Des Turmes Leuchten. Eine Exegese über Genesis 11,1-9


Hausarbeit, 2017

26 Seiten, Note: 1,3

Elias Ammann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Arbeitsübersetzung

3. Textkritik

4. Textanalyse
4.1 Textoberfläche
4.2 Texttiefenstruktur
4.2.1 Laut- und Wortebene
4.2.2 Thematische Reduktion

5. Gattungskritik

6. Traditionskritik

7. Literargeschichte
7.1 Literarkritik
7.1.1 Abgrenzung des Textes
7.1.2 Einheitlichkeit
7.2 Redaktionskritik

8. Resümierende Interpretation
8.1 Endübersetzung
8.2 Zusammenfassung

9. Weiterführende Interpretation

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenige Verse prägen eine ganze Welt: So verhält es sich mit der Erzählung „Der Turmbau zu Babel“, Gen 11,1-9. Nur neun Verse haben ihre Spuren hinterlassen und finden sich in allen Epochen, ob in malerischer, musischer oder cineastischer Kunst, Spielen und Übersetzungsprogrammen wieder; zudem ist in geflügelten Worten bzw. Redewendungen auf den biblischen Text Bezug genommen. Es ist das oberflächliche Leuchten des Turms in der Stadt Babel, das bis heute in dieser Art und Weise seinen Glanz verbreitet und nicht vergessen wird. Diese Oberflächlichkeit aber ist leicht nachzuvollziehen und ohne Weiteres recherchierbar.

Daher ist meine Frage nach dem anderen Leuchten des Turmes, nach dem in der arkanen Tiefe, das nicht blendet und sich aufdringt wie die Strahlen eines Spotlights, sondern eher dieses in der Art einer Morgenröte, die von irgendwoher kommt und unser Gemüt durchdringt. Es dürfte bei einer so bekannten Erzählung spannend werden, in die einzelnen Verse und Abschnitte einzudringen, um zu schauen, was im Übrigen noch des Turms Glast ist.

2. Arbeitsübersetzung

I Und es war: Die ganze Erde hatte einerlei Sprache und einerlei Wörter.

II Und es war, bei ihrem Aufbrechen von Osten, und sie fanden eine Ebene im Land Schinar und sie blieben dort.

III Und sie sprachen einer zum anderen: Auf! Lasst uns Backsteine herstellen und lasst uns sie brennen mit Brand. Und es war ihnen der Ziegel Baustein. Und der Lehm war ihnen Mörtel.

IV Und sie sprachen: Auf! Lasst uns bauen für uns eine Stadt und einen Turm und seine Spitze ist im Himmel. Und lasst uns machen für uns einen Namen. Damit wir nicht zerstreut werden über das Gesicht der ganzen Erde.

V Und JHWH stieg hinab, um die Stadt und den Turm zu sehen, von denen gilt: Die Menschenkinder bauten.

VI Und JHWH sprach: Siehe! Ein Volk und eine Sprache ist für sie alle. Und dies ist ihr Anfangen zu tun. Und jetzt ist ihnen nichts unzugänglich von dem gilt: Sie planen, zu tun.

VII Auf! Lasst uns herabsteigen und lasst uns verwirren ihre Sprache, von der gilt: Sie verstehen nicht einer die Sprache des anderen.

VIII Und der Herr zerstreute sie von dort über das Gesicht der ganzen Erde. Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen.

IX Deshalb nennt man den ihren Namen Babel; denn dort verwirrte JHWH die Sprache der ganzen Erde. Und von dort zerstreute JHWH sie über das Gesicht der ganzen Erde.

3. Textkritik

In der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) finden sich im textkritischen Apparat drei bezeugte Varianten für Gen 11,1-9:

I. Vers 1 (a): Verweis Septuaginta (LXX) + πᾶσιν

II. Vers 8 (a): Verweis Samaritanischer Pentateuch (Smr)/LXX +את

III. Vers 8 (b): Verweis Smr/LXX +ואת־המגדל sec 4.5

Von den drei Grundtypen des hebräischen Textes, der Samaritanische Pentateuch, die Septuaginta und der masoretische Text (MT) – welcher für vorliegende Proseminararbeit verwendet wird –,1 verweist der textkritische Apparat zum einen auf LXX sowie auf Smr.

Zu I.:

LXX fügt an der Stelle a) des Verses 1 das Wort πᾶσιν (Dat. Pl. mask./neutr.) hinzu, welches übersetzt werden kann mit „allen“. Nachdem die Übersetzung der Septuaginta der Diaspora in der Antike geschuldet war,2 ist die griechische Übersetzung jünger als der masoretische Text. Nicht nur dieser zeitliche Kontext, sondern auch die Regel Lectio brevior probabilior legt nahe, dass es sich um einen neueren Zusatz handelt. Betrachtet man den Text in Gen 11,1 der LXX (Καὶ ἦν πᾶσα ἡ γῆ χεῖλος ἕν, καὶ φωνὴ μία πᾶσιν = Und es war auf der ganzen Erde eine Lippe und eine Mundart für alle) und den unter 2. übersetzten Vers (Und es war: Die ganze Erde hatte einerlei Sprache und einerlei Worte), erkennt man das hinzugefügte Dativobjekt in LXX sehr gut. Unter Zuhilfenahme des Gesenius Wörterbuches, der für die zwei Worteאֶחָ֑ת undאֲחָדִֽים(sowie ihre Nomen) für Gen 11,1 die Übersetzung „einerlei“ anbietet, führt LXX mit ihrem Zusatz konkreter aus, ist aber für den Inhalt unrelevant, da es sich logisch schlussfolgern lässt.

Zu II.

Da auch Smr – wie LXX – jünger ist als MT,3 ist die Hinzufügung der Nota accusativi, also des Akkusativs zur Kennzeichnung des Objekts, in Vers 8 a) nicht nur ein „neuerer“ Zusatz, sondern auch eine grammatikalische Vereinfachung gem. der Regel Lectio difficilior probabilior und so der masoretische Text älter.

Zu III.

Für Vers 8 merkt der kritische Apparat unter b) an, dass wieder in Smr und in LXXואת־המגדל(=Nota accusativi/der Turm) gem. den Versen 4 und 5 hinzugefügt wurde. In diesem Fall ist MT nicht nur schwieriger, respektive unverständlicher, sondern auch kürzer. Es kommen beide b. b. Regeln zur Anwendung (Lectio brevior probabilior und Lectio difficilior probabilior).

Im Zwischenergebnis zur Textkritik ist in jeder der drei Varianten auffällig, dass etwas hinzugefügt wurde. Da alle drei benannten Varianten Zusätze sind, die der Erleichterung des Verständnisses dienen und mit dem erwähnten Blick auf die Entstehungszeiten der drei Texte, ist der masoretische Text älter und kommt der Text der BHS, nicht die Zusätze der angemerkten Varianten, dem Endtext am nächsten.

4. Textanalyse

4.1 Textoberfläche

Die zu eruierende Perikope beginnt in Vers 1 mit einem Tempusmarker „Und es war/und es geschah“ (ויהי) und eröffnet eine Erzählung (= „Einleitung des folgenden Nominalsatzes“4 ), wobei das Verbum, mit der Funktion eines Prädikates,5 als einleitende Formel dient.6 Trennt man diese Formel in der Übersetzung ab, handelt es sich nach Übersetzung des Exegeten bei Vers 1 um einen Nominalsatz; damit auch kongruent Westermann, der den Tempusmarker als „Es war einmal“ unserer Märchen beschreibt.7 Nicht nur der erste, sondern auch der zweite Tempusmarker in Vers 2 beschreiben einen erzählenden Text, aber wird dies auch durch die überwiegend mit Narrativketten und somit Verbalsätzen gestalteten Verse 1–9 deutlich. Da nun aber zwei Eröffnungen eine zu viel sind, und vielmehr Vers 2 ein erzählender ist, beschreibt Claus Westermann Vers 1 als einen Zustandssatz,8 welcher der eigentlichen Erzählung vorangestellt ist, „aber nicht Bestandteil des erzählten Geschehens“9. Hat man dabei die Verse 1–9 in ihrer Gesamtheit vor Augen, muss man schon an dieser Stelle Vers 9 analysieren: Auch er ist, wie Vers 1, kein erzählender, sondern beschreibt einen Zustand außerhalb der Erzählung. Dass diese Verse somit eine Rahmung ergeben, ist deutlich offensichtlich und findet der Exeget daher auch die gleichen Beobachtungen bei Westermann, der ebenso von einer Rahmung spricht.10 Diese Rahmung erzeugt einen kohäsiven Text, der auf weitere Kohäsionen bzw. Inkohäsionen zu überprüfen ist.

Durch die vorrangigen Narrative – außerhalb der eingeflochtenen wörtlichen Reden in den Versen 3, 4, 6 und 7 (außer in Vers 7, dort mit einem Imperativ und Kohortativ, ansonsten mit dem Waw-Consecutivumויאמרeingeleitet) –, mithin auch nicht in dem in ausschließlich gehaltenen Perfekt konstruierten Vers 9, ist der Text im Erzähltempus geschrieben und ergibt sich eine weitere Kohäsion, die durch die wenigen Nominalsätze in den Versen 4a und 6a m. E. nicht weiter zersetzt wird. Da der Text auch ganz und gar ätiologisch ist,11 erzählt er aus der (Vor-)Vergangenheit.

Es lassen sich die Gestaltung der neun Verse in ihrer Beschreibung und Rede wie folgt einteilen und veranschaulichen:

Verse Diskursart

V. 1 & 2 Beschreibung

V. 3 & 4 Rede

V. 5 Beschreibung

V. 6 & 7 Rede

V. 8 & 9 Beschreibung

Dabei ist festzustellen, dass die Akteure der Perikope, nämlich zum einen der HERR, zum anderen (konkret) die Menschenkinder, relativ spät, nämlich in Vers 5 genannt werden. Dennoch: Spricht der Text bereits ab Vers 2 von den Niedergelassenen (Das Subjekt „die Menschen“ muss man ergänzen.12 ) in Schinar, sodass der Text scheinbar eher phorisch inkohäsiv ist, da der Exeget davon ausgeht, dass diese Beschreibung kein Bezugswort für die in den Beschreibungen stehenden Zeichen der unselbstständigen Personalpronomen („sie“ der 3. P. Pl.) sowie der in den Aufforderungen (1.P. Pl.) ist. Dabei ist das Wort „scheinbar“ entscheidend: Denn mit der Nennung der Aktanten in Vers 5 sind alle Suffixe zuordenbar und der Text mit der Kenntnis des Verses 5 jedenfalls im Gesamtkontext phorisch kohäsiv; jedenfalls haben alle unselbständigen Personalpronomen nunmehr ein Bezugswort und anaphorische Funktion. Für andere Beschreibungen stehen die Verbformen in der 3. Person Singular.

Die vorliegende Perikope besteht ausschließlich aus Aussage- und Aufforderungssätzen, wobei die Aufforderungen in den Versen 3, 4 und 7 mit insgesamt drei Imperativen und sechs Kohortativen gestaltet werden.

Durch die b. b. Narrativketten, aber auch die mitוangeschlossenen Nominalsätze ist der Text durchgehend syndetisch. Zudem in den Versen 1–4 sowie 8 parataktisch; in den Versen 5b, 6b und 7b durch das Relativpartikelאשר, in Vers 9a durch das polyvalente Relativpartikelכיsind angeschlossene Sätze untergeordnet (Hypotaxen).

Gehäufte Wortklassen des Textes sind das Adjektiv ein/-e/-erlei (mit der Wurzel)אחדin den Versen 1 und 6, die Klasseכל הארץ(ganze Erde) in den Versen 1, 4, 8 und 9, vor allem das Wortשפה(Sprache) in den Versen 1, 6, 7 und 9 sowie das Tetragrammיהוהin den Versen 5, 6, 8 und 9.

Anaphern sind zum einen in Vers 1 und 2 mit dem Wortויהי, zum anderen in den Versen 3 und 4 mit dem Wortויאמרzu nennen. Das Wortspiel als Stilmittel findet sich als Figura etymologica in Vers 3a gleich zwei Mal (נִלְבְּנָ֣ה לְבֵנִ֔ים וְנִשְׂרְפָ֖ה לִשְׂרֵפָ֑ה[…]). Durch die bisherige Untersuchung lässt sich der Text vorerst wie folgt gliedern:

1. Rahmung durch Zustandssatz (Vorvergangenheit) Vers 1

2. Beginn durch Tempusmarker Vers 2

3. Redeeinleitungen/Reden (Menschen) Vers 3&4

4. Achse der Erzählung Vers 5

31. Redeeinleitung/Reden (Gott) Vers 6&7

21. Ende der Erzählung Vers 8

11. Rahmung durch Zustandssatz (Vergangenheit) Vers 9

Man beachte hierbei die Verse 5 und 8, denen durch die kursive Schreibweise der Hinweis geben sein soll, dass sie allein durch die grammatikalische Oberfläche nicht in dieses Schema einfügen lassen, aber vor der Prüfung auf die Kohärenz dennoch nicht ausgelassen werden sollen, da sie schon an dieser Stelle wichtig sind, um eine Gliederung aufzuzeigen, die eine deutliche Kohäsion erkennen lässt, sowie auch eine zweite ästhetische Spiegelung in der Perikope.

4.2 Texttiefenstruktur

4.2.1 Laut- und Wortebene

Die vorliegende Perikope ist schon daher ätiologisch, da die Akteure, neben JHWH, lediglich Menschenkinder sind, die zu einer nicht näher bestimmten Zeit im Land Schinar sich niederließen und dann beide Akteure etwas tun, was eine Ursache erklärt.

Die Perikope speist sich für ihre Beschreibungen, Handlungen und Aussagen aus den Wörtern folgender Bereiche: der Geographie (Erde, Land, Osten, Schinar, Babel und Himmel), aus dem Bereich der Kommunikation/Sprache (Sprache, Wörter, verwirren, verstehen, zerstreuen), und aus dem Bereich der Architektur/des Bauwesens (Backstein, brennen, Ziegel, Baustein, Lehm und Mörtel sowie Stadt und Turm, bauen).

Nach der in Vers 1 beschriebenen Ausgangslage, hat in den nachfolgenden Versen der Mensch etwas vor: Nachdem sie nach Osten wandern und Schinar finden, ist ihr Vorhaben zuvor (Beginn der Handlung.13 ) aufzubrechen und endet in Vers 2 mit ihrem Vorhaben, dort zu bleiben. Ihr weiteres Vorhaben ist in Vers 3 die Herstellung von Baumaterialien und in Vers 4 die Verwendung, damit eine Stadt und einen Turm zu bauen mit den Zielen, sich einen Namen zu machen und/,um [sic] nicht zerstreut zu werden.

Während die Menschenkinder bauen, steigt der HERR in Vers 5 herab, um Stadt und Turm zu sehen und stellt in Vers 6 fest, dass den Menschen in ihren Vorhaben wohl nichts unzugänglich ist. In Vers 7 beschließt Gott sein Handeln und will die eine Sprache verwirren, während er schon handelt und hinabsteigt. In Vers 8 führt er die Zerstreuung durch und die Erzählung endet. Vers 9 beschreibt dann die Endlage des Geschehenen und stellt den gegenwärtigen Zustand fest.

4.2.2 Thematische Reduktion

Die genannten Pro- und Makropositionen lassen sich dabei wie folgt darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Vgl. Kreuzer, Proseminar, Seite 34.

2 Vgl. a. a. O., Seite 35.

3 Vgl. Kreuzer, Proseminar, Seite 34.

4 Ruppert, Genesis, Seite 494.

5 Vgl. Jacob, Genesis, Seite 297.

6 Vgl. Jenni, Lehrbuch, Seite 70.

7 Vgl. Westermann, Genesis, Seite 722.

8 Vgl. a. a. O., Seite 710.

9 A. a. O., Seite 724.

10 Vgl. a. a. O., Seite 711.

11 Vgl. Westermann, Genesis, Seite 736.

12 Vgl. Ruppert, Genesis, Seite 497.

13 Vgl. Schüle, Urgeschichte, Seite 161.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Des Turmes Leuchten. Eine Exegese über Genesis 11,1-9
Hochschule
Universität Leipzig
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
26
Katalognummer
V415478
ISBN (eBook)
9783668661783
ISBN (Buch)
9783668661790
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
turmes, leuchten, eine, exegese, genesis, urgeschichte, schöpfung, flut, sintflut, mythos, babel, turmbau zu babel, turmbau, bibel, altes testament, liberale theologie, genesis 11, analyse
Arbeit zitieren
Elias Ammann (Autor:in), 2017, Des Turmes Leuchten. Eine Exegese über Genesis 11,1-9, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415478

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