Seit der Entstehung des Faches Soziologie ist eine der Kernfragen der Disziplin, inwiefern Unterschiede, Grenzen und Interaktionen zwischen Gruppen bestehen. Zu den vielen verschiedenen Indikatoren, die zur Analyse dieser Gruppen herangezogen wird, gehört die Partnerwahl, insbesondere die Eheschließung innerhalb bzw. zwischen den Gruppen. Die Bindung zweier Individuen in der Ehe ist so stark, dass sie als ein guter Indikator für die Messung von Grenzen und Interaktionen zwischen den Gruppen gesehen wird. Vor allem durch diesen Ansatz ist die Ehe zu einem zentralen Analysegegenstand in der soziologischen Forschung und Objekt mannigfaltiger Untersuchungen geworden.
Ein Spezialfall der Eheschließung ist die interkulturelle Heiratsmigration. Dieser Begriff soll in dieser Arbeit für Ehen stehen, in denen ein Partner aus einem Land und gleichzeitig einer anderen Kultur in ein anderes Land im Zusammenhang mit einer Eheschließung wandert. Der Zusammenhang zwischen Heirat und Migration kann dabei wechselseitig sein. Einerseits kann die Migration zur Schließung der Ehe stehen, andererseits kann auch die Ehe zur Ermöglichung der Migration dienen. Zu ermitteln, inwiefern welcher Zweck im Vordergrund steht, wäre eine Aufgabe der Forschung. Die Zahl der Heiraten zwischen Deutschen und Ausländern ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig angewachsen. Es ist davon auszugehen, dass darunter die Zahl der Ehen, die durch interkulturelle Heiratsmigration zustande gekommen sind, ebenfalls angestiegen ist. Interkulturelle Heiratsmigration ist insofern ein interessanter Spezialfall von Heiraten, als dass es nicht nur eine Interaktion zwischen zwei sozialen Gruppen, sondern auch zwischen zwei Nationalstaaten gibt. Mit der Heirat erwirbt der migrierende Partner das Aufenthaltsrecht im Land des Partners und kann später auch eingebürgert werden. Parallel zur Heirat findet ein weiterer rechtlicher Schritt statt. Hier bietet sich also eine ganze Batterie von Opportunitäten und Pflichten an, die eine mehr oder minder große Rolle bei der Partnerwahl spielen können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Moralisch-normative Literatur
„Ware Liebe“ – Populärwissenschaft
„Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels mit ausländischen Frauen und Mädchen“ – Empirische Studie
Wertfreie wissenschaftliche Literatur
Qualitative Arbeiten
Theoretische Arbeiten
Quantitative Arbeiten
Zusammenfassung und Ausblick
Bibliografie
Einleitung
Seit der Entstehung des Faches Soziologie ist eine der Kernfragen der Disziplin, inwiefern Unterschiede, Grenzen und Interaktionen zwischen Gruppen bestehen. Zu den vielen verschiedenen Indikatoren, die zur Analyse dieser Gruppen herangezogen wird, gehört die Partnerwahl, insbesondere die Eheschließung innerhalb bzw. zwischen den Gruppen. Die Bindung zweier Individuen in der Ehe ist so stark, dass sie als ein guter Indikator für die Messung von Grenzen und Interaktionen zwischen den Gruppen gesehen wird. Vor allem durch diesen Ansatz ist die Ehe zu einem zentralen Analysegegenstand in der soziologischen Forschung und Objekt mannigfaltiger Untersuchungen geworden.
Ein Spezialfall der Eheschließung ist die interkulturelle Heiratsmigration. Dieser Begriff soll in dieser Arbeit für Ehen stehen, in denen ein Partner aus einem Land und gleichzeitig einer anderen Kultur[1] in ein anderes Land im Zusammenhang mit einer Eheschließung wandert. Der Zusammenhang zwischen Heirat und Migration kann dabei wechselseitig sein. Einerseits kann die Migration zur Schließung der Ehe stehen, andererseits kann auch die Ehe zur Ermöglichung der Migration dienen. Zu ermitteln, inwiefern welcher Zweck im Vordergrund steht, wäre eine Aufgabe der Forschung. Die Zahl der Heiraten zwischen Deutschen und Ausländern ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig angewachsen.[2] Es ist davon auszugehen, dass darunter die Zahl der Ehen, die durch interkulturelle Heiratsmigration zustande gekommen sind, ebenfalls angestiegen ist. Interkulturelle Heiratsmigration ist insofern ein interessanter Spezialfall von Heiraten, als dass es nicht nur eine Interaktion zwischen zwei sozialen Gruppen, sondern auch zwischen zwei Nationalstaaten gibt. Mit der Heirat erwirbt der migrierende Partner das Aufenthaltsrecht im Land des Partners und kann später auch eingebürgert werden. Parallel zur Heirat findet ein weiterer rechtlicher Schritt statt. Hier bietet sich also eine ganze Batterie von Opportunitäten und Pflichten an, die eine mehr oder minder große Rolle bei der Partnerwahl spielen können.
Es liegt nahe zu fragen, was die soziologische Forschung zur Erhellung dieses Spezialfalls von Heirat beigetragen hat. Dies ist das Interesse dieser Arbeit. Sie bietet einen Überblick über die Literatur zur Heiratsmigration nach Deutschland. Die Literatur wird vorgestellt und kritisch auf ihre Methoden- und Quellenwahl überprüft. Dabei werden die Arbeiten in zwei Gruppen, moralisch-normative und wissenschaftliche Literatur, geteilt. Die erste Gruppe beinhaltet Literatur, die von Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen verfasst worden ist. Hierbei finden eher moralisch-normative als wissenschaftliche Motive und Ansätze Anwendung. Die zweite Gruppe ist der wissenschaftlichen Forschung zuzuschreiben.
Moralisch-normative Literatur
Die ersten deutschen Texte zum Phänomen der Heiratsmigration kamen nicht aus dem wissenschaftlichen Bereich. Sie entsprangen der öffentlichen Diskussion über das Anfang der achtziger Jahre viel beachtete Phänomen des „Frauenhandels“.[3] Zunehmend gab es journalistische Berichte über Verschleppung und sexuelle Ausbeutung von Frauen aus Südostasien, vornehmlich den Philippinen und Thailand (del Rosario 1994: 4). Die Täter in diesen Berichten waren kriminelle Banden, die auf der einen Seite des Marktes die Frauen entführten und anboten. Auf der anderen Seite des Marktes standen Männer aus westlichen Staaten als eine zweite Gruppe von Tätern. Die beschriebenen Formen der sexuellen Ausbeutung von asiatischen Frauen reichten von Prostitution im Heimatland über Prostitution in einem westlichen Land bis hin zum Verkauf der Frau als Ehefrau an einen Mann aus dem westlichen Kulturkreis. Eine Differenzierung der einzelnen Ausprägungen dieses Phänomens wurde kaum vorgenommen. Meistens wurden (Zwang zur) Prostitution und (erzwungene) Heiratsmigration in einem Atemzug genannt.
Diese journalistischen Berichte entfachten einen empörten öffentlichen Aufschrei. Die wenig differenzierende, sensationsgierige Berichterstattung der Medien wurde in anderen Teilgebieten der Öffentlichkeit bruchlos übernommen. Die Diskussion zog so weite Kreise, dass aus ihr zahlreiche Kleine und Große Anfragen in den Länderparlamenten und im Bundestag erwuchsen (Heine-Wiedenmann und Ackermann 1992: 11).
Die öffentliche Diskussion wiederum bereitete die Nachfrage weiterer Enthüllungen über das Phänomen „Frauenhandel“ und alle als darunter fallend verstandenen Vorgänge. Die Literatur, die in diesem Zuge entstand und heute teilweise noch entsteht, wird im Folgenden näher ausgeführt. Exemplarisch werden zwei Texte an Details einerseits auf ihre Verwobenheit in den beschriebenen moralischen Diskurs, andererseits auf ihre wissenschaftliche Genauigkeit und Verwertbarkeit überprüft. Es handelt sich dabei um einen populärwissenschaftlichen Sammelband und eine empirische Studie.
„Ware Liebe“ – Populärwissenschaft
Ein herausragendes Beispiel für den Grad von Unprofessionalität und Flapsigkeit, den die Literaturbeiträge zum Diskurs über Frauenhandel angenommen haben, ist der von Regula Renschler herausgegebene Sammelband „Ware Liebe – Sextourismus, Prostitution, Frauenhandel“ (Renschler 1987). Zuerst 1987, also zum Höhepunkt der Debatte erschienen, wurde das Buch bis 1991 in drei Auflagen gedruckt.
Die wenig reflektierende Vermischung von Sextourismus, Frauenhandel und Heiratsmigration wird hier besonders deutlich. Dem Buch fehlt es in hohem Maße an Transparenz und Differenzierungsfähigkeit zwischen einzelnen Vorgängen. Der Leser wird im gleichen Maße desinformiert wie informiert. Dies trifft insbesondere auf die Heiratsmigration zu und soll an dem entsprechenden Beitrag von Jo Gabriel-Luzon (177-190) näher dargelegt werden. Genauigkeit wird hier nicht großgeschrieben – am Titel des Buches ist nicht zu erkennen, dass das Buch unter anderem Heiratsmigration behandelt und der Beitrag von Gabriel-Luzon hat selbst einen irreführenden Titel: „Die meisten dachten, ich sei eine Prostituierte – als Filipina in der Schweiz“. Er ist eingebettet zwischen zwei Beiträgen mit den Titelworten „Sklaverei“ und „Frauenhandel“. Beim Lesen des Beitrags sucht der kritische Leser aber vergebens nach Anhaltspunkten, die auf Frauenhandel, Sklaverei, Prostitution o. ä. hindeuten könnten. Der Artikel ist ein Erfahrungsbericht einer Philippinin, die als Touristin in die Schweiz in der Hoffnung einreiste, dort einen Ehemann zu finden. Frau Gabriel-Luzon schreibt über mehrere Frauen aus den Philippinen, die allesamt aus eigenem Antrieb mit der Absicht zu heiraten in die Schweiz geflogen sind, dort auch einen Ehemann fanden und heute leben. Durch seine Einbettung in den Kontext sexueller Ausbeutung und die fehlende Differenzierung wird allerdings suggeriert, auch Heiratsmigrantinnen aus Eigeninitiative seien Opfer von „Frauenhandel“. Wer mit wachem Auge an den Artikel herangeht, wird diese Mängel bemerken und ihn als unzuverlässige Quelle fallen lassen. Wer ihn aber mit einer empörten Grundhaltung auf der Suche nach weiteren Hinweisen auf Frauenverachtung liest, wird ihn auch so verstehen. Die fehlende Differenzierung zwischen Verbrechen wie Entführung einerseits und wertfreien Tatsachen wie Migrationsbewegungen andererseits findet sich auch in den anderen Beiträgen des Buches ungebrochen wieder.
Auf methodischer Ebene ist das Buch gleichsam mangelhaft. Dem Leser werden keinerlei Möglichkeiten gegeben, die Behauptungen zu überprüfen. Statistiken werden nicht angeboten, Literaturangaben beschränken sich auf durchschnittlich zwei Referenzen je Beitrag. Dies ist dem Stil der Reportage geschuldet, in dem praktisch jeder Beitrag verfasst ist; trotzdem ist das Werk in mehreren späteren Arbeiten zum Thema Heiratsmigration als fundierte Quelle angeführt worden (siehe u. a. Heine-Wiedenmann und Ackermann 1992). Die wertbesetzte Herangehensweise wird zusätzlich noch durch die eingefügten Karikaturen verstärkt, die eine ähnlich moralisch-normative Prädisposition verraten. Dieses Buch kann aus wissenschaftlicher Sicht lediglich als abschreckendes Beispiel für die Darstellung eines brisanten Themas gelten. Das Fehlen von wissenschaftlichen Methoden und seine Unreflektiertheit machen es unbrauchbar.[4] Im Folgenden wird eine Untersuchung aus dem gleichen Autorinnenumfeld vorgestellt, die einen wissenschaftlichen Anspruch trägt.
„Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels mit ausländischen Frauen und Mädchen“ – Empirische Studie
Aufgrund der entstandenen Wichtigkeit des Themas „Frauenhandel“ in der Öffentlichkeit und des gleichzeitigen Mangels an verlässlichen Informationen entschlossen sich nach eigener Aussage Dagmar Heine-Wiedenmann und Lea Ackermann zu einer empirischen Aufarbeitung des Sachverhaltes. Die „breit angelegte empirische Studie“ wurde 1989/1990 durchgeführt; sie beinhaltete das Sichten von gerichtlichen und polizeilichen Dokumenten sowie qualitative Interviews mit „gehandelten“ Frauen und Mitarbeiterinnen von Frauenzentren (Heine-Wiedenmann und Ackermann 1992: V).
Die Ankündigung, dass es sich um eine erste empirische Studie zu dem viel beachteten aber schlecht durchleuchteten Thema handelt, ist zunächst sehr vielversprechend. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die beiden Autorinnen es schaffen, Stichproben zu ziehen, die der Gesamtpopulation der „gehandelten“ Frauen entsprechen und andere unvoreingenommene Quellen zu finden. Für die gesamte Studie haben die Autorinnen qualitative Methoden gewählt, was sie damit begründen, dass sie sich als explorative Methode am ehesten für ein unbekanntes Themenfeld eigne (Heine-Wiedenmann und Ackermann 1992: 12). Anstatt aber offen an das Thema heranzugehen, übernehmen die Autorinnen die oben beschriebene Vermischung verschiedenster Formen von Verschleppung, Ausbeutung und Migration aber und wählen ihre Quellen für qualitative Interviews nach diesem Schema aus. Überdeutlich wird dies in der Wahl der Quellen, die zur Rekonstruktion der „Heiratsmotive und Einstellungen der Männer“ (128ff.) von Opfern des Heiratshandels herangezogen werden. Als Grundlage dieser empirischen Untersuchung dienen die „Meinung einiger Sozialarbeiterinnen von Beratungsstellen und Frauenhäusern“ (128) und „polizeiliche Vernehmungsprotokolle, Anhörungsprotokolle von Ausländerbehörden, Tagebuchaufzeichnungen einer Philippina“ (129, Fußnote 25). Diese Quellen können nur einen Ausschnitt des gesamten Spektrums der Akteure im Heiratsmigrationsprozess darstellen. Mit der Konzentration auf offizielle Einrichtungen, die nur in Problemfällen tätig werden, wird der Blick auf problematische Ehen gelenkt, die durch Heiratsmigration zustande gekommen sind.[5] Über Polizeiprotokolle können nur deviante Akteure im Heiratsmigrationsprozess analysiert werden. Des weiteren kann der Versuch, vom Tagebuch einer Philippina auf generelle Heiratsmotive und Einstellungen der Männer von Heiratsmigrantinnen zu schließen, nicht ernst genommen werden. Es handelt sich um die Aufzeichnungen einer Einzelperson und kann deshalb in seiner Gesamtbedeutung höchstens als ein einzelnes Interview gezählt werden, von dem auch nicht auf eine allgemeine Gefühlslage von Männern geschlossen werden dürfte. Die Konzentration nur auf diese Quellen verrät die Eingeengtheit in der Betrachtungsweise des Phänomens. Wenn davon ausgegangen wird, dass über die einbezogenen Quellen ein Gesamtbild erreicht werden kann, deutet das auf eine kriminalisierende, verurteilende Grundhaltung hin. Ein Mindestmaß an Objektivierung hätte durch eine Schätzung erreicht werden können, welcher Anteil aller Fälle von Heiratsmigration über diese Quellen beschrieben werden. Durch das Fehlen einer solchen Relativierung wird noch einmal die Verallgemeinerung unterstrichen.
[...]
[1] Die Hinzuziehung des Merkmals „Kultur“ dient der Abgrenzung zu Ehepaaren, bei denen ein Partner die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, aber dem gleichen Kulturkreis angehört wie der ausländische Partner. Dies kann vor allem für Angehörige der Gastarbeiterbevölkerung und Spätaussiedler gelten.
[2] Von 1970 bis 1995 stieg die Zahl der Heiraten zwischen Deutschen in Westdeutschland von 33.000 auf 62.100, also fast das Doppelte (Roloff 1998: 320).
[3] Der Begriff „Frauenhandel“ wird hierbei als umfassender Begriff für die Inhalte des Diskurses benutzt. Er umfasst Verschleppung, (Zwang zur) Prostitution, Heiratsvermittlung („Heiratshandel“) und Heiratsmigration. Mit den Anführungszeichen soll die Distanzierung dieser Arbeit von der Verallgemeinerung der einzelnen Unterbegriffe verdeutlicht werden.
[4] Für eine inhaltlich und methodisch ähnliche Publikation siehe Susanne Lipka (1987).
[5] Dieses Verfahren zur Erhebung von Daten ist in der moralisch-normativen Literatur gängig. Elvira Niesner (1997) analysiert zusammen mit ihren Kolleginnen Daten, die während der Beratungsarbeit in einem Frauenzentrum gesammelt worden sind. Auch hier werden wieder nur Frauen erfasst, die aus einer Problemsituation eine Beratung in Anspruch nehmen.
- Arbeit zitieren
- David Glowsky (Autor:in), 2004, Frauenhandel und Heiratsmigration. Ein Überblick der deutschsprachigen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41741
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