Analyse über die Gegebenheiten der Genfer Reformation, sowie exemplarische Kräfte, die sich Jean Calvin bei der Durchsetzung seiner Reformation entgegenstellten.
Welche Kräfte stellten sich Calvin bei der Durchsetzung seiner Reformation im 16. Jh. in Genf entgegen?
Die Stadt Genf blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück. Bereits von Caesar in de bello Gallico um 58 v. Chr. erwähnt, 443 erste Hauptstadt des Burgunderreiches, ab 1026 burgundischer Reichsteil des Heiligen Römischen Reiches, bedeutende Messestadt im 13. Jh. und Beitritt in den Städtebund mit Bern und Fribourg 1526. All diese Ereignisse waren mit grossen Veränderungen für die Bevölkerung verbunden. Jedoch hat kein Ereignis das Leben so stark verändert wie das Jahr 1555 – die endgültige Durchsetzung der Reformation unter Johannes Calvin. Ein Ausländer, dazu noch protestantisch, im bisher bischöflichen Genf? Auch wenn die Stadt die Reformation begrüsste, so war der „Taliban von Genf“[1] mehr als nur unbeliebt. Doch welche Kräfte stellten sich Calvin bei der Durchsetzung seiner Reformation entgegen?
Um zu verstehen wer und vor allem wieso sich einige gegen Calvin stellten, muss zuerst die soziale sowie politische Struktur der Stadt Genf zu dieser Zeit etwas näher betrachtet werden. Seit dem 4. Jahrhundert war Genf Sitz eines Bischofes, der ab dem 10. Jahrhundert als Stadtherr fungierte. 1162 verlieh Friedrich I. (HRR) dem Bistum Genf Unabhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts fiel Genf jedoch an das Haus Savoyen. Der Bischof gewährte der Stadt 1387 verschiedene Freiheitsrechte wie etwa das Bürgerrecht. Doch besass der damalige Herrscher Savoyens, Karl III. nicht nur die Region um Genf, sondern auch den Titel des Vidame – ein seltener Adelstitel und die Stellvertretung des Bischofs in weltlichen Angelegenheiten. Damit drohte Genf, zu einer fremdregierten fürstlichen Landstadt zu werden – eine für die damalige Lokalelite ein schrecklicher Gedanke, waren sie doch gewohnt, sich mit dem Bischof zu arrangieren und ihre Interessen zu wahren. Genfs wichtigste Nachbarn waren Fribourg, vor allzu langer Zeit selbst noch savoyische Landstadt und 1481 in das Bündnis der Eidgenossenschaft aufgenommen sowie das wehrhafte Bern, das seit 1323 im Bund mit den Waldstätten stand. Den eigenen politischen Einfluss gegen Savoyen auszudehnen, gelang Genf jedoch nicht. Was ihr politisch nicht gelang, versuchte die Stadt ökonomisch wettzumachen. Dank günstiger Lage als Schnittpunkt europäischer Verkehrswege von West nach Ost sowie den Messen, florierte der Handel in der Stadt. Wie überall ist Handel aber von politischer Stabilität abhängig. Diese lag jedoch allein in den Händen von Bischof und Karl III. Der Herzog konnte jederzeit die Warenströme unterbinden. 1519, im Ringen um ihre Unabhängigkeit, opferte Genf das Leben des Patrizier Philibert Berthelier. De Wortführer wurde auf dem Schafott hingerichtet. Doch die Nachwelt gedachte dem Märtyrer. Mit den Vorrechten des Bischofes mochte man sich abfinden, aber die Tyrannei des Herzogs empfanden alle als Last. Da der amtierende Bischof, Pierre de la Baume, jedoch treuer Gefolgsmann Karl III. war, musste man sich wohl oder übel auch von „seiner Exzellenz“ trennen. 1526 trat Genf dem Städtebund mit Fribourg und Bern bei. 1536 folgte die Reformation sowie Ausrufung der unabhängigen Republik Genf. Innerhalb von 20 Jahren wandte sich die Stadt von einer praktisch 1000 Jahre währenden Bischofsherrschaft von der Kirche ab und entschied für die Reformation. Eine solche Wendung erwartete der ansässige Prediger Guillaume Farel sicherlich nicht. Umso gelegener kam eine Reise Calvins nach Genf. Der Paris-Exilant der wegen der Affaire des Placards (Plakataffäre) 1534 aus Paris fliehen musste und bei einer Reise nach Strasbourg Genf passierte. Farel, der Calvin von einer früheren Begegnung in Basel kannte, bat ihn zu bleiben und ihn bei der Durchsetzung der Reformation zu unterstützen. Alsbald darauf wurde Calvin zum Pfarrer gewählt. Für Calvin war klar, damit die Reformation gelingt, muss der Bürger verstehen, was sie überhaupt ist – die genaue Befolgung der heiligen Schrift. Er forderte, nach dem Evangelium zu leben, die Zehn Gebote zu befolgen, sich vollends von Rom loszusagen, sowie Feiertage und Heiligenverehrung abzuschaffen. Alles in Allem kein wirklicher Einschnitt in die persönlichen Rechte der Genfer – so schien es zuerst. Viel drastischer war die Verweigerung dieses Eides. Sie ging mit dem Entzug aller politischer Rechte einher. Calvin – „iste gallus“, dieser Franzose da“, gerade erst in die Stadt gekommen, sollte den Bürgern ihre Rechte entziehen? Vor allem die patrizische Führungsschicht brachte Calvin gegen sich auf. Unterstützung erhielten sie aus Bern, dem Bündnispartner, das über die Jahre hinweg seinen Einfluss stärkte und eine Überordnung der Geistlichkeit über die weltliche Obrigkeit natürlich verhindern wollten. Calvin sah sich zu einem Ultimatum gezwungen: ohne Eid kein Verbleib in der Stadt. Somit rief die Verwaltung die Bürger, nach Stadteilen geordnet, in die damalige Kathedrale zu Ablegung des Eides. Jene die einverstanden waren, hoben nach der Verlesung des Treuebekenntnisses zur neuen Kirche die Hand. Doch die Opposition und deren Anhänger erschienen gar nicht erst. Die Spitze des Konflikts bildete die Verweigerung der Abendmahlfeier von Farel und Calvin – zu viele Unwürdige seien unter den Gläubigen. Am Ostermorgen wurden die Predigten der beiden von Bewaffneten gestört, bei denen es um ein Haar zu blutigen Auseinandersetzungen kam. Die Entscheidung fiel alsbald: Am 23. April 1538 wurden Calvin und Farel, durch Verletzung ihrer Pflicht an der Abendmahlfeier teilzunehmen, aus der Stadt verbannt.
Ein Verlust, aber keineswegs eine Niederlage. Calvin kehrte nach Strasbourg zurück und widmete sich seinen theologischen Arbeiten. Drei Jahre vergingen und Calvin fasste Fuss in Strasbourg – was man von Genf weniger behaupten könnte. 1541 war die Stadt wieder soweit, dass sie ohne äussere Hilfe die innere Ordnung nicht mehr wahren konnte. Calvin wurde gebeten, nach Genf zurückzukehren. Anfänglich skeptisch, willigte dieser ein – jedoch unter seinen Bedingungen. Strafe für Tanzveranstaltungen, Vergnügungen, das Singen „weltlicher“ Lieder sowie eine geschriebene Kirchenordnung waren seine Forderungen. Doch bald formierte sich erneut Widerstand: Der Spielkartenhersteller Pierre Amenaux verlor buchstäblich seinen Lebensunterhalt durch die Verbote. Des weiteren verhinderte Calvin Amenaux’Scheidung, sodass dieser gezwungen war, die notorische Fremdgeherin weiterhin als legitime Gattin anzunehmen. Amenaux versuchte gegen Calvin, den Ausländer der seine eigene Theokratie einrichten will, zu hetzen, jedoch ohne Erfolg. An Amenaux musste ein Exempel für die aufmüpfigen Patrizier statuiert werden. Im Busshemd und mit einer Kerze in der Hand, musste er durch die Stadt ziehen, niederknien und den Boden vor der Kirche küssen sowie die Obrigkeit, Gott und vor allem Calvin um Vergebung bitten – eine Botschaft die alle verstanden hatten.
Viel abschreckender noch, war der Fall des Michael Servets um 1553. Der spanische Arzt, Protestant und antitrinitarischer Theologe wurde bereits in ganz Europa gesucht. Und dennoch kam Servet in die Höhle des Löwen nach Genf. Er wagte es sogar, an einer Predigt Calvins teilzunehmen, bei welcher er erkannt wurde. Servet wurde vor die Wahl gestellt, Prozess in Genf oder Auslieferung an seinen früheren Arbeitgeber, den Bischof von Vienne. Servet entschied sich für den Prozess – ein schwerer Fehler wie sich zeigen sollte. Calvin gelang es, die Mehrheit der Richter für sich zu gewinnen und eine Person, die nicht seiner Gewalt unterstand für eine Tat, die nicht in Genf begangen wurde, zu verurteilen. Der Schuldspruch am 26. Oktober 1553 lautete Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Die Hinrichtung eines Protestanten durch andere Protestanten lösten selbst unter Calvins Anhängern hitzige Diskussionen aus. Treffender als der Basler Theologe Sebastian Castellio beschrieb niemand die Ereignisse: „Einen Menschen töten, heisst nicht eine Lehre zu verteidigen, sondern einen Menschen töten.“ Stiessen den Genfern Geldbussen und Abmahnungen sauer auf, so hatten die Strafen eine neue Dimension gewonnen. Und auch wenn es nicht mehr zu solch drastischen Vorfällen kam, so wusste man jedoch, dass Calvin nicht davor zurückschrecken würde. Am 16. Mai 1555 eskalierte der Konflikt erneut. Doch diesmal griffen Calvins Gegner zu den Waffen. Für ihn waren sie klar im Unrecht und nun auch noch zum Revolutionspöbel herabgesunken. Die Aufständigen wurden der Stadt verbannt oder hingerichtet. Calvins Rechtfertigung: Was geschah, war keine persönliche Vendetta gegen die Patrizier, sondern ein heroischer Kampf gegen die Feinde Gottes.
Man darf nicht vergessen, es war die Stadt Genf, die Calvin aus Strasbourg zurückrief. So sah er sich selbst als wahrer Retter und Gesandter Gottes. Der Untertan müsse sich vor Augen führen, dass Gott die Herrscher schickt. Schickt er einen Tyrannen, so liegt es am Untertan zu hinterfragen, wieso er dies verdient hat.
Und so kam es, dass Calvin noch im selben Jahr die Mehrheit im Rat für sich gewann und die Genfer Reformation legal und ohne Widerstand vorantrieb.
Quellen und Literatur
- Historisches Lexikon der Schweiz. Genf (Kanton). Gefunden am 25.01.2018: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7398.php.
- Hebermann, Jan Dirk: Johannes Calvin: Der Taliban von Genf. In: Handelsblatt online, 10.07.2009. Gefunden am: 23. November 2017, http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/wissenswert/johannes-calvin-johannes-calvin-der-taliban-von-genf/3217712-all.html.
- Reinhardt, Volker. Die Tyrannei der Tugend, Calvin und die Reformation in Genf. C.H. Beck, München 2009.
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[1] Hebermann, Jan Dirk: Johannes Calvin: Der Taliban von Genf. In: Handelsblatt online, 10.07.2009.
- Quote paper
- Lino Gal (Author), 2018, Welche Kräfte stellten sich Calvin bei der Durchsetzung seiner Reformation im 16. Jh. in Genf entgegen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416023
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