Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Hauptteil
2.1 Lukas, Apostelgeschichte 18, 2+12
2.1.1 Der Autorund sein Werk
2.1.2 Die Quelle
2.1.2.1 Gliederung des Textes
2.1.2.2 Historischer Hintergrund
2.1.2.3 Die Darstellung des Lukas
2.1.2.4 Fazit
2.2 Das Claudius Edikt
2.2.1 Einleitung
2.2.2 Sueton, Claudius 25,4
2.2.2.1 Der Autorund sein Werk
2.2.2.2 Die Quelle
2.2.2.3 Fazit
2.2.3 Orosius, Adversus Paganos VII, 6,15-16
2.2.3.1 Der Autorund sein Werk
2.2.3.2 Die Quelle
2.2.3.3 Fazit
2.2.4 Cassius Dio, Historia 60,6
2.2.4.1 Der Autorund sein Werk
2.2.4.2 Die Quelle
2.2.4.3 Fazit
2.2.5 Exkurs 1: Das Schweigen des Tacitus
2.2.6 Zusammenfassung und Ausblick
2.2.7 Exkurs 2: Wurden alle Juden aus Rom ausgewiesen?
2.3 Die Gallio – Inschrift
2.3.1 Einleitung
2.3.1.1 Lucius lunius Gallio Annaeanus
2.3.2 Chronologische Fragen
2.3.2.1 Wann hat Gallio sein Amt angetreten?
2.3.2.2 Hat Gallio sein Amt vorzeitig abgebrochen?
2.3.2.3 Gab es ein zweites Prokonsulat Gallios?
2.4 Die Datierung des Prozesses vor Gallio
2.4.1.1 Fazit
2.4.2 Ausblick auf die weitere paulinische Chronologie
3 Zusammenfassung
4 Literaturverzeichnis
5 Abkürzungen
1 Einleitung
Die universalhistorische Relevanz
Der Aufenthalt des Paulus in Korinth bietet die einzige Möglichkeit für eine sichere chronologische Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums.
In den Evangelien und Briefen des Neuen Testaments finden sich nur selten Angaben, die eine genauere Datierung der geschilderten Ereignisse zulassen. Das gilt auch für Lukas, den Geschichtsschreiber unter den Autoren des Neuen Testaments.
Doch im 18. Kapitel seiner Apostelgeschichte werden zwei Ereignisse erwähnt, die sich durch außerbiblische Quellen verifizieren lassen. Damit kann der ebenfalls in ApG 18 beschriebene Aufenthalt des Paulus datiert werden und erlaubt somit eine Berechnung einer absoluten Chronologie nicht nur für die Paulus-Vita, sondern für die Geschichte des Urchristentums überhaupt.
Die Fragestellung
Lukas erwähnt ein Edikt des Kaisers Claudius, aufgrund dessen die Juden aus Rom vertrieben worden seien. Damit ergibt sich als terminus post quem zunächst das Jahr 41, in dem Claudius als Nachfolger seines ermordeten Neffen Caligula an die Regierung kam. Der Aufbau der Apostelgeschichte impliziert jedoch eine späteres Datum für dieses Edikt. Lukas berichtet weiter, dass Paulus sich vor dem Prokonsul der Provinz Achaia Gallio verantworten musste und kurze Zeit später Korinth verließ. Das Prokonsulat des Gallio liefert also den terminus ante quem für eine Datierung. Es gilt nun, die Quellen nacheinander auszuwerten und die Angaben aus Apostelgschichte 18 mit den Informationen aus den außerbiblischen Quellen zu vergleichen.
Die Quellen
Ein Edikt in Bezug auf die stadtrömische Judenschaft erwähnen Sueton (Anfang 2.Jh.) und Cassius Dio (Anfang 3.Jh), sowie der christliche Autor Orosius (Anfang 5.Jh.), der sich auf Flavius Josephus (Ende 1.Jh.) beruft. Ihre Angaben müssen also mit denen des Lukas verglichen und wie die des Lukas auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden.
Folgende Quellen ermöglichen Rückschlüsse auf eine Datierung:
- Sueton, Claudius 25,4
- Cassius Dio, Historia 60,6
- Orosius, Adversus Paganos VII, 6,15-16
Die sogenannte Gallio – Inschrift (ein Schreiben des Kaisers Claudius an den Prokonsul von Achaia) enthält chronologische Angaben, mit deren Hilfe die Amtszeit Gallios näher bestimmt werden kann[1]. Der Name Gallios wird auf der Inschrift erwähnt; Angaben zu den Herrschaftsjahren des Claudius müssen aus den steinernen Fragmenten rekonstruiert werden[2]. Zu Gallio selbst finden sich bei Gallios Bruder Seneca und dem älteren Plinius Hinweise, die für unsere Fragestellung wichtig sein können.
Die Literatur
In dieser Arbeit habe ich besonders die Arbeiten von Murphy-O’Connor[3], Wiseman[4], Riesner[5], Klauck[6], Botermann sowie Pilhofer[7] und vom Brocke[8] herangezogen.[9]
Murphy-O’Connors Buch über Korinth von 2002, das die aktuellste Untersuchung beinhaltet, soll besondere Berücksichtigung finden. Für das Claudius Edikt ist Helga Botermanns Arbeit die aktuellste Darstellung.
Riesner ist nach wie vor eine ausgezeichnete Quelle für die Chronologie des frühen Christentums. Unter den Kommentaren für die Apostelgeschichte[10] habe ich besonders die Arbeiten von Haenchen (immer noch ein historisch-kritischer Klassiker), Bruce und Barrett verwendet.
Die These
In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass Lukas mit den Datenangaben in Apostelgeschichte 18 korrekt und glaubwürdig ist.
2 Hauptteil
2.1 Lukas, Apostelgeschichte 18, 2+12
Lukas erwähnt ein Edikt des Kaisers Claudius, aufgrund dessen die korinthischen Gastgeber des Paulus Rom hatten verlassen müssen.
ApG 18:2 kai. eu`rw,n tina VIoudai/on ovno,mati VAku,lan( Pontiko.n tw/| ge,nei prosfa,twj evlhluqo,ta avpo. th/j VItali,aj kai. Pri,skillan gunai/ka auvtou/( dia. to. diatetace,nai Klau,dion cwri,zesqai pa,ntaj tou.j VIoudai,ouj avpo. th/j ~Rw,mhj( prosh/lqen auvtoi/j
ApG 18:2 Dort traf er einen aus Pontus stammenden Juden namens Aquila, der vor kurzem aus Italien gekommen war, und dessen Frau Priscilla. Claudius hatte nämlich angeordnet, dass alle Juden Rom verlassen müssten. Diesen beiden schloss er sich an,
Der Bericht über das Wirken des Paulus in Korinth endet mit der Schilderung des Prozesses vor dem Prokonsul Gallio.
ApG 18:11 VEka,qisen de. evniauto.n kai. mh/naj e]x dida,skwn evn auvtoi/j to.n lo,gon tou/ qeou/Å
ApG 18:12 Galli,wnoj de. avnqupa,tou o;ntoj th/j VAcai<aj katepe,sthsan o`moqumado.n oi` VIoudai/oi tw/| Pau,lw| kai. h;gagon auvto.n evpi. to. bh/ma
ApG 18:11 So blieb Paulus ein Jahr und sechs Monate und lehrte bei ihnen das Wort Gottes.
ApG 18:12 Als aber Gallio Prokonsul von Achaia war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf, brachten ihn vor den Richterstuhl.
2.1.1 Der Autorund sein Werk
Der Name Lukas (gr. Loukaj) kommt im Neuen Testament dreimal vor (Kol 4,14; 2 Tim 4,11; Phlm 24). Er ist nicht mit dem in Röm 16,21 und Apg 13,1 genannten Lukios identisch. Die neutestamentliche und altkirchliche Überlieferung kennt ihn als Arzt und Reisebegleiter des Paulus. Lukas begleitet Paulus bis Philippi, bleibt dort etwa sechs Jahre, Apg 16,10-17. Nach 20,5-15 und wieder 21,1-18 begleitet er Paulus nach Jerusalem und bis nach Rom und ist bei Paulus während dessen Gefangenschaft. Wenn die Lesart der Handschrift D von ApG 11,28 ursprünglich sein sollte („ als wir versammelt waren“), ist Lukas schon früh bei der Gemeinde in Antiochia in Syrien gewesen. Er stammt vielleicht sogar von dort. Die Überlieferung (nach Eusebius) und die gute Kenntnis der Gemeinde in Antiochia sind hierbei die Hauptgründe. Neue Forscher wie Pilhofer und vom Brocke „lokalisieren“ Lukas mit guten Gründen als anh.r makedwn in Philippi[11]: Lukas kennt sich offenbar besonders in Kleinasien und Griechenland und mit den lokalpolitischen, geographischen und kulturellen Besonderheiten aus. Seine Amtsbezeichnungen sind stets korrekt. Iunius Gallio wird z.B. zutreffend als Prokonsul (avnqupa,ton ) bezeichnet. Nach Kol 4,14 ist Lukas Arzt. Allerdings nennt ihn der Canon Muratori (Ende 2. Jahrhundert) einen Juristen[12], und in der Legende findet sich häufig die Darstellung als Maler[13].
Lukas gehört zu den Ausnahmeautoren des Neuen Testaments. Er ist...
1. Heide, wahrscheinlich sogar der einzige der biblischen Autoren;
2. Schriftsteller, der sich durch gutes Griechisch und exzellenten Stil in gehobener Koine auszeichnet. Szenenwechsel und Übergänge werden schnell und flüssig beschrieben[14] ;
3. Historiker: Lukas recherchiert detailliert und formuliert in beiden Büchern in seiner Widmung an Theophilos seinen Anspruch der Sorgfalt;
4. Evangelist: Lukas betont, dass die Erlösung der ganzen Welt gilt.
Die Meinungen über den Autor der Apostelgeschichte gehen in der Forschung weit auseinander[15]. Es wird sowohl begründet vertreten, dass Lukas tatsächlich der zeitweilige Reisebegleiter des Paulus war und die Apostelgeschichte Mitte der 60er Jahre verfasst hat, als auch die These, Evangelium und Apostelgeschichte seien ein Werk eines Vertreters der zweiten oder gar dritten nachapostolischen Generation und gehörten ans Ende des ersten Jahrhunderts. Letztere These basiert unter anderem auf der Zwei-Quellen-Theorie, die Lukas von Markus abhängig macht. Demnach wären beide Werke frühestens in den achtziger Jahren entstanden. Die Gründe für die Spätabfassung sind mannigfaltig und können hier nicht alle erörtert werden. Sie sind alles in allem wenig stichhaltig[16].
Ebenso ist es schwierig, Lukas in den „Historiker“ und „Theologen“ spalten zu wollen. Ethos, Recht und Religion sind für den antiken Menschen eine Einheit. Niemand würde sich bei Herodot, Plutarch oder Seneca fragen, ob sie als Historiker oder Theologen schreiben. Für Lukas gilt, dass er offensichtlich in beiden Kulturkreisen, der römisch-hellenistischen Antike und im Judentum beheimatet war und sein Werk als ein Brückenschlag gelten kann. Die Reputation des Historikers wieder herzustellen, der wahrheitsgemäß aufschreiben wollte, was er wusste bzw. recherchiert hatte, haben neben Botermann schon seit längerem Bruce sowie Wikenhauser und Hemer unternommen. Der Graben zwischen englischen Forschern wie Lightfoot, Ramsey und Meyer sowie Harnack[17] und zwischen Conzelmann, Dibelius und Haenchen, die Lukas als Historiker nicht akzeptieren können, wird in der Forschung kaum zu überwinden sein.
Die kirchliche Tradition (z.B. der Canon Muratori, Irenäus) sieht durchgehend in Lukas den Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte. Die Differenzen in der Forschung in Bezug auf den Verfasser der Apostelgeschichte bleiben[18].
Die Beurteilung des historischen Wertes der Apostelgeschichte geht in der Forschung ebenfalls auseinander. Zudem scheinen Theologen und Historiker unterschiedlich an die lukanische Überlieferung heranzugehen. Botermann beschreibt das Dilemma zwischen den Herangehensweisen eines Historikers und denen eines Theologen:
„Die Idee, aus den Überresten das Bild einer Epoche rekonstruieren zu wollen, ist vermessen angesichts der Lückenhaftigkeit der Überlieferung, die Arbeit des Althistorikers grundsätzlich bestimmt.[...]Wenn eine erzählende Quelle zur Verfügung steht, greift man als erstes nach dieser. Viele Theologen verfahren umgekehrt.“[19]
Die Apostelgeschichte wird in der Theologie nur dann herangezogen, wenn sie den Auslegern aufgrund der Paulusbriefe richtig erscheint. Das wird jedoch aus der Sicht des Historikers dem Stoff und seinem Autor nicht gerecht. Die Apostelgeschichte ist antike Geschichtsschreibung, sie ist das einzige christliche Geschichtswerk des ersten Jahrhunderts. Evangelium und Apostelgeschichte erzählen von der Entstehung und Ausbreitung des Christentums. Die Apostelgeschichte berichtet von zwei Hauptphasen: im ersten Teil steht der sogenannte Zwölferkreis um Petrus und Jakobus im Mittelpunkt, im zweiten Teil Paulus.
Für Lukas gilt, was für alle bedeutenden Historiker der Antike auch zutrifft: Geschichte wird mit einer bestimmten Absicht geschrieben. Die Absicht und das Quellenmaterial des jeweiligen Autors prägen seine Darstellung.
„ ... Nur wenn man Lukas als Historiker ernst nimmt, kann die historische Kritik überhaupt ansetzen. Dabei muss der Grundsatz gewahrt werden, dass der Kritiker die Beweislast trägt.“[20]
Die Entstehung der Apostelgeschichte ist - unter Berücksichtigung aller Forschungsmeinungen - zwischen 64 und den achtziger Jahren anzusetzen. Ob sich unter den christlichen Gemeinden ein Bedürfnis entwickelt hat, über die Ursprünge der Jesus-Bewegung mehr zuwissen, nachdem die erste Generation auszusterben begann, oder ob Lukas aus eigenem Antrieb mit der Niederschrift begonnen hat, ist nicht zu klären, da es aus seinem Werk nicht eindeutig hervorgeht und darüber hinaus keine Quellen vorliegen. Die Widmung an Theophilos legt den Schluss nahe, dass es wichtig wurde, die Gemeinden und die nächste Generation von Jesus - Nachfolgern zu informieren. Dazu muss der Tod der Führungspersönlichkeiten nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Deren nahes Ende wäre ausschlaggebend genug. In der Forschung wird der Märtyrertod der „Apostelfürsten“ Petrus und Paulus für 64 oder 67 angenommen. Damit wäre der terminus post quem gegeben.
2.1.2 Die Quelle
2.1.2.1 Gliederung des Textes
18,1-4
Paulus trifft von Athen kommend in Korinth ein. Dort trifft er Priscilla und Aquila, die aufgrund des Claudius - Ediktes Rom verlassen mussten. Paulus arbeitet mit beiden im gleichen Beruf als Zeltmacher und missioniert an den Sabbathen unter Juden und Heiden.
18, 4-10
Als seine Begleiter Silas und Timotheus ankommen, widmet sich Paulus ganz der Verkündigung Jesu als dem Messias. Es kommt zu Auseinandersetzungen und Paulus wendet sich ganz der Verkündigung der Heiden zu. Er bezieht Quartier bei einem Gottesfürchtigen. Ein Synagogenvorsteher mit seiner Familie kommt zum „Glauben an den Herrn“. Erste Missionserfolge unter den Korinthern stellen sich ein. In einer nächtlichen Vision wird Paulus vom Auferstandenen zur weiteren Verkündigung ermutigt.
18,11-18
Paulus bleibt ein Jahr und sechs Monate in Korinth. „Die Juden“ klagen Paulus vor Gallio an.
Gallio lehnt es ab sich in innerjüdische Angelegenheiten zu mischen und verweist sie des Richterstuhls. Danach hält sich Paulus noch einige Zeit in Korinth auf und segelt schließlich zusammen mit Priscilla und Aquila nach Syrien ab.
[...]
[1] Murphy - O'Connor beschreibt die Bedeutung der Amtszeit des Prokonsuls Gallio treffend als „the one link between the apostle’s career and general history that is accepted by all scholars.“ Murphy - O'Connor, Corinth, 161
[2] Deissmann, Paulus203 f. Zum Themenkomplex und die neuere Forschung siehe Riesner, Frühzeit, 181-184.
[3] Murphy O’Connor, J., St. Pauls Corinth, Texts and Archaeology, Third Revised and Expanded Edition, Collegeville, 2002; Jérome Murphy - O'Connor stellt eine Fülle von Material zur Verfügung. Es handelt sich dabei einerseits um Textzitate aller antiker Autoren über die Stadt Korinth, derer er habhaft werden konnte, zum anderen um die Darstellung archäologischer Funde, die für das Verständnis der Situation der Urgemeinde eine wichtige Rolle spielen können. Er rekonstruiert eine Chronologie des ersten Aufenthalts des Apostels Paulus in Korinth und unternimmt den Versuch einer Darstellung des Verhältnisses des Apostels Paulus zur korinthischen Gemeinde.
[4] Wiseman, P., Corinth and Rome I 228 B.C. - A.D. 267, ANRW II,7.1Berlin 1979, S.439-545.
[5] Riesner, R., Die Frühzeit des Apostels Paulus, WUNT 71,Tübingen 1994. Riesner wertet ebenfalls eine Fülle von Material für die Darstellung der Frühzeit des Paulus aus und widmet sich ausführlich dem Claudiusedikt und der Statthalterschaft des Gallio.
[6] Klauck, H. - J., J. MURPHY-O'CONNOR, St. Paul's Corinth. Texts and Archaeology (GNS 6), Wilmington 1983, in: BZ NF 28 (1984) 278-279; ders. Die antike Briefliteratur und das NT, Paderborn 1998; ders., Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum, SBS 103, Stuttgart, o. J..
[7] Pilhofer, P.; Philippi Band I, die erste Christliche Gemeinde Europas, Tübingen, 1995.
[8] von Brocke, Chr., Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus, Tübingen 2001.
[9] Die zwei letztgenannten Bücher sind aus dem Mangel zusammenhängender aktueller Darstellungen zu Stätten des frühen Christentums entstanden. Wie Murphy - O'Connor verarbeiten auch Pilhofer und vom Brocke eine Fülle von Quellen und Inschriften. Während Pilhofer und vom Brocke jedoch nach ausführlichen Darstellungen der Entwicklung der jeweiligen Städte mit Fokus auf dem 1. Jh. den Schriften von Paulus und Lukas je einen großen Paragraphen widmen, verzichtet Murphy - O'Connor auf eigene Kapitel zu den lokalspezifischen Aussagen dieser beiden wichtigen Zeugen, die zusätzlich zu den schriftlichen außerneutestamentlichen und archäologischen Zeugnissen das Gesamtbild erhellen.
[10] Barrett, C.K., The Acts of the Apostles I (ICC), Edinburgh 1994; Bruce, F.C., The Book of the Acts (NIC), Grand Rapids 1994. Haenchen, E, Die Apostelgeschichte, (KEK 3) Göttingen 195912
[11] Lukas hebt Philippi und Makedonien in ApG 16 besonders hervor. Ein weiterer Grund ist die „einzigartige Präzision der Wegbeschreibungen“. Pilhofer, 203,vgl. auch ebenda156 ff vom Brocke 192 f.
[12] Pawson vertritt die bisher einsame, wenn auch reizvolle These (u.a. aufgrund der Information aus dem canon muratori), Lukas habe aufgrund seiner juristischen Bildung zur anstehenden Verteidigung des Paulus eine Art historiographische Verteidigungsschrift verfasst. Der in beiden Widmungen bedachte Theophilos könnte demnach ein „frisch bekehrter“ stadtrömischer Jurist und Verteidiger des Paulus sein. Der Ton der Widmung macht dies allerdings nicht wahrscheinlich. Diese These hat eindeutig für sich, dass sie sehr plausibel und ohne theologische Spekulation den offenen Schluss der Apostelgeschichte erklärt. Paulus ist um die Jahre 61/62 in Rom angekommen und wartet auf seinen Prozess. Pawson, 96
[13] Zu Lukas gibt es vielerlei legendarische Überlieferungen: Er soll in Böotien vierundachtzigjährig und unverheiratet verstorben sein, auch von Clemens Alexandrinus bei Eusebius (h. e. IV,4,6) vertretene Meinung, Lukas sei der Übersetzer des von Paulus verfassten Hebräerbriefes gewesen, scheinen auf den ersten Blick fromme Tradition zu sein und nur dem Zweck dienen, die Nähe des Lukas zu Paulus zu belegen. Ob die Nachrichten bei Eusebius tatsächlich immer so unglaubwürdig sind, wie die Forschung gemeinhin annimmt, verdient zumindest eine aktuelle Überprüfung.
[14] Seine Darstellung des Schiffbruchs des Paulus vor Malta gehört zu den Meisterstücken antiker Literatur.
[15] Zur Forschungsdiskussion siehe Botermann a.a.O. und vor allem Rese, ANRW II, 25.3, 2259-2325
[16] z.B. wird behauptet, ein Begleiter des Paulus hätte wohl kaum dem Denken des Apostels so fern gestanden wie Lukas. Diese These ist nicht mehr haltbar, wenn man den Historiker Lukas in den Vordergrund stellt. In den Zeiten während oder nach der neronischen Verfolgung bestünde durchaus ein legitimes Interesse, den Lesern und Gemeinden mit Ereignisschilderungen Mut zu machen, in denen klar wird, dass nicht einerseits denunziatorische Gegner das letzte Wort haben, es andererseits auch wohlgesonnenene Römer gibt und letztlich sogar ein Kaiser wie der große Augustus ein Werkzeug im Plan Gottes ist, dessen Geschichte sich von Jerusalem nach Rom weiterentwickelt. Botermann hält eine Frühdatierung durchaus für möglich und begründet dies aus der Sicht einer Althistorikerin mit größerer Objektivität der Quelle gegenüber als es manche Theologen tun. Botermann, 29ff.
[17] „Die Erkenntnis der Glaubwürdigkeit des Buchs wird also durch eine genaue Untersuchung des chronographischen Verfahrens des Verfassers, wo er redet und wo er schweigt erhöht.[...] Als Ganzes ist es nach den Absichten des Verfassers und in Wirklichkeit ein Geschichtswerk.“ Harnack, Zeitangaben. 814,821
[18] Das jahrzehntelang schlagende Argument, die Evangelien könnten alle erst nach 70 entstanden sein, da die Zerstörung des Tempels in Jerusalem vorausgesetzt werden müsste, ist inzwischen sogar auch von der historisch-kritischen Forschung aufgeweicht worden. Keiner der Evangelisten, die die Weissagung Jesu in Bezug auf die Zerstörung des Tempels überliefern, erwähnt, dass sie sich tatsächlich auch erfüllt hat. Selbst Matthäus, der refrainartig wiederholt, dass sich Weissagungen auch erfüllen, schweigt dazu. Damit ist die These von einem vaticinium ex eventu und mit ihr die magische Datumsgrenze gefallen. Auch die Zwei-Quellen-Theorie ist inzwischen kein historisch-kritisches Dogma mehr. Wenn tatsächlich Markus später wäre und somit Matthäus und Lukas gekürzt bzw. zusammengefasst hätte, ist es durchaus nicht ausgeschlossen, das lukanische Doppelwerk in die sechziger Jahre zu datieren. Es ist einiges in Bewegung, sogar Johannes wird früher datiert. (Siehe hierzu Berger, K., Im Anfang war Johannes, Datierung und Theologie des vierten Evangeliums.)
[19] Botermann, 29
[20] Botermann,34.