Psychologie autoritärer Religionen - eine analytische Annäherung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die psychologische Basis autoritärer Religionen – charakterliche Dispositionen und psychische Mechanismen
2.1. Der Begriff der Religion
2.2. Charakterliche Dispositionen
2.2.1. Die Prägung autoritärer Verhaltensmuster – Autoritätsfixierung
2.2.2. Die emotionale Basis autoritärer Orientierung – der Begriff des Selbstwerts
2.3. Psychische Mechanismen. Die Konstruktion autoritär-religiöser Projektionssysteme – die Begriffe Projektion und Rationalisation

3. Der kollektive Charakter autoritärer Religionen

4. Analyse der autoritären Substanz von Religionen – Unterwerfung und Herrschaft
4.1. Unterscheidung zwischen autoritären und humanistischen Religionen
4.2. Unterwerfung und Herrschaft
4.2.1. Die Unterwerfung als substantielle Basis autoritärer Religionen
4.2.2. Die paradoxe Kehrseite der Unterwerfung: Die Herrschaft
4.3. Das Zusammenwirken von Unterwerfung und Herrschaft – autoritäre Religionen als sado-masochistische Systeme

5. Psychotische Formen autoritärer Religionen – Paranoia und Größenwahn
5.1. Paranoia und Größenwahn und ihr Zusammenhang mit Apokalypsevorstellungen
5.2. Unterschiedliche Apokalypse-Vorstellungen in politischen und theistischen autoritären Religionen und ihre theoretisch-praktischen Konsequenzen

6. Schlußbemerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Grundinteresse dieser Arbeit ist eine psychologische Annäherung an autoritäre Religionen: Wie entstehen autoritäre Religionen, wie stellen sich ihre psychischen Mechanismen, die psychologischen Funktionsbedingungen autoritärer Konzepte dar?

Hierbei sollen vordringlich die psychologischen bzw. charakterstrukturellen Charakteristika autoritärer Religionen herausgearbeitet werden.

Darüberhinaus soll zumindest skizzenhaft die Frage behandelt werden: Wie werden autoritäre Konzepte massenkompatibel? Was sind die psychologischen Voraussetzungen für die Entstehung und den Bestand autoritärer Religionen, auch als Gesellschaftssysteme?

Einer skizzenhaften Annäherung an den Begriff der Religion folgt eine Erörterung der individuellen charakterlichen wie sozialpsychologischen Basis autoritärer Religionen: Welche für die Konstruktion autoritärer Religionen relevanten psychischen Verhaltensmuster sowie individuellen charalterlichen Grunddispositionen sind zu bennenen? Wie funktionieren diese?

Darüber hinaus sollen die psychischen Mechanismen zur Konstruktion autoritärer Konzepte analysiert werden: Wie kommt es von diesen psychischen Grundlagen aus individuell zu einer autoritären Religiosität? Hier wird weiterhin auf autoritäre Religiosität als kollektives Phänomen einzugehen sein, die Frage nach den Funktionsbedingungen und sozialpsychologischen Mechanismen autoritärer Konzepte im sozialen Kontext.

Im zweiten Teil geht es dann um eine analytische Annäherung an autoritäre Religionen im speziellen. Was macht den autoritären Charakter von Religionen aus? Welches sind die autoritären Spezifika? Wie funktionieren diese psychologisch? Und nicht zuletzt: Was macht die ungeheure Anziehungskraft solcherart autoritärer Konzepte aus? Im Zentrum dieser Betrachtungen steht die Charakterisierung autoritärer Religionen als individuelle wie gesellschaftliche Phänomene, deren Substanz in der Korrelation von Unterwerfung auf der einen und Herrschaft auf der anderen Seite besteht. Dabei wird herauszuarbeiten sein, inwiefern autoritäre Religionen sich als dynamische Systeme darstellen, in denen die antagonistischen Pole von Unterwürfigkeit, Demut, Verlußt der individuellen Autonomie (gegenüber der Autorität) und Herrschaft, Macht, Unterdrückung ineinandergreifen – und wie dieses individuell wie kollektiv psychologisch funktioniert. Wie stellen sich die psychischen Mechanismen dieser beiden substantiellen Aspekte autoritärer Religionen dar – und wie sind diese auf die eingangs erörterten psychologischen Grundlagen autoritärer Charaktere zu beziehen?

Abschließend soll noch skizzenhaft das pathologische Potential extremer Formen autoritärer Religionen betrachtet werden. Wie entsteht aus einer autoritären Religiosität eine psychotische Wirklichkeitswahrnehmung, und welche habituellen Konsequenzen kann diese haben?

Der größere Zusammenhang bzw. die grundsätzliche Motivation für die Auseinandersetzung mit autoritären Religionen besteht zwar im analytischen Interesse an der sozialpsychologischen Basis und den Funktionsbedingungen des Nationalsozialismus, diese Analyse ist jedoch im Rahmen einer solchen Arbeit nicht sinnvoll zu leisten.

Die Behandlung der psychologischen Zusammenhänge autoritärer Religionen kann jedoch als quasi Vorarbeit einer sozialpsychologischen Analyse des Nationalsozialismus verstanden werden.

Der Bezug auf den Nationalsozialismus sowie das Herausarbeiten seiner Spezifika wäre ein nächster Arbeitsschritt. – Hier soll jedoch zunächst versucht werden, die psychologischen Grundmuster: charakterliche Basis, psychische Mechanismen, psychologische Charakteristika und soziale Implikationen autoritärer Religionen zu analysieren.

Die wichtigste Grundlage der Arbeit stellen die theoretischen, analytischen Ansätze Erich Fromms dar, dessen Betrachtung zwar psychoanalytisch genannt werden kann, jedoch mit einem starken soziologischen Interesse. Die Kombination aus psychoanalytischer Betrachtung und soziologischer Interpretation erscheint für ein politologisches Interesse an einer psychologischen Analyse autoritärer Religionen und gesellschaftlicher Phänomene besonders geeignet.

Zwei wichtige Voraussetzungen sind hier noch zu benennen:

1. Es geht um die Betrachtung der Psychologie – individuell wie sozial – autoritärer Religionen. Das bedeutet auch, daß inhaltliche Aspekte, die theoretische, ideologische Ausgestaltung (Gottesbilder, Symbole, Rituale, normative Systeme) autoritärer Religionen und Gesellschaftsphänomene nur dann zur Sprache kommt, wenn sie für die psychischen Zusammenhänge von entscheidender Bedeutung sind, wie z. B. die Apokalypsevorstellungen.

Hierin liegt eine gewisse Pauschalisierung, die gleichsam impliziert, daß zwischen säkularen, politischen und theistischen Religionen keine prägnante Unterscheidung getroffen wird. Im Zentrum des Interesses liegt jedoch die Analyse der grundlegenden psychologischen Charakteristika autoritärer Religion, die Betrachtung der Entwicklung von autoritären Charakteren zu autoritären gesellschaftlichen Phänomenen. Dieser Betrachtungsweise liegt folgende Hypothese zugrunde: „Wenn der Psychoanalytiker sich in erster Linie für die menschlicher Realität hinter religiösen Doktrinen interessiert, wird er die gleiche Realität hinter verschiedenen Religionen entdecken und verschiedene menschliche Haltungen innerhalb der gleichen Religion.„[1]

2. Keine psychologische Betrachtung historischer, gesellschaftlicher bzw. politischer Phänomene kann den Anspruch eines umfassenden oder gar abschließenden Erklärungsansatzes erheben.

Sie stellen immer lediglich eine Perspektive, eine Interpretationsmöglichkeit dar.

Daneben – jedoch auch damit verbunden - spielen selbstredend historische, politische und ökonomische Bedingungen jedes gesellschaftlichen Phänomens, so auch autoritärer Religionen und insbesondere des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle. Dieses alles soll hier keineswegs in Frage gestellt werden.

Zugespitzt konkretisiert: Es soll hier nicht der Versuch unternommen werden, autoritäre Religionen oder gar den Nationalsozialismus als Ergebnisse von sozialisatorisch erklärbaren Neurosen zu interpretieren.

Es geht lediglich um die psychologischen Implikationen und Bedingungen autoritärer Konzepte, ohne den Anspruch einer omnipotenten Analyse. Politische Psychologie erscheint jedoch in der Politik- und Geschichtswissenschaft als gänzlich unterbelichtete Disziplin, somit soll in dieser Arbeit durchaus die Relevanz psychologischer Sichtweisen und Ansätze für die Betrachtung gesellschaftlicher, politischer und historischer Phänomene betont werden.

„Was die Menschen denken und fühlen (und tun, S.G.), hat seine Wurzeln in ihrer Charakterstruktur, und dieser Charakter wird geprägt durch die gesamte Struktur ihrer Lebenspraxis – genauer gesagt, durch die sozio-ökonomische und politische Struktur ihrer Gesellschaft.„[2]

Die politische, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen einer Gesellschaft in ihrem historischen Kontext stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer sozialpsychologischen Grunddisposition bishin zum individuellen Charakter. Umgekehrt stehen jedoch auch die historische Entwicklung der Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Phänomene in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer sozialpsychologischen Konditionierung und Grundbefindlichkeit sowie mit der charakterlichen Struktur bestimmter Akteure.

Fromm formuliert: „Nur eine von den weltbewegenden Kräften erfüllte Psychologie (...) wird dem Menschen gerecht werden.„[3]

Umgekehrt wäre die These zu wagen: Nur eine die Psychologie des Individuums und die sozialpsychologischen Bedingungen einbeziehende Soziologie (respektive Politologie, Geschichtswissenschaft) wird gesellschaftlichen Phänomenen und der historischen Entwicklung gerecht werden.

2. Die psychologische Basis autoritärer Religionen – charakterliche Dispositionen und psychische Mechanismen

2.1. Der Begriff der Religion

Was meint der Begriff der Religion? Für die psychologische Betrachtung autoritärer Religionen ist hier zuerst eine arbeitsdefinitorische Begriffsbestimmung, oder –annäherung zu leisten.

Fromm definiert Religion zunächst sehr weitreichend:

Unter Religion ist zu verstehen: „...jedes System des Denkens und Tuns, das von einer Gruppe geteilt wird und dem Individuum einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet„.[4]

Hier sind zunächst nur die drei grundsätzlichen substantiellen Bestandteile von Religionen benannt:

1. Eine Religion beinhaltet ein Wertesystem, ein ethisches Fundament, nachdem sich das menschliches Handeln und Denken ausrichtet: Relgionen bieten eine normativ-habituelle Basis.
2. Religionen bieten ein ‚Objekt der Hingabe‘; dieses ist zumeist ein Gott, Führer, sprich eine omnipotente Autorität, ferner gehört zu dem normativen Aspekt von Religionen eine Symbolik (Götzenbilder, Fahnen, Rituale bzw.), an der sich Emotionalität bzw. Leidenschaft manifestiert.

Diese beiden Komponenten – die normativ-habituelle wie die emotionale Religiosität sind zwar auch individuell, persönlich relevant und maßgeblich. Das Charakteristische an Religionen ist jedoch, das ein solches Wertesystem sowie die dazugehörige Symbolik von anderen geteilt werden. Religionen sind immer ein kollektives Phänomen. Das individuelle Gefühl von Aufgehobensein in einer relevanten Gruppe, die die eigene Wertorientierung sowie die eigenen hierauf bezogenen Leidenschaften mitvollzieht ist hierbei ein äußerst relevanter Aspekt.

Somit erscheinen Religionen zunächst als äußerst omnipotent – sie bieten einen rationalen, einen habituellen wie auch einen emotionalen Rahmen, und dies nicht nur individuell, sondern sozial.

Als weitere, psychologische Annäherung an Religion soll hier ein Zitat von Feuerbach angeführt werden:

„Was er (der Mensch) selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern als seiend vor; die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen... . Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl keine Religion, keine Götter.„[5]

Karl Marx schreibt: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. (...) Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ..., ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastischste Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. (...) Sie ist das Opium des Volkes.„[6]

Sigmund Freud, dessen psychoanalytische Interpretation von Religion die wohl wichtigste Grundlage religionstheoretischer Ansätze mit sozialpsychologischer bzw. gesellschaftstheoretischer Ausrichtung im 20. Jahrhundert darstellt, erklärt religiöse Vorstellungen als Illusionen, die sich auf Wunschvorstellungen des Menschen gründen zur Kompensation eines aus der Kindheit rührenden Vaterkomplexes. Menschen suchen einen mächtigen, omnipotenten Vater (Gott), um die eigene Schwäche, die eigene Schutz- und Hilflosigkeit ertragen zu können. Illusionen, erhoffte, aus Wünschen konstruierte Wirklichkeitsvorstellungen, entledigen den Menschen von seiner Verantwortlichkeit und vermeiden die Konfrontation mit der Realität. Solcherart konstruierte Realitätsflüchte sind als neurotisch zu klassifizieren, insofern bezeichnet Freud Religionen als kollektive Neurosen.

Die hier sehr knapp angerissenen Definitionen bzw. Sichtweisen von Religion sollen und können hier nicht weiter erörtert werden. Auch die inhaltliche Beziehung der angeführten Autoren, die auf unterschiedliche Weise, teliweise antithetisch, teilweise weiterführend aufeinander Bezug genommen haben, kann hier nur erwähnt werden.

Als gemeinsamer Kern der angeführten Betrachtungsweisen soll lediglich festgestellt werden: Religionen sind psychologisch zu betrachten als Projektionswelten, als aus psychischen Defiziten des Menschen entstandene konstruierte Vorstellungen zur Erklärung der Realität, die einen normativen Rahmen sowie emotionale Projektionsflächen (Symbole) beinhalten – und kollektiven Charakter haben.

Diese These bedarf der näheren Betrachtung: Wie vollzieht sich die Konstruktion solcher Projektionssysteme, welcher Antrieb steht dahinter, worin liegt das autoritäre Potential dieser psychischen Mechanismen?

2.2. Charakterliche Dispositionen

2.2.1. Die Prägung autoritärer Verhaltensmuster – Autoritätsfixierung

Bei der Analyse der psychischen, emotionalen Basis für autoritäre Religionen bezieht sich Fromm weitgehend auf Freud.

Freud stellt hierzu zunächst sehr allgmein fest, daß „für den Einzelnen das Leben schwer zu ertragen„[7] ist.

‚Innere und äußere Kräfte‘ fordern bzw. überfordern zumeist den Menschen. Die ‚inneren Kräfte‘ sind zu bestimmen als die eigene Bedürfnislage, wobei Fromm hier eine wichtige Unterscheidung trifft. Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Sexualtrieb fast Fromm zusammen unter dem Begriff der ‚Selbsterhaltungskräfte‘. – Naturgegebene, in jedem Menschen vorhandene Grundbedürfnisse, die nur sehr begrenzt regulierbar bzw. veränderlich sind.

Alle hiermit nicht unmittelbar verbundenen Bedürfnisse wie Ehrgeiz, Profitinteresse, Machtstreben etc. definiert er als kulturell bzw. sozialisatorisch geprägt, d.h. erlernt und damit korrigierbar respektive formbar.

Hierin sind die ‚äußeren Kräfte‘ bereits angedeutet. Darunter sind die sozialen Bedingungen zu verstehen, denen sich Menschen stellen müssen – die Begrenzung der eigenen Entfaltungsmöglichkeit durch andere Menschen, durch Herrschaft, durch kulturelle Traditionen – und zuvorderst durch materielle Zwänge.

Die Verunsicherung des Menschen passiert nach Fromm, der Freud hierin folgt, in der Kindheit in dem Maße, in dem sich der Horizont des Kindes erweitert, und seine Bedürfnisse mit den Bedingungen der Realität kolidieren. Es entsteht ein Schutzbedürfnis, daß zunächst auf die Eltern bzw. die vertrauteste Bezugsperson projiziert wird.

Das Kind erfährt sich in der Wahrnehmung von sich selbst in Bezug auf die Umwelt, vornehmlich in der Kollision der eigenen Bedürfnisse mit den gegebenen Bedingungen als schutzlos und unsicher, und fixiert sein eigenes Wohlergehen und Schutzbedürfnis auf die Eltern, welche als Instanz auftreten, deren Charakter ambivalent ist: Einerseits sind sie Autoritäten, die das Kind als höhergestellt wahrnimmt, und die es fürchtet – andererseits bieten sie ihm Schutz, Orientierung und sorgen für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Für die Eltern bedeutet umgekehrt das Kind eine Plattform zur Ausübung von Autorität, was sie wiederum in ihrem Selbst aufwertet. Dieses Konstellation von Abhängigkeiten in einer Form übertriebener Fixierung bezeichnet Fromm adaptiert von Freud als inzestuös. Dies alles kann hier nur angedeutet werden.

Freud bezeichnet den Ödipus-Komplex – die ‚inzestuöse Fixierung‘ auf den Vater, einerseits als Autorität, die man fürchtet, andererseits als omnipotente Instanz, die Schutz und Anerkennung gewährt, als ‚Kern der Neurose‘, und stellt fest:

„Die Religion wäre die allgemein menschliche Zwangsneurose, wie die des Kindes stammte sie aus dem Ödipuskomplex, der Vaterbeziehung.„[8]

Diese Analyse von Religion wäre als zu reduziert zu kritisieren – wichtig ist jedoch die Feststellung:

Der Kern des kindlichen Bedürfnisses nach schutzgewährender Autorität ist Unsicherheit respektive Überforderung und Angst angesichts der ‚inneren Kräfte‘, der eigenen Bedürfnislage, die befriedigt werden will – sowie ferner der ‚äußeren Kräfte‘, der Anforderungen, die von außen, von anderen Menschen bzw. den sozialen Bedingungen her auferlegt sind.

Fromms These, auch hierbei bezieht er sich etwas modifiziert auf Freud, ist nun, daß hierbei autoritäre Charaktere gebildet werden, und im Vollzug eines ähnlichen Mechanismus im Erwachsenenalter autoritäre Konzepte funktionieren, oder anders formuliert:
Die Basis für das Entstehen wie für das Funktionieren wie für Massenkompatibilität autoritärer Konzepte sind autoritäre Charaktere.

„Die Elternbindung ist nur eine, wenn auch die grundlegende Form des Inzests. Im Verlauf der sozialen Entwicklung wird sie teilweise durch andere Bindungen ersetzt. Der Stamm, die Nation, die Rasse, der Staat, die soziale Klasse, politische Parteien und viele andere Formen von Institutionen und Organisationen werden zum Ersatz für das Zuhause und die Familie. Hier liegen die Wurzeln des Nationalismus und des Rassismus, die wiederum Symptome für die Unfähigkeit des Menschen sind, sich selbst und andere als freie menschliche Wesen zu erleben. Man möchte sagen, die Entwicklung der Menschheit bedeute den Weg vom Inzest zur Freiheit.„[9]

Diese Aussage erscheint für sich genommen zu pauschal und reduziert – politische, gesellschaftliche respektive historische Phänomene sind selbstredend nicht allein mit in der Kindheit wurzelnden psychischen Prägungen zu erklären.

Vor allem der mögliche Eindruck, es gäbe gar keine Herrschaft, die mit Zwang und Repressionen agiert und funktioniert, sondern nur willige Untergebene, die von sich aus nach Unerwerfung unter eine Autorität streben, ist zu negieren.

Die Suche nach autoritären Konzepten bzw. auch nach Unterwerfung stellt sich jedoch als ein substantieller Teil autoritärer gesellschaftlicher Phänomene dar.

2.2.2. Die emotionale Basis autoritärer Orientierung – der Begriff des Selbstwerts

An dieser Stelle soll ein Begriff angeführt werden, der im Kontext sehr bedeutsam erscheint: Der Selbstwert.

[...]


[1] Fromm, E.: Psychoanalyse und Religion, München, 1990, S. 61.

[2] Fromm, E.: Psychoanalyse und Religion, München, a.a.O. (Anm.1), S. 50.

[3] Fromm, E.: Die Furcht vor der Freiheit, Zürich, 1951, S. 26

[4] Fromm, E.: Psychoanalyse und Religion, München, a.a.O. (Anm.1), S. 27.

[5] Feuerbach, L.: Religion als Illusion, zit.n.: Grenze, F./ Vierzig, S.: Religionskritik. Eine Materialsammlung. Zürich/Köln, 1970, S. 5.

[6] Marx, K.: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW, Bd.1, Ost-Berlin, 1961, S. 378.

[7] Freud, S. Die Zukunft einer Illusion, GW, Bd. 14, o.O., 1927., S. 105</div>

[8] Freud, S.: Die Zukunft einer Illusion, a.a.O. (Anm. 7), S. 330

[9] Fromm, E.: Psychoanalyse und Religion, a.a.O. (Anm. 1), S.73/74.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Psychologie autoritärer Religionen - eine analytische Annäherung
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
Politische Religionen (unter besonderer Berücksichtigung des Nationalsozialismus)
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
41
Katalognummer
V4239
ISBN (eBook)
9783638126267
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Politisch-psychologische Analyse autoritärer Religionen/Ideologien. Wichtigste Grundlage: Erich Fromm 211 KB
Schlagworte
Autoritäre Reliogionen, Ideologien, Autoritarismus
Arbeit zitieren
Stefan Grümbel (Autor:in), 2000, Psychologie autoritärer Religionen - eine analytische Annäherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4239

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Psychologie autoritärer Religionen - eine analytische Annäherung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden