Der Osterfestkreis - historische/dogmatische/didaktische Perspektive


Examensarbeit, 2005

102 Seiten, Note: Sehr gut (1)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Osterfestkreis in historischer Perspektive
2.1 Entstehung und Entwicklung der Osterfeier
2.1.1 Ursprung und Alte Kirche
2.1.2 Mittelalter und 16. Jahrhundert
2.1.3 Neuzeit und 20. Jahrhundert
2.2 Entstehung und Entwicklung von Karwoche und Osteroktav
2.3 Entstehung und Entwicklung der Quadragesima
2.4 Brauchtum
2.4.1 Bräuche der Quadragesima
2.4.2 Bräuche der Karwoche
2.4.3 Bräuche des Osterfestes
2.4.4 Fazit
2.5 Die Etymologie des Wortes „Ostern“
2.5.1 Germanische Göttin „Ostara“?
2.5.2 Ableitung von Osten als Richtung des Sonnenaufgangs?
2.5.3 Übersetzungsfehler von „albae“?
2.5.4 Heidnische Form der Taufe „vatni ausa“?

3. Der Osterfestkreis in dogmatischer Perspektive
3.1 Buße und Fasten
3.2 Leiden und Kreuz
3.3 Auferstehung und ewiges Leben

4. Der Osterfestkreis in didaktischer Perspektive
4.1 Voraussetzungen der Behandlung des Osterfestkreises in der Grundschule
4.1.1 Lehrkraftbezogene Voraussetzungen
4.1.2 Institutionelle Voraussetzungen
4.1.3 Schülerbezogene Voraussetzungen
4.2 Die Relevanz der Behandlung des Osterfestkreises in der Grundschule
4.2.1 Exemplarische Bedeutung
4.2.2 Gegenwartsbedeutung
4.2.3 Zukunftsbedeutung
4.2.4 Inhaltliche Struktur
4.2.5 Unterrichtliche Zugänglichkeit
4.3 Vorgaben des Hessischen Rahmenplans Grundschule
4.4 Ansätze zur Behandlung des Osterfestkreises in der Grundschule.
4.4.1 Der Ansatz beim Phänomen Osterfest
4.4.2 Der Ansatz bei der Darstellung von Passion und Ostern anhand biblischer Texte
4.4.3 Der Ansatz bei existenziellen Fragen
4.4.4 Zusammenfassung und Ausblick

5. Schlussbemerkungen

6. Literaturverzeichnis
6.1 Abkürzungen
6.2 Hilfsmittel
6.3 Sekundärliteratur
6.4 Internetseiten

1. Einleitung

„Ein ziemlich sicherer Indikator für die Lebendigkeit einer religiösen Überlieferung ist die Weise, wie sehr sie erinnert und begangen wird. In dieser Beziehung sieht es mit dem Osterfest eher noch bedenklicher aus als mit dem Weihnachtsfest – der christliche Gehalt hat sich längst verflüchtigt.“[1]

Zu diesem Schluss kommen Horst Klaus Berg und Ulrike Weber in ihrem Didaktischen Begleitheft zu Unterrichtsmaterialien zum Thema Ostern. Auch das Lexikon der Religionspädagogik konstatiert, dass für die nachwachsende Generation ein „christlicher Substanzschwund“ gerade „in den Essentials“ des christlich-kirchlichen Glaubens als „gesicherter Trend“ gelten könne.[2] Dass und inwiefern das Osterfest und sein mit Quadragesima und Pentekoste etwa 100 Tage umfassender Festkreis diese „Essentials“, also die Grundlagen bzw. das Wesentliche des Christentums beinhalten und verkörpern, werde ich in dieser Arbeit sowohl unter historischem als auch dogmatischem Blickwinkel darstellen, um vor diesem Hintergrund die Möglichkeiten und Grenzen der Didaktik auszuloten, den obigen Feststellungen entgegenzuwirken.

Dabei wird zunächst die Entwicklung des Osterfestkreises ausgehend vom Osterfest als seiner Mitte nachgezeichnet, bevor mit der Darstellung von Entstehung und Bedeutung des vielfältigen Brauchtums auf die Ausgestaltung des Festkreises eingegangen wird. Der historische Teil schließt mit einer Vorstellung verschiedener Theorien zur umstrittenen Herkunft des Wortes Ostern. Mit Buße und Fasten, Leiden und Kreuz sowie Auferstehung und ewigem Leben werden dann mit dem Osterfestkreis verbundene zentrale Themen der Dogmatik thematisiert und fruchtbar gemacht für den folgenden didaktischen Teil, der zunächst die Voraussetzungen der Behandlung des Osterfestkreises in der Schule untersucht, die Relevanz dieser Behandlung im Horizont der fünf didaktischen Fragen nach Klafki beleuchtet und auf dieser Basis sowie unter Beachtung der Vorgaben des Hessischen Rahmenplans Grundschule schließlich konkrete Ansätze zur Behandlung des Osterfestkreises vorstellt.

Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit wird der Osterfestkreis auf Passionszeit und –woche, Osterfest sowie Osteroktav beschränkt; die weitere österliche Freudenzeit mit Himmelfahrt und Pfingsten wird nicht thematisiert. Die Bearbeitung der didaktischen Perspektive wird stark unter grundschuldidaktischem Blickwinkel erfolgen, da die Grundschule mein künftiges Arbeitsumfeld darstellt und es mir ein Anliegen ist, aufzuzeigen, dass auch und gerade Kinder im Grundschulalter im Horizont einer Erziehung zur Freisetzung zu eigener Lebensführung[3] nicht nur den heute bekannten, größtenteils konsumorientierten Osterbräuchen, sondern auch der Osterbotschaft, allen damit verknüpften existenziellen Fragen und den von Ostern her zu gebenden christlichen Antworten begegnen können und sollten und sie als relevant und lebenseröffnend in ihrem eigenen Leben entdecken und erfahren können.

2. Der Osterfestkreis in historischer Perspektive

Das christliche Osterfest wie auch sein heute eine vierzigtätige Vorbereitungszeit sowie eine fünfzigtägige Freudenzeit umfassender Festkreis haben inzwischen eine etwa 2000 Jahre dauernde historische Entwicklung hinter sich. Wie es in diesem Zeitraum zur heutigen Form und Ausgestaltung kam, woher die zahlreichen Brauchtümer stammen und wie sich die verschiedenen Vermutungen zur Herkunft des Wortes „Ostern“ darstellen, wird im Folgenden erläutert.

2.1 Entstehung und Entwicklung der Osterfeier

Die Osterfeier ist das älteste uns bekannte und gleichzeitig das höchste Fest der Christenheit, von dem wesentliche Impulse für die Gestaltung des kirchlichen Jahres- und Festkalenders ausgingen.[4] Seine Entstehung und Entwicklung wird chronologisch geordnet in drei größeren Abschnitten nachgezeichnet.

2.1.1 Ursprung und Alte Kirche

Es besteht in der Forschung keine Einigkeit über die Wurzeln des jährlichen christlichen Osterfestes, immer aber ist ein Bezug zum jüdischen Passafest[5] gegeben: So gehen einige Wissenschaftler von einer von der christlichen Fortführung des jüdischen Passa unabhängigen Entstehung des Osterfestes mit Bezug auf Tod und Auferstehung Christi aus.[6] Ostern sei aus der wöchentlichen, sonntäglichen Feier der Eucharistie erwachsen. Begründet wird diese Position mit der Bezeichnung des Sonntags als „Herrentag“ in Apk 1,10; IgnMagn 9,1 sowie Did 14,1, die zeige, dass dieser Tag als Tag der Auferstehung Jesu gefeiert wurde.[7] Erst im 2. Jahrhundert unter Aufnahme aller wesentlichen Momente des parallel dazu jährlich von den jüdischen Christen, den Quartodezimanern, gleichzeitig mit dem jüdischen Passa und ohne Berücksichtigung des Wochentages am 14. Nisan, dem Tag des ersten Frühlingsvollmondes, gefeierten christlichen Passafestes sei die jährliche Osterfeier entstanden.

Die andere, heute mehrheitlich vertretene und als „tragfähiger und überzeugender“[8] beschriebene bzw. „der anderen vorzuziehende“[9] Ansicht besagt, dass das jährliche Osterfest seine direkten Wurzeln im jüdischen Passa hat. Als Gründe werden hierfür der teilweise noch heute erhaltene namentliche Bezug (der lateinische Begriff für Ostern ist „Pascha“, der italienische „Pasqua“, der spanische und portugiesische „Pascua“, in Frankreich wird Ostern „Pâques“ genannt, in den Niederlanden „Pasen“, in Dänemark „Paaske“ und in Norwegen „Paskit“; zu den davon abweichenden Begriffen „Ostern“ und „Easter“ s.u. 2.5)[10], die synoptischen Berichte, die davon ausgehen, dass „Jesus das Abendmahl im Rahmen eines Passamahles gefeiert und gestiftet hat“[11] und auch der davon abweichende johanneische Bericht bzw. der sich darauf beziehende paulinische Brief, dass Jesus am Passafest (Joh 19,14.31) als Passalamm (1 Kor 5,7) gestorben sei,[12] genannt. Nach dieser Auffassung „ist das quartodezimanische Osterfest ‚die älteste, christliche Osterfeier’“,[13] die sich vom jüdischen Passa nicht im Datum, wohl aber im Gehalt und der Ausgestaltung unterschied: Zwar bestand nach Überzeugung der ältesten Christen ein „tiefer Zusammenhang zwischen den Ereignissen, derer das Volk Israel in seiner Passafeier gedenkt, und dem Leiden, dem Tod und der Auferstehung Jesu“[14], ebenso erwarteten die Juden wie auch die ältesten Christen das Erscheinen bzw. die Wiederkunft des Messias, die Christen beteiligten sich aber nicht am Passamahl, sondern fasteten.[15] „Dementsprechend legten sie [...] den Akzent auf den Tod Christi am Kreuz“[16] und sahen Ostern als „Erfüllung und Vollendung des alten Passa“[17]. Für die kleinasiatischen Quartodezimaner war dabei das Datum des Leidenstages maßgebend, für die heidnischen Christen jedoch der Wochentag,[18] weshalb „Rom und die übrigen Kirchen [...] das Passafest in die Kette der Sonntage einordneten“[19] und Ostern am Sonntag nach dem 14. Nisan feierten, auch, um die eigene stärker von der jüdischen Praxis zu unterscheiden. Die Betonung lag hier verstärkt auf der Auferstehung Jesu.

Aus diesen Differenzen entwickelte sich ab dem 2. Jahrhundert der Osterfeststreit. Da sich die sonntägliche Feier immer mehr durchsetzte, wurde im Jahre 314 während der Synode von Arles sowie auf dem Konzil von Nicäa 325 eine Berechnung dieses Termins festgelegt, die sich zwar immer noch am ersten Vollmond im Frühling orientierte und so eine Nähe zum jüdischen Passafest bewahrte, die den Frühlingsanfang aber selbstständig feststellte.[20] Auch diese Methode führte allerdings aufgrund unterschiedlicher zugrunde gelegter Osterzyklen von 19 bzw. 84 Jahren in Alexandrien und Rom, nach deren Verlauf die Reihenfolge der alten Daten wiederkehrte, bis heute zu keiner Vereinheitlichung des Datums.[21] Eine Abgrenzung vom Judentum wurde wiederum darin deutlich, dass, sollte der erste Frühlingsvollmond auf einen Sonntag fallen, das Osterfest erst am Sonntag danach gefeiert wurde und so nicht mit dem Passafest zusammenfallen konnte (und kann).[22]

Ungeachtet der Entwicklung der oben genannten verschiedenen Akzentsetzungen auf Tod bzw. Auferstehung aufgrund des Termins feierte die Alte Kirche „in einer Nachtfeier die Mitte der ganzen Heilsgeschichte, das eine Mysterium Christi und der Kirche“[23]. Passa wurde sowohl mit „passio“ (lat.: Leiden) als auch mit rettendem Vorübergang Christi in Verbindung gebracht und außerdem als „transitus“ (lat.: Übergang) von Leiden und Tod zu Auferstehung und neuem Leben gedeutet.[24] So wurde das „Osterfest [als] umfassendes Erlösungsfest [angesehen], dessen Schwerpunkt im Leiden und Sterben Christi liegt“[25]. Das Kreuz war „aus der dynamischen Sicht der Erlösung“[26] die Mitte des altkirchlichen Osterfestes, welches „die Einheit der Heilsgeheimnisse, d.h. näherhin die Einheit von Leiden, Tod und Auferstehung umfasste“[27]. Auch im Handeln Gottes bzw. Christi und dem der Gemeinde (im Übergang von Trauer zur Freude) wurde eine Einheit gesehen[28]: „Jesu Übergang vom Tod zu seinem neuen Leben ist auch für die Christen der Übergang aus der Knechtschaft der Sünde in das befreite Leben bei Gott.“[29]

Ab dem 4. Jahrhundert vollzog sich dann eine Entwicklung weg von dieser Sichtweise hin zu einer historisierenden Auffassung, die sich in den beschriebenen Akzentsetzungen schon andeutete und die „die einzelnen Ereignisse nebeneinander ordnete und unterschied und auch getrennt feierte“[30]. So entstanden zunächst die heiligen drei Tage (Triduum sacrum) sowie die Osteroktav, deren Entfaltung unter 2.2 näher beschrieben wird. Auch die vierzigtägige Vorbereitungszeit, die unter 2.3 erläutert wird, sowie die fünfzigtägige Freudenzeit entwickelten sich nun. Die Osternachtfeier, die ursprünglich aus Nachtwache mit Lesungen und dem Freudenmahl der Eucharistie bestand, wurde zusätzlich zu Taufnacht und Lichtfeier, wodurch der Aspekt des Übergangs vom Tod zum Leben bzw. vom Dunkel zum Licht stärkere Betonung erfuhr. Die Grundstruktur bestand nun aus Lichtfeier, Wortgottesdienst, Tauffeier und Feier der Eucharistie, wobei die Tauffeier nicht immer und überall Bestandteil war und die Lichtfeier keineswegs immer den Gottesdienst eröffnete.[31] Seit dem 5. Jahrhundert wurde die Osternacht immer weiter nach vorne verlegt, so dass sie im 16. Jahrhundert schließlich am Samstagvormittag gefeiert wurde.[32]

2.1.2 Mittelalter und 16. Jahrhundert

Mit der stetigen Vorverlegung der Osternacht fand gleichzeitig eine Bedeutungsverschiebung statt: Sie war jetzt nicht mehr Nachtwache, sondern (zunächst) Vorabend und somit Vorbereitung auf Ostern, das nun in noch stärkerem Maße nur auf den Sonntag als Tag der Auferstehung bezogen wurde; Leiden und Tod blieben hier außen vor. Auch durch die Entstehung eines Doppel-Triduums, welches sich in Leidens- und Auferstehungstriduum spaltete (s.u. 2.2), wurde der Bruch zwischen Passion und Auferstehung deutlich. Die Osternachtfeier erfuhr eine Abwertung; im Mittelpunkt stand der Ostersonntag.[33] Das Kreuz bekam durch die immer stärkere Betonung der Gottheit Christi den Charakter einer in der Auferstehung überwundenen Vorstufe.[34]

Im 16. Jahrhundert wurde die Feier dann vom Missale Romanum (1570) endgültig auf den Vormittag des Karsamstag festgeschrieben bzw. von den protestantischen Kirchen ab 1582 ersatzlos gestrichen. Allein die östlichen Kirchen bewahrten die Feier als richtige Nachtfeier und Höhepunkt des Kirchenjahres.[35]

Als Kennzeichen des dem Konkreten zuneigenden Mittelalters werden die Fragmentierung und Ausgestaltung der Einzelfeiern[36] sowie die „Steigerung der historisierenden und anekdotischen Tendenz, die von einer auf das Dramatische und Visuelle gerichteten Mentalität gefördert wurde und zu einer Dramatisierung der Osterereignisse führt“[37] genannt. Konsequenz dessen waren neben einer reichen, allerdings eben auch stark veranschaulichenden Liturgie zahlreiche Riten und Bräuche, die oft nicht mehr deutlich von Andacht oder Aberglauben zu unterscheiden waren. „Die Volksfrömmigkeit bildete eigene Formen des Osterglaubens [...] aus.“[38] Es entstanden erste Oster- und Passionsspiele. Diese Anhäufung „unnötige(r) und kindische(r) Zeremonien“[39] wie auch die verschärfte österliche Bußpraxis missfiel den Reformatoren; wenige evangelische Osterspiele entbehrten aller anekdotischen Neigungen und Passionsspiele wurden vollständig abgelehnt. Die lutherische Osterpredigt versuchte noch, „den Vorrang der Osterbotschaft und Osterfrucht über die Ostergeschichte wieder herzustellen [...], [...] konnte [jedoch] nicht vermeiden, daß die zentrale Liturgiefeier des ganzen Jahres an den Rand geschoben wurde und verloren ging.“[40]

2.1.3 Neuzeit und 20. Jahrhundert

In Hinblick auf Anlage und Struktur des Osterfestkreises sowie die Ausgestaltung der einzelnen Tage betreffend ergaben sich in der Folgezeit bis zum 20. Jahrhundert keine wesentlichen Veränderungen, weshalb diese Zeit in einer knappen Darstellung der Geschichte des Osterfestkreises oft nur am Rande oder gar nicht erläutert wird.[41] Hier soll nur auf einige, bereits im Mittelalter angelegte Tendenzen hingewiesen werden: In der Barockzeit gewannen in der römisch-katholischen Kirche Oster- und Passionsspiele sowie äußerst vielfältige Volksbräuche (s.u. 2.4) weiter an Bedeutung. Inhaltlich wurde am isolierenden und historisierenden Verständnis Osterns festgehalten. Mit der Aufklärung kamen erste Versuche auf, Überschwang und Missbräuche abzuschaffen und eine Besinnung auf das Wesentliche zu erreichen. Dafür fehlten aber bis ins 20. Jahrhundert hinein die nötigen Voraussetzungen.[42]

Zu bedeutenden Veränderungen kam es dann jedoch im vergangenen Jahrhundert: Liturgiewissenschaftliche Forschung und theologische Reflexion entdeckten „aufs neue die zentrale Bedeutung des Pascha Christi im Erlösungsgeschehen; dieses umfaßt die Einheit von Tod und Auferstehung. [...] Darum ist die Osternachtfeier die zentrale Feier von Ostern und des ganzen Jahres.“[43] In der römisch-katholischen Kirche wurde diese Wiederentdeckung mit Reformen der Osternachtfeier (1951) sowie der Heiligen Woche (1956), die endgültig im Missale Romanum von 1970 umgesetzt wurden, beantwortet. Die Agende der evangelisch-lutherischen Kirchen aus dem Jahr 1960 enthält nun ebenfalls die Ordnung eines Osternachtgottesdienstes. Auch die evangelisch-reformierte Kirche der deutschsprachigen Schweiz bietet seit 1983 eine Liturgie für die Osternachtfeier an.[44]

Das Osterfest konnte somit wieder als umfassendes Erlösungs- und nicht allein als Auferstehungsfest, von dem Leiden und Tod isoliert sind, gesehen und gefeiert werden. Ostern als „Gedächtnisfeier v[on] Passion, Grabesruhe, Auferweckung, Erhöhung u[nd] Geistsendung sowie Erwartung der Parusie“ kommt damit die Bedeutung der „Summe chr[istlicher] Existenz u[nd] Theol[ogie] [zu]: [Es ist] gedenkende Vergegenwärtigung v[on] Passion u[nd] Erhöhung Christi, Verwandlung des Leidens Christi, Überwindung der Sünde, Anteilgabe am ewigen Leben durch die Taufe auf den Tod Jesu, Erwartung der unvergängl[ichen] Herrlichkeit, ganzheitl[iche] Neuwerdung des Menschen durch Teilhabe an Christus [sowie die daraus resultierende] Feier v[on] Licht u[nd] Hoffnung.“[45] Die Grundstruktur der Osternachtfeier enthält Lichtfeier, Wortgottesdienst, Tauf- und Eurcharistiefeier; sie gewinnt ihre einheitliche (Leiden, Tod und Auferstehung) und dynamische (Übergang vom Tod zum Leben bzw. vom Dunkel zum Licht) Prägung zurück.[46]

Hieraus resultieren neben neuen Möglichkeiten des ökumenischen Gesprächs durch wiederentdeckte Gemeinsamkeiten[47] jedoch auch Schwierigkeiten: Der Osternachtgottesdienst darf nicht bloß Auferstehungsfeier sein – die o.g. Einheit und Dynamik müssen zum Ausdruck kommen und der Gemeinde, die noch am Sonntag als Auferstehungstag orientiert ist, vermittelt werden. Des Weiteren ist zu fragen, wie die ursprüngliche Authentizität von Symbolen und Riten wiedergewonnen werden kann, ohne die Volksfrömmigkeit und deren Bedeutung für die Lebendigkeit des Osterfestes bzw. Osterfestkreises Volksfrömmigkeit außer Acht zu lassen.[48]

Im römisch-katholischen Bereich wird teilweise versucht, die Osternacht wieder mit einer wirklichen Nachtwache zu begehen. Evangelische Kirchen beginnen die Feier oft vor Sonnenaufgang in der dunklen Kirche und machen der Gemeinde die Dunkelheit konkret und als Symbol bewusst. Beide Konfessionen bemühen sich darum, den Osternachtgottesdienst als Taufgottesdienst wiederzugewinnen.[49]

2.2 Entstehung und Entwicklung von Karwoche und Osteroktav

Wie oben bereits beschrieben nahm ab dem 4. Jahrhundert die Tendenz zu einem historisierenden Verständnis des Ostergeschehens zu. Seit dem 3. Jahrhundert war außerdem ein ein- bis sechstägiges Fasten der einen Osternacht vorgelagert, wobei Freitag und Samstag durch ein Ganzfasten besonders akzentuiert wurden.[50] So bildeten sich zunächst Freitag als Kreuzigungs- und Todestag, Samstag als Tag der Grabesruhe und Sonntag als Tag der Auferstehung zu den heiligen drei Tagen, dem Triduum sacrum[51] , heraus – der Feiergehalt der Osternacht wurde auf mehrere Tage verteilt.

Etwa gleichzeitig begann sich die Heilige Woche oder Karwoche[52] abzuzeichnen.[53]

Diese beginnt mit dem Palmsonntag, an dem Jesus laut allen vier Evangelien in Jerusalem auf einem Esel reitend einzog (Mt 21,1-11; Mk 11,1-11; Lk 19,29-40; Joh 12,12-19). Nach Johannes kommt das Volk Jesus mit Palmzweigen entgegen (Joh 12,12f.). „Anders als in Jerusalem, wo eine Prozession an den Einzug Jesu erinnerte, stand im Abendland der Sonntag vor Ostern zunächst ganz im Zeichen der Vorbereitung auf Ostern und die österliche Taufe.“[54] Mit der Verlesung der Leidensgeschichte nach Matthäus eröffnete man in Rom die Osterfeier und gedachte der Passion Jesu. Erst später fanden die im gallisch-fränkischen Gebiet verbreiteten, dramatisierten Einzugs-Prozessionen Eingang in die römische Praxis, blieben aber unverbunden neben der Passionsfeier stehen. Mit der zunehmenden Segnung von Palm- und Ölbaumzweigen bzw. anderen grünen Zweigen in Gebieten, wo erstere nicht vorhanden waren, trat das Heilsgeschehen im Mittelalter in den Hintergrund.

Im römisch-katholischen Bereich beginnt die heilige Messe noch heute mit einer Palmweihe. Während der noch vereinzelt stattfindenden anschließenden Prozession zur Kirche halten die Gemeindemitglieder Zweige in den Händen. Die folgende Messfeier steht im Gegensatz zu der vorhergehenden Feier Jesu als König und Sieger beim Einzug in Jerusalem eher im Zeichen seines Weges durch Leiden und Tod. Bieritz folgert daraus, dass hier ein Bezug zur ganzheitlichen altkirchlichen Osterfeier gesehen werden könne.[55]

Die evangelische Kirche kennt keine besondere Feier des Einzugs Jesu in Jerusalem; gelesen wird am Palmsonntag oder „Palmarum“ (Sonntag der Palmen) die Einzugsperikope (Joh 12,12-19) oder die Passionsgeschichte nach Matthäus (Mt 26 und 27). In einer nichtoffiziellen evangelischen Agende mit bruderschaftlichem Hintergrund von 1961 findet sich jedoch der Versuch, „die Einzugsfeier auch für den evangelischen Bereich wiederzugewinnen“[56].

Montag, Dienstag und Mittwoch der Karwoche wurden in Rom anfangs mit einem Wortgottesdienst, ab dem 5. Jahrhundert auch mit Eucharistie gefeiert. Sie waren durch die Passionslesungen geprägt und sind dies bei Passionsandachten im evangelischen Raum noch heute. Die neue katholische Leseordnung dagegen wurde von dem Bestreben geleitet, bestimmt Ereignisse wie die Salbung Jesu in Betanien (Joh 12,1-11), die Benennung des Verräters und die Ankündigung der Verleugnung des Petrus (Joh 13,21-30.36-38) sowie den Verrat des Judas und das Abendmahl mit Ankündigung des Verrats (Mt 26,14-25) aus dem Vorfeld der Leidensgeschichte Jesu bestimmten Tagen zuzuordnen.[57]

Der seit dem 12. Jahrhundert sogenannte Gründonnerstag, dessen Name sich vermutlich vom mittelhochdeutschen „gronan“ „grinen“, „greinen“ ( = weinen, klagen) ableitet,[58] da an diesem Tag die öffentlichen Büßer wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen wurden, ist nach den Synoptikern der Tag, an dem Jesus mit seinen Jüngern das Passamahl feiert (Mt 26,17-30; Mk 14,17-26; Lk 22,7-23). Abweichend von diesen Schilderungen der Einsetzung des Abendmahles stellt Johannes die Fußwaschung (Joh 13,1-15) und die Benennung des Verräters (Joh 13,21-30) in den Mittelpunkt; auch ist das Mahl bei ihm kein Passamahl, da Jesus seinem Bericht zufolge bereits am Nachmittag des 14. Nisan stirbt.

Bereits im 5. Jahrhundert fand an diesem Tag die Büßeraussöhnung statt. Ab dem 7. Jahrhundert sind Ölweihe und Gedächtnis der Einsetzung des Abendmahles bezeugt. Letzteres wurde zunächst in einem abendlichen Gottesdienst gefeiert, der später auf den Morgen und erst 1955 wieder zurück verlegt wurde. Römisch-katholische Gottesdienste zeichnen sich außerdem oft durch die Fußwaschung aus. Im evangelischen Raum wird der Gründonnerstag mit einem Abendmahlsgottesdienst gefeiert, bei dem die Gemeinde erstmals seit Beginn der Fastenzeit das freudige „Ehre sei Gott in der Höhe“ wieder singt. Auch ist die liturgische Farbe des Gründonnerstags die gleiche wie die des Osterfestes und der Osterzeit (mit Ausnahme von Pfingsten): Weiß symbolisiert die Freunde, die Reinheit und das Licht.[59]

Der Karfreitag ist der Tag der Kreuzigung und des Todes Jesu (Mt 26f., Mk 14f., Lk 22f., Joh 18f.) und damit einer der höchsten christlichen Feiertage.[60] In den ersten Jahrhunderten wurde er nicht gottesdienstlich, etwa ab dem 2. Jahrhundert aber bereits durch oben genanntes Trauerfasten begangen. (Zuvor wurde dem Leiden und Tod Christi gemeinsam mit der Auferstehung in der Osternachtfeier gedacht, s.o.) Noch heute ist er Fast- und Abstinenztag. Ab dem 4. Jahrhundert hielt man Nachtwachen und Gottesdienste. Vorbild war hier die Jerusalemer Gemeinde, die das Geschehen „zeit- und ortsgemäß nachvollzog[...]“[61]. So entwickelte sich im 7. Jahrhundert auch in Rom neben dem Wortgottesdienst eine Prozession, bei der ab dem 9. Jahrhundert oft ein verhülltes Kreuz in die Kirche bzw. zum Altar getragen wurde und in einigen Orten während der Karfreitagsprozessionen heute noch getragen wird. Wichtiger Bestandteil der katholischen Feier ist die adoratio crucis, die Verehrung des Kreuzes.[62] Die Feier, deren Zeitpunkt sich ursprünglich an der Todesstunde Jesu orientierte, wurde auf den Vormittag und 1955 erneut auf den Nachmittag verlegt. Sie setzt sich heute zusammen aus dem Wortgottesdienst mit Fürbitten, die schon früh ein besonderes Gewicht erhielten, der Kreuzverehrung sowie der Kommunionfeier. Eine eigentliche Eucharistiefeier fand und findet nicht statt.[63]

Im Gegensatz dazu ist der Karfreitag im evangelischen Bereich einer der wichtigsten Abendmahlstage. Der Hauptgottesdienst am Vormittag wird deshalb meist als Abendmahlsgottesdienst gefeiert, der Altar dabei mancherorts schwarz verhängt. Schwarz als Zeichen der Trauer ist auch die liturgische Farbe von Karfreitag und Karsamstag. „In vielen evangelischen Gemeinden ist es [außerdem] üblich, die Reihe der Passionsandachten mit einem Gottesdienst [oder einer abschließenden Andacht, M.H.] zur Todesstunde Jesu am Nachmittag des Karfreitag abzuschließen.“[64]

Zudem wird der Karfreitag oft als höchster protestantischer Feiertag des Kirchenjahres angesehen,[65] was von Luthers theologia crucis, die unter 3.2 besondere Beachtung findet, herrührt. Vor allem im 19. Jahrhundert versuchte man, aus dem zunächst zusammen mit Gründonnerstag als „halbem Feiertag“ begangenen Karfreitag den „größten evangelischen Festtag“ zu machen.[66] Dass Schwier die noch heute weit verbreitete Ansicht, Karfreitag sei der höchste Feiertag, als Missverständnis bezeichnen kann,[67] hat seinen Grund in der aktuellen Rückbesinnung auf das Heilsgeschehen als der Einheit aus Leiden, Tod und Auferstehung, die auch Luther über den geschichtlichen Ablauf gestellt hatte (vgl. 2.1.2 sowie 3.2).[68]

„Seit je ein Buß- und Fasttag“[69] ist der Karsamstag, der gemeinhin auch als Ostersamstag bezeichnet wird und oft unter diesem Namen bekannt ist. Dies könnte daher rühren, dass, wie oben beschrieben, im Mittelalter die Osternachtfeier schrittweise bis auf den Vormittag des ursprünglich unliturgischen Karsamstags verlegt wurde. Allerdings begann die ursprüngliche eine Osternachtfeier eben am Abend des Karsamstages mit der Nachtwache. Die Bezeichnung als Ostersamstag macht außerdem bereits den Bezug zur und die Hoffnung auf die Auferstehung deutlich, während Karsamstag eher auf die Hoffnungslosigkeit nach Jesu Tod hinweist.[70] Nach der Wiederherstellung der Nachtfeier wird am Karsamstag als dem Tag der Grabesruhe kein Gottesdienst gehalten.[71]

Die Bräuche der Karwoche werden unten unter 2.4.2 näher erläutert.

Während die evangelische Kirche zwischen Karwoche und Triduum nicht differenziert, endet für die katholische Kirche die Karwoche bereits am Abend des Gründonnerstags, da das Ostertriduum seit 1969 laut Vatikanum II wieder am Vorabend des Karfreitags beginnt.[72] Zuvor hatte sich aufgrund der Vorverlegung der Osternacht auf Karsamstag ein Doppeltriduum entwickelt: Der Gründonnerstag erfuhr eine Bedeutungserhöhung dadurch, dass er nun zum Leidenstriduum, welches Donnerstag, Freitag und Samstag umfasste, gezählt wurde; gleichzeitig wurde die Festzeit auf Sonntag, Montag und Dienstag beschränkt, wodurch ein Oster- oder Auferstehungstriduum entstand, was den Bruch zwischen Passion und Auferstehung deutlich hervortreten ließ.[73]

Hier nun bedarf es einer Nachzeichnung der Entwicklung der österlichen Freudenzeit und insbesondere der Osteroktav, um ihre eben genannte Beschränkung einordnen zu können.

Bereits im 2. Jahrhundert wurden die 50 Tage nach Ostern als Fest- und Freudenzeit (griech.: pentekoste, lat.: quinquagesima), als „ein einziger Sonntag“ (Ambrosius), gefeiert. Hintergrund sind hier die biblischen Berichte, dass Jesus nach seinem Tod und dem Auffinden des leeren Grabes (Mt 28,7-10; Mk 16,1-8; Lk 24,1-12; Joh 20,1-10) in einem Zeitraum von 40 Tagen (Apg 1,3f.) immer wieder in Erscheinung tritt (Mt 28,16-10, Mk 16,9-19;[74] Lk 24,19-43; Joh 20,11-29; 21,1-24) und die Jünger am 50. Tag nach dem Passafest den Heiligen Geist empfangen (Apg 2,1ff.). Das „verdeutlicht, daß Ostern kein punktuelles Ereignis ist, sondern den gesamten Zeitraum umfaßt, in dem sich die Erscheinungen des Auferstandenen ereigneten“[75]. Doch auch diese Zeit wurde bald der Historisierung unterworfen: Ab dem 4. Jahrhundert entwickelte sich am 40. Tag das Himmelfahrts-Fest, das zuvor gemeinsam mit der Geistsendung am 50. Tag gefeiert wurde; die Geistsendung setzte sich immer mehr als Festinhalt des 50. Tages durch, woraus sich das Pfingstfest als eigenständiges Fest entwickelte.[76]

Im 3. und 4. Jahrhundert begann sich die Osterwoche einschließlich des auf Ostern folgenden Sonntags als besondere Woche abzuzeichnen. Sie beginnt mit dem Ostersonntag, der somit etwa ab dem 4. Jahrhundert bis zur Verschiebung des Triduum sacrum gleichzeitig dessen dritter Tag und erster Tag der österlichen Freudenzeit war. Während Bieritz in dem johanneischen Bericht von der Erscheinung Jesu am achten Tag (Joh 20,19-29) einen Anhalt zur Entstehung der sogenannten Osteroktav erkennt,[77] sieht Becker-Huberti eine Verbindung zur siebentägigen Passafeier der Juden, die im Exil auf acht Tage ausgedehnt worden sei.[78] Auf der Maur lehnt dies aufgrund mangelnder Beweise ab und nimmt als Ursprung eine Taufoktav an.[79]

Eine enge Verbindung zwischen der Hervorhebung der Osteroktav und den in der Osternacht vollzogenen Taufen bestand jedenfalls: Es fanden tägliche Eucharistiefeiern statt und die Neugetauften trugen bis zum Sonntag weiße Kleidung, weshalb die Osterwoche auch als Weiße Woche und der Sonntag als Weißer Sonntag bezeichnet werden.[80] Seit dem 17. Jahrhundert findet die Erstkommunion katholischer Kinder zumeist am Weißen Sonntag statt.

Mit der Vorverlegung der Osternacht ging die achttägige Symbolik der sich gegenüberstehenden Zeiträume zwischen Palmsonntag und Ostersonntag sowie zwischen Ostersonntag und Weißem Sonntag verloren. Im 8. und 9. Jahrhundert wurde die Osteroktav dann auch um Donnerstag und Freitag verkürzt. Ein Grund hierfür wird darin gesehen, dass man sich im Norden keine zweiwöchige Arbeitsruhe leisten konnte.[81] Durch eine weitere Verkürzung fiel auch der Mittwoch weg, was zur Entstehung des oben erwähnten selbstständigen Ostertriduums von Ostersonntag, Montag und Dienstag führte. „Endpunkt dieser Entwicklung ist die Beschränkung der Festfeier auf Ostersonntag und Ostermontag“[82], wie sie noch heute vorhanden ist.

Eine Darstellung der Bräuche des Osterfestes ist zu finden unter 2.4.3.

2.3 Entstehung und Entwicklung der Quadragesima

Mit der lateinischen Bezeichnung Quadragesima (= Zeit der Vierzig Tage) wurde versucht, einen möglichst neutralen Begriff zur Benennung der als Fasten-, Passions- oder auch österlichen Bußzeit bekannten Vorbereitungszeit auf Ostern zu verwenden, denn alle genannten Begriffe stellen (nur) ein Element dieser Zeit besonders heraus.

Den Hintergrund für die besondere Ausgestaltung der vierzig Tage vor Ostern liefern zahlreiche biblische Texte, in denen die Zahl Vierzig eine besondere Bedeutung erhält. Dies sind die 40-tägige Sintflut (Gen 7,4ff.), der 40-tägige Aufenthalt von Moses auf dem Sinai (Ex 24,18), der 40-jährige Zug des Volkes Israel durch die Wüste (Jos 5,6), Elijas 40-tägiger Weg zum Horeb (1 Kön 19,8), die 40 Tage dauernde Buße in Ninive (Jona 3,4) sowie vor allem der 40-tägige Aufenthalt Jesu in der Wüste (Mt 4,2; Mk 1,13; Lk 4,1f.). Hierbei handelt es sich immer um die Beschreibung von Zeiten der Läuterung, Buße und Vorbereitung.[83]

Entwickelt hat sich die heutige Gestalt der Quadragesima aus verschiedenen Wurzeln. So sind Freitag und Samstag vor dem Ostersonntag bereits seit dem 2. Jahrhundert als Fasttage bekannt, die aber noch direkt zum als Einheit aus Leiden, Tod und Auferstehung gefeierten Osterfest gezählt wurden. Ab dem 3. Jahrhundert entstand außerdem ein in verschiedenen Gemeinden bis zu sechstägiges dem Osterfest vorgelagertes Fasten. Beides kann aber eher als Ursprung der Karwoche denn als Vorläufer der Quadragesima, die „vom Ansatz her [...] keine Ausgliederung der ersten (Trauer-) Phase der Osterfeier, sondern eine spezifische Vorbereitungszeit“[84] ist, angesehen werden (vgl. hierzu auch 2.2).[85] In Rom gab es im 4. Jahrhundert eine dreiwöchige Vorbereitungsphase, bis sich zu Beginn des 5. Jahrhunderts die 40-tägige Vorbereitungszeit durchsetzte. Diese Entwicklung hing mit dem Einbezug der Tauffeier in die Osternacht zusammen, denn die Taufbewerber (Katechumenen) sollten vor der Taufe fasten und sich auf sie vorbereiten.[86] Auch die Wiederaufnahme der öffentlichen Büßer begann, sich auf Ostern (und insbesondere Gründonnerstag, s.o.) zu konzentrieren, wodurch die Buße vor allem in der Quadragesima zu leisten war. Auf der Maur betrachtet es als „ganz natürlich“, dass sich die ganze Gemeinde mit der Zeit den Büßern und Katechumenen anschloss.[87]

Die Zählung bzw. Berechnung dieser Zeit war zunächst unterschiedlich, da in den unterschiedlichen Kirchen (Rom, Alexandrien, Antiochien) verschiedene Tage vom Fasten ausgenommen waren. In Konstantinopel und Jerusalem wurde bereits ab dem 5. Jahrhundert, später auch in Alexandrien und dann in allen Ostkirchen die Quadragesima von der Karwoche getrennt, was im Westen unterblieb. In Rom begann sie sechs Wochen vor Ostern, wobei Karfreitag und Karsamstag zunächst ausgeklammert blieben, woraus sich 40 Tage ergaben. Da aber an den Sonntagen nicht gefastet wurde, entstand mit dem Zurücktreten der Taufvorbereitung und des Bußcharakters[88] der Quadragesima bei gleichzeitiger Hervorhebung des Fastens die Notwendigkeit einer neuen Zählung: Karfreitag und Karsamstag wurden nun mitgezählt; außerdem wurde die Vorbereitungszeit um vier Tage nach vorne verlängert, wodurch ihr Beginn nun auf Aschermittwoch, den Mittwoch vor dem sechsten Sonntag vor Ostern, datierte.[89] Dieser Mittwoch wurde im Missale Romanum 1570 als Beginn der Quadragesima festgeschrieben und blieb bis heute erhalten.

Auch lutherische Kirchenordnungen aus dem 16. Jahrhundert geben ihn als ersten Tag der Vorbereitungszeit an; im 18. Jahrhundert verlegte man den Beginn auf den Sonntag danach (Invocavit), um im 19. Jahrhundert zum Aschermittwoch zurückzukehren. Außer den Lutheranern und Anglikanern hielten allerdings nur wenige protestantische Richtungen die Fastenzeit ein, Calvin sah sie als „Ritual des Aberglaubens“.[90] Anstoß nahmen die Reformatoren weniger am Fasten selbst als an den zahlreichen und strengen Regelungen der mittelalterlichen Kirche.[91] Luther selbst schrieb: „Christus blut ist freylich nicht darumb meyn oder deyn, das wir fasten odder lesen, sondern das wir also glawben, wie Paulus spricht Ro. 4., ‚Wir achten, das der mensch durch den glawben rechtfertig werde, on des gesetzs werck’“.[92] Trotzdem trat er für die Beibehaltung der Fastenzeit als „Meditationsperiode über Christi Leiden und Tod“[93] ein.

[...]


[1] Berg und Weber 1998, 4.

[2] Vgl. Rickers 2001.

[3] Vgl. Kurz 2002, 356.

[4] Vgl. Bieritz 1988, 77 und http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?Kalender/Ostern.html.

[5] Im jüdischen Passafest sind zwei Frühlingsfeste - das Hirtenfest Chag Ha-Pessach (Feier des Pessach-Lammes) und das Bauernfest Chag Ha-Mazzot (Feier des ungesäuerten Brotes) - eins geworden. Es ist das Fest, bei dem sich die ganze Kultgemeinde versammelt, um in Reinheit Gott zu ehren, der vergangenen Heilsgeschichte zu gedenken und den kommenden Messias zu erwarten.

(Vgl. Huber 1969, 2f. und http://www.festjahr.de/festtage/ostern.html.)

[6] Nach Visonà sind dies z. B. Lohse, Braulik, Beckwith und Kunze. (Vgl. Visonà 1995, 518.)

[7] Vgl. http://www.theology.de/ostern-kirchengeschichtlich.htm.

[8] Visonà 1995, 518.

[9] Schwankl 1998, 1177.

[10] Vgl. Auf der Maur 1983, 64.

[11] Bieritz 1988, 77.

[12] Vgl. a.a.O. 77f.

[13] Visonà, 519.

[14] „In der Schlachtung des Passalammes und im Auszug aus Ägypten, in der tödlichen Bedrohung, in die das Volk gerät, und in seiner Errettung aus den Fluten des Meeres ist die Geschichte Jesu Christi vorgebildet.“ (Bieritz 1988, 81.)

[15] Vgl. Huber 1969, 11.

[16] Bieritz 1988, 78.

[17] Halbfas 1983, 188.

[18] Vgl. http://www.computus.de/bach/bach08.html.

[19] Bieritz 1988, 78.

[20] Vgl. Bienert 1998, 1172.

[21] Vgl. http://www.computus.de/bach/bach13.html und Auf der Maur 1983, 140f.

[22] Vgl. Kirchhoff 1995, 91f.

[23] Klöckener 1998, 1178.

[24] Vgl. Bieritz 1988, 79.

[25] Visonà 1995, 520.

[26] Ebd.

[27] Auf der Maur 1983, 69.

[28] Vgl. a.a.O., 70.

[29] Schnitker 1992, 980.

[30] Visonà 1995, 523.

[31] Vgl. Auf der Maur 1983, 86-96 und Bieritz 1988, 117-122.

[32] Vgl. Schnitker 1992, 980 und Kinzig 2003, 729.

[33] Vgl. Visonà 1995, 524.

[34] Vgl. a.a.O., 523 und Bieritz 1988, 126f.

[35] Vgl. Schnitker 1992, 980.

[36] Vgl. Klöckener 1998, 1178.

[37] Visonà 1995, 525.

[38] Klöckener 1998, 1178.

[39] Nürnberger Kirchenordnung von 1533, zit. nach: Visonà 1995, 525.

[40] Visonà 1995, 525.

[41] Vgl. a.a.O., 524-525; Klöckener 1998, 1177-1181 sowie Holtz 1992.

[42] Vgl. Auf der Maur 1983, 126ff.

[43] A.a.O., 129.

[44] Vgl. Bieritz 1988, 116.

[45] Klöckener 1998, 1179.

[46] Vgl. Visonà 1995, 526.

[47] Vgl. a.a.O., 527; Auf der Maur 1983, 142 sowie Schwier 2003, 734.

[48] Vgl. Visonà 1995, 527 sowie unten 2.4.4.

[49] Vgl. Bieritz 1988, 121ff.

[50] Vgl. Auf der Maur 1983, 76.

[51] Augustin spricht im 5. Jahrhundert vom „hochheiligen Triduum des Gekreuzigten, Begrabenen, Auferweckten“ (sacratissimum triduum crucifixi, sepulti, suscitati).

(Vgl. Visonà 1995, 522 und http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?Kalender/Karwoche-Karfreitag.html.)

[52] Der Begriff „kara“ oder „chara“ stammt aus dem Althochdeutschen und meint Trauer, Klage. (Vgl. Bieritz 1988, 83.)

[53] Vgl. Auf der Maur 1983, 76f.

[54] Bieritz 1988, 102.

[55] Vgl. a.a.O., 105.

Diese Bezugnahme führt m. E. aber zu der Gefahr, einen Übergang im entgegengesetzten Sinne – vom Licht zum Dunkel, vom Leben zum Tod – wahrzunehmen, weshalb der Bezug nicht ohne Hinblick auf das Heilsgeschehen der Osternacht und noch weniger als direkter Vergleich zu ihr stehen bleiben darf.

[56] Ebd.

[57] Vgl. Klöckener 1996, 1277 und Bieritz 1988, 106.

[58] Das deutsche Messbuch bezeichnet ihn als „Hohen Donnerstag“, die Lutherische Agende als „Tag der Einsetzung des heiligen Abendmahls“. Es finden sich in der Literatur vereinzelt weitere Erklärungen für die Benennung als Gründonnerstag: Das Erwachen und Grünwerden der Natur, der Gebrauch grüner Paramente, das Essen grüner Kräuter (was aber wohl eher vom Umkehrschluss herrührt, s.u. 2.4.2). Auch von der Ableitung des mittelhochdeutschen „gronan“ ausgehend, lässt sich nicht eindeutig sagen, worauf dieses „Weinen“ oder „Klagen“ bezogen war: Neben den genannten Büßern könnte es außerdem mit der darauffolgenden Nacht vor der Kreuzigung oder der bevorstehenden Kreuzigung selbst in Verbindung gebracht werden.

(Vgl. Bieritz 1988, 107 und http://www.theology.de/gruendonnerstag.htm.)

[59] Vgl. Auf der Maur 1983, 103-107; Bieritz 1988, 108ff sowie Maas-Ewerd 2000, 1307.

[60] Vgl. Wiggermann 2001, 809.

[61] A.a.O., 810.

[62] Vgl. Kirchhoff 1995, 110f.

[63] Vgl. Bieritz 1988, 111-114.

[64] A.a.O., 113.

[65] Vgl. ebd. und http://www.theology.de/karfreitag.htm.

[66] Vgl. http://www.theology.de/karwoche.htm.

[67] Vgl. Schwier 2003, 733.

[68] Vgl. Dreher 1950, 36ff.

[69] Auf der Maur 1983, 113.

[70] Vgl. http://www.theology.de/karsamstag-ostersamstag.htm.

[71] Vgl. ebd. und Bieritz 1988, 115.

[72] Vgl. Klöckener 1996, 1276-1278.

[73] Vgl. Visonà 1995, 524.

[74] Dieser Abschnitt findet sich nur ein einem Teil der griechischen Handschriften des Neuen Testaments. Nach den ältesten Textzeugen endet das Markus-Evangelium mit Vers 8.

[75] Vgl. Bieritz 1988, 125f.

[76] Vgl. a.a.O., 136f.

[77] Vgl. a.a.O., 129.

[78] Vgl. http://www.festjahr.de/festtage/ostern.html.

[79] Auf der Maur 1983, 80.

[80] Vgl. Bieritz 1988, 129.

[81] Vgl. a.a.O., 130 und Auf der Maur 1983, 85.

[82] Bieritz 1988, 130.

[83] Vgl. Auf der Maur 1983, 144 und Bieritz 1988, 90f.

[84] Auf der Maur 1983, 143.

[85] Vgl. Foley 2003, 985.

[86] Vgl. Auf der Maur 1983, 145; Bieritz 1988, 91 sowie Crehan und Hall 1983, 50f.

[87] Auf der Maur 1983, 145.

[88] Die Einrichtung der öffentlichen Kirchenbuße ging ab dem 9./10. Jahrhundert ganz verloren. Vgl. Bieritz 1988, 97.

[89] Vgl. a.a.O., 93 und Foley 2003, 985f.

[90] Foley 2003, 986.

[91] Vgl. Crehan und Hall 1983, 55.

[92] WA 12, 148, 25f., zit. nach: Crehan und Hall 1983, 55.

Luthers Verständnis von Buße und Fasten wird näher erläutert unter 3.1.

[93] Foley 2003, 986f.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Der Osterfestkreis - historische/dogmatische/didaktische Perspektive
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Evangelische Theologie)
Note
Sehr gut (1)
Autor
Jahr
2005
Seiten
102
Katalognummer
V41937
ISBN (eBook)
9783638400916
Dateigröße
678 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Osterfestkreis, Perspektive
Arbeit zitieren
Michaela Hofmann (Autor:in), 2005, Der Osterfestkreis - historische/dogmatische/didaktische Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41937

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