Psychotraumatologie. Ätiologie, Diagnostik und Behandlung von psychischen Traumen


Hausarbeit, 2016

24 Seiten, Note: 3

Maximilian Villert (Autor:in)


Leseprobe

Inhalt

1 Geschichte der Psychotraumatologie

2 Ätiologie von Traumatisierungen
2.1 Wechselspiel von Traumatisierung und Vulnerabilität
2.2 Traumatisierende Erfahrungen

3 Diagnostik von Traumatisierungen
3.1 Formen von Traumatisierungen und Differentialdiagnose
3.2 Diagnostische Kriterien der Akuten Belastungsstörung (DSM IV, Saß, H. Wittchen, H. U., & Zaudig, M, 1996)
3.3 Diagnostische Kriterien der PTBS (DSM IV, Saß, H., Wittchen, H. U., & Zaudig, M, 1996)
3.4 Kritik an den diagnostischen Kriterien der PTBS
3.5 Die Rolle der Komorbidität bei der Diagnostik von Traumatisierungen

4 Umgang mit Traumatisierung
4.1 Krisenintervention
4.2 Stationen der Genesung
4.3 Sinngebungsansätze aus den Religionen für die Therapie

References

1 Geschichte der Psychotraumatologie

Ein Trauma stellt eine nachvollziehbare Reaktion auf eine abnormale Erfahrung dar. Auch wenn die Diagnosen von Akuttraumatsierungen und PTBS erst in den letzten Jahrzehnten Aufnahme in die diagnostischen Manuale ICD und DSM fanden so kann davon ausgegangen werden, dass Menschen schon seit prähistorischen Zeiten davon betroffen waren. Es verwundert daher nicht, dass sich in der Literatur aller Epochen auch Schilderungen von Traumen als Reaktion auf traumatische Erfahrungen finden lassen. So wird Traumatisierung auch in einem der ältesten abendländischen Literaturwerke thematisiert – dem homerische Epos „Ilias“. In der griechischen Originalsprache beginnt das Epos dem Wort Zorn, nach stellt unter anderem ein Kriegstrauma dar und weist auch Wege zu dessen Überwindung auf (Shay, 1991; Weisaeth, 2002). Es ist Achilleus, der bedeutendste Held der Griechen, der darin ein Kriegstrauma entwickelt welches sich an typischen Verhaltensmerkmalen festmachen lässt:

„Ein Erlebnis von Verrat oder ein Verstoß gegen das was er als Soldat als sein gutes Recht betrachtet; enttäuschter Rückzug auf einen kleinen Kreis von Freunden und Kameraden; Trauer und Schuldgefühle wegen des Todes eines besonders befreundeten Kameraden; Lust auf Vergeltung; nicht mehr heimkehren wollen; sich wie tot fühlen; dann eine beserkerartige Raserei mit Entehrung des Feindes und extremen Grausamkeiten. Einzelne Symptome oder auch das ganze Syndrom finden sich gehäuft in den Berichten von Kriegsteilnehmern, die nach ihrem Einsatz eine psychotraumatische Belastungsstörung entwickeln“ (Shay, 1991).

Heute werden Geschichten über die Probleme traumatisierter Kriegsheimkehrer und Kriegsopfer auch zunehmend mit dem Medium Film erzählt. Die Behandlung der Problematik im Film lässt hoffen, dass das Verständnis für Traumatisierte steigt und damit auch die Hilfe. Traumatisierte US-Veteranen wurden in der Vergangenheit nicht selten obdachlos (Rosenheck, R., Leda, C., Gallup, P., Astrachan, B., Milstein, R., Leaf, P. & Errera, P., 1989).

Lange Zeit waren Priester für alles Seelische zuständig. Psychische bzw. neurologische Probleme wurden damals häufig im Kontext der jeweiligen religiösen Vorstellungen interpretiert. Im antiken Griechenland war es Hippokrates der feststellte, dass Epilepsie vom Gehirn ausgeht und nicht als heiliger als andere Krankheiten zu betrachten ist (Simon, 1978). Als im Mittelalter die Macht der katholischen Kirche auf ihrem Höhepunkt war wurden Menschen mit psychischen Störungen etwa als von Dämonen besessen betrachtet. Als sich dies in der Neuzeit zu ändern begann wurden Sammelzentren für Menschen geschaffen die an psychischen Krankheiten litten, diese waren dort mit anderen sozial Schwachen und Kriminellen untergebracht. Dort erhielten die Kranken keine Behandlung die einer Heilung dienlich gewesen wäre, sondern wurden meist einer Art vernachlässigt oder einer Art von Therapie unterzogen die kontraproduktiv war. Der Wiener Narrenturm ist der weltweit der erste Spezialbau zur Unterbringung von „Geisteskranken“. Es ist ein fünfstöckiger, festungsähnlicher Rundbau mit schlitzartigen Fenstern für 200 bis 250 „Geisteskranke“. Der Bau wurde 1784 unter Josef II errichtet (Mora, 1967). Die Behandlung der Kranken wurde aber nur langsam besser.

Im Winter 1985-86 studierte Freud einige Zeit lang bei Charcot in Paris, der die Ursachen für Hysterie in traumatischen Erfahrungen wie etwa einem Zugunglück sah. Freud ging in der Folge ebenfalls davon aus, dass ein Trauma die Ursache für Hysterie darstellt, er nahm jedoch im Gegensatz zu Charcot zunächst einen sexuellen Ursprung wie etwa in der Form eines tatsächlich stattgefundenen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit an. Später ging Freud dann von Problemen bei der Verarbeitung des ödipalen Konfliktes als der traumatisierenden Ursache für die Entstehung der Hysterie aus (Bogousslavsky & Dieguez, 2014).

In den letzten Jahrzehnten haben Forschungen in Folge von Kriegen und Katastrophen bei denen eine größere Zahl von Menschen traumatisiert wurden zu einem immer besseren wissenschaftliche Verständnis von Psychotraumata bei (Sachsse, 2009).

2 Ätiologie von Traumatisierungen

2.1 Wechselspiel von Traumatisierung und Vulnerabilität

Traumatisierungen in der Kindheit sind ein Hauptfaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im späteren Leben. Bei etwa 50%-60% der stationär aufgenommenen PatientInnen und 40%-60% der ambulant behandelten PatientInnen lässt sich Misshandlung in der Kindheit und/oder sexuell missbraucht nachweisen. Menschen die in ihrer Kindheit missbraucht wurden und Hilfe suchen zeigen dabei meist ein „verschleiertes Bild“, sie kommen oft mit Beziehungsproblemen und den unterschiedlichsten Symptomen in die Therapie.

So leiden Opfer von Kindesmissbrauch signifikant häufiger an Schlaflosigkeit, sexuellen Störungen, Dissoziation, Autoaggressivität, Reizbarkeit, sind zudem stärker selbstmordgefährdet und häufiger drogen- oder alkoholabhängig als andere Patienten (Briere, J., & Elliott, D. M., 2003). Daher bekommen Opfer von Gewalt unterschiedlichste Diagnosen gestellt, je nach Symptomlage werden Somatisierung, eine Borderline-Störung (wegen Schwierigkeiten in der Beziehung) oder eine Multiple Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Diese Störungen sollten aber vor dem Hintergrund eines Kindheitstraumas betrachtet werden, da dieses offensichtlich einen Hauptfaktor der Ätiologie darstellt.

Denn bestimmte Lebensereignisse stellen Risikofaktoren dar, die einzeln oder in ihrem Zusammenwirken eine psychische Störung oder Erkrankung begünstigen. Bestimmte Lebensereignisse wie der Verlust einer wichtigen Bezugsperson in der frühen Kindheit ohne ein gutes Ersatzmilieu stellen dabei ein höheres Risiko dar als etwa ein Schulwechsel. Im statistischen Mittel stellen sie ein „Risiko“ für Fehlentwicklungen und psychische Störungen dar. Die Vulnerabilität kann dabei durch ein einziges Kindheitstrauma aber eben auch durch eine Vielzahl kleinerer Risikofaktoren so sehr ansteigen, dass eine Person im späteren Leben an einer psychischen Störung erkrankt.

Als Risikofaktoren gelten etwa ein niedriger sozioökonomischer Status der Familie, schlechte Schulbildung der Eltern, große Familie mit sehr wenig Wohnraum, Kontakte mit Einrichtungen der „sozialen Kontrolle“, Kriminalität oder Dissozialität der Eltern und chronische Disharmonie in der Familie. Die traumatische Situation erhöht zwar auch das Risiko für eine später psychische Störung doch wäre es eine Verharmlosung Kindesmissbrauch als einen Risikofaktor zu bezeichnen. Risikofaktoren können jedoch mit traumatischen Situationsfaktoren zusammenwirken und eine kumulative Traumatisierung bewirken.

Neben den Risikofaktoren gibt es aber auch protektive Faktoren welche im statistischen Mittel das Risiko an einer psychischen Störung zu erkranken senken. Folgende protektive Faktoren wurden in einer Studien von Egle, Hoffmann, & Joraschky (2005) gefunden: Eine dauerhaft gute Bindung zu mindestens einer primären Bezugsperson; Aufwachsen in einer Großfamilie mit kompensatorischen Beziehungen und entsprechender Entlastung der Mutter; ein gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust, überdurchschnittliche Intelligenz; ein robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament, sicheres Bindungsverhalten; soziale Förderung z. B. durch Jugendgruppen und Schulen; verlässlich unterstützende Bezugspersonen im Erwachsenenalter; konstante Beziehungspartnern.

2.2 Traumatisierende Erfahrungen

Der Begriff Trauma ist ein medizinischer Begriff aus dem Griechischen, er bezeichnete zunächst nur eine durch Gewalteinwirkung entstandene Verletzung oder Wunde. Erst später wurde der Begriff auch für psychotraumatische Reaktionen verwendet, wie sie auch in den Klassifikationssystemen ICD-10 (Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M. H., & World Health Organization., 1991) und DSM IV (Saß, H., Wittchen, H. U., & Zaudig, M, 1996) beschrieben werden. Laut DSM IV sind traumatische Ereignisse solche Ereignisse, die außerhalb des normalen Erwartungsbereichs liegen und so für nahezu jeden Menschen eine schwere Belastung darstellen würden. Es wird die Akute Belastungsreaktion von der Posttraumatischen Belastungsstörung unterschieden. Als Ursache der unter F 43.0 beschriebene Akute Belastungsreaktion gilt Folgendes:

„[…] eine außergewöhnliche physische und psychische Belastung[…] (ICD 10) …..die Belastung kann eine überwältigende traumatische Erfahrung einschließlich ernsthafter Bedrohung der Sicherheit oder körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder geliebten Person(en) ( z.B. Naturkatastrohen, Unfall, Kampf, krimineller Übergriff, Vergewaltigung) oder eine ungewöhnliche plötzliche und bedrohliche Änderung in der sozialen Stellung und / oder dem sozialen Netz des Einzelnen, wie etwa mehrfacher Verlust durch Todesfall oder ein Hausbrand, sein.“(Handb.) „[…] akute Krisenreaktion[…]“.

Folgende Ereignisse können die unter F43.1 klassifizierte Posttraumatische Belastungsstörung hervorrufen:

“ […] ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartige Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“(ICD 10), „ z. B. Naturkatastrophen oder menschlich verursachtes schweres Unheil(Originaltext: man-made disaster), Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen.“(Handbuch).

Die unter F62.0 klassifizierte Andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung ist eine Folge von

“[...] Belastungen katastrophalen Ausmaßes[…]. Die Belastung muss so extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss.“ (ICD 10)“ Beispiel umfassen Konzentrationslagererfahrungen, Folter, schweres Unheil(Originaltext: disaster), andauerndes Ausgesetzsein lebensbedrohlicher Situationen(z.B. Geiselnahme, genauer: andauernde Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr).

Als psychosoziale Krisen wird der Verlust des seelischen Gleichgewichts bezeichnet, den ein Mensch dann verspürt, wenn er mit Ereignissen oder Lebensumständen konfrontiert wird die er im Augenblick nicht bewältigen kann. weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobte Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation (Sonneck, G., Kapusta, N., Tomandl, G., & Voracek, M., 2016). Als Auslöser eines Traumas gelten:

„…tatsächliche, extrem stressreiche äußere Ereignisse. Damit ein Ereignis aber zum Thema für einen Menschen werden kann, muss eine Dynamik in Gang kommen, auf besondere Weise mit diesem Ereignis umzugehen. Diese „Klemme“ nenne ich die „traumatische Zange“ (Huber, 2003a)

Auf der Skala der Schweregrade der traumatischen Situationen im DSM III / IV sind die Stufen 5 und 6 für die extremtraumatischen Situationen. Auf Stufe 5 (sehr schwer-extrem) befinden sich Situationen wie der Tod des Ehepartners, die Diagnose einer schweren körperlichen Erkrankung; Opfer einer Vergewaltigung werden; eigene schwere chronische Erkrankungen oder des Kindes; fortwährende körperliche Misshandlung oder sexueller Missbrauch. Auf Stufe 6 (katastrophal) befinden sich Situationen wie der Tod eines Kindes; Selbstmord des Ehepartners, verheerende Naturkatastrophen; Gefangenschaft als Geisel sowie Erfahrungen im Konzentrationslager.

Typologie traumatischer Situationen:

Fischer & Riedesser (1998) unterscheiden traumatische Situationen hinsichtlich folgender Aspekte:

1. Schweregrad
2. Häufung traumatischer Ereignisse
3. Art der Betroffenheit des Traumatisierten
4. Verursachung und Verursachungsfaktoren
5. Beziehung zwischen Opfer und Täter

Ad 1 Schweregrad

Es gibt unterschiedliche Schweregrade, als Mikro- und Minitraumen werden etwa im Kontext des kummulativen Traumas ungünstige Übergriffe der Eltern bzw. Umwelt auf das Kind bezeichnet. Minitraumen haben zur Folge, dass sich das Kind zu früh der Umwelt anpassen muss, anstatt dass sich die Umwelt an das Kind anpasst. Als Folge erlebt das Kind sich als getrennt vom „wahren Selbst“ (Lourie, 1996).

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Psychotraumatologie. Ätiologie, Diagnostik und Behandlung von psychischen Traumen
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Psychologie)
Note
3
Autor
Jahr
2016
Seiten
24
Katalognummer
V416246
ISBN (eBook)
9783668660977
ISBN (Buch)
9783668660984
Dateigröße
614 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klinische Psychologie, Trauma, Ätiologie, Diagnostik, ICD, DSM, Krisenintervention, Notfallpsychologie, PTBS, Akute Belastungsreaktion, Akute Belastungsstörung, Sinngebung, Religion, Psychotherapie, Posttraumatische Belastungsstörung, Diagnose, Diagnosekriterien, Freud, Hysterie, Katastrophen, Posttraumatisches Wachstum, Intrusion, Angst, Vermeidung, Krieg, Kriegstrauma, Ilias, Achilleus
Arbeit zitieren
Maximilian Villert (Autor:in), 2016, Psychotraumatologie. Ätiologie, Diagnostik und Behandlung von psychischen Traumen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416246

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