Leseprobe
Romantische Liebe als gesellschaftliches Skript
Welche Funktion hat der Valentinstag in dem Konzept der Liebesehe?
Anfang Februar: Erste Herzen und Werbungen in den Schaufenstern, rechtzeitige Tischreservierung im Restaurant - 14. Februar: Rosen, Candlelight-Dinner, romantische Gefühle - 15. Februar: Rückkehr zum Alttag.
Dieses Essay ist der Versuch zu erarbeiten, welche Funktion der Valentinstag gegebenenfalls in dem Konzept der Liebesehe haben könnte. Schlägt man nach, was Liebe ist, erkennt man schnell, dass es keine eindeutig Definition für dieses Wort gibt. Es werden Synonyme wie Gefühl, Herzenswärme, Hingabe, Innigkeit und Zuneigung[1] genannt, die jedoch sehr allgemein bleiben und kaum geeignet sind das Phänomen „Liebe“ zu definieren.
Dennoch ist die Liebe für unsere Gesellschaft etwas Alltägliches und der Grundbaustein des Eheverständnisses. Wer aus Liebe heiratet entspricht der Norm. Wer aus anderer Gründen, wie zum Beispiel finanzielle Absicherung sein Eheversprechen abgibt, gilt als nicht normkonform und bedauernswert.
In Hollywood Filmen, Büchern, Liedern und selbst in persönlichen Erzählungen wird immer von der großen Liebe gesprochen. Zwei Blicke treffen sich und schon weiß man, dass es sich um die eine Person handelt, mit der man den Rest seiner Tage verbringen möchte, ohne dass man ein Wort miteinander gewechselt hat.
In der Realität jedoch ist die vermeintliche „große Liebe“ sehr häufig gebunden an bestimmten Schicht- oder Alterslinien. Das bedeutet, Liebe ist nicht ganz so zufällig, wie es scheint. Die meisten Paare verkehren in einer ähnlichen Altersklassen und einem ähnlichen sozialen Stand.[2] Trotz der unklaren Vorstellung von Liebe, heiraten 95 Prozent der Bevölkerung jedoch, wenn man sie befragt aus Liebe, wodurch man vermuten kann, dass die meisten Menschen Vorstellungen von Liebe haben[3].
Besonders die Soziologen Randall Collins und Scott Coltrane weisen darauf hin, dass es in der Partnersuche heutzutage eine Art „modernen Heiratsmarkt“ gibt. Auf diesem Markt sind „Bekanntschaften und Paarbildungen Teil eines Systems weiträumig vernetzter Austauschprozesse“[4]. Zwar grenzen sie diesen von dem traditionellen Heiratsmarkt anderer Kulturen ab, wie zum Beispiel im Orient oder im klassischen China, bei dem Heirat aus Liebe eine unrealistische, sogar absurde Idee ist[5]. Nach Collins und Coltrane ist der „moderne Heiratsmarkt“ mit dem wirtschaftlichen Markt vergleichbar, wobei nicht wirtschaftliche Güter und Dienstleistungen im Zentrum stehen, sondern soziale und persönliche Eigenschaften von Menschen. Diese Eigenschaften werden hier als „Ressourcenausstattung“[6] bezeichnet. Die „Ressourcen“ beinhalten zum Beispiel das soziale Ansehen, die Aussichten auf finanzielle Sicherheit und Attraktivität. Der „Markt“ besteht aus allen Personen die sich in jeglichen Umfeld begegnen und jedes Mitglied tritt selbständig auf. Die Personen werden vorerst auf Verfügbarkeit, Interesse und ausschließlich auf ihre Ressourcen geprüft. Mit der bereits erwähnte Ressourcenausstattung wird dann gehandelt. Ziel ist es, jemanden mit ähnlicher oder sogar besserer Ressourcenausstattung zu finden.
Diese recht abstrakte Beschreibung veranschaulicht, dass Liebe nicht einfach passiert, sondern meistens nach einem gewissen Schema abläuft. Es scheint fast so, als würde sich Liebe erst entwickeln, nachdem der Handel mit den Ressourcen stattgefunden hat.
Vor diesem Hintergrund gewinnen romantische Konventionen eine Schlüsselrolle. Geht man, wie ich das oben getan habe, davon aus, dass sich Liebe erst dann entwickelt, wenn die Prämissen der Partnerwahl eigentlich schon abgeschlossen sind, ist es wichtig zu überlegen, welchem gesellschaftlichen Skript gerade in westlich geprägten Länden bei der Partnerwahl im Anschluss an die Vorentscheidung für einen Partner folgt und welche Bedeutung romantische Aspekte innerhalb dieses Skripts einnehmen.
Im Rahmen der Liebesheirat folgen die Partner bestimmten Normen. Diese bleiben unausgesprochen, helfen aber den Partnern sich gesellschaftskonform zu verhalten und damit Anerkennung für ihre Beziehung zu bekommen. Normen sind geprägt durch Regelmäßigkeit und machen das Handeln sowohl für den Handelnden, als auch für andere kalkulierbar.[7] Auch wenn Normen in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Systemen unterschiedlich sein können, was Luhmann als „Normrelativismus“[8] bezeichnet, ist jedoch eine auffällig große Ähnlichkeit im Bezug auf die Liebesheirat zu erkennen. Hierzu gehören romantische Gefühle, erwartete Verlobungsbräuche, rituelle Abläufen von Hochzeitszeremoniellen und eben auch die regelmäßige Beachtung des Valentinstags. Hierin sind Erwartungen zu erkennen, die an jeweilige Partner gestellt werden.
Diese Erwartungen entstehen durch Sozialisation. Elliott Merrill bezeichnet romantische Liebe als soziale Erfindung. Er behauptet das romantische Liebe nichts „Natürliches“ sei, sondern ein sozial und gesellschaftliches bedingtes Geschehen[9], „Menschen müssen lernen, sich zu verlieben; sie würden gar nicht auf die Idee kommen, sich zu verlieben, wenn sie nie davon gehört hätten“[10]. Transportiert wird das Gesamtfeld „Romantische Liebe“ durch Bücher, Zeitschriften, Filme, Musik und vor allem in vertraulichen Gesprächen mit Familie und Freunden.[11] Vor allem durch die „Emotionalarbeit“[12], nach Arlie Hochschild insbesondere von Frauen, wird das Bedürfnis nach romantischer Liebe verstärkt. Das Füllen des Begriffs „Romantische Liebe“ ist dabei schwierig.
Geht man in die Ursprünge des Begriffs Romantik zurück, taucht dieser erstmals in der Epoche zwischen 1794 und 1830 auf.[13] Die Romantik ist eine Bündlung geistiger und gesellschaftlicher Kräfte und versteht sich als Bewegung gegen eine durch den Beginn der Industrialisierung beherrschte Welt, die den Menschen und seiner Persönlichkeitsfindung keinen Raum lässt. Eingeengt in einer fremdbestimmten Welt sehnt sich der romantische Mensch nach Freiheit, Ferne und die Flucht. Hierbei ist die Sehnsucht, das Träumerische und Phantasievolle nicht auf einen konkretes Ziel bezogen, sondern vielmehr wird der „sehnsüchtigen Zustand“ zur Geisteshaltung, eine Haltung in der Sehnsucht gar nicht versucht wird erfüllt zu werden.[14] Die von den Kritikern gegebene Bezeichnung „Romantiker“ leitet sich von dem Begriff Roman ab. Hiermit wollen sie ausdrücken, dass die Ideale und Vorstellungen nicht real sind und lediglich in Roman Relevanz haben.
Genau das, was die Romantiker nicht wollten, ein Verlangen nach realen Sehnsüchten, wird heute zum Sinnbild für romantische Gefühle. Trotz gegensätzlicher Ideen greift das moderne Romantikbild auf Symbole der romantischen Dichtung zurück, zum Beispiel der Ring, Augenblicke des Dämmers, die Blume[15]. Diese Symbole werden aus ihrem revolutionären Kontexten gelöst und in das Bild der Liebesheirat integriert. Gleichzeitig geschieht eine positive Aufwertung des Romantikbegriffs. Die in der Romantik noch in einem gesellschaftlichen und politischen Kontexten stehenden Sehnsüchte werden heute eng geführt auf eine Paarbeziehung, die die Gesellschaft ausschließt. Slater nennt dieses Phänomen „dyadischer Rückzug“[16]. Hiermit macht er deutlich, das sich Partner voll und ganz auf sich konzentrieren und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Rückzug antreten.
In besondere Weise spiegelt sich dies im Valentinstag wider. Am Valentinstag erinnern sich Paare noch einmal daran, dass sie aus Liebe zueinander gefunden. Dies geschieht durch Aufmerksamkeiten und Zweisamkeit, die aus einer anderen Tradition stammt. Diese wurde an die westliche Gesellschaft angepasst und dient heute vor allem kommerziellem Nutzen. Der Ursprung des Valentinstag ist nicht ganz eindeutig. Es gibt Hinweise auf das Lupercus-Fest, bei dem unter Aufsicht und Schutz der römischen Götter junge Menschen durch eine Liebeslotterie zueinander gefunden haben. Der Name „Valentinstag“ stammt wahrscheinlich von dem Märtyrer Valentin, dem Bischof von Terni. Dieser hatte junge Leute getraut, die aus Liebe und nicht aus Willkür einer Liebeslotterie heiraten wollten. Dafür wurde er später enthauptet.[17]
Der Valentinstag könnte zum gesellschaftlichen Konzept Liebesehe gehören. Er könnte hierbei sogar ein konstitionalisierendes Element sein und bekommt deshalb eine besondere Bedeutung, weil man jedes Jahr durch Dekorationen in Läden, Artikel in Zeitungen und durch Fernsehprogramme, an das Thema Liebe erinnert wird. Unabhängig davon ob der Valentinstag gefeiert wird oder nicht, Liebe und Romantik sind an diesem Tag Gesprächsthema. Er verpflichtet romantische Elemente aufleben zu lassen und ist Teil der „Emotionalarbeit“. Hierbei sind die romantischen Elemente jedoch nur oberflächlich angebunden an die Romantik, die sich letztlich nur an Symbolen und äußerlichen Formen festmachen lassen und nicht, wie in der Romantik an fast schon revolutionären Empfindungen im Bezug auf die Gesellschaft. Wenn überhaupt noch Empfindungen tangiert werden, ist es allenfalls noch oberflächliche Schwärmerei. Diese Schwärmereien führen jedoch ins Leere, weil sie kein nachhaltiges Ziel verfolgen. Darüber hinaus sind sie kurzlebig und am nächsten Tag kaum mehr von Relevanz. Innerhalb des gesellschaftlichen Skripts jedoch erinnert dieser Tag kontinuierlich daran, welche vermeintliche Ursprünge die Ehe hat, nämlich Liebe. Durch die jährliche Wiederholung wird, so könnte man meinen, das Konzept der Liebe bestätigt und vertiefend präsent.
Interessant erscheint mir die Frage, was passieren würde, wenn es keinen Valentinstag gäbe. Hätte es Auswirkungen auf das Konzept der Liebesehe? Es wär spannend, dies anhand von Umfragen und Feldforschung zu untersuchen.
[...]
[1] vergleiche zum Beispiel: http://www.duden.de/rechtschreibung/Liebe (13.3.2017, 14:38)
[2] Coltrane, Scott/ Collins, Randall: Liebe und Heiratsmarkt, S.1-2. In: Coltrane, Scott / Collins, Randall: Sociology of Marriage and the Family. Gender, Love and Property. 5. Aufl. Wadsworth. 2001
[3] vgl. Coltrane / Collins: Liebe und Heiratsmarkt., S.4
[4] vgl. Coltrane / Collins: Liebe und Heiratsmarkt., S.9
[5] vgl. Coltrane und Collins: Heirat dient dort fast ausschließlich als finanzielle und gesellschaftliche Absicherung der Familie. Die Heiratenden haben kaum ein Mitspracherecht
[6] vgl. Coltrane / Collins: Liebe und Heiratsmarkt., S.9
[7] Bahrdt, Hans Paul: Schlüsselbegriffe der Soziologie. Eine Einführung mit Lernbeispielen. 6 Aufl. C.H.Beck. München. 1994, S.48- 49
[8] „Normrelativismus“: : Normen gelten verschieden in unterschiedlichen sozialen Gruppen/System, dies hängt mit verschiedenen Rollen zusammen vgl. Luhmann, Nikolas (1969): Normen in soziologischer Perspektive in: Luhmann, Nikolas (1969): Soziale Welt 20, S. 28-48
[9] Elliott, Mabel E./ Merrill , Francis E.: Der romantische Fehlschluss. 1943, S.2. In: Kuchler, Barbara/ Beher, Stefan: Soziologie der Liebe. Romantische Beziehungen in theoretischer Perspektive. Suhrkamp. Frankfurt. 2014
[10] Elliott, Mabel E./ Merrill , Francis E.: Der romantische Fehlschluss, S.2
[11] Elliott, Mabel E./ Merrill , Francis E.: Der romantische Fehlschluss, S.2
[12] Emotionalarbeit“, hier verstanden als Austausch über Emotionen vgl. Coltrane / Collins: Liebe und Heiratsmarkt., S.5
[13] Wahrig, Gerhard: dtv-Wörterbuch der deutschen Sprache, 12 Aufl. Wahring. München. 1978, S.636
[14] vgl. Biermann, Heinrich/ Schnur, Bernd: Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe. 2. Aufl. Cornelsen. Berlin. 2006, S.254-255
[15] „Blume“: in der Romantik ist das Ideal die „blaue Blume“, anders als heute die rote Rose vgl. Wahrig, Gerhard: dtv- Wörterbuch, S.636
[16] vgl. Coltrane / Collins: Liebe und Heiratsmarkt., S.2
[17] https://idw-online.de/de/news195938, 19.3.2017 15:58