Leseprobe
Mitmachen, Gehorchen oder Fernbleiben - Was die politische Kultur
in Deutschland heute ausmacht
Dieses Essay beschäftigt sich mit der politischen Kultur Deutschlands in Hinblick auf die Einstellungen und die politische Kultur vor der „Wende“, die allgemeine Einstellung der Bürger zur Politik im Ost-West Vergleich und dem politischen Handeln im sozialen Umfeld in Bezug auf Milieus, sozialen Netzwerken und „Klassen“.
Die politische Kultur Deutschlands hat im Laufe der letzten Jahrzehnte und vor allem seit der Wiedervereinigung einen Wandel erlebt. Der Begriff politische Kultur bedeutet in der Politikwissenschaft, Geschichte und Sozialwissenschaft die Verteilung aller kognitiven, emotionalen und beurteilenden Einstellungen in Bezug auf politische Fragestellungen, speziell zur generellen Ordnung, Organisation des politischen Systems in einer Gesellschaft und zur eigenen Rolle im System.
Vor der deutschen Einigung entwickelt sich die politische Kultur Deutschlands dank der westlichen Besatzungsmächte zunächst in einer Phase der Wiederherstellung und Festigung der parlamentarischen Demokratie. Politisches Interesse hatten allerdings schon damals nur wenige, obgleich die Wahlbeteiligung anfangs recht hoch war. Die Deutschen schienen mehr an der Output Seite der Politik interessiert zu sein und beschränkten sich daher auf eine formale, relativ inaktive Beteiligung. Ab 1967/68 begann eine weitere Phase durch eine Studentenbewegung und erreichte somit marxistische Züge in der Politik. Innerhalb dieser Zeit entwickelten sich mehrere Legitimitätszweifel an der Politik und führten besonders bei den jüngeren, höher gebildeten Bürgern zu einem Drang nach „Links“. Deutschland war geprägt von einer Spaltung zwischen Mehrheitsund Protestkultur. Immerhin stieg das politische Interesse ab Anfang der 70er Jahre und pendelte sich in den 80er Jahren ein, ebenso private Gespräche über Politik. Das gesteigerte Interesse führte infolgedessen zu einer höheren Partizipation. Danach ging es wieder Abwärts mit der Beteiligung der Bürger. So sanken Mitgliederzahlen der Parteien und die Wahlbeteiligung ging ebenfalls zurück. Seit der Wiedervereinigung bleibt die geringe Partizipation bestehen und ist bis heute ein charakteristischer Zug der politischen Kultur in Deutschland, wobei es in den neuen Bundesländern schlechter als im Westen aussieht. In Ostdeutschland war es einfach nicht „in“ sich politisch zu beteiligen, was nicht mit politischem Desinteresse gleichzusetzen ist.
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