"Nonprofit" als Logik? Eine Analyse der Literatur zu Nonprofit-Organisationen


Bachelorarbeit, 2017

50 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ausgangslage und Problemstellung
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

2. Darstellung des Nonprofit-Sektors
2.1 Begriffsbestimmungen
2.2 Historische Entwicklung
2.3 Konstitutive Merkmale
2.4 Ansatz zur Bestimmung einer Nonprofit-Logik

3. Nonprofit als „Dritter Weg“: Eine Diskussion uber Rollen, Theorien und systemimmanente Logiken
3.1 NPOs im intersektoralen Vergleich
3.1.1 Die drei Sektoren der Gesellschaft
3.1.2 Systemtheoretische Grundlagen fur die Rolle der NPOs als Intermediare
3.2 Analyse sektorenbezogener Logiken
3.2.1 Logik im kontextuellen Verstandnis
3.2.2 Das Konzept der institutionellen Logik
3.2.3 Nonprofit als Bindeglied

4. NPOs im gesellschaftlichen Wandel
4.1 Neue Herausforderungen im globalen Kontext
4.2 Systemimmanente Spannungen und Umwelteinflusse
4.2.1 Idealistische Ziele und kapitalistische Zwange
4.2.2 Globalisierung als normierender Hebel
4.3 NPOs als Verteidiger normativer Werte und Grundsatze

5. Kritische Wurdigung
5.1 Appell an die Forschung
5.2 Fazit

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Intemetquellen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Motive fur burgerliches Engagement gem. Allensbach- Studie

Abb. 2: Mitarbeiter- und Lohnentwicklung der drei Sektoren in den USA von 2003 bis

Abb. 3: Auswirkungen des Okonomisierungstrends in Deutschland

Abb. 4: Durchschnittl. Finanzierungsanteile der NPOs in Deutschland

1. Einleitung

1.1 Ausgangslage und Problemstellung

Trotz jahrzehntelanger Forschung zu Nonprofit-Organisationen (NPOs) herrscht noch immer viel Unklarheit uber deren Eigenstandigkeit und Ab- grenzung zu anderen Organisationstypen. Wortgefechte uber eine distinkte sowie unverwechselbare Logik besitzen zudem weiterhin eine gewisse Bri- sanz. So vielfaltig die hierzu angebotene Literatur ist, teils so widerspruchlich prasentieren sich die zum Thema zusammengetragenen Annahmen und Perspektiven. Schon uber die Entstehung dieser Organisationsform wird kontrovers diskutiert. So wird beispielsweise angenommen, dass NPOs hauptsachlich als Vermittler sozialer Probleme auf den Plan treten, wenn Markt und Staat bei gesellschaftlichen Themen versagen. Nicht wenige Aka- demiker setzen sich innerhalb entsprechender Systemtheorien mit diesem oder ahnlichen Argumenten auseinander. Wiederum andere greifen in diese Diskussion ein und argumentieren, dass nonprofit-ahnliche Strukturen langst vorher existiert und burgerliche Bewegungen schon immer soziale Aufgaben wahrgenommen haben und deren Entstehen nicht pauschal mit dem Versa­gen anderer Systeme erklart werden kann.

Nun ist auch die historische Entwicklung im Kontext zum vorhandenen kulturellen sowie ethnischen und wirtschaftlichen Umfeld zu sehen. Studien, wie das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector-Project1, haben seit Anfang der 1990er Jahre erstmals empirisch gezeigt, welche Bedeutung der Nonprofit-Sektor fur die untersuchten Lander hat (vgl. Salamon 1996, S. 19 ff.). Ahnlichkeiten und Charakteristiken hinsichtlich Entwicklung und Struktur heizten die Diskussionen uber eine distinkte Logik neu an. Und obwohl be- reits lange uber die Eigenstandigkeit und Abgrenzung zu den marktlichen und staatlichen Organisationsformen debattiert wird, wird nach wie vor eine Problematik darin gesehen, eine fur NPOs charakteristische und sprechende Logik zu finden. Es gibt zahlreiche Ansatze in der Literatur, welche die Be- sonderheiten der NPOs herausarbeiten und ihnen gegenuber profitorientierten Unternehmen oder staatlichen Institutionen spezifische Ei- genschaften attestieren. Gleichzeitig existieren zahlreiche Ansatze und Per- spektiven, in denen diese Unterschiede revidiert werden. Dies fuhrt nicht zu- letzt zu Spannungen und mundet z.B. in Diskussionen daruber, wie NPOs zu fuhren sind. Im Resultat sind viele soziale Organisationen einem nicht unproblematischen Legitimationsdruck ausgesetzt. Spekulationen hieruber reichen sogar bis zu der Uberzeugung, dass NPOs angesichts struktureller Schwachen, vermeintlicher Ineffizienz und aufgrund von Mismanagement irgendwann verschwinden und schrittweise durch effizientere Organisations- formen des Marktes oder des Staates ersetzt werden. Es wird sogar die Exis- tenz eines „Dritten Sektors" mit einer von staatlicher Seite intendierten und auf NPOs verlagerten Symbolpolitik begrundet (vgl. Nahrlich 1998, S. 250). Laut Seibel nehmen NPOs in einer vom Staat geschaffenen und geschutzten Nische politische Stabilisierungsfunktionen wahr, um vermeintlich unlosbare gesellschaftliche Probleme zu verwalten, den Problemlosungsdruck von der Politik zu nehmen und den Staat somit von einem Teil seiner Verantwortung freizusprechen (vgl. Seibel 1991, S. 480 f.). Allein diese Ansicht verdeutlicht die Brisanz der Thematik und spiegelt die Kehrseite der Medaille wider. An- dere literarische Ansatze zeichnen ein ganz anderes Bild wie im Rahmen dieser Arbeit noch zu sehen sein wird.

Egal von welcher Seite man sich also dem Thema nahert, stoBt man in Literatur sowie Forschung hinsichtlich unabhangiger Merkmale und einer or- ganisationsimmanenten Logik auf viele Kontroversen und gleichzeitig auf ei- nen mangelhaften Konsens. Diese fehlende Einigkeit lasst bis heute schein- bar keine klare Abgrenzung der NPOs von anderen Organisationstypen zu und protegiert unterdessen Argumente entgegen ihrer Daseinsberechtigung. Der Nonprofit-Sektor als System, neben und zwischen den Systemen Markt und Staat, ist somit immer wieder Gegenstand zahlreicher organisationswis- senschaftlicher Diskussionen und Untersuchungen. Die Entwicklungsge- schichte sowie die tiefgreifenden Verflechtungen aller Systeme spielen hier- bei eine wichtige Rolle und gehoren unbedingt beleuchtet. Denn die Schnell- lebigkeit unserer Zeit sowie die sich standig erneuernden zivilgesellschaftlichen Perspektiven zwingen den Nonprofit-Sektor, seine An- passungsfahigkeit stets von neuem unter Beweis zu stellen. Selbst wenn NPOs in jungster Vergangenheit starker an Bedeutung gewonnen haben, wachsen nicht nur deren Herausforderungen kontinuierlich, sondern steigt ferner die Notwendigkeit, ihre gesellschaftliche Rolle sowie ein dominantes Selbstbild zu begrunden.

1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

Das Ziel dieser Arbeit liegt in einer zusammenfassenden und moglichst ob- jektiven Darstellung des aktuellen Wissensstands rund um das Thema „Non- profit" sowie in der Analyse wichtiger Aufgaben und Probleme der For- schung. Dabei werden gangige Theorien, Annahmen und Abgrenzungsver- suche des Nonprofit-Sektors von den Systemen Markt und Staat vorgestellt und eingehender diskutiert. Des Weiteren wird untersucht, inwiefern eine diesen Organisationstyp bestimmende Funktionslogik hervorgehoben wer- den kann und aus welchen wesentlichen Elementen diese besteht. Hierbei werden nicht nur besondere Merkmale und Leistungen, sondern auch aktu- elle Probleme von NPOs hinsichtlich gesellschaftlicher Entwicklungen aus- fuhrlicher beleuchtet und in einen legitimations- und identitatsbegrundenden Zusammenhang gestellt. Infolge dieser Ausfuhrungen gilt es schlie&lich ar- gumentativ Antworten auf die Fragen zu finden, inwiefern der Nonprofit-Sek- tor die Gesellschaft bereichert und welche essenziellen Beitrage fur die Fort- entwicklung und Modernisierung gesellschaftlicher Strukturen diskutiert wer- den.

Um die Frage nach einer eigenen Identitat und Logik von NPOs beant- worten zu konnen, ist es zuerst erforderlich, diesen Sektor begrifflich einzu- ordnen, dessen historische Entwicklung zu skizzieren und konstitutive Merk­male naher zu bestimmen. Nach Abzug der weitestgehend von allen Orga- nisationsformen geteilten Merkmale und Gemeinsamkeiten wird gezeigt, durch welche elementaren Besonderheiten sich NPOs auszeichnen. Im da- rauffolgenden dritten Kapitel werden zusatzlich zum sogenannten „Dritten Sektor" die Sektoren Staat und Markt begrifflich eingefuhrt, naher beleuchtet, voneinander abgegrenzt und jeder fur sich charakterisiert. Weiterhin werden Ansatze sowie Theorien zu den Systemen unserer Gesellschaft vorgestellt und zueinander in Bezug gesetzt. Im Ergebnis werden nicht nur Gemeinsam­keiten und Unterschiede betont, sondern auch die Rolle des Dritten Sektors zwischen Markt und Staat als Intermediar herausgearbeitet und anhand bei- spielhafter empirischer Erkenntnisse untermauert. Weiterhin werden Argu- mente fur eine denkbare distinkte Systemlogik diskutiert und vor dem Hinter- grund der Funktionslogiken der Systeme Markt und Staat bewertet. Im anschlie&enden vierten Kapitel wird dargelegt, inwiefern der gesellschaftli- che und strukturelle Wandel in neue Herausforderungen mundete und wel- che Spannungsfelder dadurch bedingt zuletzt in NPOs aufkeimten. Innerhalb dieser Ausfuhrungen werden tiefgreifende Folgen benannt, auf deren Grund- lagen sich Diskussionen uber die Legitimation und den Anstieg organisatio­nal Spannungen entfalten konnten, und die, bei gleichzeitiger Zunahme finanzieller Probleme und Aufgaben, der Entwicklung und Herauskristallisa- tion einer Nonprofit-Logik diametral gegenuberstehen. Weiterhin beschaftigt sich dieses Kapitel mit den Potenzialen von NPOs sowie einer Wurdigung ihrer Leistungen fur die zivile Gesellschaft und im Bereich der Advocacy2. Mithilfe von aus heutiger Faktenlage ableitbaren Erkenntnissen wird sodann gezeigt, in welchen Bereichen NPOs mit Blick auf die Systeme Markt und Staat Vorbildfunktionen wahrnehmen konnten. Auf Grundlage des bis hierhin vorgenommenen Diskurses gehen schlie&lich Vorschlage hervor, die, trotz der vorherrschenden Problematik in aktuell sehr krisenanfalligen Gesell- schaften, zielfuhrend fur die Konzeptualisierung einer eigenen Identitat und Logik sein konnten. Den Abschluss dieser Arbeit bildet das funfte Kapitel mit einigen personlichen Schlussfolgerungen sowie kritisch zu reflektierenden Erkenntnisgewinnen. Zu guter Letzt werden ausgewahlte Aspekte auf zu- kunftige Herausforderungen angedeutet und wichtige Fragen sowie Aufga- ben der Forschung zur Disposition gestellt.

2. Darstellung des Nonprofit-Sektors

2.1 Begriffsbestimmungen

Das Spektrum an in Literatur synonym verwendeter Begriffe lieBe sich allein schon als charakteristisch fur den Nonprofit-Sektor anfuhren. So stoBt man in Bezug auf das Thema ..Nonprofit" insbesondere auf die Begriffe „Dritter Sektor", „Gemeinnutziger Sektor", „Intermediarer Sektor", oder auf die Be­griffe der ..Zivilgesellschaft" und „Nichtregierungsorganisationen" (NRO bzw. besser bekannt aus dem Englischen NGO3 ). Damit sind auch nur die Gelau- figsten genannt. Diese Begriffe haben zunachst gemein, dass sie aus dem angloamerikanischen Raum stammen und sich unter dem Dach ..Nonprofit" vereinen. Dennoch sind im Vorfeld terminologische, formal-organisatorische sowie rechtliche Unterschiede zur Verdeutlichung feiner Abweichungen zu besprechen und das in der Arbeit vorherrschende Muster uber die Verwen- dung der Begriffe einzufuhren.

Wenn also innerhalb dieser Arbeit vom „Dritten Sektor" oder vom .Non­profit-Sektor" die Rede ist, dann beziehen sich diese Begriffe auf die Makro- ebene und somit auf die Gesamtheit aller organisatorischen Aktivitaten in­nerhalb des Nonprofit-Bereichs (vgl. Simsa 2001, S. 77 f.). Der Begriff .Non­profit-Organisation" (NPO) als organisationale Einheit bezieht sich im Vergleich dazu auf die Mesoebene und orientiert sich somit an der Ebene der Organisationen innerhalb des o.g. Sektors.

Spatestens seit dem Johns-Hopkins-Projekt soll der Begriff des „Dritten Sektors" verdeutlichen, dass es sich um ein von den Systemen Markt und Staat abzugrenzendes System handelt (vgl. Simsa et al. 2013, S. 15). Anh- eier betont, dass Systemgrenzen jedoch weitaus weniger trennscharf, insta- biler und fluider sind, als sich vielleicht auf dem ersten Blick vermuten lieBe (vgl. Anheier 2005, S. 4). So kann nicht ausgeschlossen werden, wenn Or­ganisationen vom offentlichen in den Nonprofit-Sektor oder vom Nonprofit- in den kommerziellen Sektor ubergehen. Letztendlich suggeriert der Begriff „Dritter Sektor" aber eine Zugehorigkeit zum Gesamtsystem und eine Quasi- Gleichrangigkeit zu den Sektoren Staat als erster Sektor und Markt als zwei- ter Sektor.

Zusatzlich bedurfen die Begriffe „Gemeinnutziger Sektor" und „Interme- diarer Sektor" einer kurzen Erklarung. Wie bereits angedeutet, handelt es sich hierbei um Synonyme fur die bevorzugt verwendeten Begriffe „Nonpro- fit-Sektor" oder „Dritter Sektor". Insbesondere aus fiskalpolitischer Sicht ver- weist die Bezeichnung „Gemeinnutziger Sektor" auf eine steuerrechtlich ex- ponierte Stellung und auf eine besondere Kategorie des Steuerrechts (vgl. Simsa et al. 2013, S. 16). Der Begriff der „Intermediaritat" steht dahingegen im kontextuellen Zusammenhang mit der Funktion eines systemverbinden- den Elements. Einfach gesprochen, wird damit ein sektorenubergreifendes Engagement von NPOs als Vermittler zwischen unterschiedlichen Welten und damit die Fahigkeit zur Mehrsprachigkeit suggeriert. Intermediare Orga- nisationen wie NPOs erfullen daher oft nicht nur gleichzeitig mehrere gesell- schaftliche Funktionen, sondern sie wenden zur Bewaltigung ihrer Aufgaben und zur Erreichung ihrer Ziele differenzierte Handlungspraktiken sowie en- gagementbezogene Vorstellungen an (vgl. Zimmer/Simsa 2014, S. 121). Nicht zuletzt reiht sich der Begriff der ..Zivilgesellschaft", als die Fahigkeit ei­ner Gesellschaft zur Selbstorganisation, ebenfalls in diesen Begriffskanon ein. So ist laut Trexler die Zivilgesellschaft das, was den Dritten Sektor letzt- endlich auszeichnet (vgl. Trexler 2008, S. 71).

So wie sich auf der Makroebene zeigt, dass unterschiedliche Begriffe ei- nen gemeinsamen Rahmen aufspannen und nicht zu unrecht synonym ver- wendet werden, so lasst sich Ahnliches auf der Mesoebene feststellen. Da- bei unterscheiden sich die Begriffe NPO und NGO hauptsachlich in ihrer Wir- kungsreichweite. Denn mit NGOs wird, mehr noch als mit NPOs, ein Engagement hinsichtlich transnationaler bis hin zu globalen Interessen in Verbindung gebracht, wie z.B. dem globalen Umwelt- und Tierschutz. Najam betont mit den Worten, ..Nongovernmental organizations have an abiding in­terest in public policy" zudem ein weiteres interessantes Charakteristikum von NGOs und damit ihr Interesse, den politischen Willensbildungsprozess in globalen Fragen durch Advocacy wesentlich mitzugestalten (Najam 2000, S. 380). Ebenso betreiben NPOs naturlich Advocacy. Sie treten jedoch im Vergleich dazu eher national oder lokal auf und versuchen erfahrungsgemaB primar auf ihr ursprungliches und regionales Umfeld Einfluss zu nehmen. Wie dieser Einfluss charakterisiert ist und inwiefern dieser zur gesellschaftli- chen Stabilitat beitragt, wird im Folgenden noch gezeigt.

2.2 Historische Entwicklung

Allein uber eine lander-, kultur- sowie ethnienubergreifende heterogene his­torische Entwicklung des Nonprofit-Sektors lieBen sich ganze Arbeiten ver- fassen. Die Darstellung der historischen Perspektive ist deswegen bedeut- sam, da nur durch einen zeitlich groBen Betrachtungshorizont wichtige struk- turelle Entwicklungen hinreichend registriert und interpretiert werden konnen. Daher werden im Rahmen dieser Arbeit wesentliche historische Ent­wicklungen gestreift, denn schlieBlich darf auf ein Grundverstandnis uber die Ursachen der Existenz von NPOs innerhalb einer Auseinandersetzung mit dem Thema ..Nonprofit" nicht verzichtet werden.

Sicher lassen sich Formen gemeinnutzigen Engagements bis in die fru- hesten Entwicklungslinien der Menschheit zuruckverfolgen. Es liegt in der menschlichen Natur, anderen zu helfen. Dennoch soll die hier behandelte historische Entwicklung ab der Entstehung eines wohlfahrtsorientierten Sys­tems zwischen Markt und Staat skizziert werden. Diese Entwicklung geht auf die ab Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung und den da- raus resultierenden gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen in heute vorwiegend westlich gepragten Gesellschaften zuruck (vgl. Witt et al. 2006, S. 151). Gesellschaftliche Probleme, soziale Spannungen sowie zivile Be- durfnisse entwickelten sich nun oft schneller, als dass staatliche Institutionen dazu in der Lage gewesen waren, angemessen auf diese Veranderungen zu reagieren. Dadurch wurde eine zivilgesellschaftliche Bewegung in Gang ge- setzt, die sich nicht allein nur auf Europa oder die USA beschrankte. Viele Menschen sahen sich mit ihren Problemen im Stich gelassen und fingen an, sich in freiwilligen Organisationen zusammenzufinden und die Lucke der durch Staat und Markt nicht bereitgestellten, jedoch geforderten kollektiven Guter zu schlieBen (vgl. Salamon 1999, S. 11f.). Hierin wird eine Form des Staats- und Marktversagens deutlich, anhand derer man nicht selten die Existenz von NPOs begrundet.

Bezogen auf Deutschland lassen sich hinsichtlich der Entstehung von NPOs ahnliche Wurzeln feststellen. Nach Grundung des Deutschen Reiches unter Bismarck entwickelte sich der gemeinnutzige Bereich rapide, so dass bis zur Weimarer Republik sogar eine ausgepragte Partnerschaft zwischen NPOs und dem Staat hervorgehen konnte (vgl. Witt et al. 2006, S. 12). Ei- nerseits wurden NPOs so zum Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusst- seins und politischen Teilhabeanspruchs des Burgertums, anderseits entstanden, ahnlich wie in den USA, aufgrund wachsender sozialer Prob- leme sportliche, soziale und genossenschaftliche Einrichtungen in Form von Vereinen und Verbanden aus privater Initiative (vgl. Zimmer/Hallmann 2016, S. 16f.).

Das rasante Wachstum des Dritten Sektors ab der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts, als Folge noch tiefgreifenderer sozialer und technologischer Veranderungen durch die nun einsetzende Globalisierung, markierte einen weiteren historischen Einschnitt. Durch die nun fortschreitende Technologi- sierung und Digitalisierung sowie die Tatsache, dass sich Wissen und Nach- richten schnell uber Landergrenzen hinaus verbreiten, sind besonders die letzten zwei Jahrzehnte als Phase weltweiter und umfassender zivilgesell- schaftlicher Mobilisierung charakterisiert. Folgenschwere Umbruche im ge- sellschaftlichen Zusammenleben, wie globale Umweltverschmutzungen, Massenverarmung oder die Zunahme weltweiter Konflikte um Ressourcen gelangen seither starker in das Bewusstsein der Menschen. Nicht zuletzt tra- gen derartige Ereignisse sukzessive zu einem Vertrauensverlust in die staat- liche Handlungsfahigkeit bei und begunstigten einen bis vor kurzem noch nicht gekannten Aufstieg des Nonprofit-Sektors. Allein seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Anzahl der weltweit operierenden NGOs von ca. 4.500 Organisationen bis in die Gegenwart noch einmal nahezu verdoppelt (vgl. bpb, 2010). Diese tiefgreifenden historischen Veranderungen und staat- lichen Krisen, die Salamon mit „a long-simmering crisis of confidence in the capability of the state" beschreibt, sind ein zentraler Indikator fur die so ra­sante weltweite Entwicklung dieses Sektors (Salamon 1994, S. 110). Gerade auch deswegen haben jungste Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit seitens der akademischen Forschung nach sich gezogen und den wissenschaftli- chen Output zu dieser Thematik gefordert.

2.3 Konstitutive Merkmale

Nachdem nun einige Begriffe zum Thema ..Nonprofit" eingefuhrt wurden so­wie eine kurze historische Einordnung des Phanomens erfolgte, werden im Folgenden grundlegende und identitatsbildende konstitutive Merkmale erar- beitet. Wie eingangs angedeutet, ist in der Debatte uber konstitutive Merk­male, welche fur die Determinierung einer systemeigenen Logik sehr wichtig sind, immer noch eher ein Dissens als ein Konsens vorherrschend. Dennoch lasst sich ein Repertoire systemeigener Merkmale fur den Nonprofit-Sektor identifizieren. Diese Merkmale beinhalten sowohl formalrechtliche und orga- nisatorische als auch ideologisch-wertorientierte Dimensionen.

Salamon, der auf dem Gebiet der Nonprofit-Forschung Pionierleistungen erbracht hat, sieht zunachst sechs charakteristische Merkmale als bestim- mend an. So sind NPOs fur Salamon (1999) Organisationen, die erstens for­mal organisiert sind und sich zweitens durch einen privaten Charakter aus- zeichnen und somit keinen formalrechtlichen Teil des staatlichen Apparates bilden. Drittens arbeiten NPOs nicht gewinnorientiert und sind viertens selbstverwaltend und verfugen uber eigene interne Prozesse und Kontrollen. Funftens zeichnen sie sich durch das wichtige Prinzip der Freiwillig- und Eh- renamtlichkeit aus und treten sechstens zur Generierung eines offentlichen Benefits und Zwecks in Erscheinung (vgl. Salamon 1999, S. 10f.). Ahnliches lasst sich im Rahmen einer okonomisch gefuhrten Diskussion einerseits und einer sozialwissenschaftlichen Diskussion andererseits bestimmen. So wer- den in der okonomischen Diskussion zum distinkten Charakter von NPOs die Orientierung an Sach- statt an Gewinnzielen, der geringe Stellenwert einer monetar-rechnerischen Steuerung, die Verwendung alternativer Rechtsfor- men wie Vereine oder Stiftungen, der deutlich vom Markt und Staat zu diffe- renzierende Adressatenkreis und Arten der erstellten Dienstleistungen sowie schlie&lich die andersgelagerte Mitarbeiterstruktur genannt (vgl. Wex 2004, S. 147). Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive werden diese Eigenschaf- ten noch um die Faktoren der freiwilligen Mitgliedschaft, dem zivilgesell- schaftlichen Charakter sowie der intermediaren und vermittlungsleistenden Funktion erganzt. Autoren wie Nahrlich (1998) weisen aber darauf hin, dass nur ansatzweise eine Trennscharfe dieser Kriterien gegeben ist. Somit steht fur Nahrlich fest: „Auch Firmen sind in der okonomischen Theorie der Unter- nehmung freiwillige Organisationen" ohne einen Zwang zur Mitgliedschaft (Nahrlich 1998, S. 227). Nicht nur das Prinzip der Freiwilligkeit, sondern auch das des ehrenamtlichen Engagements treten partiell in anderen Organisati- onsformen auf und sind damit nicht per se nur auf NPOs beschrankt. So finden sich durchaus profitorientierte Unternehmen, die das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitarbeiter unterstutzen. Ferner trifft das Merkmal der Nicht-Gewinnorientierung so auch auf den Staat zu. Lasst man aber wiede- rum als Argument gelten, dass sich NPOs erst durch die Aggregation der durch z.B. von Salamon beschriebenen Eigenschaften auszeichnen, kann sehr wohl von einem Unterschied zu den Organisationen des Staates und des Marktes gesprochen werden.

Welches sind nun aber die besonderen, charakteristischen und vor allem fur sich alleinstehenden Merkmale, anhand derer sich NPOs besonders aus- zeichnen? Betrachtet man die Dimensionen der Organisationsziele, der Fi- nanzierung, der gesellschaftlichen Einflussnahme sowie die Dimension der Mitarbeitermotivation, fallen weitere Besonderheiten auf. Hinsichtlich der Ziele darf zweifellos konstatiert werden, dass NPOs sich in erster Linie mo- ralisch engagieren und gesellschaftliche Werte und Normen aufrechterhal- ten. Garrow und Hasenfeld stellen diesbezuglich fest, dass Handlungswei- sen sehr wohl in einem moralischen Rahmen und in einer moralischen Logik gesehen werden konnen, die sinnbildlich fur die Missionen und substanziell fur die Ausrichtung des organisatorischen Handlungsrahmens von NPOs sind (vgl. Garrow/Hasenfeld 2014, S. 83). Damit nimmt die Orientierung an moralisch-ideologischen Werten und an zeitlich sowie raumlich weitgefass- ten, schwer operationalisierbaren Zielen und Missionen einen klar hoheren Stellenwert ein, als das bei anderen Organisationstypen der Fall ware. An­ders formuliert, sind NPOs, mehr noch als andere Organisationen, an der Verfolgung bedarfsorientierter Sachziele und an der Stabilisierung des ge­sellschaftlichen Gemeinwohls orientiert. Drucker stellte in diesem Zusam- menhang schon 1989 treffend fest: „nonprofits start with the performance of their mission" (Drucker 1989, S. 89). Demnach lasst sich anhand der Zielset- zungen eine gewisse Strukturbesonderheit ableiten und zementieren.

Auch im Bereich der Finanzierung weisen NPOs Besonderheiten auf. So werden in Bezug auf Finanzierungsquellen u.a. Spenden, Sponsorengelder, offentliche Zuwendungen, Mitgliedergebuhren sowie Entgelte fur Leistungen akquiriert. Fuhrt man sich demnach vor Augen, dass sich staatliche Organi­sationen aus steuerlichen Mitteln und profitorientierte Unternehmen aus er- wirtschafteten Gewinnen sowie Eigen- und Fremdkapital finanzieren, dann kann in diesem Punkt bei NPOs eine weitere Besonderheit festgestellt wer- den. Allein in der deutschsprachigen Literatur finden sich zahlreiche Bei- trage, in denen sich intensiv und eingehend mit den Finanzierungsstrukturen von NPOs beschaftigt wird. Wesentliche Erkenntnisse hierzu werden u.a. von Anheier, Simsa und Zimmer geliefert.

Bezuglich der gesellschaftlichen Einflussnahme sind Anheier und Sala- mon im Rahmen ihres Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project zu einem interessanten Ergebnis gekommen. So offenbart sich namlich eine besondere „Starke gemeinnutziger Organisationen in ihrer Eigenschaft als Vehikel der Zivilgesellschaft" (Anheier et al. 1997, S. 164). Damit ist gemeint, dass die fur eine funktionierende Demokratie entscheidenden Faktoren, wie gemeinnutziges Wirken und die Kommunikation zwischen Regierung und den Burgern, im besonderen MaBe von NPOs vorangebracht und verbreitet werden. Ferner kamen Guo und Saxton in ihrer Arbeit zu den Aktivitaten von NPOs im Bereich der Advocacy zu dem Ergebnis, dass NPOs typischer- weise als Sprachrohr oder Stimme sozialer Bewegungen, burgerlicher Inte- ressen und zivilgesellschaftlicher Representation in Erscheinung treten (vgl. Guo/Saxton 2010, S. 3f.).

Nicht zuletzt konnen hinsichtlich der Dimension der Mitarbeitermotivation und -fuhrung Besonderheiten zur Disposition gestellt werden. Wenn Men- schen einer Sache gegenuber mit einer klaren Ausrichtung und von einer Mission angetrieben agieren durfen, werden dadurch, so haben Erfahrungen gezeigt, produktive Krafte weitaus starker mobilisiert als durch die bloBe Aus- sicht auf ein monatliches Gehalt. Da Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in NPOs die wichtigsten Ressourcen stellen und der Nonprofit-Sektor generell personalintensiv ist, muss ein besonderer Umgang mit Menschen sowie eine beachtliche Integrationsleistung erbracht werden (vgl. Birkholzer et al. 2005, S. 206). Augenscheinlich sind NPOs sehr gut darin, den Glauben an ein kol- lektives Wertegerust als Motor fur die Verfolgung und Erreichung ideolo- gisch-normativer Ziele zu nutzen, indem sie v.a. die intrinsische Motivation der Menschen stimulieren. So konstatiert Drucker (1989), dass sich Men­schen ehrenamtlich betatigen, weil sie in ihrem eigentlichen Job einfach nicht hinreichend herausgefordert werden. Interessante Korrelationen zu dieser Aussage lassen sich in der vergleichsweise recht aktuellen auf Deutschland bezogenen Allensbach-Studie von 2014 finden. So gaben laut den Studien- ergebnissen z.B. 95 Prozent der Befragten an, dass ihr burgerliches Enga­gement in Vereinen, Gewerkschaften, Verbanden und sozialen Einrichtun- gen mehr oder weniger auf das „Empfinden von Freude" zuruckzufuhren ist (vgl. Hallmann 2014, S. 15). Die folgende Abbildung verdeutlicht die Ergeb- nisse dieser Befragung.

[...]


1 Johns Hopkins CNP ist die grolite jemals vorgenommene systematische Studie, in der Struk­turen, Finanzen sowie die Rollen des Nonprofit-Sektors in verschiedenen Landern rund um den Globus empirisch untersucht wurden. Ziel dieser Studie war es, das Verstandnis uber diesen Sektor auf eine solidere Basis zu stellen und zu zeigen, welchen Einfluss NPOs auf die zivilen Gesellschaften, die Regierungen, aber auch auf die wirtschaftliche Entwicklung in den jeweiligen Landern haben (vgl. Salamon, 1996).

2 Advocacy bringt ein politisch orientiertes Engagement von NGOs sowie NPOs zum Ausdruck, bei dem eine gesellschaftliche Konfrontation mit sonst ausgeblendeten Themen im Mittelpunkt steht. Es handelt sich somit um einen Versuch der Mitgestaltung gesellschaft- licher Bedingungen und Entwicklungen. Des Weiteren wird Advocacy allgemein dem Bereich der Zivilgesellschaft zugeordnet (vgl. Zimmer/Simsa 2014, S. 184).

3 NGO = Non-governmental organization

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
"Nonprofit" als Logik? Eine Analyse der Literatur zu Nonprofit-Organisationen
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
50
Katalognummer
V418855
ISBN (eBook)
9783668680388
ISBN (Buch)
9783668680395
Dateigröße
825 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nonprofit
Arbeit zitieren
Hendrik Pirrong (Autor:in), 2017, "Nonprofit" als Logik? Eine Analyse der Literatur zu Nonprofit-Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418855

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