Einleitung
Je weiter die EU-Erweiterung voranschreitet, desto brisanter wird die Frage, wie diesen „Vereinigten Staaten von Europa“ mit all ihren nationalstaatlichen Besonderheiten zu einem gemeinsamen Bewusstsein verholfen werden kann. Die Schaffung einer ‚Europäischen Öffentlichkeit’ scheint dabei von zentraler Relevanz zu sein. Bei der schwierigen Annäherung sowohl an den Begriff Europas als auch an den der Öffentlichkeit lassen sich zunächst die von Kleinsteuber entwickelte Raumtheorie und die darin dargestellten Faktoren zur Bildung von Kommunikationsräumen heranziehen. Das Projekt ‚Europäische Union’ ist zwar grundsätzlich ein politisches; dennoch ist nicht nur der Faktor Politik für den Kommunikationsraum Europa maßgeblich. Neben technischen, politisch-rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann auch die Kultur als raumbildende Größe herangezogen werden. Wie lässt sich dieser unscharfe Begriff als Raumfaktor definieren, welche kulturellen Phänomene können über nationale Grenzen hinweg Kommunikationsräume schaffen?
Zur Schaffung eines europäischen Kommunikationsraumes wird immer wieder die Forderung nach europäischen Medien laut. Das einzigartige Projekt ARTE stellt sich seit 1992 der Aufgabe, mit qualitativ anspruchsvollem Fernsehprogramm deutschfranzösischer Provenienz die Einigung Europas voranzutreiben. Ohne näher auf die konkrete Wirkung einzugehen soll im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden, inwiefern die grundsätzliche Konzeption von ARTE als Europäischer Kulturkanal zur Konstituierung des Kommunikationsraumes Europa und einer europäischen Öffentlichkeit beiträgt. Doch zunächst sollen die ersten Versuche paneuropäischen Fernsehens und die Entstehungsgeschichte von ARTE sowie die binationale Organisation des Senders skizziert werden. Vor dem Hintergrund der vorangegangen Überlegungen zur Kultur als einigendem Kommunikationsfaktor werden darüber hinaus der spezifische Kulturbegriff bei ARTE und die Programmphilosophie des Senders dargestellt. Schließlich soll geprüft werden, wie sich die europäische Dimensionierung des Senders ausdrückt.
Kann man von dem prinzipiell binationalem Kanal als europäischem Gemeinschaftsprojekt sprechen? Wie geht das Medium mit der der europäischen Kultur eigenen Multilingualität um? Inwiefern richtet sich der europäische Sender an ein europäisches Zielpublikum? ...
Inhalt
1. Einleitung
2. Raumtheorie und Europa
2.1. Europa als Kommunikationsraum
2.2. Raumfaktor Kultur
3. Das Konzept von ARTE TV
3.1. Anfänge des Europäischen Kulturkanals
3.2. Gründungspartner: La Sept ARTE und ARTE Deutschland TV
3.3. Kulturbegriff und Senderphilosophie von ARTE
4. Die europäische Dimension von ARTE
4.1. Europäische Produktion, europäische Diffusion
4.2. Umgang mit Multilingualität
4.3. Fernsehen für den europäischen Zuschauer?
4.4. Programm: ‚regards croisés’
5. Fazit
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Je weiter die EU-Erweiterung voranschreitet, desto brisanter wird die Frage, wie diesen „Vereinigten Staaten von Europa“ mit all ihren nationalstaatlichen Besonderheiten zu einem gemeinsamen Bewusstsein verholfen werden kann. Die Schaffung einer ‚Europäischen Öffentlichkeit’ scheint dabei von zentraler Relevanz zu sein. Bei der schwierigen Annäherung sowohl an den Begriff Europas als auch an den der Öffentlichkeit lassen sich zunächst die von Kleinsteuber entwickelte Raumtheorie und die darin dargestellten Faktoren zur Bildung von Kommunikationsräumen heranziehen. Das Projekt ‚Europäische Union’ ist zwar grundsätzlich ein politisches; dennoch ist nicht nur der Faktor Politik für den Kommunikationsraum Europa maßgeblich. Neben technischen, politisch-rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann auch die Kultur als raumbildende Größe herangezogen werden. Wie lässt sich dieser unscharfe Begriff als Raumfaktor definieren, welche kulturellen Phänomene können über nationale Grenzen hinweg Kommunikationsräume schaffen?
Zur Schaffung eines europäischen Kommunikationsraumes wird immer wieder die Forderung nach europäischen Medien laut. Das einzigartige Projekt ARTE stellt sich seit 1992 der Aufgabe, mit qualitativ anspruchsvollem Fernsehprogramm deutsch-französischer Provenienz die Einigung Europas voranzutreiben. Ohne näher auf die konkrete Wirkung einzugehen soll im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden, inwiefern die grundsätzliche Konzeption von ARTE als Europäischer Kulturkanal zur Konstituierung des Kommunikationsraumes Europa und einer europäischen Öffentlichkeit beiträgt.
Doch zunächst sollen die ersten Versuche paneuropäischen Fernsehens und die Entstehungsgeschichte von ARTE sowie die binationale Organisation des Senders skizziert werden. Vor dem Hintergrund der vorangegangen Überlegungen zur Kultur als einigendem Kommunikationsfaktor werden darüber hinaus der spezifische Kulturbegriff bei ARTE und die Programmphilosophie des Senders dargestellt. Schließlich soll geprüft werden, wie sich die europäische Dimensionierung des Senders ausdrückt. Kann man von dem prinzipiell binationalem Kanal als europäischem Gemeinschaftsprojekt sprechen? Wie geht das Medium mit der der europäischen Kultur eigenen Multilingualität um? Inwiefern richtet sich der europäische Sender an ein europäisches Zielpublikum? Anhand einiger Beispielformate soll exemplarisch umrissen werden, wie sich das ARTE-Programm tendenziell von herkömmlichen nationalen Programmen unterscheidet. Abschließend sollen die gesammelten Ergebnisse in einem Fazit dazu genutzt werden, das Konzept von ARTE hinsichtlich seines Beitrages zur Schaffung europäischer TV-Kommunikation kurz zu bewerten.
2. Raumtheorie und Europa
2.1. Europa als Kommunikationsraum
Die Diskussion um den Begriff der ‚europäischen Öffentlichkeit’ gestaltet sich schwierig, zumal bereits eine klare raumzeitliche Definition Europas nicht möglich ist:[1] Geographisch gibt es keine klare Grenze zu Asien, und auch historisch oder religiös lässt sich kein homogenes Gebiet eindeutig als ‚Europa’ abstecken. Hinzu kommt die Kolonialgeschichte, die bis heute fortwirkt, zumal es beispielsweise mit den französischen D.O.M.-T.O.M.[2] in Überseegebieten noch immer EU-Territorien außerhalb der Stammlande gibt. Als konstituierendes Merkmal Europas könnte man hingegen gerade seinen Facettenreichtum, seine Offenheit und die „Kommunikation mit sich und anderen Regionen der Welt“ sehen - charakteristische Eigenschaften, denen der Kontinent laut Kleinsteuber seinen „politischen, ökonomischen und kulturellen Aufstieg in hohem Maße“ verdanke.[3] Europa war schon immer zugänglich für Impulse von außen: Es übernahm die Zahlen aus Arabien, das Alphabet aus Kleinasien und die Papierherstellung aus China. Vor allem seit dem Mittelalter fand auch intern immer intensive Kommunikation statt, zwischen den nationalen Herrschern und auch auf Bürgerebene (Fernhandelsrouten wie die Hanse, wissenschaftlicher Austausch). Als Antwort auf das Bedürfnis nach Austausch entstanden Buchdruck und Massenpresse. Ausgehend von diesen historischen Gegebenheiten, die eine ständige Verdichtung der Kommunikation bewirkten, stellt Kleinsteuber die These auf, dass die „Massenmedien eine so europäische Angelegenheit“ seien.[4] Kommunikative Infrastrukturen wie das Postwesen und die Sicherung von Kommunikation durch technische Infrastrukturen wie die Eisenbahn, Telegraphen- und Telefonnetze hätten Europa überhaupt erst erschlossen.[5]
Der Weg zu einer europäischen Staatlichkeit bedingt als Gratwanderung zwischen „Integration und Eigensinn“[6] der Mitgliedsstaaten die Schaffung einer europäischen Identität bei gleichzeitiger Erhaltung der kulturellen Besonderheiten jeder einzelnen Nation. Nimmt man gerade Kommunikation, den internen Austausch von Ideen als Charakteristikums dieses Kontinents, so manifestiert sich die Wichtigkeit des Ausbaus gerade dieses gemeinsamen europäischen Nenners. Für die übernationale Organisation einer europäischen Gesellschaft und die Artikulation eines europäischen Bewusstseins, also die Schaffung eines Kommunikationsraumes Europa sind gemeinsame kommunikative Strukturen unabdingbar. Peter Glotz konstatiert jedoch gerade das Fehlen einer solchen europäischen Öffentlichkeit und „erhebliche Kommunikationsdefizite“ in der Europäischen Gemeinschaft, in der wesentliche Entscheidungen oft nicht Gegenstand einer systematischen öffentlichen Debatte würden.[7] Welcher Voraussetzungen bedürfte der geforderte europäische Kommunikationsraum?
Nach Roegele entstünden Kommunikationsräume dort, „wo lebensweltliche Strukturen entstanden sind, die Anlässe für Kommunikation bieten“.[8] Auf politischer und wirtschaftlicher Ebene sind solche Strukturen in der EU bereits vorhanden; Roegele wirft jedoch die Frage auf, ob dieser Rahmen vielleicht erst durch Veränderungen „im Bildungswesen, im Kulturbetrieb, in der Kommunikationsindustrie“[9] mit Inhalt gefüllt würde. Als Bedingungen für eine „ übernational kritische Öffentlichkeit “ sieht Glotz neben einem dichten paneuropäischen Institutionsgeflecht, einer vernetzten Kommunikation der Funktions-Eliten eine gelungene europäische Kommunikationspolitik und „allgemein akzeptierte Medien“, außerdem die „Einigung auf eine Gemeinsprache“.[10]
Bereits Kleinsteuber hatte vorgeschlagen, in einer „Pluralität von Raumkonzepten“ zu denken, indem man nicht das illusorische Ziel eines einheitlichen europäischen Kommunikationsraumes ansteuert, sondern Europa als „Ort der Raum- und Kommunikationsvielfalt“[11] begreift und dessen geschichtlich verbürgte Dynamik nutzt, um Kommunikationsräume zu schaffen, die unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen sind. Auch Hasebrink verabschiedet sich vom Gedanken einer homogenen ‚europäischen Öffentlichkeit: Im Prozess der europäischen Integration übernehme das „komplexe Zusammenspiel verschiedener Teilöffentlichkeiten [...] auf unterschiedlichen raum-, themen- und kulturbezogenen Ebenen“ die Funktion von ‚Öffentlichkeit’.[12]
2.2. Raumfaktor Kultur
Für das Entstehen von Kommunikationsräumen sind gleichzeitig mehrere Faktoren von Bedeutung.[13] Die Technik bestimmt den Raum, in dem Kommunikation stattfinden kann, nach physikalischen Gesetzen, zum Beispiel über die technische Reichweite von Medien. Der Faktor Politik bezieht sich immer auf ein räumlich klar abgegrenztes Gebiet und dessen Bewohner. Diese politisch geschaffenen Gebietskörperschaften wiederum schaffen das Recht, das die gesetzlichen Regelungen für einen bestimmten Geltungsbereich festlegt. Der Faktor Ökonomie bestimmt wirtschaftliche Räume als Märkte.
Den fünften Raumfaktor, die Kultur beschreibt Kleinsteuber als Restgröße, als „Freiraum, der Ergänzung oder Korrektiv für die vorgenannten Räume darstellt, in dem die Normierung minimiert“[14] und der frei von einer unmittelbaren Zwecksetzung ist. Der Begriff ist hier weiter gefasst als die Beschränkung auf eine so genannte ‚hohe’ Kultur oder auf die politische Dimension von Kultur. Er meint „die gemeinsame Symbolkraft [des Raumes Europa] (...), geprägt von Sprache, Kunst, Wissen, Religion etc.“[15] Der Restfaktor Kultur kann über Grenzen hinweg Räume schaffen, die nicht national, sondern durch gemeinsame Interessen bestimmt sind. Diese können unter das enge Verständnis von Kultur fallen wie die klassischen Künste (Malerei, Theater, E-Musik etc.) oder der Populär- und Alltagskultur angehören wie der Sport. Internationale Wettbewerbe und Festivals mit europäischer Dimensionierung wie die Fußball-EM, der „Grand Prix d’Eurovision de la Chanson“ oder die Filmfestspiele von Cannes ziehen die Aufmerksamkeit von Gleichgesinnten verschiedener Herkunft auf sich und schaffen so nicht nur Dialog zwischen den Völkern, sondern auch das Bewusstsein einer gemeinsamen europäischen Identität. Die Liste von jenen paneuropäischen Großereignissen, die häufig mit Unterstützung der Europäischen Rundfunkunion (EBU) auch massenmedial vermittelt werden, ergänzen zusätzlich unzählige Zusammenkünfte mannigfaltiger Nischengruppen vom Europäischen Camp für Jeep-Fahrer[16] bis zum Europäischen Aero-Philatelisten-Club e.V.
Staatlich organisiert haben auch diverse Kulturprogramme der EU das Ziel, europäische Kultur zu beleben. Projekte wie „Kultur 2000“, die Kulturhauptstädte Europas oder das MEDIA-Programm zur Förderung eines gemeinsamen audiovisuellen Raumes sollen nicht nur nicht zur „kulturellen Entfaltung der Mitgliedsstaaten, der Wahrung ihrer nationalen und regionalen Verschiedenartigkeit“ beitragen, sondern vor allem das Gefühl für das gemeinsame Kulturerbe stärken und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern fördern.[17]
Kultureller Dialog im Sinne von Austausch ‚typischer Lebensformen’ findet auch auf Bürgerebene statt - wenn Partnerstädte bei gegenseitigen Besuchen die jeweilige Vorstellung von Geselligkeit des anderen Landes vor Ort erlebt, wenn ein Austauschschüler am Alltag seiner Gastfamilie teilnimmt oder wenn ein Student im Rahmen des ERASMUS-Programms nicht nur das universitäre Leben im Gastland, sondern gleichzeitig andere Gaststudenten aus den verschiedensten EU-Nationen kennen lernt. Sowohl der interkulturelle Austausch durch EU-Programme wie SOKRATES auf der Bildungs- oder LEONARDO DA VINCI auf der Berufsebene als auch privat organisierte Begegnungen, zum Beispiel über Städte- und Gemeindepartnerschaften, die häufig aus der Bürgerschaft selbst initiiert werden, füllen damit den politisch-rechtlich und wirtschaftlich geschaffenen europäischen Rahmen an der Basis mit Leben.
[...]
[1] Vgl. Kleinsteuber (1994), 44 ff.
[2] départements et territoires d’outre-mer
[3] Kleinsteuber (1994), 50.
[4] ebd., 53.
[5] Vgl. Kleinsteuber (1994), 53 ff.
[6] Glotz (1995), 17.
[7] Glotz (1995), 19.
[8] Roegele (1993) Kommunikationsraum Europa. Einheit und Vielfalt im Wandel. In: Aviso No. 8/1993, S. 1-3. Zit. n. Glotz (1995), 19.
[9] ebd.
[10] Glotz (1995), 22 ff.
[11] Kleinsteuber (1994), 57.
[12] Hasebrink (2000), 98.
[13] Kleinsteuber (1994), 25 ff.
[14] ebd., 27.
[15] ebd., 36.
[16] www.autointell.de/News-deutsch-2005/Mai-2005/Mai-2005-1/M-03-05-p1.htm
[17] Vgl. www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/l29007.htm
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