Die Ayurvedische Pharmaindustrie. Historische Transformation und Kommerzialisierung eines Medizinsystems


Bachelorarbeit, 2013

34 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einleitung und Ziel der Arbeit

2.0 Die Geschichte des Ayurvedas und seiner Pharmaindustrie

3.0 Die ayurvedische Pharmaindustrie,

4.0 Standardisierung, Qualität und Produktion ayurvedischer Medikamente
4.1 Kategorisierung indischer Medikamente
4.2 Der Produktionsprozess
4.3 Qualität und Standardisierung ayurvedischer Medikamente

5.0 Biopiraterie der ayurvedischen Pharmaindustrie

6.0 Marketingstrategien indischer Pharmakonzerne und die entsprechende Zielgruppe
6.1 Großmutters Küche und die „Moderne“
6.2 Kulturelle Muster, Ängste und Spiritualität
6.3 Die Funktion moderner ayurvedischer Pharmazeutika

7.0 Auswirkungen der Kommerzialisierung
7.1 Auswirkungen auf sozial Schwächere
7.2 Die Institution des Vaidyas
7.3 Auswirkungen auf den Patienten

8.0 Die wissenschaftliche Nutzbarmachung der ayurvedischen Pharmazie

9.0 Fazit

10.0 Bibliographie

1.0 Einleitung und Ziel der Arbeit

Medizin in Indien unterliegt wie überall sonst auf der Welt der Logik und den Mechanismen des Marktes. Dies führte bereits im letzten Jhd. zu einer weitreichenden Kommerzialisierung der ayurvedischen Pharmazie. Die Vermarktung und Modernisierung des Ayurveda wird in Indien vor allem von der entsprechenden Pharmaindustrie vorangetrieben. Die Motivation der ayurvedischen Pharmaunternehmen sind dabei kurzfristige Profite.

Um diese Gewinne zu realisieren, setzen die Unternehmen vermehrt auf den Verkauf überteuerter „over-the-counter“ Produkte. In welcher Form verändert der Mechanismus der Kommerzialisierung den „klassischen“ Ayurveda und wie werden die Medikamente durch die entsprechende Pharmaindustrie vermarktet? Welche Veränderungen entstehen dadurch für Praktizierende des Ayurvedas in Indien und die entsprechenden Patienten?

Um diesen Fragen nachzugehen, soll als erstes die geschichtliche Entstehung der ayurvedischen Pharmaindustrie thematisiert werden, um anschließend einen Überblick über den Prozess der Kommerzialisierung ayurvedischer Formeln und Präparate durch die entsprechenden Unternehmen, zu geben. Es soll erarbeitet werden, welche Zielgruppe die Medikamente in Indien anspricht und welche, teilweise ambivalente, Argumente und Marketingstrategien dazu verwendet werden. Die Vermarktung des Ayurvedas in Indien und im Westen greift bestimmte kulturelle Ängste und Wünsche auf. Auch soll gezeigt werden, dass der Konsum von Medikamenten mit dem menschlichen Wunsch nach Magie und Kontrolle der Natur in Verbindung gebracht werden kann, und dass die Pharmaunternehmen diesen Mechanismus zur Vermarktung ihrer Produkte nutzen, oder zumindest von ihm profitieren. Die Verbreitung neuartiger „ayurvedischer“ Pharmazeutika führt zu einer Reihe an Veränderungen, von denen vor allem sozial schwächere Menschen betroffen sind. Entsprechende Auswirkungen des Aufkommens von „over-the-counter“ Präparaten auf bestimmte Gesellschaftssichten sollen ebenfalls besprochen werden. Abschließend werden neue Ansätze einer Nutzbarmachung des pharmazeutischen Wissens des Ayurvedas thematisiert und gezeigt, warum die Entwicklung neuer Medikamente durch den Markt beeinflusst wird.

2.0 Die Geschichte des Ayurvedas und seiner Pharmaindustrie

Um die voranschreitende Kommerzialisierung des Ayurvedas besser verstehen zu können, soll an dieser Stelle auf die Geschichte des Systems eingegangen werden.

Der Term Ayurveda setzt sich aus den Sanskritwörtern „ayus“ (Langlebigkeit / 100 jährige Lebensspanne) und „veda“ (Wissen) zusammen (vgl. Frank 2004: 158). Das System zielt also dem Namen nach darauf ab, das Leben zu verlängern und ein vorzeitiges Ableben zu verhindern. Die gängige Übersetzung (Wissenschaft des Lebens oder Seins), wie sie vor allem in der so genannten „New- Age-Literatur“ verwendet wird, ist aus indologischer Perspektive nicht korrekt. Seine Wurzeln hat der Ayurveda in den Texten des Atharva- veda, welche um 1.000 v.Chr. datiert werden. Eine systematische Auseinandersetzung mit medizinischen Theorien, sowie die Idee eines humoralen Ungleichgewichts im Krankheitsfall, wurden erstmals in buddhistischen Texten ca. 400 v.Chr. formuliert (vgl. Smith & Wujastyk 2008: 4). Die beiden Texte (Caraka-Samhita & Susruta-Samhita) sind die wichtigsten Eckpfeiler des Ayurvedas und beinhalten neben Diagnose und Therapiemethoden auch eine umfangreiche Pharmakologie, welche bis heute zur Popularität des Systems beiträgt (vgl. Smith & Wujastyk 2008: 5) und seit Beginn des 20.Jhds stark vermarktet wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass die Geschichte des Ayurvedas immer dynamischer Natur war. Dies lässt sich auch indologisch an der Ethymologie des Wortes Samhita festmachen. Tatsächlich bedeutet das Wort Samhita soviel wie Sammelwerk oder Sammlung (vgl. Gottwald 1991: 21). Der Ayurveda stammt nicht aus einer einzigen Quelle und es gibt von ihm auch keine Reinform, da das System immer auch von anderen Traditionen beeinflusst wurde (vgl. Smith & Wujastyk 2008: 4).

Die von C. Leslie verwendete Einteilung der kodifizierten indischen Medizinsysteme, kann dabei auch verwendet werden um die Geschichte des Ayurvedas besser zu verstehen. Als erstes listet Leslie die oben angesprochene Medizin der klassischen Sanskrittexte. Die klassischen Texte der Unani-Medizin sind hier als weiterer Einfluss auf das System zu nennen (vgl. Leslie 1976: 358). Als der Islam in Indien an Einfluss gewann, wurden auch medizinische Ideen aus dem „nahen Osten“ importiert. Die islamischen Gelehrten zeigten großes Interesse an der indischen Medizin und übersetzten die Texte ins Arabische und Persische. Umgekehrt übernahmen Praktizierende des Ayurvedas medizinische Theorien aus dem Unani. So ist zum Beispiel das Sinnbild eines jeden Ayurveda-Praktizierenden eine spezielle Form der Pulsdiagnose. Auffallend ist jedoch, dass diese Praktik in den klassischen Texten des Atharvaveda nicht zu finden ist. Sie wurde wahrscheinlich aus dem Unani übernommen (vgl. Leslie 1976: 356). Die vorkoloniale Form des Ayurvedas ist für Leslie eine synkretistische Verbindung des Ayurvedas mit der Unani Medizin, welche er als „traditional culture medicine“ beschreibt (vgl. Leslie 1976: 358). Diese Tradition entwickelte sich zwischen dem 13. und 19. Jhd. in Indien. Die heutige Form des Ayurvedas in Indien beschreibt Leslie als eine Hybridform, bestehend aus der „traditional culture medicine“ und der Biomedizin (vgl. Leslie 1976: 358). Das heutige Ayurveda außerhalb Indiens wird von D. Wujastyk als „global Ayurveda“ beschrieben und bezieht sich dabei auf die „New-Age- Bewegung“ (vgl. Smith & Wujastyk 2008: 2).

Die Transformation der „traditional culture medicine“ hin zum heutigen Ayurveda begann im frühen 19. Jhd. mit der Einführung des britischen Schulsystems in Indien durch die „East India Company“. Ziel war es, indische Männer und Frauen für höhere Posten in der Kolonialherrschaft auszubilden (vgl. Leslie 1976: 360). Letztlich ging es in dieser Campagne auch darum, die Überlegenheit des englischen Systems zu postulieren und die „Fehlerhaftigkeit“ des indischen zu unterstreichen (vgl. J. Langford 2004: 5). Bald begannen angesehene Praktizierende des Ayurvedas ihre Söhne in den neuen Universitäten unterzubringen, um dort das Medizinsystem der Kolonialregierung zu erlernen. Dies schuf eine neue Generation an Praktizierenden, welche sowohl in der von Leslie beschriebenen „traditional culture medicine“ als auch der Biomedizin ausgebildet waren (vgl. Leslie 1976: 362). Ende des 19. Jhd wurde den Vaidyas klar, dass das englische System am besten mit den eigenen institutionellen Waffen zu schlagen war und man begann sich nach dem Vorbild der Kolonialisten in eigenen Institutionen (Universitäten, Krankenhäuser, Pharmaindustrie) zu organisieren um der Biomedizin entgegen zu treten (vgl. J. Langford 2004: 7). Der Ayurveda in Indien begann zu dieser Zeit erneut, seine synkretistische Tradition fort zu- setzten und sich Praktiken der Biomedizin anzueignen. Durch die Organisation in Institutionen wurde eine parallele Medizin und Wissenschaft in Indien etabliert. Der Ayurveda wurde so auch zu einem Instrument der indischen Identitätsstiftung und in den 1920er Jahren von nationalistischen Bewegungen unterstützt. Es sollte eine indische Wissenschaft gegründet werden, die mit der englischen konkurrieren konnte (vgl. J. Langford 2004: 7). Die treibenden Kräfte dieser Entwicklung waren meist urbane Hochkastenhindus, welche sich durch die Revitalisierung des Ayurvedas eigene Karrieren schufen und das von Leslie als „traditional culture medicine“ beschriebene System, in eine eben solche „Lobby“ wie die der Biomedizin nach europäischem Vorbild, verwandelten.

[ … ] they shaped careers for themselves, transformed the learned practice of traditional-culture medicine into a blend of popular culture and scientific medicine, and created within the pluralistic Indian medical System a dual structure of professional medical institutions ” (Leslie 1976: 365).

Alle in diesem Absatz dargestellten historischen Fakten zeigen, dass der Ayurveda stets durch entsprechende Gegebenheiten einer Epoche beeinflusst wurde. Der Beginn einer Kommerzialisierung kann auch als eine Fortführung dieser Tradition gesehen werden. Die Vermarktung ayurvedischen Wissens in Form von „over-the-counter“ Präperaten in Indien, sowie der Verkauf von Wellness und Beautyprodukten im Westen, kann als Anpassungsmechanismus an die kapitalistische „Moderne“ interpretiert werden. Passte das System sich im Kolonialzeitalter den Institutionen der Kolonialregierung an, so passt es sich heute den Bedingungen des globalen Marktes an. Es soll an dieser Stelle kein Opportunismus unterstellt werden, sondern lediglich der Fokus darauf gerichtet werden, dass sich medizinische Systeme ständig im Wandel befinden und sich den kulturellen, ökonomischen und sozialen Bedingungen einer Epoche angleichen. Im Rahmen dieser Anpassung an die kapitalistische Moderne, entstand nach der indischen Unabhängigkeit auch die neue ayurvedische Pharmaindustrie, welche die Vermarktung von entsprechenden Medikamenten national und international, nach „westlichen“ Standards, vorantrieb (vgl. Leslie 1976: 364).

3.0 Die ayurvedische Pharmaindustrie

In Indien produzieren ca. 7500 Fabriken ayurvedische Präparate und Formeln. Die meisten der Firmen sind kleinere Unternehmen mit einem Umsatz unter US $500,000. Zehn Firmen sind in Indien für ungefähr 60% des Umsatzes aus ayurvedischer Medizin verantwortlich (vgl. Bode 2006: 226). Im Jahr 2000 setzte dieser Markt ca. US $800 Millionen um. Vier Jahre später waren es bereits US $1000 Millionen. Diese Tatsache ist erstaunlich, da 1980 gerade einmal US $6 Millionen in diesem Sektor umgesetzt wurden (Leslie 1989: 27). Das indische Pharmaunternehmen Dabur India Ltd. alleine hält 25 % des Marktes in Indien und verbucht Umsätze von US $200 Millionen (vgl. Bode 2006: 228). Das börsennotierte Unternehmen Himalaya Drug Company (Himalaya Global Holdings), ist ebenfalls eines der einflussreichsten Unternehmen in diesem Wirtschaftszweig. Weitere bedeutende Unternehmen in diesem Bereich sind: Hamdard, Zandu, Carak, Medimix, Aimil, Vicco und Baidyanath (vgl. Bode 2006: 231).

So ist auf dem indischen Markt gegen jede Krankheit ein entsprechendes ayurvedisches Produkt zu finden. Auch sind vermehrt Produkte gegen „moderne“ chronische Krankheiten wie Diabethes, Arthritis, Alzheimer usw. auf dem Markt vertreten. (vgl. Bode 2006: 226). Eine Reihe an Produkten verspricht zudem eine Linderung von Nebenwirkungen aus biomedizinischen Behandlungen. Darüber hinaus sind ayurvedische Formeln und Präparate auch im Kosmetik und Wellnessbereich zu finden, welche holistische Gesundheit und Schönheit versprechen (vgl. Bode 2006: 226). In Europa wie auch den USA wuchs die Nachfrage nach „alternativer Medizin“ in den letzten zehn Jahren enorm. Es handelt sich um einen Markt mit Umsätzen in der Nähe von 7 Billionen Dollar. Der Verbraucher wird geradezu überflutet mit alternativen Präparaten und Heilmethoden und so stellt sich diese neue Industrie nicht nur in Indien dem dominanten pharmazeutischen und therapeutischen Markt entgegen (Banerjee 2008: 211). Um mit der Biomedizin konkurrieren zu können, mussten ayurvedische Medikamente massentauglich gemacht werden. Auch mussten sich die neuen Medikamente als wirksamer oder zumindest genau so wirksam wie die der Biomedizin erweisen, um eine Konkurrenz zu ermöglichen (Banerjee 2008: 201). Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Unternehmen ständig neue Medikamente auf den Markt bringen. Die Einführung von „over-the-counter“ Präparaten sichert den Unternehmen ihre Stellung auf dem Markt.

Anfang des 20. Jhd. wurden vor der Einnahme und dem Kauf ayurvedischer Präparate noch Praktizierende des Ayurvedas zu Rate gezogen. Dies verschwand durch das Aufkommen der „over-the- counter“ Produkte fast vollständig. Entsprechende Medikamente können mittlerweile ohne vorherige Konsultierung von Ärzten direkt vom Individuum gekauft werden. Lediglich 15% dieser Medikamente sind verschreibungspflichtig, werden aber in der Realität oft direkt verkauft (vgl. Bode 2006: 227).

Durch den kommerziellen Erfolg dieser Produkte gehören die Herstellung und der Verkauf von „over-the-counter“ Präparaten seit 1970 zur Unternehmenspolitik von Dabur India Ltd. (vgl. Bode 2006: 228). Auch die Himalaya Drug Company ist seit 1990 mit entsprechenden Produkten auf dem Markt vertreten und bricht damit gleichzeitig eine lange Firmentradition der Verschreibungspflicht (vgl. Bode 2006: 228). Die Ayurveda- und Unani-Industrie betreibt dabei einen großen Aufwand, ihr System mit der „westlichen“ oder „modernen“ Wissenschaft zu verbinden und sich so Legitimität zu erarbeiten (vgl. Bode 2008: 133)

The firm wants to convince physicians and consumers that Himalaya`s products are as rigorously tested and are therefore as “ scientific ” as biomedical products ” (vgl. Bode 2008: 157).

Es scheint, dass die Pharmaunternehmen im Wesentlichen kein Interesse an einer systematischen Erforschung indigener Medizin innerhalb Indiens haben, welche sich außerhalb des zu vermarktenden pharmazeutischen Bereiches bewegt (vgl. Bode 2008: 146).

4.0 Standardisierung, Qualität und Produktion ayurvedischer Medikamente

4.1 Kategorisierung indischer Medikamente

Es können in der ayurvedischen Medikamentenlandschaft folgende Kategorien unterschieden werden: Insgesamt 444 standardisierte ayurvedische Rezepte (Ayurvedic Formulary of India) unterliegen einer Regulierung. Diese wurden dabei auch qualitativ standardisiert und werden als „classical medicines“ beschrieben (vgl. Bode 2008: 49). Des Weiteren sind verschreibungspflichtige ayurvedische Präparate zu nennen (vgl. Bode 2008: 66). Dennoch können die meisten verschreibungspflichtigen Medikamente, egal ob ayurvedisch oder biomedizinisch, in Indien ohne die Konsultierung eines praktizierenden Arztes käuflich erworben werden (vgl. Bode 2008: 63). Die Anzahl an Kombinationsprodukten reicht hingegen in die Tausende. Diese Kombinationsprodukte („over-the-counter“- Produkte) sind meist Hybridmedikamente und John Laping bezeichnet diese als „Ayurpathic medicines“ (vgl. Nichter 1989: 235).

4.2 Der Produktionsprozess

Die Hinwendung der Pharmaunternehmen zu massentauglichen Präparaten veränderte das Ayurveda, und im Speziellen seinen pharmazeutischen Bereich, nachhaltig. Um mit der Biomedizin konkurrieren zu können, nahm man sich die etablierten Pharmaunternehmen zum Vorbild. Produktion, Marketing und Forschung mussten verändert werden.

Ayurvedische Medizin herzustellen ist sehr zeitaufwendig. So gibt es in den „klassischen“ Texten Formeln, welche einen Arbeitsschritt hunderte Male wiederholen ehe das Endprodukt fertig gestellt ist. Solche Produktionsprozesse sind für die Massenproduktion zu kostspielig und zeitaufwendig (vgl. Bode 2008: 135). Es werden also nur solche Formeln von der ayurvedischen Pharmaindustrie bearbeitet, welche nach modernen Produktionsmethoden hergestellt und vermarktet werden können. Dies führt unweigerlich dazu, dass ein breiter Teil an medizinisch nutzbaren Rezepten und Formeln in Vergessenheit gerät, da ihre Produktion keinen Profit erwarten lässt. Auch verändert sich häufig der Anwendungsbereich einer Formel. Bestand z.B. die „traditionelle“ Formel dashamularishta aus insgesamt 27 Zutaten und wurde als Medikament gegen Vata oder „Windkrankheiten“ verabreicht, so wird die selbe Formel heute von den Pharmaunternehmen als post-partales Tonikum vermarktet (vgl. Bode 2008: 138). Weder die Inhaltsstoffe noch der Anwendungsbereich entsprechen dabei der „klassischen“ Formel. Es findet also eine Bedeutungsverschiebung statt.

Interessant ist auch, dass die Produkte erst nach modernen Parametern hergestellt und anschließend mit dem klassischen Ayurveda in “Einklang” gebracht werden.

That ayurvedic notions are mainly used in a symbolic sense has been confirmed by a firm`s employee who told me that only after Himalaya develops a new product and has researched it “ on modern lines ” , are ayurvedic experts asked to provide ayurvedic parameters ” (Bode 2008: 159).

Vaidyas oder Hakims findet man in den hoch technisierten Anlagen kaum. Stattdessen überwachen Techniker und Ingenieure den Produktionsablauf und kontrollieren das Endprodukt. So wurde die moderne Wissenschaft zu einem Teil der indischen Medizin (vgl. Bode 2008: 140). Die moderne ayurvedische Pharmaindustrie unterscheidet sich in ihren Produktionsmechanismen keinesfalls von ihrem Gegenstück in westlichen Gesellschaften.

Modern factories harbour fully automatic, computer-controlled production processes “ (Bode 2008: 136).

Produktionsmechanismen der ayurvedischen Pharmaunternehmen variieren dabei zwischen manueller über semi- bis vollautomatische Herstellung (vgl. Bode 2008: 134) Automatisierte Qualitätskontrollen ersetzen dabei die aufwendigen Kontrollen traditionell praktizierender Vaidyas. Es wurde bis jetzt noch nicht genau untersucht, in welcher Weise sich diese Produktions- und Kontrollmechanismen auf die Qualität ayurvedischer Präparate auswirkt.

To my knowledge no systematic evaluation has been made to determine if and to what extent, modern production and monitoring techniques influence the efficacy of ayurvedic and unani medicines “ (Bode 2008: 140).

4.3 Qualität und Standardisierung ayurvedischer Medikamente

Ayurvedische Markenprodukte fallen in die, von der indischen Regierung eigens angelegten, Kategorie (Patent & Proprietary Medicines). Die Inhaltsstoffe dieser Hybridmedikamente werden zudem aus verschiedensten „klassischen“ Texten des Ayurvedas „zusammengestückelt“. So kann es schon einmal vorkommen, dass Vick`s Vapo-Rub, da es in seiner Zusammensetzung einen Inhaltsstoff enthält, welcher ebenfalls in traditionellen ayurvedischen Texten zu finden ist, plötzlich als ein ayurvedisches Produkt deklariert wird (vgl. Cohen 1995: 336f.) In der Theorie müsste es also ausreichen, wenn ein Produkt einen einzigen Wirkstoff aus dem „klassischen“ Ayurveda enthält, um das Produkt in der Kategorie (P & P. M.) zu platzieren. Warum ein Pharmaunternehmen ein entsprechendes Präparat in dieser Kategorie vermarkten möchte wird klar, wenn man beachtet, dass auf Medikamente in dieser Kategorie ein deutlich niedrigerer Steuersatz erhoben wird (vgl. Bode 2006: 299). Die Grenzen zwischen verschreibungspflichtigen und „over-the-counter“ Produkten verläuft dabei „schwimmend“ und so kann es sein, dass ein gleichwertiges Produkt in beiden Kategorien angeboten wird. Pharmaunternehmen können sich also innerhalb dieser „Grenzen“ frei bewegen, produzieren und vermarkten (vgl. Bode 2008: 63).

Die indische Regierung hat dabei weder das personelle Potential noch die technischen Einrichtungen, um das Handeln der Pharmaunternehmen dauerhaft zu kontrollieren (vgl. Bode 2008: 66). Die indische Regierung unternahm den Versuch, die Standardisierung der Präparate voranzutreiben und diese im sogenannten „Indian Drugs and Cosmetic Act“ zu regeln. Allerdings sehen viele in dieser Regelung lediglich eine symbolische Handlung (vgl. Bode 2008: 49). Ein weiteres Problem bei der Sicherung von Qualitätsstandards ist der Fakt, dass in Indien Korruption immer noch ein weit reichendes Phänomen ist und deshalb Kontrollinstanzen oft wirkungslos bleiben (vgl. Bode 2008: 49). Die Qualität der indischen Medikamente betrifft dabei eine ganze Reihe an Institutionen.

"To put it bluntly: the quality of ayurvedic and unani products are a cause for concern to those who are professionally involved with Indian medicine such as ayurvedic professors, pharmacologists doing research on indigenous formulas, members of professional organisations for ayurvedic and unaniphysicians, consumer organisations and non-governmental organisations[...] ” (Bode 2008: 50).

Es gibt in Indien keine ausreichende Reglementierung, welche die Produktion, Qualität usw. der ayurvedischen Präparate vorantreibt. Auch die Möglichkeit eines Exportes wird durch solche Umstände erschwert, da westliche Gesellschaften striktere Ansprüche an die Qualität von Medikamenten haben (vgl. Bode 2008: 50). Sita Reddy führt die Veränderung des „New-Age-Ayurveda“ in Amerika hin zu einer starken Vermarktung physischer Behandlungsmethoden (Massage etc.) anstelle des pharmazeutischen Bereiches auf diesen Umstand zurück.

"Thus, for instance, state-level regulation of herbs as drugs or Food and Drug Administration proscriptions against herbal imports may have influenced a shift in Ayurvedic therapeutics away from herbal medication and toward physical manipulation or massage treatments “ (Reddy: 2002: 103).

Ob es bei diesem Einfuhrverbot aber letztlich um das Wohl des Patienten und nicht um finanzielle Interessen der dominanten biomedizinischen Pharmaindustrie geht, sei in Frage gestellt. Untersucht man die gängige Presse, so werden häufig Schlagwörter wie: Giftküche, Giftpille usw. verwendet, wenn über die pharmazeutischen Produkte aus Indien berichtet wird. Solche Schlagwörter generieren einen bestimmten Ruf und lassen den Ayurveda in einem schlechten Licht stehen.

Zwar gab es in den letzten Jahren einige positive Veränderungen in der Regulierung und Standardisierung ayurvedischer Medikamente, dennoch stellt sich auch hier die Frage nach ausreichender Kontrolle der beschlossenen Richtlinien (vgl. Bode 2008: 51). Die Einhaltung von Qualitätsstandards wird seit 15 Jahren von der indischen Regierung in Zusammenarbeit mit Universitäten vorangetrieben (vgl. Banerjee 2008: 205). Klinische Tests wurden in den letzten Jahren auch für viele ayurvedische Präparate zur grundlegenden Legitimation (vgl. Banerjee 2008: 206).

Diese Tests stellen jedoch ein weiters Problem für den Ayurveda und seine zukünftige Entwicklung dar. Ayurvedische Medikamente waren immer Kombinationsprodukte. Präparate aus der Allophatie bestehen häufig nur aus einem einzelnen Wirkstoff (vgl. Banerjee 2008: 206). Ayurvedische Wirkstoffkomplexe können nur schwer klinisch getestet werden, da die Tests auf die biomedizinischen Kriterien zugeschnitten sind. Um die Wirksamkeit ayurvedischer Medikamente zu prüfen, muss ein System entwickelt werden, dass mit den Parametern des Ayurvedas übereinstimmt. Ein flächendeckendes System zum Test solcher Medikamente ist aber noch nicht entwickelt worden und so werden die ayurvedischen Präparate weiter nach den Kriterien der Allophatie auf ihre Wirksamkeit untersucht (vgl. Banerjee 2008: 206).

Auch hat die Qualität der verwendeten Grundstoffe erheblich nachgelassen, seit ayurvedische Medikamente in Massen produziert werden. Erntete ein Vaidya eine Pflanze nur an einem bestimmten Standort und zu einer bestimmten Jahreszeit, verfolgte also bei der Selektion der Pflanzen einen Regelkanon, welcher die Wirksamkeit potenzierte, so werden heute die Ingredienzien in Masse gezüchtet. Qualitativ sind die angebotenen Pflanzen nicht standardisiert. Dennoch kaufen die Pharmaunternehmen aufgrund der hohen Nachfrage. Der Markt für medizinisch nutzbare Pflanzen erlebt in Indien ein absolutes Hoch (vgl. Banerjee 2008: 203).

Die Massenproduktion ayurvedischer Medikamente schadet aufgrund der eben aufgezählten Faktoren nicht nur der Potenz der ayurvedischen Präparate. Die hohe Nachfrage drängte zudem 300 Pflanzen an den Rand des Aussterbens (vgl. Payyappallimana 2008: 143). Ayurvedische Pharmaunternehmen betreiben also direkten Raubbau an der Natur und schaden damit dem Ruf des Ayurvedas.

5.0 Biopiraterie der ayurvedischen Pharmaindustrie

Um langfristig auf dem Markt überleben zu können, sind die Unternehmen ständig auf der Suche nach neuen Formeln und Drogen. So geraten neben den klassischen Texten des Ayurvedas auch die oral überlieferten Traditionen von Heilung in Indien in den Fokus der Pharmaunternehmen. Ayurvedische Medikamente sind Kombinationsprodukte, welche aus Kräutern, Mineralien, Metallen und tierischen Zusätzen gewonnen werden. Traditionell wussten die Vaidyas um die genaue Zusammensetzung der Ingredienzien und die medizinische Nutzbarkeit von Pflanzen (vgl. Banerjee 2008: 202). Eine Verbindung des traditionellen Wissens der Vaidyas,- Pharmakologie, Botanik, Marketing und Forschung- sind von Nöten, um ein ayurvedisches Medikament massentauglich zu produzieren (vgl. Banerjee 2008: 203).

[...]

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Die Ayurvedische Pharmaindustrie. Historische Transformation und Kommerzialisierung eines Medizinsystems
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Ethnologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
34
Katalognummer
V425415
ISBN (eBook)
9783668703681
ISBN (Buch)
9783668703698
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Geschichte des Ayurvedas in Indien und die voranschreitende Kommerzialisierung durch Pharmaunternehmen. Es werden die Marketing-Strategien der Pharmakonzerne aufgezeigt und die Veränderungen für "klassische Praktizierende" des Ayurvedas thematisiert. Zudem geht es um die wissenschaftliche Nutzbarmachung ayurvedischer Formeln, Biopiraterie und Qualitätsstandarts in der Produktion von entsprechenden Medikamenten.
Schlagworte
Ayurveda, Medizinethnologie, Siddha, Indien, Medizin, Pharmaindustrie, Veden, Geschichte Ayurveda, Ayurvedische Pharmaindustrie, Qualitätsmanagement Medikamente, Produktion Medikamente Ayurveda, Biopiraterie, Orales Wissen, Marketing Ayurvedischer Produkte, Ayurveda Spiritualität, Social Justice, Vaidya
Arbeit zitieren
Martin Kleefeldt (Autor:in), 2013, Die Ayurvedische Pharmaindustrie. Historische Transformation und Kommerzialisierung eines Medizinsystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/425415

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