Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg ist in der deutschen Gesellschaft ständig präsent – sei es als Spielfilm oder als Unterrichtsthema. Besonders die Schule übernimmt bei der Bewahrung einer deutschen Erinnerungskultur die Aufgabe eines „zentrale[n] gesellschaftliche[n] Erinnerungs- und Lernort[s]“. Im Speziellen hat der Geschichtsunterricht „eine zentrale Funktion bei der Vermittlung von historischem Wissen und [der] moralisch-politischer Sozialisation nachwachsender Generationen“ und der Bildung des Geschichtsbewusstseins, nach Jeismann die „Fundamentalkategorie des historischen Lernens.“ Für die Vermittlung des Geschichtsbewusstseins ist für Thünemann das Schulgeschichtsbuch „nach wie vor als Leitmedium des Geschichtsunterrichts.“ Schon 1969 bezeichnete der Deutsche Bildungsrat das Schulbuch als „die eigentliche Großmacht der Schule.“ Der Einfluss des Schulgeschichtsbuchs ist demnach nicht zu unterschätzen, denn Generationen von Schülern wird hiermit ein Geschichtsbild vermittelt, das sie ihrerseits weitertragen. Furrer bezeichnet diese Narrative als „‘Biographien‘ der Nation“, Jacobmeyer ganz ähnlich als „nationale Autobiographien“.
Das Schulbuch ist also eine aufschlussreiche Quelle, um zu untersuchen, welche nationalen Narrative zu einer bestimmten Zeit gesellschaftlich verbreitet wurden. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden für die deutsche Gesellschaft „die Legitimationen hergebrachter Verhältnisse (…) brüchig und“ zerfielen und „die kollektive Identität – oft auch die persönliche – [wurden] erschüttert.“ Eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und Neuorientierung wurde zur gesellschaftspolitischen Aufgabe, um ein neues historisches Verständnis auszubilden. Dies erwies sich als schwierig, denn die Primärgeneration blickte über- wiegend mit „moralischen Gefühlen wie Wut, Schuld, Scham und Entrüstung“ zurück. Das verhinderte nach Jeismann „die Entwicklung einer Zukunftsperspektive sowie die Formulierung einer neuen historischen Dimension“, also eine Vergangenheitsdeutung.
In der Zeit von 1945 bis 1968 zeigen sich in der Auseinandersetzung der eigenen Vergangenheit verschiedene narrative Strategien. Diese Narrative werden in der Arbeit am Beispiel der Nürnberger Prozesse vertieft. Die Nürnberger Prozesse sind für den Umgang und die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit von grundlegenden Interesse, da sie in der rechtlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Verbrechen eine Schlüsselfunktion einnehmen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Grundlagen und Fragestellung
- Theoretischer Rahmen und Forschungsstand
- Nürnberger Prozesse in den Lehrplänen
- Forschungsfrage
- Nürnberger Prozesse
- Konzeption und Methodik
- Stichprobe
- Analyseverfahren und -kategorien
- Empirische Untersuchungen – Schulbuchanalysen
- Darstellung
- „Europa und die Welt. 1815-1956“(1957)
- ,,Grundzüge der Geschichte“ (1958)
- „Der Mensch im Wandel der Zeiten“ (1958)
- ,,Geschichte der Neusten Zeit“ (1961)
- ,,Die Reise in die Vergangenheit“ (1964)
- Diskussion
- Darstellung
- Fazit
- Quellen- und Literaturverzeichnis
- Schulbücher
- Lehrpläne
- Wissenschaftlicher Apparat
- Anhang
- Ergebnisstabelle
- Kategorienbildung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Darstellung der Nürnberger Prozesse im westdeutschen Schulgeschichtsbuch der 1950er und 1960er Jahre. Ziel ist es, die historischen Narrative und Deutungsmuster zu analysieren, die in diesen Schulbüchern zum Ausdruck kommen.
- Die Rolle des Schulgeschichtsbuchs in der nationalen Erinnerungskultur
- Die Darstellung der NS-Vergangenheit in den Schulbüchern der 1950er Jahre
- Die Bedeutung der Nürnberger Prozesse für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
- Die narrative Konstruktion von Geschichte und die Herausforderungen der Zeitgeschichte
- Die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins in der jungen Bundesrepublik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas und die Forschungsfrage vor. Kapitel 2 skizziert den theoretischen Rahmen der Arbeit und beleuchtet den Forschungsstand zur Schulbuchforschung und zur Darstellung der NS-Vergangenheit. Dabei wird der Fokus auf die Bedeutung der Nürnberger Prozesse für die Aufarbeitung der Vergangenheit gelegt. Kapitel 3 gibt einen knappen Überblick über die Nürnberger Prozesse und ihre historischen Hintergründe. Kapitel 4 erläutert die Konzeption und Methodik der Arbeit, insbesondere die Auswahl der Stichprobe und die verwendeten Analysekategorien. Im Kern der Arbeit, der Schulbuchanalyse (Kapitel 5.1), werden anhand von ausgewählten Schulbüchern der späten 1950er und frühen 1960er Jahre die historischen Narrative und Deutungsmuster untersucht. Die Ergebnisse werden in Kapitel 5.2 diskutiert und vergleichend gegenübergestellt. Das Fazit (Kapitel 6) fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsfelder.
Schlüsselwörter
Schulgeschichtsbuch, historische Narration, Nürnberger Prozesse, NS-Vergangenheit, Zeitgeschichte, nationale Erinnerungskultur, Geschichtsbewusstsein, Deutungsmuster, Westdeutschland, 1950er Jahre, 1960er Jahre.
- Quote paper
- Senta Steinmeier (Author), 2017, Historische Narrative. Deutungsmuster zu den Nürnberger Prozessen im westdeutschen Schulgeschichtsbuch der 1950/60er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424183