Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was heißt „Kultur“?
3. Drei Dimensionen der Kultur
4. Kultur und Identität
5. Dynamik und Hybridität von Kultur
6. Definitionen Interkultureller Kompetenz
7. Erwerb von Interkultureller Kompetenz
8. Interkulturelle Kompetenz als prozessualer Begriff lebenslangen Lernens
9. Hindernisse und Schwierigkeiten - Stereotypen und Vorurteile
10. Möglichkeiten und Grenzen
11. Ausblick
12. Literatur:
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kultur als Eisberg (vgl.: Deardorff, 2006, S.30)
Abbildung 2: Prozessmodell Interkulturelle Kompetenz, Deardorff, 2006, S.21
1. Einleitung
Die Kulturen mischen sich, Deutschland ist ein Einwanderungsland - ob im Beruf und bei der Arbeit, beim Elternabend in KiTa oder Schule oder im Freundeskreis – Menschen aus verschiedenen Ethnien, Religionen und Zivilisationen begegnen sich heute überall. Das Bewusstsein für Chancen aber auch für Konfliktpotentiale ist gewachsen. Diese kulturelle Diversität stellt an alle beteiligten Personen oft hohe Anforderungen; Missverständnisse und Verständigungsschwierigkeiten scheinen durch unterschiedliche kulturelle Hintergründe, Haltungen und Werte vorprogrammiert. Man könnte wie Obelix einfach ausrufen: Die spinnen, die Römer! - In einer zunehmend von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägten Welt kann Interkulturelle Kompetenz aber in vielerlei Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein: ob beim Aufbau einer internationalen Mitarbeiterstruktur, bei der Lösung von Konflikten, oder bei der Zusammenarbeit zur Thematisierung der drängendsten Probleme der Welt – von HIV/AIDS bis zu den sozialen, ökologischen und kulturellen Herausforderungen der Globalisierung. Ein erfolgreicher Umgang mit Angehörigen anderer Kulturkreise erfordert aber spezifische Einstellungen und Fähigkeiten auf zwischenmenschlicher Ebene: „Interkulturelle Kompetenz“. Interkulturelle Kompetenz setzt Wissen und die Bereitschaft, sie zu erwerben voraus: Was heißt Kultur? Welche Dimensionen der Kultur gibt es? Was ist interkulturelle Kompetenz, welche Ziele hat sie und welche Hindernisse sind zu überwinden? Kann jeder Mensch interkulturelle Kompetenz erwerben? Und wie geht das? Das sind zentrale Fragen, die es im Kontakt mit anderen Kulturen zu beantworten gilt.
2. Was heißt „Kultur“?
In den Wissenschaften hat sich trotz heftiger Debatten bis heute kein einheitlicher Kulturbegriff durchgesetzt. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass „Kultur“ viele unterschiedliche Aspekte des menschlichen Lebens umfasst und der jeweilige Schwerpunkt von der fachlichen Orientierung des Betrachters abhängt (Broszinsky-Schwabe, 2011, S.68f). Dabei geht es nicht nur um die Perspektive des einzelnen, sondern um die Frage der sozialen und kollektiven Konstruktion von Wirklichkeit. Wie richten sich bestimmte Gruppen von Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt ein? Religiöse Überzeugungen, die Vorstellung davon, was `gesunder Menschenverstand` ist, Umgangsformen, Konzepte vom Verlauf der Zeit, oder der Bedeutung des Raums, Werte und Normen – das alles sind kulturelle Konstrukte, die in einer uns fremden Kultur völlig anders aussehen können (Erl / Gymnich, 2001, S.19). Der Kommunikationswissenschaftler Gerhard Maletzke definiert in seinem Buch „Interkulturelle Kommunikation“ (1996) Kultur wie folgt:“ In der Kulturantrhopologie ist Kultur im wesentlichen zu verstehen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen und Wertorientierungen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. Ganz vereinfacht kann man sagen: Kultur ist die Art und Weise, wie die Menschen leben und was sie aus sich selbst und ihrer Welt machen“ (Maletzke, 1996, S.16). Werte und Normen einer Kultur sind nie die eines einzelnen, sondern die einer größeren Gruppe oder Gemeinschaft – Kultur basiert auf der Entwicklung von Gewohnheiten innerhalb von Kollektiven. Diese Herausbildung von allgemein innerhalb einer Gruppe angewandten und gleich zu interpretierenden Verhaltensweisen nennt der Amerikanist Klaus Peter Hansen auch „Standardisierung“. Er unterscheidet folgende vier Bereiche der Standardisierung: Kommunikation, Denken, Empfinden und Verhalten (Erl / Gymnich, 2001, S.20). Ein besonders zentraler Teilbereich der interkulturellen Kompetenz, nämlich die Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation ist z. Bsp. bei der Entwicklung von Zeichen innerhalb bestimmter Kollektive standardisiert und birgt das Potential für Missverständnisse: so bedeutet ein Kopfnicken in Deutschland genau das Gegenteil wie in Bulgarien oder Griechenland. Im Bereich des Denkens sind unsere Urteile und Ansichten kulturell vorgeprägt, ebenso wie Emotionen und Affekte (z.Bsp. Gefühlsregungen wie Scham oder Mitleid) oder bestimmte Verhaltensweisen, die nicht in allen Kulturkreisen üblich sind. (z.Bsp. Händeschütteln) (vgl.: ebda, S.22).
3. Drei Dimensionen der Kultur
Bestimmte Codes, Gedanken, Gefühle und Handlungskompetenzen – sie alle gehören zur mentalen Dimension der Kultur. Sie sind nicht beobachtbar und liegen sozusagen „unter der Oberfläche“. Daneben werden noch zwei weitere Dimensionen unterschieden: die materiale und die soziale. Die materiale Dimension der Kultur umfasst Medien und andere kulturelle Artefakte wie literarische Werke und Gemälde, Gebäude oder Theateraufführungen – sie ist beobachtbar, ebenso wie die soziale Dimension, die die konkrete Interaktion in Gruppen und Gesellschaften, sowie die sozialen Strukturen und Institutionen umfasst, die eine Gesellschaft etablieren (ebda). Kultur hat also einige sichtbare, sofort erkennbare Aspekte, und andere, die man nur vermuten und intuitiv erahnen kann.
Dr. Karla K. Deardorff hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Jahr 2006 eine Studie zum Thema „Interkulturelle Kompetenz“ durchgeführt. Sie zeichnet Kultur wie einen Eisberg, mit sofort sichtbaren Aspekten und den weit größeren, unsichtbaren unterhalb der Wasseroberfläche. Stoßen zwei Eisberge aufeinander, so entstehen Konflikte – und die Ursachen für diese Konflikte liegen zumeist im Bereich unterhalb der Oberfläche (vgl.: Abb.1) Bolten ist der gleichen Ansicht und beschreibt diese sichtbaren und unsichtbaren Komponenten von Kultur als „perceptas“ (das Wahrnehmbare) und „conceptas“ (das zugrunde liegende, nicht sichtbare Handlungskonzept). In der Interaktion mit kulturell fremden Menschen tendiert man dazu, aus den beobachteten „perceptas“ Rückschlüsse auf kulturspezifische Standards, die „conceptas“ zu schließen (Erll/ Gymnich, S.24). In der Kindheit werden die Grundmuster kultureller Verhaltensweisen, Werte und Glaubenssätze erlernt. Diese kulturelle Konditionierung verläuft in allen Kulturen ähnlich. „Diesen Prozess des Hineinwachsens nennt man „Sozialisation“, auf Englisch: „Enculturation“( Broszinsky-Schwabe,2011, S.76) Maletzke geht noch weiter : auch er bezeichnet diesen Prozess des Hineinwachsens des Individuums in seine Kultur, des Übernehmens und Verinnerlichens als `Enkulturation` - diese umfasst das Erlernen grundlegender menschlicher Fähigkeiten im sozialen Bereich, also wie man soziale Beziehungen eingeht, wie man das eigene Verhalten kontrolliert und seine Emotionen angemessen nutzt, wie man Grundbedürfnisse befriedigt, wie man die Welt sieht, wie man mit anderen verbal und nonverbal kommuniziert, was man von anderen erwartet, welche Rollen für einen selbst angemessen sind und was man positiv oder negativ zu bewerten hat“(Maletzke, 1996, S.23). Diese sozialen Strukturen sind also tief in uns angelegt - das erklärt, warum Menschen aus verschiedenen Kulturen auf ein und dieselbe Situation völlig unterschiedlich reagieren und trotzdem jeder von ihnen überzeugt ist, das Richtige zu tun (Doser, 2012,S.13).Wir sind uns nur zu einem kleinen Teil bewusst, welcher mentalen innerlichen „Programmierung“ wir unterliegen. Wie wir uns dadurch von kulturell andersartig geprägten Menschen unterscheiden, und welches Konfliktpotential ggf. unter der Oberfläche schlummert, hängt zumeist vom nicht sichtbaren Teil ab.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kultur als Eisberg (vgl.: Deardorff, 2006, S.30)
4. Kultur und Identität
Die Identität jedes Individuums ist zu einem beträchtlichen Grad durch dessen kulturelle Herkunft geprägt – auch wenn jede Person kulturelle Einflüsse in eigener Weise verarbeitet. In interkulturellen Begegnungen wird der eigene Hintergrund jedoch zum Differenzkriterium: Meist fällt uns erst im Ausland auf, wie sehr die Kultur unser Denken und Handeln prägt. Kultur ist also auch ein identitätsstiftender Faktor – sie definiert Zugehörigkeit, reguliert das Verhalten und strukturiert die Wahrnehmung und Deutung der Umwelt und gibt so Sicherheit und Stabilität in verunsichernden interkulturellen Situationen(vgl.: Erll/ Gymnich,S.62ff).Der Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen oder ein Aufenthalt im Ausland stellt eine besondere Herausforderung an die eigene Identität dar – eine solche Erfahrung kann zu einer Identitätskrise führen – sie kann aber auch eine Chance zur Weiterentwicklung sein. „Wenn es Individuen gelingt, trotz der größeren Anforderungen in interkulturellen Begegnungen ihre Identität erfolgreich auszuhandeln, dann kann das einen erheblichen Zugewinn für ihre Identität bedeuten. Diese basiert dann auf einem besonders hohen Maß an Ambiguitätstoleranz, d.h. der Fähigkeit, auch widersprüchliche Rückmeldungen produktiv in die eigene Identität zu integrieren“(ebda, S.65).
5. Dynamik und Hybridität von Kultur
Im Zusammenleben beeinflussen sich verschiedene Kulturen bzw. die wahrgenommenen Bilder von Wirklichkeit in den Köpfen und verändern die Konzepte von Kultur, so dass der Kulturbegriff als solches einem ständigen Wandel unterliegt:„Kultur wird nicht als statisches, in sich geschlossenes System, sondern als ein Fluss von Bedeutungen angesehen, der fortwährend alte Beziehungen auflöst und neue Verbindungen eingeht“.(Deardorff, 2006) Diesen Prozess, bzw. diese Dynamik, der Kulturen unterliegen, nennt man auch „Hybridisierung“ (Erll / Gymnich, S.26). Elemente verschiedener kultureller Formationen verschmelzen miteinander. Aus diesem prozessualen Verständnis von Kultur als einem dynamischen Fluss und beständigen Aushandlungsprozess von Normen, Werten und Lebensweisen folgt aber auch ein dynamisches und damit schwerer vermittelbares Verständnis von „Interkultureller Kompetenz“.
6. Definitionen Interkultureller Kompetenz
Manche Menschen können sich scheinbar besser auf dem glatten Parkett der Interkulturalität bewegen als andere. Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fachgebiete wie Sozialwissenschaftler, Kulturwissenschaftler, Pädagogen, Linguisten und Wirtschaftswissenschaftler beteiligen sich an der theoretischen Erforschung des Konzepts. Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher, Personalund Unternehmensberater oder Manager sind in der Praxis mit der Notwendigkeit des Erwerbs von Interkultureller Kompetenz konfrontiert. Doch was verbirgt sich hinter dem Schlagwort „Interkulturelle Kompetenz“? „Wenn man versucht, sich einen Überblick über die Diskussion zum Thema interkulturelle Kompetenz zu verschaffen […], so kann einen die Fülle des [...] Materials ratlos machen“ (Auernheimer, 2002,S.183). Meinungsverschiedenheiten in der Auffassung davon, wozu interkulturelle Kompetenz eigentlich gut ist und in welchen Situationen sie bedeutsam wird, führen zwangsläufig zu mannigfachen Antworten in Bezug auf die Frage, aus welchen Teilkompetenzen sie sich zusammensetzt, bzw. ob und wie sie erlernt oder vermittelt werden kann. Deardorff beschreibt es so: “Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, auf Grundlage bestimmter Haltungen und Einstellungen sowie besonderer Handlungsund Reflexionsfähigkeiten in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu interagieren (Deardorff ,2006) Diese Definition beinhaltet neben der Motivationsebene (Haltungen und Einstellungen) und der Handlungskompetenz zusätzlich eine Reflexionskompetenz (als interne Wirkung) sowie die konstruktive Interaktion (als externe Wirkung von Interkultureller Kompetenz). Beniers (2012) formuliert seine Definition folgendermaßen: „Interkulturelle Kompetenz ist die Summe aller Fähigkeiten, die notwendig sind, um mit Angehörigen anderer Kulturkreise einen Zustand der Gemeinsamkeit herzustellen, der nicht von bestimmten kulturspezifischen Eigenheiten und Vorstellungen dominiert wird. Sie ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche und für alle Beteiligten zufrieden stellende Kommunikation, Begegnung und Kooperation zwischen Menschen aus Fremdkulturen.“ Die Komponenten zum Erwerb interkultureller Kompetenz fasst Jungk (2004, S 408 f.) unter drei Teilbereichen zusammen:
-Awareness: Die Erlangung eines Bewusstseins davon, welche Bedeutung man bestimmten Einstellungen, Verhaltensweisen, Werten beimisst und wie sich diese Prägungen situativ auswirken. Dadurch erwirbt man die Fähigkeit, den eigenen Standpunkt mit anderen zu kontrastieren, zu vergleichen und zu relativieren.
- Knowledge: Wissenserwerb über gesellschaftliche Rolle und Status von Minderheiten im eigenen Land, Hintergründe von Migration, Marginalisierungsund Diskriminierungserfahrungen, Wissen über Migrantenkulturen und institutionelle Barrieren.
-Skills: Handlungskompetenz erwerben, z.B. Bedürfnisse und Anliegen von Menschen anderer Kulturen einschätzen, analysieren, bewerten, Kommunikationsund Konfliktstrategien, erworbene Fähigkeit in praktisches Handeln umsetzen
Deardorff (2006, S. 18) und Erll/ Gymnich (2011, S.173) bezeichnen diese drei Teilkompetenzen auch als: 1.) kognitive Kompetenz, 2.) affektive Kompetenz und 3.) pragmatischkommunikative Kompetenz. Beniers (2012) ordnet diesen drei Bereichen folgende wichtige Fähigkeiten zu, die eine interkulturell kompetente Person besitzen sollte:
[...]