Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Schellers Ansatz im Rahmen des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts

3. Erfahrungsbezogener Unterricht
3.1. Das szenische Spiel als Lehr- und Lernform
3.2. Die szenische Interpretation
3.3. Weitere Ansätze zum Szenischen Spiel im Unterricht
Karl Schuster
Günter Waldmann
Konrad Wünsche
Gerhard Rupp

4. Bertold Brechts Der Gute Mensch von Sezuan – Inhalt
4.1. Der Gute Mensch von Sezuan - szenisch interpretiert
4.2. Arbeitsschritte und Verlauf der szenischen Interpretation

5. Schluss

6. Bibliographie

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts mit Schwerpunkt auf das szenische Spiel darstellen.

Schellers Konzept soll mit anderen Ansätzen verglichen werden. Hier sollen Karl Schusters Konzept des literarischen Rollenspiels sowie die Ansätze von Günter Waldmann, Gerhard Rupp und Konrad Wünsche zum produktiven Umgang mit Literatur skizziert werden. Anhand von Bertold Brechts Der gute Mensch von Sezuan soll eine mögliche Arbeit mit dem szenischen Spiel in der Hauptschule vorgestellt werden.

Für den erfolgreichen Umgang mit erfahrungsbezogenem Unterricht muss der Lehrer, Scheller zufolge, die teilweise ablehnenden Haltungen der Schüler und Schülerinnen in sein Unterrichtsbild, also in seine Vorstellung von Unterricht, integrieren.

Schüler und Schülerinnen erleben die Schule häufig als eine Institution in der sie „ihre Identität gegenüber den Erwartungen und Zwängen […] darstellen und verteidigen müssen“[1]. In Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden über Ungerechtigkeiten, Konflikte oder Aggressionen zu sprechen, solche Szenen nachzuspielen und diese zu kommentieren. „Sie tun dies gewöhnlich in ihrer Sprache der Andeutung und Umschreibung, mit Witzen, einsilbig und in einem Jargon, der als Gassenjargon gilt.“[2] Im erfahrungsbezogenen Unterricht sollte über Fragen und Probleme gesprochen werden, die die Schüler und Schülerinnen beschäftigen. Hierbei ist es, gerade in Hauptschulklassen, wichtig, dass nicht nur kognitiv sondern auch sinnlich-körperlich gehandelt und gelernt wird.

Sein Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts entwickelte Ingo Scheller im Rahmen der einphasigen Lehrerausbildung an der Universität Oldenburg. Er nennt die von ihm konzipierte Unterrichtsmethode erfahrungsbezogen, da es ihm im Besonderen „um die symbolvermittelte Aneignung und Verarbeitung jener Erlebnisse und Erfahrungen der Schüler geht, die sie mit Unterrichtsinhalten verbinden“[3]. Ziel ist es demnach, dass die Schüler und Schülerinnen im Unterricht eigene Erfahrungen mit fremden Themen machen und sich deren bewusst werden.

2. Schellers Ansatz im Rahmen des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts

Die Literaturdidaktik beinhaltet eine Vielzahl verschiedener Konzepte. Sie umfasst die Spiel- und Theaterpädagogik, die Filmdidaktik, die Diskussion um nicht hermeneutische und poststrukturalistische Ansätze im Literaturunterricht, die Didaktik der Literaturgeschichte bis hin zur Kanonforschung.

Ingo Schellers Ansatz ist in die Dramendidaktik einzuordnen, in der die spiel- und theaterpädagogischen Ansätze an Bedeutung gewonnen haben. Das Drama als historisch begründete literarische Gattung wird dabei im Unterricht häufig vernachlässigt.

Die Dramendidaktik beinhaltet drei didaktische Konzepte: den gattungshistorischen, den theaterpädagogischen und den produktionsorientierten Ansatz.

Die Fragestellung des gattungshistorischen Ansatzes zielt auf Erkenntnisse der Literaturwissenschaft, beispielsweise auf die Strukturen der dramatischen Gattung. Insbesondere in der gymnasialen Oberstufe hat sich dieser Ansatz seit den 1970er Jahren durchgesetzt.

Im theaterpädagogischen Ansatz tritt „neben die Text- […] die Spielorientierung, das Drama wird zur Partitur, die erst in der Versinnlichung zeigt, was sie ist“[4]. Zu den Arbeitsformen des theaterpädagogischen Ansatzes gehören Expositionen, Handlungsführungen, Personendarstellungen, die dramatische Rede sowie nonverbale Ausdrucksformen wie Körpersprache, Mimik und Bühnenbild.

Ingo Scheller ist in diesen Ansatz einzuordnen. Seine Methode der szenischen Interpretation im Rahmen des erfahrungsbezogenen Unterrichts, hat das Ziel Texte durch Aktionen der Schüler und Schülerinnen zu interpretieren. Beim Handeln soll ihnen ihre eigene Haltung zum Unterrichtsthema bewusst werden.

Beim produktionsorientierten Ansatz liegt der Schwerpunkt auf produktiven Unterrichtsformen, meistens geht es hier um das Schreiben neuer Texte, um das Kreieren von Textteilen und um das Verfassen von Textvarianten.

Der produktionsorientierte Ansatz geht davon aus, dass Schüler und Schülerinnen besser lernen, wenn sie selbst etwas tun. Im Gegensatz hierzu steht das traditionelle fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch, in dem bloß über Thematiken gesprochen wird. Auch Herangehensweisen an Texte, die nicht analytisch sind, werden hier als Verstehens- und Interpretationsleistungen gesehen. Hierzu können das Spielen einer Pantomime, das Erfinden einer Parallelgeschichte oder das Zeichnen einer Skizze gezählt werden, durch die abbildhafte Verstehensweisen initiiert und dokumentiert werden. Auch dieser Ansatz hat Gemeinsamkeiten mit Ingo Schellers Konzept, da er mit Schülern und Schülerinnen Figurenbiografien und Dialoge schreibt sowie Pantomimen und Szenen spielt und sie dadurch produktiv werden lässt.

3. Erfahrungsbezogener Unterricht

In ihrem außerschulischen Verhalten in der Peergruppe orientieren sich Hauptschüler und Hauptschülerinnen, nach Ingo Scheller, nicht an sprachlichen sondern vorwiegend an körperbezogenen Ausdrucksformen. Deshalb hält er es für notwendig solche körpersprachlichen und nicht-sprachlichen Elemente in das Unterrichtsgeschehen mit einzubeziehen.

Das Lernen fällt den Schülern und Schülerinnen leichter, wenn alle Sinne in den Lernprozess eingebunden sind. Deshalb ist es von Bedeutung Raum und Zeit sowie Gestik und Mimik in den Unterricht einzubeziehen.

Vor allem Hauptschüler und Hauptschülerinnen sind bei Themen und sozialen Situationen, die außerhalb ihres Erfahrungshorizonts liegen, häufig überfordert. Zum Verständnis solcher Themen sind sie deshalb auf detaillierte Szenen und Dialoge angewiesen. Im szenischen Spiel gelingt es ihnen dahingegen meistens eigene Erfahrungen und Handlungsmuster so aufzubauen, „dass sie im Fremden auch eigene Aspekte wahrnehmen“[5] können und hierdurch das Fremde zu verstehen lernen. Hierbei ist es ist für die Schüler und Schülerinnen wichtig, dass das Thema mit Ernsthaftigkeit, körperlichem Einsatz, Mimiken und nachdrücklichen Gebärden dargestellt wird. Im literarischen Text vorkommende Kontroversen können als solche körperlich gespielt werden und so den Schülern und Schülerinnen das Verständnis erleichtern. Im Mittelpunkt des erfahrungsbezogenen Unterrichts steht das, was im szenischen Spiel über eigene und fremde Rollen und Szenen sowie über soziale Prozesse gelernt wird.

Nach Schellers Erfahrung ist es den Hauptschülern und Hauptschülerinnen durch das szenische Spiel möglich ohne große Schwierigkeiten komplexe historische, kulturelle und sozial fremde Themenbereiche zu reflektieren, wenn der Lehrer verschiedenes Hintergrundmaterial, wie Texte und Filme, zu Verfügung stellt.

Ingo Scheller gliedert seinen Ansatz des erfahrungsbezogenen Unterrichts in drei Schritte.[6]

Der erste Schritt, die Aneignung von Erfahrungen, bezieht sich auf die subjektiven Bedeutungen des Unterrichtsthemas, welches durch Medien vermittelt wurde. Die Schüler und Schülerinnen sollen sich an Erlebnisse, Fantasien und Erfahrungen erinnern, die sie mit dem Thema in Verbindung bringen.

Den zweiten Schritt nennt Ingo Scheller Verarbeitung von Erfahrungen. Hier sollen die Erfahrungen der Einzelnen aufgearbeitet werden. In Kleingruppen können Standpunkte herausgearbeitet werden. Die Erfahrungen der einzelnen Schüler und Schülerinnen sollen hierbei nicht aufgehoben werden, sondern die Basis darstellen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Wissen und den Erfahrungen der anderen wird der eigene Standpunkt verfremdet, neu interpretiert und im gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen. Nur so ist es, Scheller zufolge, möglich einen „gesellschaftlich reflektierten Standpunkt“[7] zu erarbeiten.

Der dritte Schritt des erfahrungsbezogenen Unterrichts ist die Veröffentlichung der Erfahrungen. Das von den Schülern und Schülerinnen Erarbeitete wird hier öffentlich diskutiert, diese Diskussion kann gegebenenfalls über den Klassenraum hinausgehen. Die Schüler und Schülerinnen lernen ihren eigenen Standpunkt zu vertreten und ihn anderen verständlich zu machen.

„Das autoritäre Frage-Antwort-Gespräch verhindert“, nach Scheller, „dass alle Schüler und Schülerinnen ihre Positionen einbringen und zusammen mit anderen diskutieren.“[8] Bei den Schülern und Schülerinnen darf keine Angst bestehen, dass ihre Aussagen vom Lehrer als schlecht bewertet werden. Im Gespräch einer erfahrungsbezogenen Unterrichtsstunde werden Kontroversen ausgeführt, bei denen eigenen Erfahrungen und Fantasien mitwirken, die in einem traditionellen fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch vom Lehrer häufig als störend empfunden werden.

3.1. Das szenische Spiel als Lehr- und Lernform

Schülern und Schülerinnen fällt es oft schwer sich sprachlich über einen Text zu äußern. Häufig kommt die Aussage: „Was soll man darüber reden, es ist doch alles klar. Es steht doch alles im Text“[9]. Liest der Lehrer den Schülern allerdings einen literarischen Text vor, sind, Ingo Scheller zufolge, mimische und gestische Randbemerkungen sowie sprachliche Kommentare, die der Lehrer meistens als Störungen auffasst, seitens der Schüler und Schülerinnen zu beobachten.

Im Unterricht sind die Schüler und Schülerinnen häufig schon mit der isolierten Lesesituation überfordert. Auch die eingeschränkte Lesefertigkeit blockiert die Fähigkeit Sinn und Inhalte sowie eigene Gedanken zu entwickeln. Die gestische und mimische Kommunikation, die die Jugendlichen in ihrer Freizeit bevorzugen, ist im traditionellen fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch selten gefragt. Dies hat zur Folge, dass die Schüler sich nicht am Unterrichtsgespräch beteiligen und sich nicht am Unterrichtsgespräch beteiligen.

Im Spiel können die Schüler und Schülerinnen zeigen, wie sie sich Haltungen und Handlungen der Figuren vorstellen, sich eigene Haltungen bewusst machen und diese gegebenenfalls neu interpretieren.

[...]


[1] Scheller, Ingo: Erfahrungsbezogener Unterricht. Frankfurt am Main: Scriptor 1987. S. 53.

[2] Wünsche, Konrad: Die Wirklichkeit des Hauptschülers: Berichte von Kindern der Schweigenden Mehrheit. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972. S. 59.

[3] Scheller, I.: Erfahrungsbezogener Unterricht. S. 64

[4] Bogdal, Klaus-Michael und Korte, Hermann: Grundzüge der Literaturdidaktik. München: dtv 2002. S. 185.

[5] Scheller, Ingo: Szenisches Spiel, Handbuch für die pädagogische Praxis. Berlin: Cornelsen Scriptor 1998. S.10.

[6] Vgl. Ingo Scheller: Erfahrungsbezogener Unterricht. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Scriptor 1987. S. 65f.

[7] Ebd. S. 66.

[8] Ebd. S.122.

[9] Scheller, Ingo: Szenische Lernprozesse. Überlegungen zum Literaturunterricht mit Haupt- und Sonderschülern. In: Diskussion Deutsch, Zeitschrift für Deutschlehrer aller Schulformen in Ausbildung und Praxis 18 (1987), Heft 93. S. 41.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Aktuelle literaturdidaktische Konzepte:
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V42527
ISBN (eBook)
9783638405386
Dateigröße
617 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ingo, Schellers, Konzept, Unterrichts, Aktuelle, Konzepte, Ingo Scheller
Arbeit zitieren
Lenka Eiermann (Autor:in), 2005, Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42527

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