Kleist habe als Quelle für das 1808 publizierte Trauerspiel Penthesilea Euripides‘ attische Tragödien, die die Vorlage für den Konflikt verschiedener Kulturen (als Beispiel wird Medea genannt); für die Spannung zwischen Liebesbegehren und –verweigerung im Kampf zwischen Aphrodite und Artemis (Hippolytos und Racines Phèdre); für die Tötung des Achilles (Bakchen) lieferten, benutzt. Den Penthesilea-Mythos entnahm Kleist Benjamin Hederichs Gründliches Lexicon Mythologicum und modifizierte diesen.
Nicht nur von der Wortwahl her, entweder als Adjektiv („Penthesilea, / Wie Sturmwind ein zerrissenes Gewölk, / Weht der Trojaner Reihen vor sich her“(V.34f.), „Das Heer [...]/ Zerrissen, aufgelöst, ins Land verstreut“(V.1327f.) oder Verb („Von dem gefleckten Tigerpferd gerissen“(V.225), „Gefangenen entreißt er dir“(V.735), „niederreißen“(V.1161) oder als Substantiv („Jetzt hat sie [Penthesilea] jeden sanften Riß [sic!] versucht [im Felsen]“ (V.311) bzw. in der unbewussten Prolepse des Odysseus: „Todt [sic!] sinken die Verbißnen [sic!] heut noch nieder, / Des einen Zahn im Schlund des anderen. - “(V.10f.), ist die Zerrissenheit in der Penthesilea präsent. Die Wortwahl sei Signum der gebrechlichen moralischen Ordnung, die mit Penthesileas finalem Selbstmord ohne Nachkommen endgültig zusammenbricht, und ihrer brüchigen Psyche. Auch in der Syntax, der physischen Zerreißung sowie in der Diskrepanz zwischen Gesagtem und Körpersprache lässt sich dieses Phänomen wiederfinden, was in dieser Arbeit untersucht werden soll.
Inhaltsverzeichnis
- I) Einleitung (Kleists Quellen, Fragestellung, Forschungsüberblick)
- II) Seelische Zerrissenheit als Identitätskrise der Penthesilea
- A) Penthesileas traditionelle Rollen
- A.1) Penthesilea in der Rolle der Königin, Vertreterin ihres Stammes, Tochter und Freundin
- A.2) Penthesilea in der Rolle der Kriegerin
- A.3) Penthesilea in der Rolle der Liebenden
- A.4) Penthesilea in der Rolle der Hündin
- B) Die Funktion der Liebe und ihre Bedeutung bei Penthesilea – zerrissen zwischen Gesellschaft und Individuum
- III) Physische Zerrissenheit als Opferritual
- IV) „Ach!“- sprachliche Zerrissenheit
- V) Zerrissen zwischen Sprache und Körpersprache (Mimik, Gestik)
- VI) Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist die Analyse der dreifachen Zerrissenheit (auf der seelischen, körperlichen und sprachlichen Ebene) in Kleists Trauerspiel Penthesilea. Dabei wird untersucht, wie die Heldin zwischen verschiedenen Identitäten hin- und hergerissen wird, welche Rolle die Liebe in ihrem Leben spielt und wie ihre körperliche und sprachliche Ausdrucksweise ihre inneren Konflikte widerspiegelt.
- Identitätskrise der Penthesilea zwischen traditionellen Rollen und neuen Gefühlen
- Die Funktion der Liebe als zerstörerische Kraft in Penthesileas Leben
- Die Bedeutung der Opferrituale in der Darstellung der physischen Zerrissenheit
- Die sprachliche Ausdrucksweise als Zeichen der inneren Zerrissenheit
- Der Gegensatz zwischen Sprache und Körpersprache als Ausdruck des inneren Konflikts
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit Kleists Quellen, der Fragestellung und dem Forschungsüberblick. Es wird gezeigt, dass Kleist sich bei Penthesilea auf verschiedene Werke von Euripides sowie auf den Penthesilea-Mythos aus Hederichs Lexicon Mythologicum stützte.
Das zweite Kapitel analysiert Penthesileas seelische Zerrissenheit als Identitätskrise. Dabei werden die verschiedenen Rollen beleuchtet, die sie einnimmt: Königin, Stammesmitglied, Tochter, Freundin, Kriegerin und Liebende. Es wird deutlich, wie die Heldin zwischen den verschiedenen Rollenerwartungen gefangen ist und ihre Identität in den Konflikt geraten.
Das dritte Kapitel fokussiert auf die physische Zerrissenheit in Form von Opferritualen. Es werden drei Rituale beschrieben, die mit der Gewalt und dem Tod verbunden sind: die Tötung neugeborener Knaben, die Selbstverstümmelung der Amazonen und die Zerreißung des Achilles. Die Opferrituale spiegeln die brutale und zerstörerische Seite des Amazonenstammes wider.
Das vierte Kapitel untersucht die sprachliche Zerrissenheit, die durch die häufige Verwendung der Interjektion "Ach" und die zerstückelte Syntax zum Ausdruck gebracht wird. Penthesileas Sprache spiegelt ihre innere Zerrissenheit wider, die durch ihre Konflikte und Zweifel verursacht wird.
Das fünfte Kapitel betrachtet den Gegensatz zwischen Penthesileas Sprache und ihrer Körpersprache. Es wird gezeigt, wie ihre Mimik und Gestik ihre inneren Konflikte und ihre wahren Gefühle verraten, während ihre Worte oft ihre wahren Gedanken verbergen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter der Arbeit sind: Penthesilea, Identitätskrise, Liebe, Opferritual, Zerrissenheit, Sprache, Körpersprache, Kleist, Euripides, Amazonen, Griechen.
- Arbeit zitieren
- Alexandra Priesterath (Autor:in), 2016, Seelische, körperliche und sprachliche Zerrissenheit in Kleists "Penthesilea", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418931