Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historie der Grundschule und ihre Kindheitsbilder
2.1 Die Vorgeschichte der Grundschule (bis 1919)
2.1.1 Bilder von Kindheit – Kindheitsbilder
2.2 Die Grundschule während der Weimarer Republik (1920 - 1933)
2.2.1 Bilder von Kindheit – Kindheitsbilder
2.3 Die Grundschule während des Nationalsozialismus (1933 - 1945)
2.3.1 Bilder von Kindheit – Kindheitsbilder
2.4 Die Grundschule während der Rekonstruktion (1945 - 1965)
2.4.1 Bilder von Kindheit – Kindheitsbilder
3. Fazit
4. Literatur
1. Einleitung
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Kind- und Kindheitsbilder anhand der Geschichte der Grundschule ablesbar sind. Diesem Vorhaben liegen drei zusammenhängende Thesen zu Grunde. Erstens, anhand einer historischen Betrachtung der Grundschulentwicklung in Deutschland, werden Kindheitsbilder widergespiegelt. Hiermit zusammenhängend zweitens die Annahme, dass diese Kindheitsbilder wiederum für „die Entwicklung von (Grund-)Schule“ (Hein 2006: 61) bedeutsam waren und diese beeinflussten. Der Blick auf die Geschichte der Grundschule steht somit in einem engen Verhältnis zu Bildern von Kindern und Kindheit. Hein (2006) formuliert treffend, dass sich erst durch die Wahrnehmung der Kindheit „...als eigenständige Lebensphase mit ganz spezifischen Bedürfnissen...“ (Hein 2006: 74) in „...Konsequenz eine Pädagogisierung dieser ersten Lebensphase des Menschen, konkret in der Entstehung der Schulen.“ (Hein 2006: 74) entwickelte und zeigte. Drittens, Kindheitsbilder unterliegen generell den gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen und Bedingungen.
Diese Arbeit konzentriert sich auf die Geschichte der Grundschule im Zeitraum von ca. 1850 bis 1965. Als Basis dient der Text von Götz Sandfuchs (2014). Auf Grund fehlenden Platzes und dem geringen Rahmen der vorliegenden Arbeit, wird auf eine Bestandsaufnahme früherer und späterer Geschichte(n) der Grundschule verzichtet. Es wird darauf verwiesen, dass nur Aspekte der historischen Entwicklung angesprochen werden und die Darstellungen vereinfacht sind.
Trotzdem ein historischer Blick auf die Geschichte der Grundschule geworfen wird, gilt es nicht, eine historische Betrachtung der Kindheitsbilder anzufertigen. Vielmehr ist es die These, dass „...Bilder von Kindern und Begriffe von Kindheit [...] in starkem Maße von der Konstruktionsleistung Erwachsener abhängig“ (Deckert-Peaceman et al. 2010: 29) sind und einem dauernden „historischen Wandel“ (Deckert-Peaceman et al. 2010: 29) unterliegen. Diese Konstruktionen von Kindheit im historischen Wandel möchte diese Arbeit in Aspekten ableiten, zusammentragen und benennen.
2. Historie der Grundschule und ihre Kindheitsbilder
Als Hochphase der Kindheit wird aus „Perspektive der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung“ (Hein 2006: 64) der Beginn des 20. Jahrhunderts definiert. Zwischen 1850-1950 „...hatte sich die Kindheit als eigenständige Phase durchgesetzt und war als solche anerkannt.“ (Hein 2006: 64). Anhand von Äußerlichkeiten wie Kinderkleidung, Kinderspielzeug, Kinderzimmer und Kinderliteratur manifestiert sich nach Hein diese Annahme (Vgl. Hein 2006: 64). Weiter noch zeigt sich, mit beginnendem Interesses der Forschung und Wissenschaft (Vgl. Hein 2006: 64) an der Lebensphase Kindheit, dass es sich um eine von den Erwachsenen unterscheidbare Phase im Leben eines Menschen handelt. Die Geschichte der Grundschule beginnt noch vor ihrer Entstehung und der juristischen Manifestation in der Weimarer Verfassung, wie im unter 2.1 und 2.2 dargestellt.
2.1 Die Vorgeschichte der Grundschule (bis 1919)
Götz Sandfuchs (2014) bezeichnen die Geschichte der Grundschule bis 1919 als ihre Vorgeschichte. Bis 1920 gab es keine staatlichen, öffentlichen Grundschulen für alle Kinder. Diese Vorläuferschulen sind Bildungseinrichtungen der höheren Lehranstalten bzw. niedere Schulen der Elementar- und Volksschule. Diese Zweiteilung des Schulwesens drückt die gesellschaftliche Division in höhere und niedere gesellschaftliche Stände wider (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 32). Die Volksschule ist öffentlich. Ihr Ziel ist es den Kindern eine Grundbildung zu geben. Es ist nicht Absicht dieser Schulform, die Kinder auf das höhere und weiterbildende Schulwesen vorzubereiten. Stattdessen sollen herrschaftskonforme Untertanen und Arbeiter erzogen werden (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 32). Anders im höheren Schulwese, das im privaten Sektor zu verorten ist. Eltern zahlen teils horrende Schulgelder, so dass ihre Kinder auf den Besuch der weiterführenden Schule vorbereitet werden. Die privaten (Grundschulen) haben eigens auf das Gymnasium zugeschnittene Lehrpläne. Intention ist es, den Kinder den Weg zu Studium und Karriere zu ebnen (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 33).
Eng mit der Vorgeschichte der Grundschule, sind die Einheitsschulbewegung und auch die Reformpädagogik verbunden. Die Einheitsschulbewegung hat das Ziel, Bildung zu liberalisieren und zu demokratisieren. Sie fordert ein „...allen Bürgern dienendes einheitliches Schulsystem...“ (Götz Sandfuchs 2014: 33). Hierin drückt sich die Idee einer Grundschule für alle aus. Die Reformpädagogik fordert „...eine Erneuerung der schulischen Bildungs- Erziehungs- und Unterrichtsarbeit.“ (Götz Sandfuchs 2014: 33). Nämlich, die Schule als kind- und jugendgemäße Lebensstätte mit einem ganzheitlichen Bildungsanspruch. Dieser soll auf spielerische und kreative Weise vermittelt und erfahrbar gemacht werden. Soziale Aktivitäten, autonomer Wissenserwerb, lebensnahe und entwicklungsgemäße Methoden und Themen, also letztendlich die ausnahmslose Orientierung am Kinde, sind Grundsätze der reformpädagogischen Anschauung (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 33). Die Grundgedanken der Einheitsschulbewegung und auch die reformpädagogische Strömung haben mit dazu geführt, dass eine Schule für alle gesetzlich manifestiert wurde.
2.1.1 Bilder von Kindheit – Kindheitsbilder
Vor der Einführung der Grundschule 1920 war das Kindheitsbild stark an den Erwachsenen orientiert. Kinder gingen in die Schule und erhielten die Bildung und Erziehung, die vor allem ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit repräsentierte. Die Aufgabe der Schule war die Vorbereitung der Kinder auf das Erwachsen-Sein in dem Rahmen, der durch Familie und Stand vorgegeben war. Die Kinder der Volksschule wurden auf einem basalen Niveau gebildet und unterrichtet, welches sie auf das Erwachsen-Sein als Arbeiter und funktionierende Bürger vorbereiten sollte. Kinder der höheren Schulen erhielten eine weiterführende und elaborierte Bildung, die zu Studium, Karriere und höheren Tätigkeiten führte. Beide Schulwege reproduzierten die familiäre Position in der Gesellschaft. Das Kind war demnach Re-Produzent dieses Erbes.
Das Verständnis von Kinder stand in engem Bezug zu dem, was sie einmal werden würden. Kinder wurden zu dem geformt, was man von Ihnen erwartete, demnach wurden Kinder als durch Erwachsene formbar betrachtet. Kinder und Kindheit wurden nicht als eigenständige, von den Erwachsenen unabhängige, Phase im Leben verstanden. Mehr noch ist die Kindheit eine Phase der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben, ohne Räume wie zum Beispiel eine im reformpädagogischen Sinne kindgerechte Grundschule, die sich an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientierte. Der Begriff der „... ‚Kindgemäßheit’ hängt allerdings mit der Bedeutung, die Kindern in der Gesellschaft zugeschrieben wird, eng zusammen.“ (Heinzel 2014: 155).
2.2 Die Grundschule während der Weimarer Republik (1920 - 1933)
Durch die Einführung der allgemeinen, obligatorischen Schulpflicht durch Artikel 145 der Weimarer Verfassung und der Einführung der allgemeinen Grundschule für alle Kinder mit Artikel 146 der Weimarer Verfassung von 1919, sollte die Überwindung eines „unverbundenen Nebeneinanders von Bildungseinrichtungen“ (Götz Sandfuchs 2014: 35) gefördert und Grundschulen institutionalisiert werden. Grundidee der allgemeinen Grundschule war ein egalitäre Ausgangslage für alle Schüler*innen zu schaffen, die eine „...Kindorientierung und Kindgerechtigkeit des Unterrichts verlangte.“ (Heinzel 2014: 155). Individuelle Leistung sollten darüber bestimmen, wer an einer weiterführenden Schulbildung teilnehmen kann und nicht die wirtschaftlichen Umstände, in denen Kinder aufwuchsen. Die allgemeine Funktion der Grundschule war einerseits allen „Kindern gleichermaßen [...] eine angemessene Bildung zu vermitteln...“ und „...zugleich die notwendigen Voraussetzungen für die weiterführenden Schulen [zu] schaffen...“ (Götz Sandfuchs 2014: 35).
Private Schulen wurden zunächst verboten, aber nach heftiger Kritik von Seiten der Eltern und der Kirchenverbände, wurden durch Zusätze im Gesetzestext den Eltern ein Antragsrecht zur Einrichtung von Bekenntnisschulen eingeräumt. Die intentionale Auflösung der schulischen Segregation der heterogenen Schüler*innenschaft gelang nicht. Es entschied immer noch vorrangig die finanzielle Ausgangslage der Eltern, welche Schulen die Schüler*innen besuchten (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 35).
Zentrale Streitpunkte bei der Einführung waren der Pflichtcharakter der Schule, die Dauer der Grundstufe zwischen 4 bis 8 Jahren und die weltanschauliche Neutralität, also die Trennung von Kirche und Schule. Das, was heutzutage als 4 Jahre Grundschulzeit bekannt ist, ist auf den Weimarer Kompromiss zurückzuführen (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 35). Es schient, als wurden viele Ansätze und Bestrebungen der Weimarer Republik durch Kompromisse in ihrer Wirkungskraft gehemmt.
Mit Blick auf die Schulgeschichte der Weimarer Republik sind alle auch heutzutage (noch) gängigen Kontroversen, wie das „...spannungs- und konfliktreiche Verhältnis von Gleichheit und Differenz, von Fördern und Auslesen einschließlich der gesamten Übergangsproblematik...“ (Götz Sandfuchs 2014: 35) bereits vorhanden.
Der egalitäre Grundgedanke, dass alle Kinder dieselbe Chance haben und ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Herkunft die weiterführenden Schulen besuchen, erfüllt sich nicht. Es sind vorrangig Kinder der Mittel- und Oberschicht, die den Weg in die weiterführenden Schulen schafften (Vgl. Götz und Sandfuchs 2014: 36). Vielmehr bleibt die „...schon in den 1920er Jahren nachgewiesene Bildungsbenachteiligung von Kindern unterer Sozialgruppen [...] bis in die Gegenwart hinein ein ungelöstes Problem der Grundschule, denn nach wie vor haben bei gleicher Schulleistung Kinder aus der oberen Dienstklasse eine etwa dreimal höhere Chance auf einen Gymnasialbesuch als Kinder von Facharbeitern“ (Götz Sandfuchs 2014: 36).
Das pädagogisch-didaktische Profil der „...Kindgemäßheit implizierte die Berücksichtigung altersgemäßer Entwicklung und wurde zunächst reifungstheoretisch begründet und reformpädagogisch ausgearbeitet.“ (Heinzel 2014: 155). Bildung sollte grundlegend und kindgemäß sowohl die „...Förderung aller kindlichen körperlichen geistigen Fähigkeiten wie auch eine für weiterführende Schulstufen anschlussfähige stoffgebundene Kenntnisvermittlung umfassen...“ (Götz Sandfuchs 2014: 37). Bildungsinhalte sollten von den Kindern innerlich erlebt und selbstständig erworben werden. Hierbei wird auf die Orientierung am Entwicklungsstand der Kinder und der Lebensbedeutsamkeit der Lehrinhalte wert gelegt. Die pädagogische Leitformel, den Unterricht und die Schule am Kinde orientiert auszurichten, „...das reformpädagogische Bemühen um eine ‚Pädagogik vom Kinde aus’ [...] führten zu einem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein.“ (Andresen Hurrelmann 2010: 20) und hielt Einzug im öffentlichen Grundschulsystem (Vgl. Götz Sandfuchs 2014: 37).
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