Leseprobe
Inhalt
1.Einleitung
2.Begriffsbestimmung
3.Effekte der Elternarbeit
4.Muslimische Eltern
5.Kritische Themen im Umgang mit muslimischen Schüler*innen und ihren Eltern
5.1. Feste
5.2. Ramadan
5.3. Das rituelle Gebet
5.4. Sexualerziehung
5.5. Sportund Schwimmunterricht
5.6. Klassenfahrt
6.Türöffner und Stolpersteine in der Zusammenarbeit mit muslimischen Eltern
7.Anforderungen an Lehrer*innen
8.Zusammenfassung und Fazit
9.Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Die Zusammenarbeit mit Eltern stellt einen wichtigen Teil der pädagogischen Praxis dar. Vor allem in der frühkindlichen Bildung wird der Zusammenarbeit mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ein großer Stellenwert beigemessen. In der Grundschule nimmt die Wichtigkeit und Regelmäßigkeit zwar ab, aber sie spielt immer noch eine große Rolle. Eltern bringen und holen ihre Kinder oftmals zur Schule, wodurch sich Türund Angel-Gespräche zwischen Lehrer*innen und Eltern entwickeln können und wodurch ein regelmäßiger Kontakt bestehen bleibt. Abgesehen davon werden in der Grundschule regelmäßiger Feste gefeiert oder andere Angebote geschaffen, zu denen die Eltern eingeladen werden. Diese werden außerdem in der allgemeinen Gestaltung des Schulalltages mehr eingebunden, indem sie z.B. an Wandertagen als Begleitpersonen teilnehmen.
In den weiterführenden Schulen wird der Elternarbeit eher weniger Beachtung geschenkt. Da in der Sekundarstufe im Gegensatz zur Grundschule Fachlehrer eingesetzt werden, haben die Eltern nun viele potentielle Gesprächspartner vor sich, was dazu führt, dass ein intensiver Kontakt mit den Lehrkräften weniger häufig stattfindet. Ein anderer Grund ist, dass Eltern durch das Erwachsenwerden der Schüler häufig den Kindern Entscheidungen überlassen und sich nicht so sehr in das (Schul-)Leben dieser einmischen. Nichtsdestotrotz spielt die Bildungsund Erziehungspartnerschaft von Eltern und Lehrpersonal in der Sekundarstufe für die Entwicklung der Kinder und den Schulalltag eine wichtige Rolle. (vgl. Sacher 2012: 12)
In den letzten Jahren wird in der Pädagogik ein verstärkter Fokus auf Inklusion und Interkulturelle Kompetenzen gelegt. Angesichts der Tatsache, dass 35,9 % aller Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund hat, erscheint es durchaus sehr wichtig, die Elternarbeit aus interkultureller Perspektive zu betrachten. (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016) Die verschiedenen Kulturen, von denen die Rede ist, sind durch unterschiedliche Faktoren, wie etwa Herkunftsland, soziale Schicht und Religion, geprägt. Der Großteil der Migranten ist muslimischen Glaubens, doch auch die Gruppe der Muslime ist in sich sehr heterogen. Diese Arbeit soll sich vor allem der Kooperation mit muslimischen Eltern widmen. Themen, die die allgemeine Gruppe der Migranten betreffen werden zwingerdermaßen auch inhaltlich gestreift werden.
Nachdem die Begrifflichkeiten geklärt werden, sollen in der vorliegenden Arbeit zunächst die Effekte der Elternarbeit dargestellt werden, um daraufhin die muslimischen Eltern mit ihren Besonderheiten näher zu betrachten. In einem weiteren Schritt sollen dann kritische Themen im Umgang mit muslimischen Schüler*innen und Eltern vorgestellt werden und dabei günstige Handlungsoptionen für Lehrer*innen aufgezeigt werden. Danach sollen sogenannte Türöffner und Stolpersteine in der Zusammenarbeit mit muslimischen Eltern vorgestellt werden, um daraufhin die Anforderungen an die Lehrer*innen darzustellen. Abschließend soll die Arbeit zusammengefasst und ein Fazit gezogen werden.
2. Begriffsbestimmung
Der Begriff Elternarbeit kann „als Sammelbegriff für die Zusammenarbeit von pädagogischen Einrichtungen mit Erziehungsberechtigten“ (Nabi Acho 2011: 34) verstanden werden.
Obwohl der Begriff nur eine Zusammenarbeit mit den biologischen Eltern impliziert, sind damit - angelehnt an § 7 Sozialgesetzbuch VIII - nicht nur diese, sondern „alle Sorgeberechtigten oder sonstigen volljährigen Personen, die aufgrund einer Vereinbarung mit dem bzw. den Personensorgeberechtigten längerfristig Aufgaben der Personensorge wahrnehmen …“ (Sacher 2014: 25) gemeint.
Der Begriff Elternarbeit steht allerdings aus verschiedenen Gründen in der Kritik:
- Elternarbeit kann in Verbindung mit Begriffen wie Sozialarbeit, Seniorenarbeit, Drogenarbeit usw. gebracht werden, was dazu führen könnte, Eltern als eine Problemgruppe anzusehen.
- Elternarbeit impliziert eine hierarchische und asymmetrische Beziehung von Schule und Eltern: Die Schule ist aktiv, die Eltern sind nur passive Rezipienten.
- Der Begriff lässt die wichtigste Gruppe der Akteure, nämlich der der Schüler*innen aus.
(vgl. Sacher 2013: 9)
Sacher bevorzugt den Begriff Bildungsund Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrern und plädiert somit für einen Paradigmenwechsel. Bildungsund Erziehungspartnerschaft beschreibt ein partnerschaftliches Verhältnis der Akteure auf Augenhöhe, welches auch eine Bedingung für nachhaltigen Erfolg ist. (vgl. Sacher 2014: 25)
Erziehungspartnerschaft wird hauptsächlich in der Kindergartenpädagogik verwendet, während Bildungspartnerschaft vorwiegend im Bereich der formellen Bildung, also Schulen und Hochschulen benutzt wird. (vgl. Stange 2012: 12)
Da Elternarbeit als Sammelbegriff verstanden wird und am geläufigsten ist, wird er in der vorliegenden Arbeit gebraucht, um die Kommunikation und Zusammenarbeit von Eltern und Lehrer*innen und Schule zu beschreiben.
Im folgenden Kapitel sollen die Effekte der Elternarbeit aufgezeigt werden.
3. Effekte der Elternarbeit
Neben dem Einfluss der Schule und des Unterrichts, hat die Familie einen großen Einfluss auf den Bildungserfolg junger Menschen. Forschungen legen nahe, dass die Bedeutsamkeit des Elternhauses sogar doppelt so hoch sei, wie das der Schule. (vgl. Sacher 2014: 13)
Das enorme Potential der Familien ist aber nicht gleichbedeutend mit dem der Elternarbeit. Was den Effekt der Elternarbeit auf den Bildungserfolg der Schüler*innen betrifft, sind die Ergebnisse von Forschungen nicht klar und teils widersprüchlich. Dies liegt unter anderem auch an der Definition von Bildungsund Erziehungspartnerschaft bzw. Elternarbeit. Diese und andere Begriffe, wie etwa Elternzusammenarbeit, Familienbildung, usw., sind nicht klar definiert und werden teils synonym verwendet.
Des Weiteren stellt sich die Frage, anhand von welchen Kriterien man erfolgreiche Elternarbeit messen soll. Denkbar wäre etwa an den Schulnoten oder an der Häufigkeit der Teilnahme der Eltern an den schulischen Angeboten. Der Erfolg lässt sich demnach schwer messen, da die Kooperation von Eltern und Schule von vielen Variablen abhängt. Eltern, deren Kinder schlechte schulische Leistungen erbringen, könnten beispielsweise weniger aktiv in der Schule auftreten, da sie befürchten könnten Vorwürfen zu begegnen. Andererseits führen schlechte schulische Leistungen und sonstige Konflikte auch zu einem verstärkten Kontakt der Schule mit dem Elternhaus. (vgl. ebd.: 18)
Um verlässliche Angaben über die Effekte von Elternarbeit machen zu können, müssen also mehr methodisch anspruchsvolle Untersuchungen angestellt werden. Solche bereits durchgeführten Studien stellen übereinstimmend fest, „dass Engagement von Eltern für die Schule und Bildung ihrer Kinder auf allen Altersstufen Leistungsverbesserungen bewirkt, und zwar vor allem dann, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Lernen der Kinder steht“ (Stange 2012: 233). Zu unterscheiden ist hierbei das schulbasierte und das heimbasierte Engagement von Eltern. Das heimbasierte Engagement von Eltern in Form von häuslicher Unterstützung des Lernens ist effektiver als das schulbasierte. Das schulbasierte Engagement in Form von beispielsweise Besuchen der Elternabende und Elternsprechtagen zeigt vor allem positive Effekte auf die Schulnoten, allerdings nicht auf die Ergebnisse von standardisierten Leistungstests.
Somit kann man sagen, dass Elternarbeit alleine keine Erfolge bringt, aber dann erfolgreich ist, wenn es zu mehr Engagement und Unterstützung von Seiten der Eltern zu Hause führt.
Sacher fasst die Effekte folgendermaßen zusammen:
„Elternarbeit zahlt sich wirklich in besseren Leistungen und in einer günstigeren Entwicklung der Schülerinnen und Schüler aus, wenn sie erreicht, dass die Eltern sich für die Schule und die Bildung ihrer Kinder engagieren, und zwar nicht nur in deren Schule, sondern auch und vor allem zuhause durch eine günstige Gestaltung des Umfeldes und eine förderliche Erziehung.“ (Sacher 2013: 5)
Für den Bereich der Sekundarstufe spielt die Wahl der weiterführenden Schule oder des Berufes eine große Bedeutung. Nicht zu unterschätzen ist dabei der Einfluss der Eltern, da dieser entgegen der Wahrnehmung der Lehrer*innen groß ist. Ebenso ist in der Sekundarstufe mit voranschreitendem Alter der Schüler*innen wichtig, Elternarbeit nicht ohne die Schüler*innen zu leisten, da dies zu Widerständen von Seiten der Schüler*innen führen könnte. (vgl. Sacher 2014: 137)
Nachdem in diesem Kapitel die Effekte der Elternarbeit dargestellt wurden, soll im folgenden Kapitel ein Blick auf die Elternschaft mit Fokus auf die muslimischen Eltern geworfen werden.
4. Muslimische Eltern
Wenn über Elternarbeit bzw. über Bildungsund Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrern gesprochen wird, ist es wichtig einen Blick auf die Eltern zu werfen. Die Elternschaft stellt keine homogene Gruppe dar, denn es gibt nicht die Eltern, wie fälschlicherweise vermutet wird. Die Elternschaft besteht aus Müttern und Vätern, die unterschiedliche Bedarfe und Wünsche haben. Sie unterscheiden sich nach dem sozioökonomischen Status, dem Bildungsniveau, dem kulturellen Hintergrund, dem Migrationsstatus und anderen Merkmalen. Diese Merkmale können sich als Ordnungskriterien anbieten, welche Orientierung und einen Handlungsrahmen bieten. Doch selbst innerhalb dieser Gruppen gibt es Unterschiede. (vgl. Roth 2014: 94f)
Ein Bereich, der die Heterogenität der Elternschaft ausmacht, ist die Gruppe der Migranten. Da die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist, besteht eine große Gruppe der Eltern aus Migranten. Die Migranten als Bevölkerungsgruppe und dadurch auch die Eltern als Untergruppe dieser, sind in sich komplex strukturiert. Vor allem die nationale Herkunft ist ein wichtiger Faktor der Heterogenität. Die größte Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland stammt aus der Türkei (16,7%), gefolgt von Polen (9,9%) und der Russischen Föderation (7,1%). (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 7)
Menschen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich aber nicht nur durch ihre nationale Herkunft und damit auch durch ihre kulturellen und religiösen Hintergründe, sondern auch durch das soziale Milieu, in welchem sie leben. Die Unterschiede zwischen den Kulturen sowie zwischen anderen Gruppen wie Arbeitsmigranten, Aussiedler, Flüchtlinge, Asylbewerber und binationalen Familien sind sehr groß. (vgl. Hansen & Hess 2012: 75) Empirische Studien zeigen, dass die Lebenslagen von Familien mit Migrationshintergrund sehr vielfältig sind. Die Lebenslagen werden insbesondere bestimmt durch die Unterschiede zwischen den Einwanderungsgenerationen, den mit den Herkunftsländern verbundenen Kulturen und den sozialen Milieus, in denen Familien leben. (vgl. Roth 2014: 118) Dadurch werden Lehrer*innen immer häufiger mit Eltern konfrontiert, die aus Kulturkreisen stammen, welche ihnen fremd sind und die zum Teil nicht ihre Sprache sprechen. Diese Eltern bringen Riten und Werte in die Schule, die sie bislang nicht kannten. Damit stehen die Lehrer*innen häufig vor dem Problem, dass ein Dialog über die Schule und den Unterricht kaum stattfindet. Die deutsche Elternschaft aus der Mittelschicht wird im Gegensatz dazu als starke Partner im Schulprozess gesehen und äußert gegenüber der Schule ihre Wünsche und kooperiert mit dieser. (vgl. Hansen & Hess 2012: 74)
Wie bereits erwähnt, stellt die größte Gruppe der in Deutschland lebenden Migranten die Türken da, welche mehrheitlich muslimischen Glaubens sind. Da die Religionszugehörigkeit der in Deutschland lebenden Menschen zuletzt bei der Volkszählung 1987 erfragt wurde, können keine verlässlichen Angaben über die genaue Anzahl der Muslime in Deutschland gemacht werden. Einer Hochrechnung des BAMF zufolge lebten 2015 in Deutschland zwischen 4.400.000 und 4.700.000 Muslime. Somit machten Muslime zwischen 5,4% und 5,7% der Gesamtbevölkerung Deutschlands im Jahr 2015 aus. (vgl. BAMF 2016: 5) Einer Kurzexpertise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahre 2010 ist zu entnehmen, dass, ca. 25% der Muslime in Deutschland unter 15 Jahre alt und somit schulpflichtig waren. (vgl. BMFSFJ 2010: 7) Die Muslime, die in Deutschland bereits in der dritten und vierten Generation leben stammen mehrheitlich aus der Türkei, Südosteuropa und Nordafrika. (vgl. BAMF 2016: 22) Daher ist das muslimische Leben in Deutschland kulturell gesehen vielfältig, denn es wird von Muslimen aus vielen weiteren Ländern und Kulturen geprägt. Ebenso ist die religiöse Bindung der Muslime sehr unterschiedlich. Daraus kann man schließen, dass die Lebensrealitäten der Muslime in Deutschland, wie auch auf der ganzen Welt, sehr unterschiedlich sind. Dennoch werden in den deutschen Medien und der Gesellschaft die Muslime als homogene Masse wahrgenommen, die bedrohlich oder rückständig erscheint (vgl. Schiffer 2005: 24) Wie die Lebensrealitäten der Muslime in Deutschland tatsächlich aussehen, wird in der Regel nicht reflektiert und hierin liegt das eigentliche Problem: Den meisten Deutschen ist der Islam nach wie vor unbekannt. Dabei kommt es zu Unsicherheiten, Vorurteilen und mitunter zu Mythenbildungen. Muslime bleiben somit etwas Unbekanntes und Bedrohliches. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen jedoch ist es wichtig, sich seiner Vorurteile bewusst zu werden und sich von diesen frei zu machen. (vgl. Mirbach 2013: 21f.)
Die Schwierigkeit hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Migranteneltern, unter ihnen auch Muslime, wird von den Pädagogen und Pädagoginnen damit begründet, dass mangelnde Deutschkenntnisse die Kommunikation erschweren. Weiterhin seien die kulturellen Lebensgewohnheiten zu unterschiedlich und die Eltern hätten kein oder kaum Interesse an der Zusammenarbeit mit der Schule, was sich an den kaum besuchten Elternabenden zeige. In solchen Begründungen kommen einseitige und stereotype Bilder zum Vorschien, die zwar einen Hinweis darauf geben, worin die Probleme in der Zusammenarbeit liegen, diese aber nicht erklären und damit auch keine Lösungsansätze bieten. (vgl. Azun 2013: 226)
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