Diese Arbeit untersucht folgende Thesen:
1. Die Verfolgungen der aschkenasischen Juden in den rheinischen Städten Worms, Speyer, Mainz und Köln sowie in Trier an der Mosel durch den pilgernden Mob während des ersten Kreuzzugs muß im Kontext des Investiturstreits, der kirchlichen Armenbewegung und der Konflikt- und Solidaritätslinien innerhalb der Sozialstruktur der bischöflichen Städte beurteilt werden. Die vulgärtheologische Entwertung hochkirchlicher Auffassungen hinsichtlich der Juden führte zur Schwächung des kaiserlichen Judenschutzes, da der kreuzzugsfahrende Mob und die städtische Unter- und Mittelschicht in der Beurteilung des Bildes des Juden als angeblich „ungläubigen“ Fremden Übereinstimmungen fanden. Die Bischöfe versuchten, auf unterschiedliche Weise wenigstens einen Teil der Juden vor der Übermacht des aggressiven Mobs zu schützen. Die verzweifelten Juden versuchten, durch Geldzahlungen und Empfehlungsschreiben den aggressiven Mob zu besänftigen, eine Methode, die das Gegenteil bewirkte. Sie verteidigten sich tapfer oder begingen kollektiv Kiddush haShem (Akedah). Manche ließen sich auch zwangstaufen, und die Überlebenden konnten später wieder zu ihrem alten Glauben unter kaiserlicher Protektion zurückkehren.
2. Bei der Durchführung des Albigenserkreuzzugs leistete das französische Königtum der Kirche willige Hilfe aus dem Interesse heraus, sein Herrschaftsgebiet nach Südfrankreich auszudehnen, während die Kirche das Interesse verfolgte, die Region des Longuedoc zu rekatholisieren. Die verfolgten Minderheiten zogen sich in befestigte Städte, Burgen oder Höhlen zurück. Die Katharer verteidigten sich tapfer, hatten aber gegenüber der militärischen Übermacht des französischen Königs und der nachfolgenden kirchlichen Inquisition keine Chance zum Überleben.
3. Die kirchliche Inquisition produzierte eine zunehmend totalitäre, bürokratisierte und institutionalisierte Denunziations- und Repressionskultur, die intendierte, die Freiheit des Denkens und Glaubens zu unterdrücken, aber paradoxerweise das Gegenteil bewirkte.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Massenmord an den aschkenasischen Juden während des ersten Kreuzzugs (1096)
- Die Initiative zum Aufruf zur Befreiung Jerusalems („Waffenhilfe“, „Heidenkrieg“) von den muslimischen Seldschuken ging von Papst Urban II. aus, der gegen Ende des Konzils von Clermont (Notre Dame de Puy) vor einer großen Menge des „meist niedrigen französischen Adels\" am 27.11.1095 sprach.
- Bestandteile der emotionalen Kreuzzugspropaganda, um die massenpsychologische Begeisterung der Kreuzzugsteilnehmer zu erklären: 1. Die Bedrohung Ostroms, 2. die Projektion des muslimischen Feindbildes, 3. der Hinweis auf die theologische Bedeutung Jerusalems und die Notwendigkeit, die Schändung der Heiligen Stätten zu rächen, 4. die Versicherung des göttlichen Beistands, 5. der Sündenerlaß durch Teilnahme an der bewaffneten Pilgerfahrt.
- Vor Abmarsch des regulären Kreuzritterheeres (August 1096) bildeten sich fünf oder sechs „Haufen“ von ca. 10.000 Menschen, die von Rittern oder Priestern angeführt wurden und sich aus „Scharen aus den ländlichen und städtischen Mittel- und Unterschichten\" zusammensetzten.
- Innerhalb zweier Monate (Mai/Juni 1096) vernichteten diese Haufen „alle wichtigen Judengemeinden des rhein-fränkisch-lothringischen Raumes\".
- Wie reagierten die Juden auf die Aggression dieser Haufen? Warum griffen diese die Juden überhaupt an? Schließlich waren die rheinischen Städte nicht Jerusalem und die Juden keine Seldschuken.
- Schon 1010 wurden französische Juden mit der Begründung verfolgt, daß ein Kalif auf Anstiften französischer Juden die Grabeskirche zerstört habe.
- Die Juden von Mainz brachten sich beim Erzbischof Ruthard, beim Burggrafen und bei befreundeten Mitgliedern der kaufmännischen Oberschicht in Sicherheit.
- In Worms überfiel eine Koalition aus Kreuzfahrern und Städtern an einem Sonntag, den 18. Mai 1096, unter dem Vorwand einer angeblich von Juden begangenen Brunnenvergiftung die Häuser derjenigen Juden, die sich nicht in die bischöfliche Pfalz geflüchtet hatten, und ermordeten Junge und Alte.
- Während es dem Bischof Johann in Speyer gelang, die Juden dieser Stadt in seinem Palast vor den Verfolgungen der Kreuzfahrer, die dort am 3. Mai auftauchten, so wirksam zu schützen, daß dort nur 11 Juden umkamen, verfolgten die Erzbischöfe Hermann III. von Köln und Egilbert von Trier andere Strategien, um die Juden in ihren Erzbistümern vor den mörderischen Aggressionen des wilden kreuzfahrenden Mobs zu bewahren.
- In Köln fanden die Juden zunächst in den Häusern befreundeter Christen Schutz. Als der bewaffnet pilgernde Mob am 1. Juni 1096 Köln erreichte, zerstörte er die Synagoge, die Häuser der Juden und ermordete einzelne Juden.
- Haufen von Kreuzfahrern überfielen die Juden in Neuß am 24. Juni 1096, die in Wevelinghoven einen Tag später.
- In Trier musste der Erzbischof Egilbert fliehen und sich verstecken, nachdem er um Pfingsten (1. Juni) eine judenfreundliche Predigt in der Stiftskirche St. Simeon (Porta Nigra) gehalten hatte.
- Zur Erklärung der mörderischen Aggressivität der wilden Kreuzzugshaufen verweist Lotter 1. auf die antijudaistischen Adversus-ludeos-Traktate. Deren antijüdische Stereotypen blieben jedoch unterhalb des Vorwurfs des Gottesmordes. 2. Auf der vulgärtheologischen Ebene versuchten gewisse Geistliche durch eine willkürliche Bibelexegese bestimmter Psalmen und Propheten eine Verbindung zwischen dem hochkirchlichen Antijudaismus und den judenfeindlichen Kreuzzugspredigten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Das Ziel dieses Thesenpapiers ist es, die Verfolgungen von Juden und sog. „Ketzern\" im Mittelalter im Zeitraum von 1096-1323 zu untersuchen. Der Fokus liegt dabei auf den Reaktionen der verfolgten Gruppen auf die ihnen entgegengebrachte Aggression.
- Antijüdische und anti-kätzerische Einstellungen im Mittelalter
- Der Erste Kreuzzug und die Pogrome gegen Juden im Rheinland
- Reaktionen jüdischer Gemeinden auf die Verfolgungen
- Die Rolle der Kirche und des Papsttums in der Verfolgung von Juden und Ketzer
- Zwangstaufen und die Frage der Glaubensfreiheit im Mittelalter
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Das Thesenpapier beginnt mit einer Analyse des ersten Kreuzzugs und der Pogrome gegen Juden im Rheinland im Jahr 1096. Es werden die Ursachen und die Ausprägungen der Gewalt sowie die Reaktionen der jüdischen Gemeinden untersucht. Dabei werden die Rolle der Kirche und des Papsttums, die Motive der Kreuzfahrer sowie die Formen des Widerstands der Juden beleuchtet. Weitere Kapitel befassen sich mit der Situation in einzelnen Städten wie Mainz, Worms und Köln, wobei die Handlungsweisen der Bischöfe und die Strategien der jüdischen Gemeinden im Mittelpunkt stehen. Das Thesenpapier beleuchtet auch die Rolle von antijüdischen Traktaten und deren Einfluss auf die Kreuzzugsideologie.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die zentralen Schlüsselwörter dieses Thesenpapiers sind: Judenverfolgungen, Kreuzzüge, Antijudaismus, Mittelalter, Reaktionen, Zwangstaufen, Kiddush haShem, Gottesmord, Kirchenrecht, Bischöfe, Judenfriedhöfe, antijüdische Traktate, Bibelexegese, Stereotypen, Kreuzzugspropaganda.
- Arbeit zitieren
- Dr. phil. Volker Beckmann (Autor:in), 2001, Verfolgungen von Juden und sogenannten "Ketzern" im Mittelalter und ihre Reaktionen (1096-1323), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424926