Die Gartenstadt Hellerau


Seminar Paper, 2003

33 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Die Utopie Gartenstadt
1.1. Die Situation um 1900 und Howards Utopie
1.2. Der Gartenstadtgedanke in Deutschland
1.3. Die Deutsche Gartenstadtgesellschaft und Ihre Ziele

2. Hellerau – Gartenstadt oder Gartenvorstadt?
2.1. Vorbilder und Vergleiche
2.2. Hellerau im geschichtlichen Überblick
2.3. Die Baugenossenschaft und andere Organisationsstrukturen
2.4. Bauvorschriften in Hellerau
2.5. Gesamtplan
2.6. Städtebauliche Schwerpunkte:
2.6.1. Der Wohnungsbau
2.6.2. Deutsche Werkstätten
2.6.3. Marktplatz
2.6.4. Bildungsanstalt für rhythmische Erziehung

3. Fazit

4. Literatur- und Quellenverzeichnis

5. Abbildungsnachweis

Vorwort

Im Zeitraum gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die durch starkes industrielles und kapitalistisches Wachstum geprägt ist, treten verschiedene Personen ins Rampenlicht der öffentlichen Diskussion, die vor allem die schon länger vorherrschenden Missstände in den überfüllten Städten als inakzeptabel betrachten. Aus ihrer Sicht ist diese Fehlentwicklung, die sozialer, gesundheitlicher, stadtplanerischer oder ähnlicher Art ist, zu reformieren. Aus der Überlegung, das für Körper, Geist und Seele ungesunde zeitgenössische Stadtbild durch ein neues Siedlungsgebilde abzulösen, entsteht die Idee der Gartenstadt. Wie bereits das einleitende Zitat Clara Viebigs verdeutlicht, war man der Meinung, die Nation, bzw. die Wirtschaft, die Leistungsfähigkeit der Arbeiter und Soldaten, die Lebensfreude und allgemeine Gesundheit aller Bürger, würde durch die Großstadt geschwächt und könnte nur auf dem Land, in der Natur o.ä. wieder gestärkt werden.

Der erste Teil meiner Ausführung befasst sich demnach mit der urbanen und sozialen Ausgangssituation um die Jahrhundertwende und die Reaktion der deutschen Reformer auf die englische Vorlage durch Ebenezer Howard mit der Gründung der Deutschen Gartenstadtgesellschaft.

Der zweite Teil behandelt die erste in Deutschland verwirklichte Gartenstadt Hellerau bei Dresden. Hierbei soll neben der Entstehung, Planung und Architektur auch ein Augenmerk auf die organisatorische Struktur und den reformerischen Geist in dieser Siedlung gelegt werden. Zudem ist es der Versuch die Frage, ob Hellerau eine Gartenstadt im ordentlichen Sinne ist, zumindest teilweise zu beantworten.

1) Die Utopie Gartenstadt

1.1) Die Situation um 1900 und Howards Utopie

Der Gartenstadtgedanke entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in England aufgrund von sozialen und urbanen Missständen. Es herrschte seit der verstärkten Industrialisierung und der damit verbundenen Landflucht vieler Menschen in die Stadt enorme Wohnungsnot. Probleme der städtischen Agglomerationszentren waren außerdem schlechte Verkehrsbedingungen, aufgrund von Luftverschmutzung und Massenbevölkerung auch katastrophale gesundheitliche Bedingungen, auf die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Forscher hinwiesen[1]. Größtes Problem stellten allerdings die Missstände der Bodenspekulation dar, durch die in der städtischen Bevölkerung ein hohes Maß sozialer Unzufriedenheit entstand. Bodenspekulanten kauften große Flächen in den Außenbezirken der Städte zu Ackerboden-preisen, um diese dann über Jahre hinweg von der Bebauung auszuschließen und damit die Preise in die Höhe zu treiben.[2] Der Großteil der Bevölkerung konnte sich nun kein eigenes Heim leisten, so dass man dazu überging, möglichst viele Menschen und Wohnungen auf möglichst geringer Fläche unterzubringen; die sogenannten Mietskasernen entstanden.

Die physische und psychische Gesundheit der Bewohner dieser Blöcke litt sehr unter den gegebenen Umständen. Ein Mediziner führte im Auftrag der AOK 1912 eine Umfrage unter Kindern durch: „Eine in Berliner Volksschulen unter solchen Kindern von sechs und mehr Jahren durchgeführte Statistik ergab: 70% hatten keine Vorstellung von einem Sonnenaufgang, 54% kannten keinen Sonnenuntergang, 76% keinen Tau, 82% hatten nie eine Lerche gehört, 49% nie einen Frosch, 53% hatten keine Schnecke, 87% keine Birke, 59% nie ein Aehrenfeld gesehen; 66% kannten kein Dorf, 67% keinen Berg, 89% keinen Fluß. Mehrere Schüler wollten einen See gesehen haben. Als man nachforschte, ergab es sich, dass sie einen Fischbehälter auf dem Marktplatz meinten.“[3]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das städtische Wachstum war rasant: zwischen 1800 und 1900 wuchs beispielsweise die Bevölkerung Londons um etwa 5,5 Millionen Menschen an[4], eine Menge, die nur durch schnelle, billige Bausweise und völlige Auslastung des Wohnraumes zu bewältigen war.

1851 gab es auf dem damaligen deutschen Territorium 5 Großstädte mit einer Einwohnerzahl von mehr als 100.000. Etwa 60 Jahre später zählte man bereits 48, in denen insgesamt mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung lebte. Zwischen 1867 und 1900 betrug das Wachstum in den Großstädten 234 %. Als Beispiel der Bodenspekulation sei hier Charlottenburg aufgeführt. Der Schätzungswert dieses Berliner Stadtteils betrug 1865 etwa 6 Millionen, 1897 bereits 300 Millionen Mark. Diese Preisentwicklung und die damit verbundene Ausreizung aller Wohnungsraumreserven war unter anderem erst durch die Nichtbeteiligung der Kommunen an der Wohnungsbeschaffung und den Privatinitiativen der Spekulanten möglich.[5]

Die Strassen wurden zwar aus Repräsentationszwecken auf teilweise mehr als das doppelte verbreitert, die Gebäude auf den begrenzten Grundstücksparzellen jedoch mit möglichst viel Wohnfläche ausgestattet, was allerdings bedeutete, dass Dach und Keller zu Wohnraum umfunktioniert wurden und Anbauten die Hinterhöfe bis auf schachtartige Lichtschlitze verschmälerten. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung Berlins teilte sich ein Zimmer mit mindestens 5 Personen.[6] Die Landnutzung war chaotisch: Industrie- und Wohngebiete befanden sich teilweise in direkter Nachbarschaft, öffentliche Räume fehlten, die Verkehrsstruktur war oft nicht zukunftsorientiert oder einfach unausgereift.

In England begann die Industrialisierung bereits gute 50 Jahre früher als hierzulande, so dass man bereits eher auf diese Probleme reagieren konnte. Man setzte den schlechten Einflüssen dieser industriellen Entwicklung soziale und kultur-pädagogische Reformen mit dem Ziel entgegen, „den Arbeiter wieder mit der Tradition und dem Selbstbewusstsein des Handwerks in Verbindung zu bringen, ihn über seine eigene (nicht entfremdete) Arbeit durch die ‚gute Form’ sittlich, geistig und seelisch zu stärken […]“[7]. Dies ist insofern für die spätere deutsche Gartenstadtbewegung wichtig, als das die Kunst die Aufgabe der volkspädagogischen Belehrung nach englischem Vorbild übernehmen und somit auch die gute Architektur den Lebensstandard des Proletariats heben sollte.[8]

Entscheidend für den Erfolg der Gartenstadtidee waren allerdings die Veröffentlichungen Ebenezer Howards, der mit seinem Modell der Gartenstadt als Entlastung der Großstadt für Aufsehen sorgte. Eine gemeinnützige, kapitalkräftige Gesellschaft (Trust-Kollegium)[9] sollte eine große Fläche zum landwirtschaftlichen Nutzungswert erstehen. Die entstehende Stadt, nur ein sechstel der Fläche, mit einer maximalen Größenordnung von 32000 Menschen soll nach folgendem Muster errichtet werden: Bezugspunkt ist eine Central City mit ca. 58000 Einwohnern in der Mitte des Gürtels aus Gartenstädten. Die mit dieser durch Eisenbahn und Strassen verbundenen äußeren Gartenstädte besitzen ein Zentrum mit Verwaltung und öffentlichen Gebäuden. Wenn man dem kreisförmigen Aufbau der Gartenstadt von innen nach außen betrachtet, folgen ein Central Park, die Geschäftsstrasse (Christal Palace), eingebettet zwischen die beiden „Wohnringe“ die große Avenue mit Schulen im breiten parkähnlichen Mittelstreifen, und schließlich am äußersten Rand die verschiedenen Industrien mit einem direkten Anschluss an die Eisenbahn. Das Zentrum wird durch sternförmig angelegte Boulevards erschlossen (vgl. Abb. 2 / 3).

Wichtig ist eine Unveräußerlichkeit des Areals, d.h. die Grundstücke dürfen nie Privateigentum der Bewohner werden.

Setzt man diese Gartenstadtidee fort, so ist als Konsequenz eine Innenkolonisation mit der Durchsetzung des Flachlandes mit Gartenstädten zu denken.[10] Auf dieser Grundlage entstand bereits ab 1903 die erste Gartenstadt Letchworth bei London.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Gartenstadtmodell nach E. Howard Abb. 3: Ausschnitt des Gartenstadtmodells

1.2) Der Gartenstadtgedanke in Deutschland

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts gab es kein mit der Notsituation und Enge in Englands Städten wirklich vergleichbares Ballungszentrum. Daher reagierte man hierzulande erst viel später auf die Zustände in den Städten und eine Diskussion entbrannte erst nach dem Erscheinen Howards Buch.[11]

Die Gartenstadtbewegung kam vielen verschiedenen Trends entgegen. Der Ruf nach Eigentumsbildung wurde immer lauter, ein eigenes Heim, und sei es ein noch so bescheidenes, war den Mietskasernen immer noch vorzuziehen, schließlich stiegen hier die Kosten nicht weiter an. Der Massenmensch wollte wieder mehr Individualist sein. Außerdem setzte unter anderem zu dieser Zeit die Sicherheits- und Gesundheitswelle ein. Den miserablen Verhält-nissen in den Städten sollte der Kampf angesagt werden. Das Aufkommen der Versicherungen und der Drang „zurück zur Natur“, die allmähliche Bildung einer Angestellten- und Freizeit-gesellschaft, die neben der Arbeit eine neue Sinngebung bei Haus, Garten und Familie suchte, stärkten den Gartenstadtgedanken. Die Trennung von Wohnen und Arbeit wurde angestrebt. Bisher war die Stadt ein einziger Konglomerat aus Industrie und Wohnstätte. Sogenannte Arbeitersiedlungen stellten bereits eine Besserung dar, wurden aber kritisiert (vgl. 2.1, Vergleiche und Vorbilder).[12]

1.3) Die Deutsche Gartenstadtgesellschaft und Ihre Ziele

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Um 1900 verfolgt Deutschland das kulturelle Leben in England mit großem Interesse. England setzte neue Maßstäbe vor allem für das Bildungsbürgertum.[13] Wie bereits oben genannt, gründete man 1899 die „Garden City Association“, bereits drei Jahre später entstand in Deutschland die „Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft“, DGG im Folgenden. Bezeichnend ist, das die Gründer der DGG einem literarischen Kreis entstammten, die sich

weniger wissenschaftlich an dem Modell Howards,

sondern eher romantisch und sozialreformerisch an diesem

begeisterten. Das bedeutet, dass man sich nicht konkret mit den Problemen der Stadterweiterung und des Wohnungsbaues, sonder mit einer allgemeinen Reform, sowohl moralisch, geistig und kulturell, als auch hygienisch befasste.[14] Einflussreiche Personen wie z.B. Muthesius, verbreiteten diese Idee mit Erfolg in Deutschland.[15] Die Gartenstadt durch besseres und billigeres Wohnen als Alternative zu den überfüllten Städten anzubieten, und die damit verbundene Ablösung der Stadt als städtebauliches Leitbild sowie eine durch die Innenkolonisation auftretende Umwandlung des autoritären Staates in einen demokratischen, sozialen Kulturstaat, war erklärtes Ziel der DGG.[16] Die Gesellschaft versammelte aus diesem Grund Sozialpolitiker, Architekten, Gemeindeverwalter, Finanzpolitiker und Industrielle zur Mitarbeit am Gartenstadtprojekt.

Ein Auszug des §1 aus der Satzung der DGG von 1902 besagt: „ Das Ziel der Gartenstadtgesellschaft ist die Gewinnung breiter Volkskreise für den Gedanken der Errichtung von Gartenstädten auf der Grundlage des Gemeineigentums am Stadt- und Landboden, sowie die Förderung aller Maßnahmen, die diesem Ziele dienen.“[17]. Des weiteren erstrebt sie „[...] eine Wohnungsreform durch eine organisierte Wanderung der Industrie auf das platte Land, wo ein weitläufiger, hygienischer und ästhetischer Bau bei voller Berücksichtigung der Bedürfnisse der Industrie möglich ist und wo auch der sich angliedernden Landwirtschaft neben Märkten billige mechanische Kraft und gute Verkehrsbedingungen gebracht werden können; sie ist bemüht, eine Siedlung größeren Stils einzuleiten, wofür die Errichtung einer besonderen Gründungsgesellschaft vorbehalten ist.“[18].

Zudem legte man Wert auf eine ansprechende Architektur und Stadtplanung, denn „gute Kunst“ sollte Voraussetzung für eine „gute Gesellschaft“ werden.[19]

Die Stadt der Zukunft sollte nicht als Ressort für den überarbeiteten Menschen, sondern für Glück, Gesundheit und Wohlbefinden des Volkes gebaut werden.

[...]


[1] vgl. Bollerey. et al. (1990), S. 17

[2] vgl. Hartmann (1976), S. 10

[3] Hartmann (1976), S. 14

[4] vgl. Bodemann (2002), http://e-collection.ethbib.ethz.ch

[5] vgl. Hartmann (1976), S. 10

[6] vgl. Hartmann (1976), S. 13

[7] Hartmann (1976), S. 18

[8] Hartmann (1976), S. 19

[9] vgl. Peschel, Rößger et al. (1999), S. 41

[10] vgl. Hartmann (1976), S. 27

[11] vgl. Dohrn (1908), S. 11

[12] vgl. Hartman (1976), S. 26

[13] vgl. Hartmann (1976), S. 18

[14] vgl. Hartmann (1976), S. 27 und Bollerey et al. (1990), S. 26

[15] vgl. Hartmann, (1976), S. 19

[16] vgl. Hartmann, (1976), S. 44

[17] Bollerey, et al. (1990), S. 102

[18] Bollery, et al.(1990), S. 102 /103

[19] vgl. Hartmann (1976), S. 83

Excerpt out of 33 pages

Details

Title
Die Gartenstadt Hellerau
College
RWTH Aachen University
Grade
1,7
Author
Year
2003
Pages
33
Catalog Number
V42498
ISBN (eBook)
9783638405157
File size
3778 KB
Language
German
Keywords
Gartenstadt, Hellerau
Quote paper
Andreas Priesters (Author), 2003, Die Gartenstadt Hellerau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42498

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