"Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt." Obwohl dieses Zitat Hermann Hesses über 100 Jahre alt ist, scheint es aktueller denn je. Kaum ein Thema wird so intensiv diskutiert wie das der Bildung, kaum eine Institution so leidenschaftlich kritisiert wie die Schule. Dabei lässt sich auch für die Auseinandersetzung mit Bildung und Schule in der neueren deutschen Literatur eine längere Tradition erkennen. Bereits 1766 entsteht mit Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon der erste große Bildungsroman, 30 Jahre später erscheint Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre", der in der Folge oft als klassisches Vorbild des sich entwickelnden Genres gesehen wird.
Judith Schalanskys Roman "Der Hals der Giraffe" stellt sich durch seinen Bezug im Untertitel in die Tradition des Bildungsromans. Allerdings ist fraglich, ob der Text, der 2011 erschienen ist und drei Tage aus dem Leben einer 55-jährigen Biologie- und Sportlehrerin beschreibt, tatsächlich den klassischen Merkmalen des Genres entspricht. Im Gegenteil wird er von einigen Rezensentinnen sogar als „umgekehrter Bildungsroman“ bezeichnet. Um eine Schulgeschichte, in der in mehrfacher Hinsicht das Thema Bildung aufgegriffen wird, handelt es sich dennoch. Die Zuschreibung Bildungsroman könnte sich demnach nicht nur auf das literarische Genre beziehen, sondern auch auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Bildung und dem Bildungssystem hinweisen sowie die mögliche Intention der Autorin beschreiben, einen Beitrag zur Bildung der Leser zu leisten.
Wie in vielen anderen Schulgeschichten werden dabei auch die Machtverhältnisse in der Schule thematisiert. Während die meisten Erzählungen dieser Art eng an die Sicht der Schülerfiguren gebunden sind, wird in Der Hals der Giraffe allerdings die Perspektive der Lehrerin eingenommen. Die vorliegende Arbeit greift diese für Schulgeschichten ungewöhnliche Perspektivierung auf, indem sie die Machtverhältnisse durch eine Analyse der Lehrerfiguren herausarbeitet.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Macht und Ohnmacht - Begriffsverständnis
- 2.1 Macht
- 2.2 Ohnmacht
- 3. Die Figur Inge Lohmark in Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe
- 3.1 Zwischen Sozialismus und Biologismus - Inge Lohmarks Weltsicht als Zeichen ihrer Überlegenheit?
- 3.1.1 Abkehr von sozialistischen Ideen
- 3.1.2 Biologismus - Biologie als Ersatz-Ideologie
- 3.2 Inge Lohmarks Machtbereich
- 3.2.1 Wissen = Macht? - Wissensvorsprung Inge Lohmarks
- 3.2.2 ,,Was sie sagte, wurde gemacht.\" - Lohmarks Autorität als Lehrerin
- 3.3 Grenzen der Macht Inge Lohmarks
- 3.3.1 Inge Lohmarks Privatleben
- 3.3.2 „Frau Lohmark“ – Inge Lohmarks Rolle in der Schule
- 3.3.3 Grenzen der Macht Lohmarks gegenüber ihren Schülern
- 3.3.4 ,,Das wird Konsequenzen haben.“ – Lohmarks Entlassung
- 3.3.5 Grenzen der biologistischen Weltsicht und des Wissens Lohmarks
- 3.3.6 Entwicklungsfähigkeit Inge Lohmarks
- 4. Weitere Lehrerfiguren in Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe
- 4.1 Thiele
- 4.2 Bernburg
- 4.3 Schwanneke
- 4.4 Kattner
- 5. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Machtverhältnisse in Judith Schalanskys Roman "Der Hals der Giraffe" aus der Perspektive der Lehrerfiguren. Der Fokus liegt auf der Frage, wie Macht in der Schule ausgeübt wird und welche Grenzen diese Macht hat.
- Die Bedeutung des Machtbegriffs im Kontext von Schule und Bildung
- Die Analyse von Machtstrukturen und -dynamiken in "Der Hals der Giraffe"
- Die Darstellung von Lehrerfiguren als Träger von Macht und Ohnmacht
- Die Untersuchung der Grenzen der Macht und Autorität von Lehrkräften
- Die Rolle der biologistischen Weltsicht in der Darstellung der Lehrerfigur Inge Lohmark
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung des Themas Bildung und Schule in der Literatur und stellt den Roman "Der Hals der Giraffe" als Schulgeschichte mit einem ungewöhnlichen Fokus auf die Lehrerperspektive vor. Kapitel 2 definiert die Begriffe Macht und Ohnmacht anhand verschiedener soziologischer Ansätze und erarbeitet ein Begriffsverständnis für die anschließende Analyse der Figuren. Kapitel 3 untersucht die Hauptfigur des Romans, Inge Lohmark, und analysiert ihre Machtposition in Bezug auf ihre Weltsicht, ihre Autorität und ihre Grenzen. Kapitel 4 charakterisiert weitere Lehrerfiguren im Roman, um im abschließenden Kapitel 5 einen Vergleich der Figuren und ein Fazit zu ziehen.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den Themen Macht und Ohnmacht, Lehrerfiguren, Bildung, Schule, Sozialismus, Biologismus, Autorität, Wissensvorsprung, Grenzen der Macht, Schulgeschichte, Judith Schalansky und "Der Hals der Giraffe".
- Arbeit zitieren
- Steven Dunn (Autor:in), 2017, Zwischen Macht und Ohnmacht. Lehrerfiguren in Judith Schalanskys "Der Hals der Giraffe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/423859