Inwiefern ist die World-Polity-Theorie von John W. Meyer zur Erklärung von Konstitution und Ausübung internationaler Rechtsprechung geeignet?


Hausarbeit, 2013

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen der World Polity Theorie

3 Rechtssysteme im Kontext der World Polity Theorie

4 Merkmale der Anbindung eines Rechtssystems an eine World Polity nach Boyle und Meyer
4.1 Diffusion und Wachstum
4.2 Ritualisierte Inszenierung
4.3 Vorstellung eines einheitlichen und nationalen Kosmos

5 Weltkulturelle Einflusserscheinungen einer Weltkultur anhand des Beispiels internationales Sexualstrafrecht

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis
7.1 Internetquellen

1. Einleitung

Die Gruppenvergewaltigung einer 23-Jährigen Inderin in der Stadt Delhi am 16. Dezember 2012 löste tagelange Proteste innerhalb des Landes und eine weltweite mediale Debatte über die indischen Frauenrechte und das Sexualstrafrecht aus. Indien gilt als die größte Demokratie der Welt. Doch was ist das für eine Demokratie, in der „Eve-teasing“ - das verbale oder handgreifliche Belästigen von Frauen in der Öffentlichkeit - gesellschaftlich geduldet wird? (s.: http://oxforddictionaries.com/definition/english/eve—teasing). Solche und ähnliche Fragen befeuerten den globalen Diskurs und lokale Proteste, sodass ein heftiger Druck auf die Regierung entstand die Gesetzgebung zu ändern. Am 3. Februar trat nach der Unterschrift von Staatspräsident Pranab Mukherjee daraufhin ein neues, deutlich verschärftes Sexualstrafrecht in Kraft.

Dieser Vorgang ist eine Paradebeispiel dafür, wie global diffundierte universelle Prinzipien (vgl.: Heger Boyle/Meyer 1998) auf das Rechtssystem eines Staates einwirken können.

Solche Diffusionsprozesse sind, dem amerikanischen Soziologen John W. Meyer zufolge, verantwortlich für die Entstehung einer „World Polity“ (Weltkultur) die maßgeblich von global gültigen, westlich geprägten Grundsätzen beeinflusst wird. Diese Weltkultur wirke sich auf jeden einzelnen Akteur (Individuen, Organisationen, Staaten) aus und bestimme bis zu einem gewissen Grad seine Handlungen.

Doch inwiefern trifft diese Theorie auf das internationale Rechtssystem oder das einzelner Staaten zu? Das Anfangs genannte Beispiel des indischen Sexualstrafrechts und die Gründung internationaler Gerichtsinstitutionen (z.B. des „International Criminal Court“) innerhalb der letzten Jahre lassen vermuten, dass tatsächlich sozial konzipierte Verhaltensgrundlagen und moralische Prinzipien als allgemein gültig anerkannt werden und Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen. Im Folgenden sollen in dieser Arbeit zunächst die Hintergründe und theoretischen Grundlagen von Meyers „World Polity“-Theorie dargelegt werden. Anschließend wird untersucht, auf welche Weise sich die Theorie auf die Konstitution und Ausübung von Recht anwenden lässt und diese Überlegungen anhand des

Beispiels „Sexualstrafrechts“ deutlich gemacht. Abschließend folgt ein kurzer

Ausblick, in dem auf mögliche Folgen der Internationalisierung und Institutionalisierung des Rechtswesens für die zukünftige Gerichtsbarkeit eingegangen wird.

2. Grundlagen der World Polity Theorie

Gemäß der World-Polity-Theorie gibt es in der modernen, globalisierten Welt „eine breite kulturelle Ordnung, die explizite Ursprünge in der westlichen Gesellschaft hat“ (Krücken 2005: 9). Meyer sieht als zentrale Inhalte dieser Ordnung Prinzipien, die schon in Max Webers Rationalisierungs-Gedanken zu finden sind: „Fortschrittsglaube, Säkularisierung und die Durchsetzung zweckrationalen Handelns in sämtlichen Gesellschaftsbereichen“ (ebd.).

Außerdem gehörten Maximen wie „Individualismus, universalistische

Gerechtigkeits- und Fairnessnormen, freiwillige und selbst organisierte Handlungsfähigkeit sowie Weltbürgertum“ ebenfalls zur World Polity (ebd.). Sie ist also von westlichen Idealen geprägt, die sich seit der Aufklärung im Okzident etabliert haben.

Ein zentraler Begriff für Meyers Ansatz sind die Institutionen. Diese sind ihm zufolge „kulturelle Regeln, die bestimmten Einheiten und Handlungen kollektiven Sinn und Wert verleihen“ (Meyer/ Boli/ Thomas.: S. 18). Daraus folgt auch, dass durch den Prozess der Institutionalisierung „bestimmte Einheiten und Handlungsmuster normative und kognitive Gültigkeit erlangen und praktisch als Selbstverständlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten akzeptiert werden“ (ebd.). Wenn ein Akteur sich diesen Gesetzmäßigkeiten nicht unterwirft, läuft er Gefahr seine Legitimation zu verlieren. Als Folge der allgemeinen Akzeptanz dieser Gesetzmäßigkeiten ergeben sich dann Strukturähnlichkeiten die von Meyer als Isomorphien (vgl. Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 102) bezeichnet werden.

Seine Wurzeln hat die Theorie im Neo-Institutionalismus, der sich zunächst hauptsächlich mit organisationssoziologischen Aspekten befasste.

Ausschlaggebend hierfür war die These, dass die Gesellschaft zunehmend durch Organisationen und Zusammenschlüsse beeinflusst wird. Allerdings sind diese nach wie vor abhängig von ihrem Umfeld und den dort herrschenden institutionalisierten Regeln. Dementsprechend hängt das Wohl einer Organisation davon ab wie sehr sie konform geht mit sozial erzeugten Normen und Erwartungen ihrer Umwelt (Hasse/Krücken 2009: S. 239). Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell definierten diese Umwelt näher als „organisationales Umfeld“. Das heißt die Organisation gleicht sich anderen Organisationen durch Isomorphie- Mechanismen an.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die neo-institutionalistische Theorie allerdings dahingehend, dass neben Organisationen auch Individuen und Staaten als relevante Akteure angesehen wurden. Jeder dieser Akteure konstituiert und verbreitet Strukturmuster, verleiht ihnen Geltung durch Mythen und Symbole und ist auf die eine oder andere Art und Weise einem Isomorphie-Mechanismus unterworfen. DiMaggio und Powell unterscheiden hier zwischen drei verschiedenen Typen: Isomorphie durch Zwang - hier steht der Akteur in Abhängigkeit zu einem anderen und muss dessen Vorgaben erfüllen. Beispiele sind die durch Verrechtlichung erzwungene Buchführung (vgl. Hasse/Krücken 2009: S. 240) oder die Abhängigkeit einer Tochter- von ihrer Muttergesellschaft (vgl. Becker-Ritterspach/ Becker-Ritterspach 2006: 109). Zweitens Isomorphie durch Imitation - aufgrund von Unsicherheit bezüglich der eigenen Vorgehensweise, dem Erfolg konkurrierender Modelle oder dem Mangel eigens erdachter Lösungswege werden die Strukturen anderer Akteure übernommen. Als besonders legitim wirkende Organisationen gelten dann als „Blaupausen“ (vgl. Hasse/ Krücken 2009: S. 240). Drittens könne Isomorphie durch normativen Druck entstehen: Der Akteur muss allgemeingültigen Vorstellungen innerhalb seines Bereiches entsprechen. Diese allgemeingültigen Vorstellungen entstünden aufgrund von „Professionalisierungen“ (ebd.: S.240). Professionalisierungen wie die Entwicklung formeller Ausbildungswege oder das Bilden von Netzwerken tragen zum Entstehen von verbindlichen Normen bei, an die sich die Akteure zu halten haben wenn sie nichts von ihrer Legitimation einbüßen wollen. In diesem Zusammenhang spielen auch die „rationalisierten Anderen“ eine wichtige Rolle (vgl. Meyer/ Boli/Thomas/ Ramirez 1997: S.111). Mit ihnen beschreiben die Autoren einen vierten Akteur, zu dem unter anderem die Wissenschaften und eben die Professionen gehören. Diese Akteure besitzen keine Macht im eigentlichen Sinne zur Durchsetzung eigennütziger Interessen. Sie sind mehr als moralische

Instanzen zu betrachten die durch „überlegenes Wissen und überlegene

Definitionsmacht“ (Kuchler/ Holzer 2007: S. 83) auf den internationalen Diskurs wirken, ihn mitgestalten und als Diffusionsagenten fungieren. Internationale Nicht-Regierungs-Organisationen sind hierfür ein treffendes Beispiel.

Wie nun Isomorphien letztlich zu Legitimation führen zeigt das Beispiel des Nationalstaats:

Durch das Schaffen nationalstaatlicher Strukturen - z.B. Ämter, Ministerien, eine Verfassung usw. - wird die „innere Legitimation“ zugleich auch zu einer äußeren Legitimation, indem nach außen hin dargestellt wird, dass man ein erfolgreiches politisches Modell aufgegriffen und installiert hat. Vollendet ist die äußere Legitimation schließlich in dem Moment, in dem führende Nationen und die UN den neuen Nationalstaat anerkennen. Die „Belohnung“ besteht aus politischer Souveränität. Dieses Schema hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass Nationalstaatlichkeit kognitive und normative Geltung erlangt hat und als Voraussetzung und Selbstverständlichkeit politischer Souveränität akzeptiert worden ist - sogar noch heutzutage, wo Nationalstaatlichkeit eigentlich längst nicht mehr der einzige politisch entscheidende Faktor ist (vgl. Meyer 1997: 146). Meyer, Boli, Thomas und Ramirez illustrieren diese Unvermeidbarkeit von Nationalstaatlichkeit anhand des Beispiels einer bisher unbekannten Gesellschaft, die nach ihrer Entdeckung von der Weltgemeinschaft automatisch anhand der Universalprinzipien wie Gleichheit und Fortschritt beurteilt und folglich an die Automatismen der Weltpolitik angepasst würde (vgl. Meyer/ Boli/ Thomas/ Ramirez 1997: 86-87) Hier zeigt sich einmal mehr die Stärke etablierter Institutionen trotz völlig unterschiedlicher Ausgangspositionen.

Das Gleiche gilt - wie oben bei der Erwähnung der drei Akteure schon angedeutet - genauso für Organisationen und Individuen. Meyer und Rowan legen ausführlich dar, wie sehr Organisationen in verschiedenster Weise von der Einhaltung formaler Strukturen abhängig sind um sich in ihrem Umfeld und gegenüber Konkurrenten und Bewertungssystemen zu behaupten (vgl. Meyer/ Rowan 1977: S. 39 ff). Unter anderem machen sie diese Abhängigkeit z.B. an der Überlegung fest, dass Organisationen, die „durch die Umwelt legitimierte Strukturen“ (ebd.: S. 40) nicht übernähmen, sich angreifbarer für Vorwürfe aus dem Umfeld machten sowie verletzlicher seien für „interne Dissidenten“ (ebd.:S.40)

Bereits in der kurzen Beschreibung der Institution „Nationalstaat“ wurde allerdings deutlich, dass das essenzielle Kriterium der Legitimation für Neo- Institutionalisten nicht in dem tatsächlichen Vorhandensein von Effizienz und Rationalität - bzw. dem Umsetzen der formal-rationalen Strukturen - liegt, sondern in dessen gelungener Darstellung. Theoretisch könnten die vom neuen Nationalstaat aufgebauten Behörden extrem ineffektiv arbeiten - relevant für die Legitimation ist zunächst nur ihr Vorhandensein und nicht ihre eigentlich Funktionalität. In noch größerem Ausmaß wird dies bei der Betrachtung von mit Nationalstaatlichkeit einhergehenden Institutionen deutlich, die insbesondere seit 1945 globale Verbreitung erfahren haben - z.B. Sozial- oder Rechtsstaatlichkeit und verfassungsmäßig etablierte Grundrechte, Demokratie und Partizipation oder Bildungssysteme (vgl. Meyer 1997: S.149). Zahlreiche Staaten haben diese „Mythen“ immer wieder kopiert, verbreitet und vorgegeben sich damit zu identifizieren, haben Verfassungen mit Bürgerrechtskatalogen installiert, sie in der Praxis jedoch missachtet oder Wahlen angesetzt bei denen sie die Ergebnisse fälschten. Form und Inhalt sind in diesen Fällen nur lose gekoppelt oder gar voneinander entkoppelt (vgl. Meyer/ Boli/ Thomas/ Ramirez 2005: 99 ff.), und in vielerlei Fällen scheint diese oberflächliche Institutionalisierung zur Legitimation auszureichen. Entkopplung muss allerdings nicht zwangsläufig negativ besetzt sein. Die Modifikation kultureller oder aufgezwungener „kultureller“ Muster zugunsten lokaler Gegebenheiten kann in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll sein. So tut ein Staat zum Beispiel teilweise besser daran lokale Gegebenheiten und traditionelles Know-how beizubehalten, als zwanghaft zu versuchen externen Auflagen zu entsprechen und Strukturen etablieren zu wollen, die in diesem Fall nicht zweckdienlich wären.

Es bleibt festzuhalten, dass der Wolrd-Polity-Ansatz eine makrosoziologische Sichtweise darstellt: Die Gesellschaft generiert eine soziale Wirklichkeit, welche sich auf andere (mikro-)soziale Bereiche anwenden lässt. Sie erzeugt ihre Akteure über institutionalisierte Werte, die rationalisiert sind und als „Kultur“verstanden werden ( vgl. Hasse/ Krücken 2009: 245). Einen Teil dieser Kultur stellt das Rechtssystem dar, welches gebildet wird um einen „kollektiven Nutzen zu schaffen“ (Boyle/ Meyer 1998: S. 179). Im Folgenden soll erläutert werden inwieweit das Rechtssystem global gültigen Prinzipien unterworfen ist und von ihnen geprägt wird.Trotzdem

3. Rechtssysteme im Kontext der World Polity Theorie

John W. Meyer und Elizabeth Heger Boyle betrachten Rechtssysteme als Ausdruck einer kulturellen Ordnung (s. o.) und universalen Prinzipien die das Handeln von Akteuren bestimmen. Dementsprechend diffundieren „rechtliche Regeln, Prinzipien, Standards und Ideen heutzutage sehr schnell durch die Weltgesellschaft“ (Boyle/ Meyer 1998: S. 180). Sie sind als Ergebnis einer weltkulturellen Sphäre zu verstehen, die hier speziell auf die „Herstellung von 'Gerechtigkeit' “ (ebd.: S. 181) abzielt. Außerdem repräsentiere das Rechtssystem einen Bestandteil des Nationalstaates, der zu dessen Legitimation beitrage - entstehe also Hand in Hand mit nationalstaatlichen Strukturen.

Aufgrund der hegemonialen Stellung westlicher Mächte in den letzten Jahrhunderten sind jene rechtlichen Prinzipien maßgeblich durch westliche, rationalisierte Dogmen beeinflusst wie z.B. der Formulierung von Menschenrechten. Sie geht auf die Epoche der Aufklärung in Europa zurück und ihre globale Diffusion führte dazu, dass Staaten bei ihrer Verletzung nicht untätig bleiben können (vgl. Bonacker 2012: S. 19) und eben auch ihr Rechtssystem dahingehend verändern müssen. Einrichtungen wie der Europäische

Menschenrechtsgerichthof, der interamerikanische Gerichtshof für

Menschenrechte oder auch die Vereinten Nationen - alles Einrichtungen, deren Gründung übrigens auch auf westliche Mächte zurückführt - überwachen ihre Einhaltung.

Ein Beispiel für den globalen Einfluss dieser Prinzipien ist die Verlagerung des Schwerpunkts internationalen Rechts von der „Bestrafung der Täter […] [und der] Wiederherstellung staatlicher Ordnung“ (Bonacker 2012: S.5) zur Berücksichtigung von Opferinteressen. Das Opfer wird zunehmend als geschädigter Akteur wahrgenommen, dessen Akteurschaft es zurückzuerlangen gilt. So beschreibt Thorsten Bonacker in seinem Aufsatz „Globale Opferschaft“ (2012), dass im Gegensatz zu früheren (völkerrechtlichen) Verfahren wie den Nürnberger Prozessen - bei denen komplett auf Zeugenaussagen verzichtet wurde - gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine stärkere „Anerkennung

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Inwiefern ist die World-Polity-Theorie von John W. Meyer zur Erklärung von Konstitution und Ausübung internationaler Rechtsprechung geeignet?
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
16
Katalognummer
V416809
ISBN (eBook)
9783668664388
ISBN (Buch)
9783668664395
Dateigröße
640 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inwiefern, world-polity-theorie, john, meyer, erklärung, konstitution, ausübung, rechtsprechung
Arbeit zitieren
Marius Mohnhaupt (Autor:in), 2013, Inwiefern ist die World-Polity-Theorie von John W. Meyer zur Erklärung von Konstitution und Ausübung internationaler Rechtsprechung geeignet?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416809

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