Aufbau eines psychosozialen Betreuungsdienstes für Polizeibeamte in dienstlichen Belastungssituationen


Diplomarbeit, 1999

81 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort

2 Belastungssituationen im täglichen Dienst

3 Außergewöhnliche Belastungssituationen

4 Die Entwicklung von Hilfesystemen innerhalb der Polizei des Landes Baden-Württemberg

5 Entwicklung der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe
5.1 Stuhlkreis in der Paulus-Pfarrei
5.2 Namensfindung
5.3 Entwicklung der Konzeption
5.4 Ablaufplan einer Betreuung
5.5 Konzeption der Fortbildung der Betreuergruppe
5.6 Tätigkeitsberichte der Betreuergruppe

6 Bedarfserhebung beim Polizeipräsidium Karlsruhe
Allgemeine Ergebnisse
Angaben zu Alter, Geschlecht, Dienstzweig und Dienstjahren
Frage 1: „Können Sie sich vorstellen, daß Sie im täglichen Dienst mit belastenden Situationen konfrontiert werden, über die Sie mit jemandem sprechen wollen?“
Frage 2: „Wie oft haben Sie solche Situationen erlebt?“
Frage 4: „Hat ein Gespräch mit Kollegen und/oder Vorgesetzten für Sie ausgereicht, mit dem Erlebten klar zu kommen?“
Frage 5: „Denken Sie, daß sich die bisher im Dienst erlebten schwierigen und belastenden Situationen negativ auf Ihr Wohlbefinden ausgewirkt haben?“
Frage 6: „Halten Sie es für möglich, daß Sie Entlastung dadurch erfahren können, daß Sie mit jemand anderem als dem unmittelbaren Kollegen und/oder Vorgesetzten über eine belastende Situation sprechen können?“
Frage 7: „Zu wem würden Sie gerne gehen? (Mehrfachnennungen möglich)“
Frage 8: "In welchem Rahmen würden Sie sich gerne aussprechen? (Mehrfachnennungen möglich)"
Frage 9: "Haben Sie extreme Situationen erlebt, die Sie noch heute beschäftigen?"
Frage 10: "Halten Sie eine psychosoziale Betreuung innerhalb der Polizei für erforderlich?"
Frage 11: "Welche Situationen haben Sie erlebt?"

7 Weitergehende Fragestellungen aus derBedarfserhebung
7.1 Dienstjahre und subjektive Belastung
7.2 Dienstjahre und extreme Belastungssituationen
7.3 Dienstzweige und subjektive Belastung
7.4 Dienstzweige und extreme Belastungssituationen
7.5 Subjektive Belastungen in Abhängigkeit der geleisteten Dienstjahre im Streifendienst
7.6 Extreme Belastungen in Abhängigkeit der geleisteten Dienstjahre im Streifendienst
7.7 Die Frauen des Polizeipräsidiums Karlsruhe in der Bedarfserhebung

8 Schlußfolgerungen zu der Bedarfserhebung, den Tätigkeitsberichten, den bisher bestehenden Hilfsangeboten und den Erfahrungen der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe
8.1 Bedarfserhebung und Fragestellungen
8.2 Weitergehende Fragestellungen und Thesen
8.3 Tätigkeitsberichte
8.4 Bisherige Betreuungsinstanzen
8.5 Anforderungen an das Personal der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe
8.6 Anforderungen an die Gruppe
8.7 Anforderungen an die Ausbildung der PsychoSozialen Betreuer beim Polizeipräsidium Karlsruhe
8.8 Weiterentwicklung der konzeptionellen Grundlagen und der Betreuungstätigkeit

9 Schlußwort

1 Vorwort

Als Polizeibeamter im Streifendienst und später im Dienst der Kriminalpolizei beim Polizeipräsidium Karlsruhe war ich immer wieder mit Situationen konfrontiert, die mich faszinierten, weil sie außergewöhnlich und auf eine gewisse Weise auch anregend waren. Ich wußte aber nicht ganz genau, was diese Faszination und Anziehungskraft auslöste. Andererseits verspürte ich während der Ereignisse auch ein deutliches Unbehagen und meist erst nach dem Dienst wurde mir klar, wie belastend die Vorkommnisse für mich waren. Mit den Kolleginnen und Kollegen tauschte ich mich lediglich über die „Fälle“ aus, die dazu geeignet waren, dienstliche Erfahrungen zu teilen oder man gab die besonders spektakulären Ereignisse zum Besten. Warum sollten wir auch nach Wegen suchen, anders mit diesen Belastungen umzugehen, „so war es doch schon immer“ und „daran gewöhnt man sich“. Wenige Mutige unter meinen Kolleginnen und Kollegen sagten manchmal „das ist mir aber an die Nieren gegangen“ oder „diese Art von Aufgabe möchte ich am liebsten nicht mehr übernehmen, ich mache dafür lieber mehr von etwas anderem“. Sie wurden manchmal dafür verhöhnt und ausgelacht, nicht mehr als „vollwertige Kraft“ angesehen. Manche Kollegen wagten sich sogar soweit vor, zu behaupten, der oder diejenige sei dann nicht mehr für den Polizeidienst geeignet, wenn er/sie unter bestimmten Situationen leiden würde.

Als Suchtkrankenhelfer für die Bediensteten des Polizeipräsidiums Karlsruhe, wurde ich in Beratungsgesprächen immer häufiger damit konfrontiert, daß Klienten Konflikt-, Streß- oder Belastungssituationen im Dienst unmittelbar mit dem Mißbrauch von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen zu lindern versuchten. Andere destruktive Lösungsversuche belasteten die psychische Struktur der Klienten oft ebenso stark wie der Substanzmißbrauch.

Seit 1986 belegte ich Kurse in Transaktionsanalyse, machte eine Ausbildung in Klientenzentrierter Gesprächsführung und eine Ausbildung zum Suchtkrankenhelfer. Eine psychotherapeutische Zusatzausbildung schloß sich an. Von meinen Ausbildern lernte ich, daß belastende Einzelsituationen oder die Kumulation mehrerer Vorfälle nur unter einem hohen Einsatz psychischer Energie und unter Einsatz der psychischen und/oder körperlichen Gesundheit verdrängt werden können. Außerdem konnte ich lernen, eigenes Verhalten und auch belastende Situationen besser zu reflektieren. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn ich die Möglichkeit habe und bereit dazu bin, einen Teil der belastenden Ereignisse im persönlichen oder Gruppengespräch auszusprechen und sie mit anderen zu teilen. Dabei kann ich mich gleichzeitig auf künftige Situationen technisch und emotional besser vorbereiten.

Heute erscheint mir der frühere Umgang mit der dienstlichen Belastung wie ein schlechter Traum. Die PsychoSoziale Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe hat für Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit geschaffen, sich zu entlasten und den gesunden Abwehrmechanismus durch andauerndes Verdrängen belastender Erlebnisse nicht über Gebühr zu strapazieren. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Mut dazu haben, sich Hilfe zu holen, möchte ich danken, da sie neben ihrer professionellen Arbeit bei Schutz- und Kriminalpolizei die Idee der PsychoSozialen Betreuung unterstützt haben. Ich wage zu Beginn der Diplomarbeit die Behauptung aufzustellen, daß sie ihren Beruf selbstreflektierter und professioneller ausüben, mit ihrer Energie sinnvoller haushalten und ihre Gesundheit besser erhalten, letztlich auch motivierter an ihre Arbeit herangehen können.

Mein besonderer Dank gilt der Dienststellenleiterin, Frau Polizeipräsidentin Gerecke, die durch ihre weitsichtige und sehr konstruktive Unterstützung der Gruppe der PsychoSozialen Betreuer die Entwicklung ermöglicht hat. Damit hat sie die Voraussetzungen geschaffen, daß das Polizeipräsidium Karlsruhe die erste Polizeidienststelle in Baden-Württemberg war, die über eine funktionierende Einrichtung der kollegialen Hilfe über die Suchtkrankenhilfe hinaus verfügte.

Unterstützungs- und Entwicklungsarbeit haben auch die Mitglieder des Arbeitskreises Sucht, allen voran Herr Oberamtsrat Günther Butz, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Arbeitskreises zur Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsreaktionen, unter Federführung von Herrn Polizeioberrat Joachim Lautensack, geleistet, ohne die eine solche zukunftsweisende Entwicklung nicht möglich gewesen wäre.

Gleichzeitig möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gruppe der PsychoSozialen Betreuer für ihre geleistete Arbeit und ihre Bereitschaft danken, sich für die Sache und Idee einzusetzen. Durch die andauernden Diskussionen entwickelten sich die Grundlagen für die gemeinsame Arbeit, und die Aufgabenbereiche wurden von den Mitgliedern mit Leben erfüllt.

Frau Gabriele Hug, Pfarrerin der Paulus-Gemeinde in Karlsruhe und Polizeipfarrerin, war von der ersten Stunde an dabei und förderte durch ihr großes Engagement die Entwicklung der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe. Die Diskussionen mit ihr waren für mich wesentlich bei der Entwicklung der Konzeption.

Herr Polizeihauptkommissar Siegbert Hofheinz nahm innerhalb der Gruppe von Beginn an eine herausgehobene Position ein. Er fördert und stützt die Gruppe auch heute mit großem Einsatz und trägt nicht zuletzt durch sein organisatorisches Talent zum Gelingen von Treffen und Sitzungen bei. Er organisierte auch die Rückläufe der Fragebögen, nachdem ich bereits das Studium der Sozialpädagogik begonnen hatte. Ohne diese Unterstützung wäre diese Diplomarbeit nicht möglich geworden.

Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Dezernates Jugendkriminalität des Polizeipräsidiums Karlsruhe, die sehr viel Verständnis für meine häufige und teilweise kurzfristige Abwesenheit von der Arbeit beim Dezernat, aufbrachten und mir dadurch ermöglichten diese Aufbauarbeit und die Arbeit als Suchtkrankenhelfer zu leisten.

Mit der vorliegenden Diplomarbeit habe ich die Absicht, die Entwicklung und die Struktur der Hilfesysteme der Polizei in Baden-Württemberg und der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe darzustellen. Auf die Hilfesysteme in anderen Bundesländern möchte ich mich kurz beziehen. Im Hauptteil möchte ich die Auswertung eines Fragebogens zur Bedarfserhebung durchführen. Zuletzt möchte ich Schlußfolgerungen aus der Bedarfserhebung und den Erfahrungen der über dreijährigen Arbeit der Gruppe der PsychoSozialen Betreuer ziehen. Ich möchte Grundlagen für die Anforderungen an das Personal der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe, deren Ausbildung und die notwendigen strukturellen Voraussetzungen, Umgebungsfaktoren und deren Weiterentwicklung entwerfen und dabei die Grundlagen Sozialer Arbeit und bisheriger betrieblicher Hilfesysteme berücksichtigen.

2 Belastungssituationen im täglichen Dienst

Als eher "alltägliche" Belastung ist der Schichtdienst der Polizei zu nennen, der zwar durch die Einführung einer fünften Schicht humaner gestaltet wurde, aber dennoch unbestreitbar soziale, psychische und körperliche Belastungen mit sich bringt. Nachvollziehbar und belastend sind manchmal auch die Einsätze bei jedem Wetter, jeder Außentemperatur und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Belastend kann auch das Schlichten von Streitigkeiten zwischen Menschen auf der Straße, in der Kneipe oder am Wohnort („Hausstreit“) sein. Keiner der eingesetzten Beamten kann genau wissen, was auf ihn zukommt, wenn er zum Einsatzort fährt. Sie müssen auf alles gefaßt sein, auch auf eine Eskalation der Situation bis hin zum Waffengebrauch. Die körperliche und psychische Unversehrtheit sind in Gefahr. Beleidigungen und verbale Angriffe sind wohl das kleinste Übel und verlangen im Einsatz unter Streßeinfluß ein hohes Maß an Selbstbeherrschung ab. Körperliche Angriffe randalierender Personen sind zu befürchten. Die Reaktionen von Personen aus sozialen Randgruppen in aufgeheizten Situationen ist kaum abzuschätzen, besonders dann, wenn die Menschen unter Alkoholeinfluß stehen.

Wenn Opfer von Straftaten Anzeige erstatten, wird der Polizeibeamte mit Leid und Not der Menschen, mit psychischer und körperlicher Verletzung, mit Grenzüberschreitungen delinquenter Personen konfrontiert und sitzt dem Opfer gegenüber, dem er einerseits die Fakten entlocken und das er andererseits vor Überforderung schützen soll. Er begegnet häufig Menschen, die in ihren Grundrechten verletzt wurden und die darunter leiden. Der Polizeibeamte begibt sich bei jeder Anzeigenaufnahme mit dem Opfer in die Situation der Straftat, lebt sie ein Stück mit und teilt sie, bewußt oder unbewußt. Hier besteht die Gefahr einer sekundären Traumatisierung, nicht nur der Opfer einer Straftat, sondern auch des Polizeibeamten. Er trifft mit Menschen zusammen, die benommen von einem Verkehrsunfall oder Unglücksfall sind, die sich in psychischen und körperlichen Ausnahmesituationen befinden. Der Polizeibeamte wird dann gerufen, wenn Menschen sich in Grenzsituationen befinden und nicht mehr weiterwissen. Dann soll er einspringen und für die Beteiligten die Verantwortung übernehmen.

3 Außergewöhnliche Belastungssituationen

Für einige Dienstzweige sind die nachfolgenden Beispiele sicher auch tägliche Vorkommnisse, für viele jedoch außergewöhnliche Situationen. Diese Aufzählung kann bei der Vielseitigkeit der polizeilichen Aufgaben natürlich nur unvollständig ausfallen. Zu den außergewöhnlichen Belastungssituationen zählen wohl der Kontakt mit sterbenden Menschen, schwer verletzten Unfallopfern, toten Menschen bei Unfällen, Unglücksfällen, Gewalttaten und Selbsttötungen, Obduktionen, Ermittlungen von Todesursachen, auch nach längerer Liegezeit der Leichen. Zu nennen sind auch das Überbringen von Todesnachrichten, menschliche Schicksale nach Bränden, Kinder als Opfer von Straftaten und Unglücksfällen, schwerwiegende Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit, auch des Kollegen, Waffengebrauch, Vernehmungen bei schwerwiegenden Straftaten, Verfolgungs- und Einsatzfahrten. Eine besondere Belastungssituation für den Polizeibeamten könnte auch die Kumulation der gesamten Vorfälle im Laufe seiner Dienstzeit sein.[1]

4 Die Entwicklung von Hilfesystemen innerhalb der Polizei des Landes Baden-Württemberg

Der Vorgesetzte ist neben dem Kollegen der erste Ansprechpartner für den Hilfesuchenden im dienstlichen Bereich. Derjenige der unter besonderen Situationen im Dienst oder auch privat leidet, wird früher oder später auch versuchen, bei seinem Vorgesetzten Gehör zu finden. Die Vertreter von Personalrat und Gewerkschaften werden aufgrund ihrer hervorgehobenen Funktion in den Dienststellen als Beteiligter im Dienstrecht und als gewählter „Anwalt“ der Mitarbeiter von Hilfesuchenden angesprochen. Sie können auf Vertrauen in der Belegschaft bauen und als Bindeglied in der psychosozialen Betreuung mitwirken. Die Polizeiärzte [2] nehmen die Aufgaben eines „Betriebsarztes“ wahr und bekommen dabei natürlich auch einen Großteil der psychosozial zu betreuenden Beschäftigten zu Gesicht. Die Polizeiseelsorger der evangelischen und der katholischen Landeskirche in Baden-Württemberg [3] sind Pfarrerinnen und Pfarrer, die meist neben ihrer Gemeindearbeit für die Polizei zur Verfügung stehen. Diese Pfarrer sind durch ihren engen Kontakt zur Polizei häufig Ansprechpartner für belastete Beschäftigte und entlasten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer Arbeit beispielsweise durch Überbringen von Todesnachrichten. Die Suchtkrankenhelfer der Polizei arbeiten etwa seit 1990 bei verschiedenen Polizeidienststellen in Baden-Württemberg. Beim Polizeipräsidium Karlsruhe wurde eine Dienstvereinbarung zwischen Personalrat und Dienststellenleitung am 29.11.1991 geschlossen[4], welche die Interventionsschritte für Vorgesetzte und Dienststellenleitung bei Vorliegen des Verdachts einer Suchtgefährdung und Abhängigkeitserkrankung sowie die Arbeit des Suchtkrankenhelfers regelt. Seit 1995 besteht bei der Polizei in Baden-Württemberg ein flächendeckendes Netz von ausgebildeten Suchtkrankenhelfern. Die „Polizeipsychologen“ [5] wurden als kompetente Ansprechpartner für die Ausbildungseinrichtungen der Polizei aus Bereichen wie Psychologie/Psychiatrie eingestellt. Die intern "Polizeipsychologen" genannten Angestellten haben ihren Sitz in der Regel zentral bei den Ausbildungseinrichtungen und betreuen Auszubildende und Studenten. Die Betreuer der Polizei Baden-Württemberg erhielten Ende 1995 an den Polizeischulen eintägige oder dreitägige Schulungen[6], nach denen sie bei dienstlichen Extremsituationen zur Vorbeugung und Bewältigung von Posttraumatischen Belastungsstörungen[7] erste Beratungsgespräche führen und zum psychologischen Notdienst vermitteln konnten. Damals nahmen 50 Polizeibeamte aus Baden-Württemberg an diesen Schulungen teil. Die PsychoSoziale Betreuung des Polizeipräsidiums Karlsruhe entstand aus dem „Arbeitskreis zur Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsreaktionen nach dienstlichen Extremereignissen“. Die Ideen der beteiligten Vorgesetzten und interessierten Personen führten zu einem umfassendem sozialen Betreuungssystem[8], das für die Dienststelle seit Januar 1996 zur Verfügung steht. Die Betreuung setzt auf freiwilliger Basis niederschwellig ein, also unabhängig von extremen Belastungen der Hilfesuchenden. In dieser Gruppe sind zur Zeit 11 Personen organisiert, von welchen die meisten entweder die Schulungen an der Fachschule der Polizei, eine zwei Jahre dauernde, die Betreuungen begleitende Zusatzausbildung unter Leitung von Polizeipfarrerin Hug und mir abgeschlossen oder die Ausbildung zum Trainer in Konflikthandhabung begonnen haben. Die konzeptionelle Grundlage besteht seit 25.7.1996 und eine Dienstvereinbarung, die sich auf die Konzeption stützt, seit 21.7.1997[9]. Auf die Entwicklung und die Grundlagen möchte ich im Kapitel 7 eingehen. Das Polizeipräsidium Mannheim und die Polizeidirektion Heidelberg haben ebenfalls Anfang 1996 unter Leitung der Polizeiärztin Frau Dr. Grün-Stauber insgesamt drei Betreuungsteams von zusammen 26 Mitgliedern zusammengestellt. Die Teams arbeiten mit Unterstützung von Pfarrern und einer Psychologin, beschränken sich jedoch bis heute in erster Linie auf die Intervention bei extremen Belastungssituationen. Die Mitglieder der Gruppe sind zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Ausweitung der Betreuungen über extreme Belastungssituationen hinaus zu einer Überforderung der Betreuer führen werde. Das Kriseninterventionsteam der Polizeidirektion Pforzheim hat sich ab 1997, unter der Federführung von Polizeioberkommissar Günther Sommer vom Polizeiposten Büchenbronn, zunächst als Gruppe von 26 interessierten Beamtinnen und Beamten formiert. Diese Betreuer haben bisher keine Ausbildung erhalten. Nach längerem Diskurs mit der Leitung der Dienststelle stehen nun 12 Betreuer zur Verfügung. Die Kurse für Trainer in Konflikthandhabung und Krisenintervention werden seit Mitte 1997 an der Hochschule für Polizei Villingen-Schwenningen für interessierte Personen angeboten, die als Berater auf den Dienststellen fungieren sollen. Im Mai 1999 begannen die Ausbildungen für die Trainer, die ausbildungsbegleitend als Multiplikatoren andere interessierte Personen auf den Dienststellen für diese Tätigkeit vorbereiten und unterrichten sollen[10]. Die Legitimation für kollegenbezogene Soziale Arbeit innerhalb der Polizei ergibt sich aus grundlegenden ethischen Gesichtspunkten, der Fürsorgepflicht der Vorgesetzten für die Beschäftigten, der Notwendigkeit die Kosten für die gesundheitliche Versorgung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren und der "Binnen- und Außenwirkung"[11] kollegialer Hilfe bei der Polizei. Sie ergibt sich somit nicht direkt und ausschließlich aus der Akzeptanz durch die Beschäftigten. Rechtliche Grundlagen für die Entwicklung des Hilfesystems innerhalb der Polizei sind über grundlegende ethische Überlegungen hinaus, unter anderem die Bestimmungen über die Fürsorgepflicht von Dienstherr und Vorgesetzten im Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg und die Anweisung des Innenministeriums Baden-Württemberg, Landespolizeipräsidium, zur Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsreaktionen nach dienstlicher Extremsituationen vom Mai 1995[12]. Die Schweigepflicht der Betreuer beim Polizeipräsidium Karlsruhe gegenüber Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten gründet sich auf die Dienstvereinbarung zwischen Dienststellenleiterin und Personalrat. Die Strafverfolgungspflicht des Betreuers im Sinne des § 163 Strafprozeßordnung[13] für Straftaten, die der Klient dem Betreuer während der Betreuungsgespräche anvertraut, bleibt meiner Ansicht nach erhalten, da er die Betreuungstätigkeit im Bezug auf seinen Dienst wahrnimmt. Insbesondere wird er von der Leitung der Dienststelle für die Betreuungstätigkeit eingesetzt, vom Dienst für die Zeit der Tätigkeit freigestellt und erhält seine Bezüge auch für die Zeit der Betreuung[14]. Die Strafverfolgungspflicht ist meiner Ansicht nach auch dann nicht aufgehoben, wenn das Gespräch im privaten Umfeld des Klienten oder des Betreuers stattfindet. Die PsychoSozialen Betreuer des Polizeipräsidiums Karlsruhe können sich auch nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Strafprozeßordnung berufen, da sie nicht als direkte Hilfskräfte von Polizeipfarrerin Gabriele Hug und deren seelsorgerischer Tätigkeit fungieren[15]. Ausgenommen von dieser Regelung und damit unter dem Schutz des Zeugnisverweigerungsrechtes stehend, sind die Gespräche, die geführt werden, um den Klienten an die Polizeipfarrerin zu vermitteln. Dabei handelt es sich in der Regel um Gespräche im Zusammenhang mit Vorkommnissen, die für den Beamten straf- oder disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Die Betreuer sind als Amtsträger gleichzeitig Geheimnisträger im Sinne des § 203 Absatz 2 Strafgesetzbuch[16] zur Geheimhaltung privater und geschäftlicher Geheimnisse, also auch verpflichtet die während der Betreuungstätigkeit erlangten Erkenntnisse anderen nicht mitzuteilen. Dies bezieht sich zum Beispiel auf die Tatsache, daß Beratungsgespräche oder eine Psychotherapie stattgefunden haben. Ich hoffe, daß diese Ausführungen rein theoretischer Natur bleiben werden und eine gerichtliche Güterabwägung hinsichtlich des Anspruchs des Staates auf Strafverfolgung und der schützenswerten Belange des zu betreuenden Klienten nie stattfinden muß. Weitere Überlegungen zu den rechtlichen Grundlagen der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe möchte ich hier, auch im Hinblick auf disziplinarrechtliche Gesichtspunkte, nicht anstellen.

5 Entwicklung der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe

In diesem Abschnitt möchte ich die Phasen der Entwicklung der PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe darstellen. Die Darstellung der einzelnen Phasen erscheint notwendig, um aufzuzeigen, wie sich die Anforderungen an die Betreuer, an die Gruppe, an die Ausbilder und die Inhalte der Ausbildung entwickelt und manifestiert haben. Aus diesem Fortgang sollen Schlüsse für die Weiterentwicklung der konzeptionellen Grundlagen entwickelt werden.

Im Arbeitskreis Sucht wurde seit Anfang 1995 über die Zusammenhänge von Abhängigkeitserkrankungen und dienstlichen Belastungssituationen und über eine notwendige Ausweitung der Arbeitsfelder der Suchtkrankenhelfer diskutiert[17]. Am 9.8.1995 konstituierte sich die Arbeitsgruppe „Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsreaktionen bei Polizeibeamten“[18] beim Polizeipräsidium Karlsruhe, nachdem ein Merkblatt des Innenministeriums Baden-Württemberg[19] auf diese Problematik hingewiesen hatte. In dieser Arbeitsgruppe waren die Dienststellenleiterin, die Leiter der Abteilungen Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Verwaltung, Mitglieder des Personalrates und Gewerkschaftsvertreter, Vertreter der Personalverwaltungen, der Schwerbehinderten, Polizeipfarrerin Frau Hug, die Suchtkrankenhelfer sowie interessierte Personen vertreten. Aus der Arbeitsgruppe entwickelte sich nach längeren Diskussionen die Idee, das Merkblatt des Innenministeriums für das Polizeipräsidium Karlsruhe in erster Linie für alltägliche Belastungssituationen umzusetzen, da dies wohl das hauptsächliche Tätigkeitsfeld, neben extremen Belastungssituationen, für eine Betreuergruppe darstellen würde. Gleichzeitig wurde diskutiert, wer diese Betreuungsaufgaben übernehmen könnte und wie damit begonnen werden sollte.

5.1 Stuhlkreis in der Paulus-Pfarrei

Nach der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe „Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsreaktionen bei Polizeibeamten“[20] konstituierte sich ein Kreis von zunächst 6 Personen, die an der Betreuung der Kolleginnen und Kollegen interessiert waren. Dazu gehörten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern und Laufbahnen der Polizei. Mit dabei war von Anfang an die Frau Hug von der Paulus-Pfarrei in Karlsruhe, die auch das „Hüttle“, den Bibliotheksraum der Pfarrei, als Tagungsort zu Verfügung stellte. Wir wollten uns durch äußeren Wechsel an einen "neutralen Ort" von dem bisherigen Umgang mit unseren dienstlichen Belastungssituationen entfernen. Die Gruppe wuchs schnell auf 11 Personen an. Wir wollten in den 14-tägig stattfindenden Diskussionen klären, welche Hilfe wohl für eine Betreuung von Polizeibeamten in Belastungssituationen erforderlich und möglich ist und welche Voraussetzungen Personen erfüllen müssen, die eine solche Betreuung übernehmen. Außerdem wollten die Mitglieder der Gruppe herausfinden, ob sie selbst Betreuungsarbeit übernehmen könnten. Wir kamen sehr schnell zu unserem wichtigsten Ergebnis, daß wir zunächst unsere eigenen Belastungen im Dienst reflektieren müßten, wenn wir mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über deren Belastungen sprechen wollen. Es wurde immer klarer, daß die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstreflexion eine erste Grundlage für die Arbeit darstellen mußte. Diese Selbstreflexionen, die von Frau Hug und mir nach Abstimmung mit der Gruppe geleitet wurden, brachten uns schnell zu der Erkenntnis, dass nahezu jeder der Anwesenden unverarbeitete dienstliche Erlebnisse kannte, die ihn vermutlich in seinem Wohlbefinden und seiner Leistungsfähigkeit im Dienst beeinträchtigten. Erste Techniken der Klientenzentrierten Gesprächsführung[21] für ein Beratungsgespräch konnten wir während dieser „geleiteten Selbsthilfegruppe“ selbst erfahren und erlernen. Frau Hug und ich hatten eine solche Ausbildung abgeschlossen. Durch das Erlernen während der Selbstreflexion erwuchs den Beteiligten nach und nach eine grundlegende Sicherheit im Umgang mit belasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Anforderungen an die Gruppe ließen nicht lange auf sich warten, da die ersten Hilfesuchenden sich schon gemeldet hatten. Die Gesprächsübungen, Theorieeinheiten und Entwicklungsarbeiten der Betreuung sowie konzeptionelle Fragen sprengten sehr bald den Rahmen der 14-tägigen Gesprächsgruppen, sodass wir uns entschieden, uns in Blockseminaren am Wochenende, im Abstand von zwei Monaten, mehr Zeit für die Ausbildung zu nehmen.

5.2 Namensfindung

Wir kamen überein, daß wir uns einen passenden, möglichst einprägsamen und kurzen Namen für die Gruppe einfallen lassen müssen. Die „Arbeitsgruppe zur Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsreaktionen bei Polizeibeamten“ erschien uns dafür denkbar ungeeignet. Wir nannten uns intern zunächst Beratergruppe, stellten aber sehr schnell fest, daß die Tätigkeit über den Begriff „Sozialberatung“[22] weit hinausging, da mit der Fürsorge noch andere Hilfen als die Beratung verbunden waren. Ich schlug deshalb den Namen „PsychoSoziale Betreuung“ für Handeln, Gruppe und Betreuer gleichermaßen vor, welcher als Kombination von „Beratung, Verhandlung, Intervention, Vertretung und Beschaffung“ am deutlichsten die umfassende „Fürsorge“ beschrieb[23]. Dies löste selbst in der Gruppe zunächst große Widerstände aus. Die Teilnehmer waren der Meinung, dies wäre ein zu hoher Anspruch an die Gruppe und die Betreuer fühlten sich dadurch überfordert. Ich selbst argumentierte immer wieder, daß wir seelischen Beistand leisten würden und dieser Beistand in das soziale Gefüge der Polizei und des privaten Umfeldes des Betroffenen eingebettet sein müsse, um effektiv zu sein. Deshalb war mir wichtig, durch die außergewöhnliche Schreibweise „PsychoSozial“ anschaulich zu machen, daß die Schwerpunkte der Betreuungsarbeit gleichmäßig gewichtet sind und so der Name gleichzeitig Programm sein könnte. Andere Namensvorschläge wie „Sozialberater“ griffen uns zu kurz. „Krisenhelfer“ oder „Krisenteam“ wurden verworfen, weil die Betreuung der Beamten weit über eine „Krise“ hinausging und dieser Begriff unserer Ansicht nach die subjektive Schwelle des Zugangs zur Betreuung unnötig erhöhen würde. Wir wollten uns schließlich auch nicht aus dem Sozialgefüge des Polizeipräsidiums als besondere "Krisenmanager" herausheben, sondern weiterhin integrativer Bestandteil des organisatorischen Aufbaus des Polizeipräsidium Karlsruhe bleiben. Die Schwierigkeiten der Identifizierung der Gruppenmitglieder, vor allem mit dem Teilbegriff „Psycho-„ legte sich mit der Zeit vor allen Dingen auch deshalb, weil den Gruppenmitgliedern immer klarer wurde, daß wir uns während der Schulungseinheiten und Betreuungen notwendigerweise genau in diesem Bereich, der menschlichen Psyche, bewegten und wir dies auch offen aussprechen konnten. Schließlich einigten wir uns auf den Namen PsychoSoziale Betreuung.

5.3 Entwicklung der Konzeption

Die Konzeption der "Beratergruppe" entwickelte ich zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Tätigkeit, sodass die Diskussionen um den Namen noch nicht abgeschlossen waren. Wir nannten uns noch "Beratergruppe". Der erste Entwurf zur Konzeption stammt vom 25.7.96. Ich hatte ihn aus den bisherigen Erkenntnissen in der Suchtberatung für die Bediensteten des Polizeipräsidiums Karlsruhe, den Erkenntnissen der Suchtberater bei den Polizeidienststellen in Baden-Württemberg und in Deutschland, der Sozialarbeiter der Polizei in Rheinland-Pfalz und in Frankfurt/Main, des "Arbeitskreises Betriebliche Sozialarbeit im Raum Karlsruhe und Mannheim" (zusammengeschlossen im „AK betriebliche Sozialarbeit“), den Entwicklungen des Programmes der Sozialberater bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen[24], den Fortbildungen und Fachtagungen entwickelt. Eine niedergeschriebene Konzeption war jedoch bei den Institutionen der Polizei nicht vorhanden oder sie unterschied sich in grundlegenden Anforderungen von der Zielsetzung der Karlsruher Gruppe. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hatte ein gut funktionierendes Hilfesystem für alle Landesbehörden entwickelt und die "Sozialen Ansprechpartner" gleichzeitig ausgebildet, ohne die Konzeption aber speziell auf die Anforderungen der Polizei abzustimmen. Bei den größeren Dienststellen in Rheinland-Pfalz wurden fünf Sozialarbeiter eingestellt, in Frankfurt am Main eine Sozialarbeiterin, die jedoch keine geschulten Laien für die psychosoziale Betreuung zur Seite haben. Die anderen Bundesländer verfügten entweder über ein System von Suchtkrankenhelfern, boten geleitete Selbsthilfegruppen an, hatten wie in Baden-Württemberg Psychologen angestellt oder hatten einen Sozialdienst im Aufbau[25]. Teilweise bestanden sogar Konzeptionen für die ambulante Therapie von Suchtkranken[26], die betrieblichen Betreuer sind jedoch, wie eine Studie zur Praxis betrieblicher Sozialberatung[27] zeigt, vorwiegend auf Suchtberatung ausgerichtet.

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Firmen Bosch und Siemens in Karlsruhe hatten ebenfalls kein kollegiales Betreuungssystem aufgebaut. Literatur war, mit Ausnahme der zuletzt genannten Studie zu betrieblicher Sozialberatung, deren Ausfertigung aus Görlitz stammt, nicht vorhanden oder aufzufinden. Diese Studie, wie auch die Richtlinien der Sozialbetreuung innerhalb der Deutschen Bundespost[28], bezogen sich auf Konzeptionen mit angestellten Sozialarbeitern.

Ich war deshalb gezwungen, die Konzeption für Karlsruhe und die Anforderungen an ein kollegiales Hilfesystem innerhalb der Polizei neu zu entwickeln. Aus dem Entwurf, den ich der Dienststelle vorgeschlagen hatte, entstand die Dienstvereinbarung für das Polizeipräsidium Karlsruhe[29]. Teile des Entwurfes möchte ich hier vorstellen, um die ersten Grundlagen deutlich zu machen und um Teile Konzeption am Schluß der Arbeit weiter zu entwickeln und den aktuellen Erkenntnissen anzupassen:

Tätigkeitsfelder der Beratergruppe

Hilfe für Kolleginnen und Kollegen

bei

- dienstlichen Belastungen, die sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken,
- außergewöhnliche Belastungen im Bezug auf den Dienst (z.B. Suizid eines Kollegen, Rückkehrhilfe nach längerer Abwesenheit vom üblichen Dienstort)
- Langzeiterkrankung (mehr als 6 Wochen und häufigere Erkrankung),
- Hinweisen auf Suchtmittelmissbrauch,
- Konflikten der Beschäftigten in bestimmten Arbeitsbereichen (fall- und prozessbezogen),
- sonstigen „persönlichkeitsfremden“ Auffälligkeiten (Begehung von Straftaten, sozialer Rückzug).

Kontaktaufnahme und Halten des Kontaktes

zu psychisch stark belasteten Kolleginnen und Kollegen, Begleitung des Genesungsprozesses, Hilfestellung bei der Suche nach Fachärzten und therapeutischer Hilfe.

Hilfe

zur professionellen Ausübung des Berufes, der betreuten Kolleginnen und Kollegen in Verbindung mit Gesprächsübungen und Konflikttraining („Bürgernähe“).

Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsstörungen

Hilfe für Vorgesetzte

durch vermittelnde Interventionen bei innerdienstlichen Konflikten und dauerhaften belastenden Konflikten mit auffälligen Mitarbeitern.

Kurzbetreuung der Angehörigen von Kolleginnen und Kollegen bei

- Dienstunfällen,
- Abhängigkeitserkrankungen

Entwicklung eines Gesundheitsförderungskonzeptes für die Dienststelle

- Erkennen, Bearbeiten und Vermeiden von krankheitsverursachenden Faktoren,
- Motivation zur Vorbeugung und Gesunderhaltung insbesondere bei überdurchschnittlicher Belastung (z.B. Schichtdienst, VUD, Zugriffseinheit)
- Prävention und Hilfe bei psychosomatischen Erkrankungen und Suchtentwicklungen
- Krankenbetreuung als Teil einer ganzheitlichen Gesundheitsförderung
- Motivation zu konstruktivem Umgang der Mitarbeiter untereinander

Kosteneinsparung

Die Beratergruppe sieht sich in erster Linie als Bindeglied und Vermittler zwischen Dienststelle und Beschäftigten, den Beschäftigten untereinander und den Mitarbeitern mit psychosozialen und medizinischen Diensten. Das Abfangen konkreter Belastungen und die unter Umständen notwendige Vermittlung zu Fachärzten und zur ambulanten Psychotherapie steht bei der Arbeit im Vordergrund. Durch die Kenntnisse der Beratergruppe kann eine bestehende Hemmschwelle gegen die Inanspruchnahme interner und externer Angebote zur Gesundheitsförderung herabgesetzt werden, was auf Dauer zu einer Entlastung der Dienststelle im psychosozialen und im finanziellen Bereich (Kosten für Rehabilitation) führen kann.

Verringerte Fehlzeiten

Die Beratergruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die Dauer der Beratungen auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken. Durch gezielte Interventionen ist eine Reduzierung der Fehlzeiten der Mitarbeiter der Dienststelle, eine Entlastung der Dienststelle insgesamt und damit eine erhöhte Präsenz zu erreichen.

Sozialbetreuung als Brücke[30] Mitarbeiter - Dienststelle

Imagepflege der Dienststelle

durch Darstellung als sozial fürsorgliche Dienststelle

Ausgangspunkt für die Tätigkeiten

der Beratergruppe sollte der beim PP Karlsruhe bestehende „Arbeitskreis zur Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsreaktionen“ werden, an dem in Zukunft alle Entscheidungsträger des PP und der LPD Karlsruhe beteiligt sein sollten, um das Tätigkeitsfeld zu entwickeln. Die Beteiligung erscheint notwendig, um einen breiten Konsens für das Tätigkeitsfeld zu finden.

Nachdem die Beratergruppe und die Dienststelle genügend Erfahrung gesammelt haben und die Vorgehensweise im Einzelfall Gemeinsamkeiten deutlich werden läßt, sollten die Erkenntnisse des Arbeitskreises in einer gemeinsamen Festschreibung der Tätigkeiten münden. Diese Vorgehensweise erscheint aufgrund der Erfahrungen im psychosozialen Bereich und insbesondere im Bereich der Suchtberater des Landes B.-W. sinnvoll, damit nicht zu früh eine theoretische und nicht praktikable Arbeitsgrundlage geschaffen wird, die ständig an die Erfordernisse angepaßt werden müßte. Als erste Arbeitsgrundlage der Beratergruppe genügt nach den bisherigen Erfahrungen der Konsens der Entscheidungsträger.

Mögliche Instrumente der Beratergruppe

- Beratungsgespräche persönlich einzeln (bis zu ca. fünf Gesprächen) und telefonisch
- Briefliche Kontaktaufnahme (z.B. Langzeitkranke)[31]
- Telefonsprechstunde einmal wöchentlich 2 Stunden
- Vorträge und Informationsveranstaltungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung
- Vorgesetztenschulung zur betrieblichen Gesundheitsvorsorge
- Gruppengespräche von Dienstzweigen und Dienstgruppen bei belastenden dienstlichen Situationen

Was die Beratergruppe nicht leisten will

Die Beratergruppe will nicht die Fürsorgepflicht und Verantwortung der Vorgesetzten für die Mitarbeiter schmälern oder abnehmen, sondern sie bei der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht unterstützen. Die Beratergruppe maßt sich nicht an, über die zeitlich und zahlenmäßig begrenzten Beratungstermine hinaus therapeutisch tätig zu werden.

5.4 Ablaufplan einer Betreuung

Der Ablaufplan eine PsychoSozialen Betreuung beim Polizeipräsidiums Karlsruhe ist als Anlage 1 der Diplomarbeit angeschlossen. Daraus sollen sich der Prozeß der Betreuung, die Vermittlungswege und die Stellen, zu denen in der Regel vermittelt wird, im Überblick ergeben. Nachdem ich den Ablaufplan erstmals Anfang 1997 erstellt hatte, habe ich ihn im Rahmen der Diplomarbeit abgeändert. Insbesondere wurde durch die Tätigkeitsberichte aus den Jahren 1997 und 1998 deutlich, daß eine PsychoSoziale Betreuung beim Polizeipräsidium Karlsruhe in 50 - 70 % der Fälle bereits nach den ersten Beratungsgesprächen endet und keine weitergehende fachliche Hilfe erforderlich ist. Dies wurde zusammen mit den Vermittlungswegen in der Grafik deutlicher herausgestellt. Weitergehende Sozialpädagogische Maßnahmen, wie Beratung, Verhandlung, Vertretung, Beschaffung[32] und Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß wurden bisher durch die Mitglieder der PsychoSozialen Betreuung durchgeführt.

5.5 Konzeption der Fortbildung der Betreuergruppe

Nachfolgend möchte ich die Inhalte der Ausbildung der PsychoSozialen Betreuer beim Polizeipräsidium Karlsruhe darstellen, um die konzeptionelle Grundlage später anhand der Erkenntnisse dieser Arbeit weiterentwickeln zu können. Gesprächsübungen und Supervision nahmen den größten Raum in der Ausbildung ein, sie werden in den monatlichen Supervisionstreffen und Fortbildungsveranstaltungen der Betreuer fortgesetzt, insbesondere im Bezug auf die Erkenntnisse aus der Diplomarbeit.

- Gesprächsübungen
- Supervision (fall- und prozeßbezogen)
- Selbsterfahrung der eigenen Belastungen
- Selbstreflexion des Handelns als Helfer
- Entspannungsverfahren ( z.B. autogenes Training[33], progr. Muskelrelaxation[34], Atemübungen)
- Kommunikationsmodelle (zum Beispiel Transaktionsanalyse[35] ) und theoretische Grundlagen der Klientenzentrierten Gesprächsführung[36]
- Belastungen im täglichen Dienst
- Akute Belastungsreaktion[37], Posttraumatische Belastungsstörung[38]
- Streßbelastung und Mißbrauch von psychotropen Substanzen
- Suchtverhalten und Genußfähigkeit
- Abhängigkeitserkrankungen/Süchte und Besonderheiten der Gesprächsführung
- Motivation der Klienten zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe
- Psychopathologie
- Psychosomatische Medizin
- Therapieschulen und ambulante sowie stationäre Therapieverfahren
- Heilpraktikergesetz und Psychotherapeutengesetz (Grenzen der Beratung/Betreuung)
- Klassifikationssysteme psychischer Störungen (ICD 10 und DSM III)
- Möglichkeiten und Grenzen einer betrieblichen psychosozialen Betreuung und Gesundheitsförderung
- Entwicklung/Weiterentwicklung eines Konzeptes der betrieblichen Gesundheitsförderung
- Vermittlungsverfahren zu ambulanten Psychotherapien (Ablauf, Kosten, Kostenübernahme)
- Sozial- und Entwicklungspsychologie
- Aktuelle Veränderungen und Entwicklungen im psychosozialen Bereich, die Auswirkungen
- auf die Tätigkeit der Betreuer haben (Erkenntnisse aus Studien und Tagungen)

[...]


[1] Die alltäglichen und außergewöhnlichen Belastungssituationen schildere ich aus meiner 19jährigen Dienstzeit bei der Polizei; Hinweise auf die Auswirkungen extremer dienstlicher Belastungssituationen gibt: Gasch, Ursula; Auswirkung und Verarbeitung von Belastungen im Polizeidienst; Diplomarbeit an der Universität Tübingen, Institut für klinische und physiologische Psychologie;1997; eine ergänzende Studie befindet sich zur Zeit in der Auswertung: Gasch, Ursula; Überprüfung der Validität eines Instuments zur Messung der Auswirkung und Verarbeitung traumatisierender Erlebnisse im Polizeidienst; Dissertationsarbeit an der Universtät Tübingen, 1998

[2] Bei der Recherche zur Quelle für die Arbeit der Polizeiärzte, einer Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg, war ich bisher leider erfolglos.

[3] auch: Evangelischer Oberkirchenrat; Grundordnung vom 12.9.1990, §§ 74 und 127 Abs. 2 Nr. 10, Seite 145, und Ordnung der kirchlichen Polizeiarbeit in der Fassung vom 9.5.1995

[4] Polizeipräsidium Karlsruhe, der Vorsitzende des Personalrates, Herr Cramer, und die Dienststellenleiterin, Frau Polizeipräsidentin Gerecke; Dienstvereinbarung zur Gesundheitsvor- und –fürsorge für suchtgefährdete und suchtkranke Mitarbeiter; Karlsruhe 1991

[5] Innenministerium Baden-Württemberg, Landespolizeipräsidium; Merkblatt zur Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsstörungen nach Extremereignissen im Polizeidienst, eine Information für Betroffene, Lebenspartner, Kollegen, Vorgesetzte; Stuttgart, 1995; S. 7

[6] Thum, Oberpsychologierat, Landespolizeischule Freiburg; Programm zur Arbeitstagung "Posttraumatische Belastungsreaktionen"; Freiburg, 1995

[7] Weltgesundheitsorganisation; a.a.O. F 43.1

[8] Lüssi, Peter; Systemische Sozialarbeit: Stuttgart 1995; S. 466

[9] Polizeipräsidium Karlsruhe, Personalrat; Dienstvereinbarung zwischen der Dienststellenleitung, Frau Polizeipräsidentin Gerecke und dem Personalrat, Herrn Cramer, zur Psychosozialen Betreuung von Beschäftigten des Polizeipräsidiums Karlsruhe, Karlsruhe, 1997

[10] Buchmann, K.E.; Koordinierungsstelle für Konflikthandhabung, Curriculum für die Trainerausbildung: Konflikthandhabung/Krisenintervention, Villingen-Schwenningen, 1998

[11] Vogt, Martin; Binnen- und Außenwirkung als Legitimation von kollegenbezogener Sozialer Arbeit im Polizeibereich; Diplomarbeit im Fachbereich Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln; St. Augustin, 1993

[12] Innenministerium Baden-Württemberg, Landespolizeipräsidium; a.a.O.

[13] Strafprozeßordnung Deutschland, Bundesgesetzblatt I S. 1074, vom 7.4.1987, zuletzt geändert durch Bundesgesetzblatt vom 7.9.1998

[14] im Gegensatz hierzu: Würz, K., Landespolizeischule Baden-Württemberg, Rechtsfragen im Zusammenhang mit Betreuungsmaßnahmen, Freiburg, 1995, Seiten 3 und 4

[15] Kleinknecht und Meyer-Goßner; Kommentar zu § 53 Strafprozeßordnung; im Gegensatz hierzu: Würz, K., Landespolizeischule Baden-Württemberg, Rechtsfragen im Zusammenhang mit Betreuungsmaßnahmen, Freiburg, 1995, Seiten 4 und 5

[16] Strafgesetzbuch Deutschland, Bundesgesetzblatt I, Seite 3322, in der Fassung vom 13.11.1998

[17] zum Bedingungsgefüge Droge - Sozialfeld - Individium: Feuerlein, Wilhelm; Alkoholismus - Mißbrauch und Abhängigkeit; Stuttgart 1989, S.12 und zur Arbeitssituation S.65f

[18] Lautensack, Joachim, Polizeioberrat, Polizeipräsidium Karlsruhe – Inspektion Verkehr; Protokoll der 1. Sitzung der Arbeitsgruppe „Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsreaktionen bei Polizeibeamten“; Karlsruhe, 1995

[19] Innenministerium Baden-Württemberg, Landespolizeipräsidium; a.a.O.

[20] Lautensack, Joachim, Polizeioberrat, Polizeipräsidium Karlsruhe – Inspektion Verkehr; Protokoll der 3. Sitzung der Arbeitsgruppe „Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsreaktionen bei Polizeibeamten“; Karlsruhe, 1995

[21] Weinberger, Sabine; Klientenzentrierte Gesprächsführung; Basel, 1992

[22] Lüssi, Peter; a.a.O; S. 52

[23] Lüssi, Peter; a.a.O. S. 460

[24] Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen; Soziale Ansprechpartner, Darstellung und Entwicklung des Projektes, Bonn 1994

[25] Bohlender, Frank; Übersicht über die Hilfesysteme für Beschäftigte der Polizeien der Länder und des Bundes; Karlsruhe 1997

[26] Sozialtherapeutischer Dienst der Behörde für Inneres; Konzeption für die ambulante Entwöhnung für Suchtkranke; Hamburg 1995

[27] Lau-Villinger, Doris (Herausgeber); Betriebliche Sozialberatung; Frankfurt 1993; Seite 16

[28] Deutsche Bundespost; Richtlinien für die Sozialbetreuung bei der Deutschen Bundespost; Amtsblatt Nr. 98, 1963

[29] Polizeipräsidium Karlsruhe, Personalrat; Dienstvereinbarung zwischen der Dienststellenleitung, Frau Polizeipräsidentin Gerecke und dem Personalrat, Herrn Cramer, zur Psychosozialen Betreuung von Beschäftigten des Polizeipräsidiums Karlsruhe, Karlsruhe, 1997

[30] Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen; Soziale Ansprechpartner - Brücken bauen - Kolleginnen und Kollegen helfen; Ort und Datum nicht auf dem Script verzeichnet

[31] Meyer, Norbert; Sozialberatung der Siemens AG; in: Lau-Villinger, Doris; a.a.O. Seite 67

[32] Lüssi, Peter; a.a.O. S. 392ff

[33] Schultz, Johann, Heinrich; Das autogene Training; Stuttgart, 1991

[34] Wolf, Doris/Merkle, Rolf; Tiefenentspannung nach Jacobsen; Mannheim 1996

[35] Berne, Eric; Transactional Analysis in Psychotherapie; New York, 1961

[36] Weinberger, Sabine; a.a.O.

[37] Weltgesundheitsorganisation; a.a.O., F. 43.0

[38] Weltgesundheitsorganisation; a.a.O., F. 43.1

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Aufbau eines psychosozialen Betreuungsdienstes für Polizeibeamte in dienstlichen Belastungssituationen
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen, früher: Berufsakademie Villingen-Schwenningen  (Fachbereich Sozialpädagogik)
Note
1,7
Autor
Jahr
1999
Seiten
81
Katalognummer
V4176
ISBN (eBook)
9783638125956
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Harald Martin (Autor:in), 1999, Aufbau eines psychosozialen Betreuungsdienstes für Polizeibeamte in dienstlichen Belastungssituationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4176

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