The Camp-Prince of Crime. Der Joker als Fläche einer Camp-Erlebnisweise

Eine Beleuchtung des genderfluiden Verhaltens und der potentiellen Homosexualität des Jokers


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

45 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Camp — eine Begriffsannäherung
2.1. Erste Definitionsversuche nach Susan Sontag
2.2. Kritik an Sontag — die politische Komponente des Camp
2.3. Camp im Superhelden-Genre
2.4. Zwischenfazit und neue Prämisse

3. Ein Charakterisierungsversuch des Jokers als Camp-Person
3.1. Der Joker als Pop-Camp
3.2. Der Joker als queer Camp

4. Der Joker in Christopher Nolans The Dark Knight

5. Fazit

Bildverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die einzigartige Beziehung zwischen Camp und dem Superhelden-Genre wurde mit der 1966 erstmals ausgestrahlten TV-Serie Batman begründet. Erst zwei Jahre zuvor hatte Susan Sontag mit ihrem Aufsatz „Notes on 'Camp'” (1964) den Begriff Camp im ästhetischen Diskurs stark gemacht und erste theoretische Parameter etabliert. Über die Jahrzehnte sollte nicht nur der Camp-Begriff überleben, sondern mit dem Erfolg der deutlich durch seinen Camp-Stil gekennzeichneten Serie auch die allgemeine Annahme, Camp und Superhelden in Film und Fernsehen seien unzertrennlich miteinander verknüpft (Lowry 2004, 1). Seit Beginn des neuen Superhelden-Booms Anfang der 2000er, spätestens aber mit dem ernsteren Anstrich, den das Genre durch Christopher Nolans Batman-Filme erhielt, hat sich letzteres relativiert. Die Suche nach den Stellen, an denen Camp in diesem Genre überlebt hat, führt einen zwangsläufig zu einer seiner theatralischsten Figuren: der Joker.

Diese Arbeit widmet sich der Frage, inwieweit Camp eine zentrale Eigenschaft des Jokers ist und so durch den Joker innerhalb des Superhelden-Genres ermöglicht und gefördert wird. Nach einer konzeptuellen Aufarbeitung des Camp-Begriffs wird diese Arbeit den Joker einer Charakteranalyse unterziehen und dann seine Interpretation in Christopher Nolans The Dark Knight (2008) auf ihre Camp-Qualität untersuchen.

2. Camp — eine Begriffsannäherung

Camp lässt sich nicht einheitlich definieren. Da es sich bei Camp mehr um eine bewusst ästhetische Erlebnisweise als einen ästhetischen Stil handelt, liegt die Einordnung eines Objekts oder einer Person als Camp grundlegend im Auge des Betrachters (Core 1984, 9)1. Diese Subjektivität schlägt sich auch in der kulturtheoretischen Diskussion nieder, die nicht die Frage formuliert, was Camp ist, sondern wie Camp „ausgeführt” werden kann (Morrill 1994, 110). Dabei spaltet sich der Diskurs besonders am Definitionsparadigma des Inhalts: Ist Camp ausschließlich ästhetisch und damit leer an politischem Widerstandspotenzial oder eine performative, in der queer culture begründete Praxis zur Subversion vorherrschender Heteronormativität und essenzieller Identitäts-Auffassungen (Shugart 2008, 22)?

2.1. Erste Definitionsversuche nach Susan Sontag

Obwohl Susan Sontags „Notes on 'Camp'” (1964) nicht den Anspruch argumentativer Geschlossenheit erheben, hat ihr Aufsatz die theoretische Auseinandersetzung mit Camp durch eine erste Sammlung von Analysekriterien begründet, die stark zur Begriffseingrenzung beigetragen haben. Dabei werden folgende Aspekte als konstatierend für Camp angesehen: künstliche Ästhetik, Übertreibung, unvereinbare Gegenüberstellung, Humor und exaltierte Theatralität.

Der kleinster gemeinsame Nenner unter allen Theoretikern, die sich mit Camp befasst haben, ist die Einschätzung einer Ästhetik der Künstlichkeit und Stilisierung als Ideal von Camp (Shugart 2008, 34; Sontag 1964, 54, 62; Cleto 1999; Core 1984), die auf verschiedene Weise erzeugt werden kann, etwa durch Übertreibung, Extravaganz und Spektakel (Sontag 1964, 56). Ein Paradebeispiel sind hier etwa exaltierte Manierismen (56) und Darstellungen als „over-the-top” (Booth 1983, 24, 147)2.

Mit der Definition als Liebe zum Künstlichen und Übertriebenen wird Camp in direkter Opposition zur Natürlichkeit positioniert. Aus diesem Spannungsverhältnis, das Sontag den „double sense” nennt (1999, 57), lässt sich ein weiteres grundlegendes Charakteristikum der Camp-Erlebnisweise ableiten: die Unvereinbarkeit einer Sache oder Person im Kontrast zu ihrer Camp-Darstellung (Newton 1999, 102f; Jack Babuscio 1999, 119f; Shugart 2008, 31ff). Diese Unvereinbarkeit kann in einer Camp- Erlebnisweise viele subversive Formen haben, wobei ihre Präsentation stets spielerisch, humorvoll und parodistisch verstanden werden will (Sontag 1964, 65; Newton 1999, 106; Babuscio 1999, 126).

Ausgewählten Oppositionspaaren kommen besonders zentrale Positionen zu: Da Sontag ihren „Notes on 'Camp'” vor allem als Angriff auf das Geschmacks-Monopol der Hochkultur verstanden wissen will, sieht sie Camp als eine Erlebnisweise, die guten Geschmack im schlechtem Geschmack erkennt (1999, 65). Im Gegensatz zum Kitsch hegt Camp dabei aber eine unprätentiöse Zuneigung gegenüber dem Vulgären, Minderwertigen und 3 (Sontag 1964, 60, 63; Booth 1983, 147f; Shugart 2008, 34). Auch Booth definiert Camp an exakt dieser Unvereinbarkeit: „To be camp is to present oneself as being committed to the marginal with a commitment greater than the marginal merits” (1983, 18). Hieraus lässt sich auch die oft im Camp ausgedrückte Unvereinbarkeit zwischen dem Ernsten und Profanen oder Frivolen ableiten. Camp ist von Natur aus anti-seriös und will mit ästhetischen Mitteln der Künstlichkeit die Ernsthaftigkeit „entthronen” (Sontag 1964, 62; vgl. Shugart 2008, 34). Auch wenn dabei vor allem „formale Aufwendigkeit und inhaltliche Trivialität auseinanderklaffen” (Goer 2013, 39), kann im Camp genauso gut das Frivole durch exaltierte Ernsthaftigkeit konterkariert werden4. Beide Beispiele zeigen, Camp parodiert sich auch immer selbst.

Einer der zentralen Unvereinbarkeiten im Camp besteht zwischen maskulin und feminin (Babuscio 1999, 119; Newton 1999, 103), denn Camp lässt sich leicht als Verstoß gegen die Natürlichkeit des eigenen Geschlechts und einer einheitlichen Identität lesen. Ideale der Camp-Erlebnisweise wie das Androgyne unterstreichen, dass Camp Personen und Dinge in Anführungsstrichen begreift: Eine Frau ist eine „Frau” (Sontag 1964, 56; Shugart 2008, 31), ihr Gender und ihre Identität sind nicht angeboren oder persönlichkeitsimmanent, sondern durch bereits ontologisch aufgeladene Performances erzeugte kulturelle Konstruktionen5.

In der unvereinbaren Juxtaposition von Mann und Frau lässt sich ein weiteres Merkmal der Camp-Erlebnisweise entdecken: Theatralität. Die Infragestellung der Natürlichkeit von Identitäten und Geschlechtern führt zwangsläufig dazu, das Leben als Theater, „Being-as-Playing-a-role”, und Camp als besonders exaltierte, theatralische Performances zu begreifen, die diese zentrale Unvereinbarkeit auf parodistische Weise zum Ausdruck bringt (Sontag 1964, 56; vgl. Babuscio 1999, 123; Newton 1999, 104; Shugart 2008, 35f; Booth 1983, 18, 46). Für die Camp-Person wird die eigene Persönlichkeit zum ästhetischen Kunstwerk (Booth 1983, 27). Die Künstlichkeit und Theatralität der Selbstdarstellung machen vor allem Drag und Travestie zu häufigen Manifestationen von Camp (Sontag 1964, 56; Booth 1983, 23).

Zusammenfassend lässt sich Camp besonders dort erleben, wo durch eine absichtlich künstliche, oft exaltierte Ästhetik ein unvereinbares Spannungsverhältnis, etwa zwischen ernst und profan oder Mann und Frau, humorvoll und vornehmlich performativ-theatralisch dargeboten wird.

2.2. Kritik an Sontag — die politische Komponente des Camp

Kritik an „Notes of Camp” entzündet sich vor allem an zwei miteinander eng verknüpften Aspekten: Camps angeblicher Leere an Inhalt und politischer Subversion und Camps Entwurzelung aus dem angestammten homosexuellen Umfeld.

Nach Sontag ist Camp inhaltsneutral (1999, 54), betont stattdessen die Oberfläche (62) und ist zwangsläufig unpolitisch. Wenn Camp eine Agenda verfolgt, dann allenfalls als Protest gegen den prätentiösen Geschmack der Hochkultur (s. 2.1.). Allerdings verstrickt sich Sontag in argumentative Widersprüche, denn an anderer Stelle heißt es, Camp würde zu „Pseudo-Camp”, sobald er bloß dekorativ und risikolos sei (1999, 59) und sei „propagandistisch” in seinem Verfechten der Künstlichkeit und Performativität von Gender. Auch Cores Attestierung einer progressiven Qualität (1984, 15) widerspricht dem Ideal ästhetischer Oberflächlichkeit.

Für Sontags Kritiker ist Camp dagegen zwingend politisch und subversiv (Shugart 2008, 17; Meyer 1994, 1). Die unvereinbare Gegenüberstellung im Camp ist eine „ontological critique” (Meyer 1994, 2) normativer Erlebnisweisen, besonders in Bezug auf Geschlecht, Sexualität und Identität (Shugart 2008, 5, 36f). Dabei nutzen vor allem Camp-Performer die ihnen eigene Künstlichkeit, um die kulturelle Konstruiertheit von normativer Sittlichkeit, verpflichtender Heteronormativität und Gender durch Performance offen zu legen (Kleinhans 1994, 194f): „Camp has become recognized as an example par excellence of a postmodern denaturalization of gender categories” (Morrill 1994, 110).

Diese subversive Prämisse erklärt, warum eine Camp-Erlebnisweise besonders in der Homosexuellenkultur verankert zu sein scheint. Sontag relativiert allerdings die Wurzeln von Camp in der Homosexuellenkultur: Homosexuelle seien zwar Vorreiter und deutlichste Zielgruppe des Camp, aber Camp sei nicht zwingend homosexuell (Sontag 1964, 64; Core 1984, 9; Booth 1983, 20; vgl. Shugart 2008, 23)6. Kritiker sehen in Camp ihrerseits eine zwingend homosexuelle und durch den homosexuellen Betrachter aktivierte Erlebnisweise: „Camp is one thing that expresses and confirms being a gay man” (Dyer 1999, 110; vgl. Newton 1999, 102f; Kleinhans 1994, 187f; Cleto 1999, 89; Babuscio 1999, 124f; Shugart 2008, 22; Meyer 1994, 1).

Dieses Kapitel hat stark kontrastive Positionen rekapituliert, deren Meinungsverschiedenheit an dieser Stelle nicht nachhaltig geklärt werden können. Zur Schlichtung bieten Babuscio und Dyer hilfreiche Anhaltspunkte: Camp kann — muss aber nicht zwingend — subversiv und politisch progressiv sein, beinhaltet aber immer das Potential als Parodie mit politischer Prämisse interpretiert und erlebt zu werden (Kleinhans 1994, 195). Diese Kommentare legen eine Aufspaltung von Camp in (a) Pop-Camp und (b) queer Camp nahe, der sich diese Arbeit anschließen will: Dabei ist Pop-Camp die von Sontag aufgeführte ausschließlich ästhetische Erlebnisweise bar jeden Subversionspotentials und queer Camp die in der Homosexuellenkultur verankerte performative Praxis, durch die Heteronormativität potentiell zerrüttet werden kann (Shugart 2008, 22; Meyer 1994, 13).

2.3. Camp im Superhelden-Genre

Nicht wenige bezeichnen das Superhelden-Genre als inherent Camp (Shugart 2008, 4): Erwachsene Menschen schlüpfen in fiktive Identitäten und bunte, stilisierte Kostüme, um Jagd auf Schwerverbrecher zu machen. Darin verkörpern Superhelden nicht nur die unvereinbare Gegenüberstellung von Ernst und frivoler Komik, sondern auch die performative Natur von Identität als Aufführung auf der Bühne des öffentlichen Lebens. Pop-Camp wird dabei vor allem durch übertriebenes Spektakel konstatiert. Was aufgrund oberflächliche Exzess bei inhaltlicher Trivialität als zentraler Aspekt des Camp identifiziert werden kann (54), zählt zu einem der definierenden ästhetischen Elemente des Superhelden-Genres, sowohl in Comics, Serien als auch in Animations- und photorealistischen Filmen (Gordon 2007, xvi)7.

Als Agenten des queer Camp können vor allem Schurken betrachtet werden. Während Helden in ihrer Rolle als Retter und Beschützer Mut und andere stereotypisch männliche Charaktereigenschaften verkörpern (Behm-Morawitz/Pennell 2013, 75), patriarchalische, hegemoniale Normvorstellungen verteidigen und durch ihren Erfolg nachdrücklich die Rechtmäßigkeit des Status Quo unterstreichen (Coogan 2006, 237), stellen Schurken durch ihre genretypische Opposition zum Helden genau diese soziale Ordnung infrage (Packer 2010, 41). Sie stehen für Fortschritt und damit potenziell für die Entmachtung normativer Gender- und Identitäts-Auffassungen im Sinne des queer Camp 8. Tatsächlich galt ihre Camp-Darstellung lange als „Standbein” des Genres (Ithosapien 2016); noch heute werden Schurken oft nicht nur theatralisch, grotesk und extravagant (Burke 2015, 255), sondern auch nicht heteronormativ und ideal maskulin dargestellt9. Allerdings untergräbt die typische Fokalisierung des Genres das subversive Programm der Schurken als homosexuelle Initiatoren einer Erlebnisweise von queer Camp. Nonkonformität wird als marginal und falsch verteufelt und lässt den Superhelden im Kontrast umso heterosexueller erscheinen. Was Shugart über die Darstellung von Drag im Mainstream der medialen Pop-Kultur sagt, kann auch auf diesen Fall von Camp-Darstellung übertragen werden: „[T]hey are typically highly managed in such a way as to defuse or trivialize any critical potential, more often rendered as a quirk of an eccentric […] oddball” (Shugart 2008, 5).

2.4. Zwischenfazit und neue Prämisse

Die Aufarbeitung des Camp-Begriffs hat ästhetische Gemeinsamkeiten — zentrale Unvereinbarkeit, Künstlichkeit, Übertreibung, Theatralik — aber auch einen zentralen Definitionsunterschied herausgearbeitet. Ungeachtet dessen, ob man Camp als (a) oberflächliche, apolitische Ästhetik oder (b) Performance mit subversiver, homosexueller Agenda begreift, lässt sich eines als gemeinsamer Nenner festhalten: „Camp […] provides an impetus for subtextual reading” (Kleinhans 1994, 182).

Auch ob das Superhelden-Genre Camp „ausführt”, liegt letztlich im Auge des Betrachters. Allerdings weist das Genre in seiner typischen Darstellung von Spektakel und Schurken distinktive Camp-Qualitäten auf, die Flächen für eine subtextuelle, potentiell subversive Perspektive des gesamten Werkes als Pop-Camp oder queer Camp schaffen. Um zu zeigen dass keine Figur eine so große Fläche innerhalb des Superhelden-Genres okkupiert wie der Joker, wird sich diese Arbeit im Folgenden einer leicht verfeinerten Fragen widmen: Welche typischen Charaktereigenschaften prädestinieren den Jokers für eine Erlebnisweise als (a) Pop-Camp und (b) queer Camp? Im Anschluss wird sie analysieren, welche dieser Camp-Erlebnisweisen des Jokers auch in Nolans The Dark Knight (2008) noch möglich sind.

3. Ein Charakterisierungsversuch des Jokers als Camp-Person

Der Jokers wurde von Bill Finger, Jerry Robinson und Batman-Erfinder Bob Kane entworfen und hatte seinen ersten Auftritt bereits 1940 im Debüt-Comic Batman #1. Seither hat die Figur einen Ausnahmestatus unter den Schurken errungen. Wie die titeltragenden Superhelden ist der Joker eine „institution in pop-culture” (Wallace 2011, 16). Dabei sträubt sich der Joker nach wie vor gegen eine einheitlichen Definition, und wurde über 75 Jahre in Filmen, Fernsehserien, Comics und Computerspielen unterschiedlich interpretiert (Hassoun 2015, 3).

3.1. Der Joker als Pop-Camp

In Kapitel 2.1.1 wurden folgende Aspekte als konstatierend für eine CampErlebnisweise aufbereitet: eine ästhetische Künstlichkeit, eine unvereinbare Gegenüberstellung im Kern des Camp, die diese Künstlichkeit ausdrückt, sowie Übertreibung und exaltierte Theatralik als performative Ausdrucksweisen. Der Joker verkörpert alle diese Camp-Eigenschaften.

Das absolut distinktivste Charakteristikum des Jokers ist das scheinbar unvereinbare Spannungsverhältnis zwischen Clown und mordendem Psychopathen (Carter 2015, 51)10, das ihm den Beinamen „The Clown-Prince of Crime” eingebracht hat. Wie sehr dieses Profil eine Camp-Erlebnisweise anbietet, zeigt, dass der Joker die Diskrepanz zwischen der Bedeutungslosigkeit des Lebens und der ernsten Lebenseinstellung der Menschen für einen Witz hält — etwa in Batman: The Killing Joke (1988, p.) und Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth (1989): „The aim of camp is to make an audience laugh […] at one’s incongruous position” (Newton 1999, 106). Passenderweise lässt das vom Joker typischerweise verwendete „Joker Venom” seine Opfer mit lachend verzerrtem Gesicht sterben (Wallace 2011: 69).

Die Künstlichkeit des Jokers wird durch sein extrovertiertes Auftreten und seinen Hang zum Übertriebenen unterstrichen. Lachen, Wortwahl, Körperhaltung, Bewegungsabläufe und Grimassen subsumieren, was Sontag als „Übertreibung […] individueller Manierismen” (Goer 2013, 45) bezeichnet. In Arkham Asylum schlägt sich der Joker in Frustration die Hand auf eine Art vor die Stirn (ill.1), was Autor Grant Morrison in seinen Notizen sogar explizit als „terribly camp” (Morrison 1989, 30) bezeichnet11. Besonders Cesar Romeros Porträt des Jokers in der Batman-Serie der 1960er ist reich an „cartoonish poses” und „broad theatricality” (Hassoun 2015, 9). Zur Extrovertiertheit des Jokers passt auch die Extravaganz seiner Kleidung und Frivolität seiner Verkleidungen (ill.2), die Garneau explizit als „campy” bezeichnet (2015: 36, vgl. Wallace 2011: 60)12. Ebenso regelmäßig verwendet der Joker übertriebene Props (ill.3) und Waffen, in denen sich Komik und Gefahr gegenüberstehen (ill.4), meist Spaßpistolen (ill.5), giftspritzende Plastikblumen (ill.6) oder eine in der Handfläche versteckte Injektionsnadel (ill.7), die eher an einen Streich als ein Verbrechen und damit an Camp erinnern. Das theatralische Auftreten des Jokers gipfelt schließlich in der Inszenierung seiner Verbrechen als „carnival of delights” (Moore/Bolland, 2008 [1988], S.21; ill.8) und verzerrt ästhetisches Spektakel (ill.9):

He’s the most outsized criminal in the big city of Gotham, and his exploits are always larger than life. For the Joker, crime is performance art. If it’s not spectacularly theatrical, it’s boring, and his audience might fail to see the humor in the horror. (Wallace 2011, 105; vgl. Peaslee 2015, XIX)

Auch in seinen Verbrechen zeigt sich die Unvereinbarkeit seiner Figur. Die inhaltlich verwerflichen Taten des Psychopathen Joker werden vom Clown Joker als lustige Performance Art für eine Zuschauerschaft inszeniert13. Wolle man ihn als Fläche für Pop-Camp begreifen, ließe sich argumentieren, dass er buchstäblich das Ästhetische über das Moralische stellt (Goer 2013, 54, vgl. Sontag 1964, 62).

Der Joker lässt sich besonders im Hinblick auf sein extrovertiertes Auftreten und Inszenieren seiner Verbrechen als Spektakel als Pop-Camp erleben. Besonders in den 50ern und 60ern, als sich der Joker über „ frivolous amusement” definierte (Hassoun 2015, 11) und die Ästhetik seiner Verbrechen ergo über deren Inhalt hob, war der Joker besonders zugänglich für eine Camp-Erlebnisweise (Garneau 2015, 36).

3.2. Der Joker als queer Camp

Wie alle Schurken im Superhelden-Genre ist auch der Joker eine „Chiffre[…] für gesellschaftliche Missstände” (Friedrich 2007, 42) — in seinem Fall die Vorherrschaft von Heteronormativität und binären Gender-Vorstellungen. Darüber hinaus ist er in seiner Rolle als trickster dafür prädestiniert, kulturelle und soziale Missstände offenzulegen (Manivannan 2015, 109). So sagt Manivannan über die Pläne des tricksters: „[T]he Joker’s potentially apocalyptic disruptions appear when systems or ideologies become to rigid to sustain cultural renewal” (111f). Eine Erlebnisweise des Jokers als Fläche von queer Camp in diesem Sinne gründet sich auf drei Aspekten: sein Selbstverständnis als Performer, die subversive Agenda seiner Pläne und seine vermeintliche Homosexualität, die aus der natürlichen Opposition des Jokers als Schurke zum Heteronormativität und konservative Gender-Vorstellungen verkörpernden Batman entspringen (s. 2.3).

Seine pompös inszenierten Verbrechen, sein theatralisches Auftreten, aber auch seine farbenfrohen Verkleidungen legen nahe, dass der Joker im Kern ein Performer ist (Wallace 2011, 69; Garneau 2015, 35), der das Leben ganz im Sinne des Camp als Bühne betrachtet. Hierzu passt eine innerhalb der Diegese von Arkham Asylum erläuterte und im Diskurs geschätzte psychologische Diagnose des Jokers:

It’s quite possible we may actually be looking at some kind of super-sanity here. A brilliant new modification of human perception. More suited to urban life[14] at the end of the twentieth century. […] That’s why some days he’s a mischievous clown, others a psychopathic killer. He has no real personality. He creates himself each day. He sees himself as the lord of misrule, and the world as a theatre of the absurd. (Morrison/McKean 2002[1988] ; vgl. Garneau 2015, 39; Manivannan 2015, 112; Wallace 2011, 37)

Die Identitätsgrenzen des Jokers sind nicht fixiert, sondern fluide und multipel. Indem er ständig neue Persönlichkeiten — aber auch Vergangenheiten — inszeniert, legt er die künstliche Konstruiertheit des Identitäts-Konzepts offen (Garneau 2015, 34). Die Darstellung als Drag-Queen oder Transvestit in konkreten Beispielen zeichnet zudem instabile Gender-Grenzen: In Batman: The Dark Knight Returns (1986) verstärkt der Joker seine oft androgynen Gesichtszüge (ill.10) durch den Einsatz von rotem Lippenstift (Ill.11), während er in Arkham Asylum nur aufgrund des Vetos durch den Verlag nicht als Anspielung auf Madonna in Mieder und Stöckelschuhen gezeichnet wurde (Garneau 2015, 39f). In The Batman Superman Movie: World ’ s Finest (1996) legt der Joker sogar feminin-sexuell stilisierte Maniersimen an den Tag (ill.12).

Die Pläne des Jokers beinhalten meistens, die Bevölkerung von Gotham mithilfe biologischer Waffen mit Wahnsinn zu infizieren. Dabei ist besonders die Vergiftung des Gotham Reservoirs ein klassisches Motiv — etwa in Batman: The Man Who Laughs und Batman: Black Mirror (2011) (ill.13). Signifikanterweise drückt sich dieser Wahnsinn bei allen Zeichnern deutlich in der Grimasse des Joker aus: ein von manischem Lachen entstelltes Gesicht (ill.14). Nun wird dieser Wahnsinn, der dem Joker grundlegend attestiert und von ihm stolz zur Schau gestellt wird, im Kontext des Jokers als trickster zu anti-normativen Verhalten — „the ultimate rejection of restrictive social definition and rules” (Manivannan 2015, 114). Der facettenreiche Wahnsinn des Jokers steht allen binären Entscheidungsordnungen gegenüber — etwa von Gender15. Gleichzeitig bietet sich im Zusammenhang mit dem Jokers als Fläche für queer Camp eine Lesart von „Wahnsinn” als Synonym für von der normativen Gesellschaft abgestoßene Homosexualität, Transvestitismus und performativen queer Camp an. So wie der Wahnsinn rationale Vernunft zersetzt, untergraben Homosexualität und Camp konservative Verständnismuster und soziale Ordnung. Menschen mit Wahnsinn zu infizieren liest sich so als Plan, antinormatives Aussehen und Verhalten zu verbreiten.

Spezifische Beispiele illustrieren diese Interpretation noch deutlicher: So wird der Endgame-Virus des Jokers in Batman: Endgame (2015) wie folgt beschrieben: a thread that erases a cell’s past, making it new, able to become… anything […] that unravels a cell’s fate, and then re-sews it in a crazy new direction. Re-stitching a body’s basic life pattern.16 (Snyder/Capullo/Miki/Plancencia 2015)

Der Virus des Jokers zersetzt faktisch die Binarität und schicksalshafte Essentialität des biologischen Geschlechts und befähigt die Opfer so jede beliebige Identität anzunehmen. So lässt sich der Endgame-Virus auch als Plädoyer des Jokers für die Performativität von Identität und Gender begreifen.

[...]


1 Hinzu kommt, dass sich eine solche Camp-Klassifizierung zwangsläufig mit der Zeit wandelt (Sontag 1964, 60) und seit seiner Begriffsbegründung in den 1960ern gewandelt hat.

2 Schon 1909 führte das Wörterbuch Passing English of the Victorian Era Camp als: „actions and gestures of an exaggerated emphasis” (vgl. Booth 1983, 30).

3 Da Camp und Kitsch im Deutschen aus Mangel einer besseren Begriffsübersetzung von Camp oft fälschlicherweise synonym füreinander verwendet werden, sei hier nachdrücklich auf den Text von Chuck Kleinhans (1994) verwiesen.

4 Alle diese Merkmale zeichneten etwa die Batman-Serie der 1960er aus (Friedrich 2007, 36). Diese zentrale Position der Gender Studies wurde von Michel Foucault und später Judith Butler

5 Diese zentrale Position der Gender Studies wurde von Michel Foucault und später Judith Butler begründet. Da „Notes of Camp” dreißig Jahre vor Judith Butlers Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity (1990) und somit der Begründung der Gender Studies veröffentlicht wurde, kann Sontags Aufsatz als ideologischer Vorreiter Butlers gesehen werden: Auch Butlers zentrale These ist die Dekonstruktion der essentialistischen Natürlichkeit von Geschlecht und Identität. Außerdem identifizierte auch Butler besonders Drag als erfolgreiche Gender-Parodie (1999, 174ff).

6 Auch hier verstricken sich die entsprechenden Theoretiker in Widersprüche. So bleibt unerklärlich, warum Camp das Performative hervorhebt, das Marginale feiert, universelle Gleichwertigkeit propagiert (Sontag 1964, 63) und sich alle Camp-Personen an Rändern der Gesellschaft finden (Booth 1983, 34), Camp aber nicht aus dem gesellschaftlich marginalen Status der Homosexuellenkultur geboren worden sein kann, die Ungleichheit oft gerade durch performative Inszenierungen anprangern.

7 Gezeichnete Comicbilder und Animationssequenzen machen ununterbrochen auf die Künstlichkeit der Diegese aufmerksam und ermöglichen so, exzessivste Spektakel zu kreieren, die in photorealistischen Bildern umplausibel und unmöglich aussähen (Lefèvre 2007, 2). Um entsprechend ausladende Spektakel auch in Comic-Verfilmungen inszenieren zu können, nutzen viele Filme zur Umsetzung Übertreibung, ein künstliches Szenenbild, exaltierte Darbietungen, übertriebene Props und überspitzte komische Elemente (Ofenloch 2007, 74; Cohen 2007, 14ff) — kurzum Camp — als ästhetisches Konzept. Paradebeispiele sind hier neben Batman-Serie aus den 1960ern, die diesen Trend begründet hat, etwa Barbarella (1968) , Superman (1978), Dick Tracy (1990) und Die Maske (1994) — die alle Erlebnisweisen als Pop-Camp erlauben.

8 Tatsächlich charakterisiert etwa Booth prätentiöses Heldentum als „inimical to camp” (1983, 45). Die explizite Wortwahl („feindlich”) unterstützt die Quintessenz dieses Abschnitts.

9 Anschauliche Beispiele sind etwa der an einen Transvestit erinnernde Riddler in Batman Forever (1995) , der schreckhafte Modenarr Valentin aus Kingsman: The Secret Service (2014) oder Max aus The Losers (2010), dessen Bisexualität etwa durch eine Szene suggeriert wird, in der er umringt von halbnackten Frauen einem Diener zwischen die Beine fasst (00:55:19).

10 Nicht immer wurde der Joker im Zentrum dieses Spannungsverhältnisses gezeichnet. Zu Beginn ein kaltblütiger Schurke, dominierte zwischen den 1950ern und 1970ern das Bild des Jokers als alberner Clown, ehe die Figur ab 1973 mit The Joker ’ s Five Way Revenge wieder als „homicidal circus freak” interpretiert wurde (Wallace 2011, 105; Garneau 2015, 35ff).

11 Als statisches Medium müssen Comics Bewegungen oft ausladend und damit übertrieben darstellen, um die Illusion von Bewegungen zu erzeugen. Diese sind nicht alle — so wie dieses Beispiel — als Camp zu verstehen, auch wenn sie eine solche Erlebnisweise fördern können (vgl. auch ill. 1b).

12 Besonders grüne Haare, lila Anzug und weiße Handschuhe sind konstitutiv. Ein Paradebeispiel für das Camp-Potenzial seiner Verkleidungen ist sein Auftritt im Hawaii-Hemd in The Killing Joke, der auf mehrfache Weise Unvereinbarkeit ausdrückt: Eine Pistole wird einem Urlaubshemd, bleiche Haut assoziiertem Sonnenschein und Mordgelüste sonnigem Ausspannen gegenübergestellt (ill.2c).

13 Für dieses Argument spricht auch, dass sich der Joker seine Verbrechen oft im Fernsehen oder Radio als „tonight’s entertainment” ankündigt, wie etwa in Batman: The Man Who Laughs (Brubaker/Mahnke/ Sowd/Zircher, 2008, S.35f; vgl. Garneau 2015: 35).

14 Auch Sontag (1999, 55) und Booth (1983, 44f) charakterisieren Camp als urbanes Phänomen. Als besonderes Charakteristikum von Camp identifiziert Booth: „adopting various personalities to deal with the contingencies of city life” (53). Aus der grellen, hedonistischen Seite des oberflächlichen Stadtlebens leiten sich deshalb auch diverse Formen ab, die gemeinhin Camp-Erlebnisweisen erlauben, etwa Luxus, Glamour und Entertainment (Core 1984, 14; Sontag 1964, 60, 65).

15 Mit dieser Agenda wird der Joker fast zu einem Sprachrohr und Verfechter von Judith Butler.

16 Ähnliche Referenzen zu biologischem Transvestitismus finden sich in Arkham Asylum, in Form des Clownsfisches (ill.15), der in freier Wildbahn in der Lage ist, sein Geschlecht nach Bedarf zu verändern (Morrison 1989, 27).

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
The Camp-Prince of Crime. Der Joker als Fläche einer Camp-Erlebnisweise
Untertitel
Eine Beleuchtung des genderfluiden Verhaltens und der potentiellen Homosexualität des Jokers
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Medien- und Theaterwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
45
Katalognummer
V424266
ISBN (eBook)
9783668697621
ISBN (Buch)
9783668697638
Dateigröße
1422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Comics, Joker, Film, Pop-Kultur, Batman, Homosexualität, Gender, Camp, Medientheorie
Arbeit zitieren
Matthias Kreuter (Autor:in), 2016, The Camp-Prince of Crime. Der Joker als Fläche einer Camp-Erlebnisweise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424266

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