung, wie zum Beispiel Verschmelzung oder Squeeze-out, berücksichtigt werden sollte. Sie untersucht die verschiedenen Rechtsprechungslinien und die relevanten rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte dieser Thematik.
- Die Rechtsprechung zum Abfindungsfall im Kontext verschiedener Umwandlungsformen.
- Die Rolle des Börsenkurses bei der Bewertung von Unternehmen und der Festlegung von Abfindungsbeträgen.
- Die Berücksichtigung von Synergieeffekten und anderen relevanten Faktoren bei der Abfindungszahlung.
- Die Herausforderungen und Probleme, die bei der Bestimmung des relevanten Börsenkurses auftreten können.
- Die Auswirkungen des Börsenkurses auf die Entscheidungen von Aktionären in Bezug auf Zustimmung oder Ablehnung von Umwandlungsvorschlägen.
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 2 untersucht die Grundlagen der Abfindungsproblematik und betrachtet verschiedene gesetzliche Abfindungsanlässe. Kapitel 3 beleuchtet die historische Entwicklung der Rechtsprechung zum Abfindungsfall, wobei sich der Fokus auf die verschiedenen Sichtweisen und Rechtsprechungslinien konzentriert. Kapitel 4 analysiert die Konsistenz von Bewertungsziel und -methode, insbesondere in Bezug auf die Rolle des Börsenkurses. Kapitel 5 befasst sich mit den Problemen, die bei der Kursbestimmung auftreten können, wie zum Beispiel die Wahl des Referenzzeitraums oder die Beurteilung der Börseneffizienz. Kapitel 6 untersucht die Relevanz des Börsenkurses für die Entscheidungen von Aktionären bei Verschmelzungen und Squeeze-outs.
Schlüsselwörter
Abfindungen, Börsenkurs, Unternehmensbewertung, Umwandlung, Verschmelzung, Squeeze-out, Rechtsprechung, Synergieeffekte, Kursbestimmung, Börseneffizienz.
- Quote paper
- Markus Gaal (Author), 2005, Die Berücksichtigung von Aktienkursen bei Abfindungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41530