Die Gruppenvergewaltigung einer 23-Jährigen Inderin in der Stadt Delhi am sechzehnten Dezember 2012 löste tagelange Proteste innerhalb des Landes und eine weltweite mediale Debatte über die indischen Frauenrechte und das Sexualstrafrecht aus. Indien gilt als die größte Demokratie der Welt. Doch was ist das für eine Demokratie, in der „Eve-teasing“ - das verbale oder handgreifliche Belästigen von Frauen in der Öffentlichkeit – gesellschaftlich geduldet wird? Solche und ähnliche Fragen befeuerten den globalen Diskurs und lokale Proteste, sodass ein heftiger Druck auf die Regierung entstand die Gesetzgebung zu ändern.
Am dritten Februar trat nach der Unterschrift von Staatspräsident Pranab Mukherjee daraufhin ein neues, deutlich verschärftes Sexualstrafrecht in Kraft. Dieser Vorgang ist ein Paradebeispiel dafür, wie global diffundierte universelle Prinzipien auf das Rechtssystem eines Staates einwirken können. Solche Diffusionsprozesse sind, dem amerikanischen Soziologen John Meyer zufolge, verantwortlich für die Entstehung einer „World Polity“ (Weltkultur) die maßgeblich von global gültigen, westlich geprägten Grundsätzen beeinflusst wird. Diese Weltkultur wirke sich auf jeden einzelnen Akteur (Individuen, Organisationen, Staaten) aus und bestimme bis zu einem gewissen Grad seine Handlungen. Doch inwiefern trifft diese Theorie auf das internationale Rechtssystem oder das einzelner Staaten zu?
Das Anfangs genannte Beispiel des indischen Sexualstrafrechts und die Gründung internationaler Gerichtsinstitutionen (zum Beispiel des „International Criminal Court“) innerhalb der letzten Jahre lassen vermuten, dass tatsächlich sozial konzipierte Verhaltensgrundlagen und moralische Prinzipien als allgemein gültig anerkannt werden und Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen. Im Folgenden sollen in dieser Arbeit zunächst die Hintergründe und theoretischen Grundlagen von Meyers „World Polity“-Theorie dargelegt werden. Anschließend wird untersucht, auf welche Weise sich die Theorie auf die Konstitution und Ausübung von Recht anwenden lässt und diese Überlegungen anhand des Beispiels „Sexualstrafrechts“ deutlich gemacht. Abschließend folgt ein kurzer Ausblick, in dem auf mögliche Folgen der Internationalisierung und Institutionalisierung des Rechtswesens für die zukünftige Gerichtsbarkeit eingegangen wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Grundlagen der World Polity Theorie
- Rechtssysteme im Kontext der World Polity Theorie
- Merkmale der Anbindung eines Rechtssystems an eine World Polity nach Boyle und Meyer
- Diffusion und Wachstum
- Ritualisierte Inszenierung
- Vorstellung eines einheitlichen und nationalen Kosmos
- Weltkulturelle Einflusserscheinungen einer Weltkultur anhand des Beispiels internationales Sexualstrafrecht
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Anwendbarkeit der World-Polity-Theorie von John W. Meyer auf die Erklärung von Konstitution und Ausübung internationaler Rechtsprechung.
- Die zentralen Inhalte der World Polity Theorie
- Die Rolle von Institutionen und Isomorphien in der globalen Rechtsentwicklung
- Der Einfluss von westlichen Idealen auf internationale Rechtsprinzipien
- Die Auswirkung der Weltkultur auf nationale Rechtssysteme
- Die Rolle von „rationalisierten Anderen“ wie internationalen Organisationen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz der World-Polity-Theorie für die internationale Rechtsprechung dar. Kapitel 2 erläutert die theoretischen Grundlagen von Meyers Ansatz, insbesondere die Rolle von Institutionen, Isomorphien und „rationalisierten Anderen“. Kapitel 3 untersucht, wie sich die Theorie auf die Konstitution und Ausübung von Recht anwenden lässt, wobei die Entwicklung von Opferschaft und die Gründung internationaler Gerichtsinstitutionen als Beispiele dienen. Kapitel 4 erläutert die Merkmale der Anbindung eines Rechtssystems an die Weltkultur anhand von drei Handlungsweisen: Diffusion und Wachstum, ritualisierte Inszenierung und Vorstellung eines einheitlichen und nationalen Kosmos. Schließlich wird in Kapitel 5 die globale Veränderung der Definition von „Sex“ und die daraus resultierenden Entwicklungen im internationalen Sexualstrafrecht analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den zentralen Begriffen der World-Polity-Theorie, wie z.B. Institutionen, Isomorphien, „rationalisierte Andere“, Diffusion und Wachstum, ritualisierte Inszenierung, Weltkultur, internationale Rechtsprechung, Sexualstrafrecht und Opferschaft. Darüber hinaus werden wichtige Themen wie die globale Verbreitung von westlichen Idealen, die Auswirkungen von Internationalisierung und Institutionalisierung auf nationale Rechtssysteme, die Rolle von internationalen Organisationen und die Entkopplung von Form und Inhalt in der Rechtsprechung beleuchtet.
- Quote paper
- Marius Mohnhaupt (Author), 2013, Inwiefern ist die World-Polity-Theorie von John W. Meyer zur Erklärung von Konstitution und Ausübung internationaler Rechtsprechung geeignet?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416809