Georg Büchners Woyzeck in der Kinoadaption von Werner Herzog


Hausarbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Fragment Woyzeck: die literarische Vorlage
a. Kurzer vereinfachter Inhaltsabriss
b. Thematik

3. Die Struktur des Filmes

4. Detailanalyse der Filmszenen im Vergleich zum Dramenfragment
a. Die Anfangssequenz: Theatralisches Schauspielen
b. Statische Kamera und reale Schauplätze
c. Der häufige Verzicht auf die Montage: lange Einstellungen
d. Szenenergänzungen und „filmische“ Ansätze
e. Die Großaufnahme
f. Theatralischer „Abgang“ und gesprochener Innerer Monolog
g. Das Geigenthema und die Klimax bis zum Mordkomplex
h. Der Mordkomplex am Ende des Filmes: die Apotheose
i. Die Mordszene: Zeitlupe und affektive Filmmusik

5. Schlussbetrachtungen und Intention des Films

6. Bewertung und Fazit

7. Quellenverzeichnis
a. Primärquellen
b. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Georg Büchners Drama Woyzeck gilt als „meistgespieltes Theaterstück des 19. Jahrhunderts“.[1] Jedoch unterscheidet ein besonderes Merkmal dieses Werk von den meisten anderen: Es liegt nur unvollständig in Fragmenten vor. Der 1813 geborene Dichter starb bereits im Alter von nur 23 Jahren, so dass er Woyzeck nie fertig stellen konnte. Diese Tatsache birgt viele Herausforderungen, sei es die Schwierigkeit, die von Büchner als Fragmente hinterlassenen Einzelszenen in eine sinnstiftende Reihenfolge zu bringen, sei es die vermeintlich große inszenatorische Freiheit, die ein unvollständiges Drama mit sich bringt. So sah sich das Werk schon vielen Interpretationen und Experimenten auf Bühnenbrettern ausgesetzt – nicht immer zur Freude der Kritiker. Alfred Kirchner beispielsweise erzählte in seiner Stuttgarter Inszenierung von 1976 die Geschichte gleich zweimal mit verschiedener Schwerpunktsetzung,[2] eine Frankfurter Version desselben Jahres von Peter Palitzsch wird in der FAZ heftig kritisiert: „[…] ein Opfer ist er [Woyzeck] nicht mehr der Gesellschaft, sondern der Regie“.[3] Regisseur Otto Schnelling inszenierte 1978 im Göttinger ‚Jungen Theater’ „auf einem langen, nur sparsam möblierten Raum zwischen den Zuschauerreihen“ und lockerte so die traditionelle räumliche Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum.[4] In einer Rezension über diese Göttinger Aufführung wird Büchners Fragment mit einer „fast filmartigen Folge von eindrucksvollen Szenen“ verglichen.[5]

Man ist geneigt zu folgern, dass das Medium Film also wie geschaffen sein muss, das Fragment Woyzeck mit filmspezifischen Mitteln, insbesondere der Montage, umzusetzen. 1978 drehte der deutsche Regisseur Werner Herzog in 18 Tagen ‚seinen’ Woyzeck mit Klaus Kinski in der Titelrolle. Wie Herzog der Gratwanderung zwischen den Medien Film und Theater in diesem Fall stilistisch und inhaltlich begegnet ist, soll im Zentrum der nun folgenden Analyse seines Filmes stehen.

Was kann Herzogs Film aus dem Fragment des Theaterdramas Woyzeck machen? Kann er Büchner gerecht werden? Um den ‚Film’ Woyzeck verstehen zu können, ist es vonnöten, sich zunächst der Ausgangsposition Herzogs, nämlich der literarischen Grundlage, dem Büchnerschen Text selbst, zuzuwenden.

2. Fragment Woyzeck: die literarische Vorlage

Georg Büchner hinterließ verschiedene, traditionell in vier, später schließlich in fünf Teile gegliederte Handschriften. Bei der dieser Arbeit als literarische Grundausstattung zugrundeliegenden Reclam-Ausgabe des Dramas Woyzeck von 1972 ist man bemüht, anhand der am weitesten entwickelten Handschrift in Addition zum sogenannten ‚Mord-Komplex’ die Konstruktion eines philologischen Grundgerüstes vorzunehmen.[6] Da aber in der betreffenden Ausgabe alle von Büchner nicht gestrichenen Szenen der übrigen Handschriften zusätzlich an jenes Grundgerüst angehängt werden, kann jeder Leser ebendieses individuell um beliebige Szenen ergänzen oder sich eine eigene Woyzeck-Szenenabfolge zusammenstellen. So wird der fragmentarische Charakter nicht völlig über Bord geworfen.

a. Kurzer vereinfachter Inhaltsabriss

Woyzeck ist ein armer Soldat, der mit seiner Geliebten Marie ein uneheliches Kind hat. Er sieht sich – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – der Gunst des Doktors und des Hauptmannes ausgesetzt, welche ihm jegliche Moral, Tugend und Menschlichkeit absprechen. Als Marie Woyzeck mit einem Tambourmajor betrügt, zerbricht dieser an der Eifersucht und der kontinuierlichen Demütigung durch Doktor, Hauptmann und Tambourmajor. Schließlich ersticht Woyzeck seine Geliebte. Ob er selbst danach Selbstmord begeht, ist zwar ein oftmals verwandter Schluss, so zum Beispiel in der Münchner Uraufführung, im Text jedoch an keiner Stelle – auch nicht in den von Büchner gestrichenen Szenen – explizit erkennbar.

b. Thematik

Thematisiert hat Büchner in Woyzeck Verhältnisse und Umstände seiner Zeit in Deutschland, wobei er bestimmte Aspekte auf die unterschiedlichen Figuren des Dramas projiziert:

Der Hauptmann steht für „das deformierende militärische Kastenwesen und zugehörige gutbürgerliche ‚Tugend’-Pathos“,[7] der Doktor repräsentiert „die den Menschen zum Versuchsobjekt degradierende medizinische Wissenschaft und gleichzeitige idealistische ‚Freiheits’-Lehre“.[8] Hinzu kommt „der freie Konkurrenzkampf in den menschlichsten Bereichen“,[9] dem sich Woyzeck in Form des Tambourmajors ausgesetzt sieht. Gegen all diese Mächte muss sich Woyzeck behaupten, was ihn letztlich scheitern lässt. Was seine Figur angeht, so stellt sich grundsätzlich die Frage, ob diese von vorneherein als verrückt und unzurechnungsfähig angesetzt ist oder sie von den umgebenden sozialen Umständen in den Wahnsinn und schließlich zum Mord getrieben wird. Die Interpretation der Hauptfigur Woyzeck ist ähnlich wie die chronologische Aneinanderreihung der Einzelszenen ein strittiges und vieldiskutiertes Unterfangen. Einigen kann man sich zunächst sicher auf ein Verständnis Woyzecks als Opfer einer Melancholie, die wie ein Schleier über dem gesamten Drama hängt, und die ihn, obwohl er zum Mörder wird, dennoch schuldlos erscheinen lässt und vielleicht sogar Mitleid beim Rezepienten generiert.

3. Die Struktur des Filmes

Wie jeder Regisseur, der sich eine Inszenierung von Büchners Woyzeck zum Ziel setzt, musste sich auch Werner Herzog mit dem schon oben erläuterten Problem der fragmentarischen Literaturvorlage auseinandersetzen. Berücksichtigt werden in Herzogs Film alle Szenen des letzten Entwurfs Büchners, ergo dessen jüngste und am weitesten fortgeschrittene Handschrift, in der Reclam-Ausgabe mit ‚Hd’ bezeichnet.[10] „Nach allgemeinem Urteil ist Hd die letzte und ausgereifteste Werkschicht“.[11] Herzog verarbeitet zwar die vollständige Handschrift, allerdings bringt er die Szenen in eine zur Reclam-Ausgabe variierte Reihenfolge. Während das Reclam-Heft die Reihenfolge der originalen Handschrift beibehält, nimmt Herzog sich die Freiheit, die einzelnen Szenen neu zu ordnen. Allerdings endet, wie in der Handschrift d selbst, auch die Szenenabhandlung derselben im Film mit der Szene Hd,17,[12] woran sich im Film wie in der Reclam-Ausgabe nunmehr der sogenannte ‚Mord-Komplex’ anschließt,[13] welcher gemäß Reclam-Vorschlag aus der Handschrift a und deren Szenen Ha,4-Ha,10 besteht. Hier hält sich Herzog enger an die vorgegebene Reihenfolge der Handschrift: Diese wird mit Ausnahme von Szene Ha,8, welche hinter Ha,10 gestellt wird, und Szene Ha,6, welche ausgelassen wird, beibehalten. Jedoch ergänzt Herzog den Mordkomplex um eine weitere Szene: Als Schlussszene dient Hb,11, die im Reclam-Heft als Einzelszene im Anhang an das eingangs erklärte Grundgerüst aus Hd und Ha angeführt wird. Auch an anderen Stellen erweitert der Regisseur seine Filmadaption um zusätzliche Einzelszenen. So werden neben der Schlussszene Hb,11 teils Segmente, teils das gesamte Geschehen der von Büchner nicht gestrichenen Szenen der Handschriften b und c sowie Ausschnitte aus wenigen von Büchner gestrichenen Szenen in das aus den Hd-Szenen bestehende Grundgerüst eingefügt. Dadurch umgeht Herzog die Problematik, Einzelszenen, die in der Reclam-Ausgabe dem Grundgerüst nicht zugesprochen werden, außen vor zu lassen, obwohl sie von Büchner selbst gar nicht gestrichen wurden.

[...]


[1] Jacobi. „Woyzeck“, S.10.

[2] Weigend. „Franz Woyzecks doppelte Natur“.

[3] G. Hensel. „Kreatürliches und Künstliches“.

[4] (ters.) „Was hat sich seit Büchners ‚Woyzeck’ geändert?“.

[5] Ebd.

[6] Büchner. Woyzeck, S. 8

[7] Ebd., S. 94

[8] Ebd., S. 94

[9] Ebd., S. 94.

[10] Vgl.: Ebd.

[11] Ebd., S. 9.

[12] Ich werde im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit die Szenenbezeichnungen des Reclam-Heftchens übernehmen. Dabei meint z.B. Hd,5 die fünfte Szene der am weitesten entwickelten Handschrift d.

[13] Vgl.: Büchner. Woyzeck, S. 39ff

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Georg Büchners Woyzeck in der Kinoadaption von Werner Herzog
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft)
Veranstaltung
Theaterwissenschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V42208
ISBN (eBook)
9783638402989
ISBN (Buch)
9783656760566
Dateigröße
568 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg, Büchners, Woyzeck, Kinoadaption, Werner, Herzog, Theaterwissenschaft
Arbeit zitieren
Christoph Bietz (Autor:in), 2002, Georg Büchners Woyzeck in der Kinoadaption von Werner Herzog, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42208

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