Georg Büchners Drama Woyzeck gilt als „meistgespieltes Theaterstück des 19. Jahrhunderts“. Jedoch unterscheidet ein besonderes Merkmal dieses Werk von den meisten anderen: Es liegt nur unvollständig in Fragmenten vor. Der 1813 geborene Dichter starb bereits im Alter von nur 23 Jahren, so dass er Woyzeck nie fertig stellen konnte. Diese Tatsache birgt viele Herausforderungen, sei es die Schwierigkeit, die von Büchner als Fragmente hinterlassenen Einzelszenen in eine sinnstiftende Reihenfolge zu bringen, sei es die vermeintlich große inszenatorische Freiheit, die ein unvollständiges Drama mit sich bringt. So sah sich das Werk schon vielen Interpretationen und Experimenten auf Bühnenbrettern ausgesetzt – nicht immer zur Freude der Kritiker. Alfred Kirchner beispielsweise erzählte in seiner Stuttgarter Inszenierung von 1976 die Geschichte gleich zweimal mit verschiedener Schwerpunktsetzung, eine Frankfurter Version desselben Jahres von Peter Palitzsch wird in der FAZ heftig kritisiert: „[…] ein Opfer ist er [Woyzeck] nicht mehr der Gesellschaft, sondern der Regie“. Regisseur Otto Schnelling inszenierte 1978 im Göttinger ‚Jungen Theater’ „auf einem langen, nur sparsam möblierten Raum zwischen den Zuschauerreihen“ und lockerte so die traditionelle räumliche Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum. In einer Rezension über diese Göttinger Aufführung wird Büchners Fragment mit einer „fast filmartigen Folge von eindrucksvollen Szenen“ verglichen. Man ist geneigt zu folgern, dass das Medium Film also wie geschaffen sein muss, das Fragment Woyzeck mit filmspezifischen Mitteln, insbesondere der Montage, umzusetzen. 1978 drehte der deutsche Regisseur Werner Herzog in 18 Tagen ‚seinen’ Woyzeck mit Klaus Kinski in der Titelrolle. Wie Herzog der Gratwanderung zwischen den Medien Film und Theater in diesem Fall stilistisch und inhaltlich begegnet ist, soll im Zentrum der nun folgenden Analyse seines Filmes stehen. Was kann Herzogs Film aus dem Fragment des Theaterdramas Woyzeck machen? Kann er Büchner gerecht werden? Um den ‚Film’ Woyzeck verstehen zu können, ist es vonnöten, sich zunächst der Ausgangsposition Herzogs, nämlich der literarischen Grundlage, dem Büchnerschen Text selbst, zuzuwenden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fragment Woyzeck: die literarische Vorlage
- Kurzer vereinfachter Inhaltsabriss
- Thematik
- Die Struktur des Filmes
- Detailanalyse der Filmszenen im Vergleich zum Dramenfragment
- Die Anfangssequenz: Theatralisches Schauspielen
- Statische Kamera und reale Schauplätze
- Der häufige Verzicht auf die Montage: lange Einstellungen
- Szenenergänzungen und „filmische“ Ansätze
- Die Großaufnahme
- Theatralischer „Abgang“ und gesprochener Innerer Monolog
- Das Geigenthema und die Klimax bis zum Mordkomplex
- Der Mordkomplex am Ende des Filmes: die Apotheose
- Die Mordszene: Zeitlupe und affektive Filmmusik
- Schlussbetrachtungen und Intention des Films
- Bewertung und Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Analyse untersucht Werner Herzogs Film "Woyzeck" im Kontext der literarischen Vorlage von Georg Büchner. Sie betrachtet die spezifischen filmischen Mittel und die Struktur des Films und vergleicht diese mit dem fragmentarischen Charakter des Dramas. Die Arbeit ergründet die Herausforderungen der filmischen Adaption eines unvollständigen Werks und die stilistischen Entscheidungen Herzogs in Bezug auf die Inszenierung, die Dramaturgie und die Darstellung von Woyzecks innerer Welt.
- Die Herausforderungen der filmischen Adaption eines unvollständigen Werks
- Die Inszenierung des Fragmentarischen und die filmische Gestaltung der fehlenden Handlungsstränge
- Der Vergleich der filmischen Gestaltung von Woyzecks innerer Welt mit dem literarischen Text
- Die Analyse von Herzogs stilistischen Entscheidungen in Bezug auf Kameraarbeit, Montage und Sounddesign
- Die Rezeption des Films im Kontext der Theatergeschichte und der Geschichte der Filmkunst
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die literarische Vorlage "Woyzeck" von Georg Büchner vor und erläutert die besondere Herausforderung, die ein unvollständiges Drama für die filmische Adaption darstellt. Sie beleuchtet die Geschichte der unterschiedlichen Inszenierungen und Interpretationen des Werkes und führt in die Analyse von Herzogs Film ein.
- Fragment Woyzeck: die literarische Vorlage: Dieses Kapitel bietet einen kurzen Inhaltsabriss der literarischen Vorlage und erläutert die zentralen Themen, die Büchner in seinem Werk behandelt. Dabei wird insbesondere auf die Ambivalenz von Woyzecks Figur und die Interpretation der sozialen Verhältnisse und Umstände seiner Zeit eingegangen.
- Die Struktur des Filmes: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Entscheidungen Herzogs in Bezug auf die Struktur seiner Filmadaption. Es analysiert die Reihenfolge der Szenen im Film im Vergleich zur literarischen Vorlage und erläutert, wie Herzog das fragmentarische Material zu einem kohärenten filmischen Ganzen zusammengefügt hat.
- Detailanalyse der Filmszenen im Vergleich zum Dramenfragment: In diesem Kapitel werden ausgewählte Filmszenen im Detail analysiert und mit den entsprechenden Szenen aus dem Dramenfragment verglichen. Es wird beleuchtet, wie Herzog die literarische Vorlage filmisch umgesetzt hat und welche spezifischen filmischen Mittel er dafür einsetzt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Themenschwerpunkte dieser Arbeit sind: Georg Büchner, Woyzeck, Werner Herzog, Film, Theater, Fragment, Adaption, Inszenierung, Dramaturgie, Stil, Kameraarbeit, Montage, Sounddesign, innere Welt, soziale Verhältnisse, Rezeption, Geschichte des Theaters, Geschichte des Films.
- Arbeit zitieren
- Christoph Bietz (Autor:in), 2002, Georg Büchners Woyzeck in der Kinoadaption von Werner Herzog, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42208