Erfolge und Misserfolge der Westbalkankonferenz

Hat es Veränderungen im Annährungsprozess des Westbalkans zur EU auf Grund der Westbalkankonferenzen gegeben?


Masterarbeit, 2017

55 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Rahmen
2.1 Einführung in die Theorie, EU-Konditionalität
2.2 Europäisierung und Anreize
2.3 Rationalismus
2.4 Konstruktivismus
2.5 Internationale Sozialisation

3. Konditionen einer Mitgliedschaft
3.1 Westbalkan und die EU-Perspektive
3.2 Von den Kriterien von Kopenhagen zu den drei Säulen der Westbalkankonferenz

4. Analyse: Erfolge und Misserfolge der Westbalkankonferenz
4.1 Die diplomatische Säule
4.1.1 Kriterium 1: Regionale Kooperation und die bilateralen Beziehungen
4.2 Die wirtschaftliche Säule
4.2.1 Kriterium 2: Energie und Infrastruktur
4.3 Die soziale Säule
4.3.1 Kriterium 3: Die Jugend

5. Schlussfolgerung

6. Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1.Westbalkanländer und deren Europäische Nachbarn1

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist seit längeren Zeiten „the only game in town“ in den Westbalkanländern. Die Region bemüht sich seit Jahrzehnten den europäischen Werten anzunähern. Dieser Prozess dauert nun schon sehr lange und die Fortschritte sind sehr langsam. Die Europäische Union hält den Westbalkanländern den Beitritt offen, solange diese Länder die Kriterien erfüllen, so die Bundeskanzlerin.2 Auch in den Erweiterungsstrategien der europäischen Kommission wird für eine klare Perspektive des Westbalkans geredet. In einer schwierigen Situation für die europäische Union, wo zum ersten mal ein Land entschieden hat die Union zu verlassen3, steht die Union einerseits zwischen einem Land, welches austreten will, und gleichzeitig mehrere Länder, die sich seit Jahren bemühen, der Union beizutreten. Zurzeit befinden sich in der Liste der Union die Türkei und die Westbalkanländer. Die Beziehungen zu der Türkei bleiben nach wie vor sehr kritisch, da seit November unter anderem die Beziehungen eingefroren sind.4 Den Westbalkanländern anderseits wird eine klare Perspektive versprochen, unter der Kondition, die Kriterien5 zu erfüllen. Da für die Europäische Union in Zukunft der ganze Westbalkan in die EU gehört, setzt die EU eine klare Politik, welche für die ganze Region und nicht nur für einzelne Länder, gilt. Eine von diesen regionalen Initiativen der EU für den Westbalkan ist die Westbalkankonferenz. Durch die Westbalkankonferenz wird versucht, die Westbalkanländer als ein gemeinsamen Partner zu sehen. So wird gleichzeitig die Zusammenarbeit in der Region gestärkt und die Erfüllung der Kriterien als Ganzes jedem einzelnen Staat zu Gute kommen. Die gute regionale Zusammenarbeit gehört zu den Hauptkonditionen welche die EU setzt, um die Länder überhaupt zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen zu bringen. Beispielweise ist die Kooperation zwischen Serbien und Kosovo erforderlich6, da ohne eine Zusammenarbeit kein offener Weg zu einer Union besteht. Da die Westbalkanregion eine Region mit vielen ethnischen, religiösen und grenzbezogenen Problemen ist, ist im Nutzen aller Staaten Kooperationswege zu suchen und gemeinsam die Probleme der Vergangenheit zu lösen.7 Um diese Kooperation möglich zu machen, in einer Region, in der die nationale Identität und der Populismus wie in der ganzen Welt8 steigt, stellt die EU mehrere Anreize zu Verfügung, um die Erfüllung der von ihr gestellten Konditionen besser und schneller gerecht zu werden. Die wirtschaftlichen und die politischen Anreize beeinflussen die Westbalkanländer, um diese Konditionen zu erfüllen. Um ihre Ziele klarer zu stellen und somit eine Erfüllung der Konditionen attraktiver zu machen, teilt die EU in der Westbalkankonferenz ihre Strategie in drei Säulen.9 Es ist die Rede von der diplomatischen, der wirtschaftlichen und der sozialen Säule. Anhand dessen stellt die EU die Hauptkondition oder die sogenannten Kriterien von Kopenhagen, welche seit 1993 als das „zu erfüllte Werk“ für einen Beitritt nötig ist.10 Mit den sechs Westbalkanländern laufen die Verhandlungen seit Jahren und zurzeit befinden sich Albanien, Serbien, Mazedonien und Montenegro auf der Liste der Kandidatenländer, während Bosnien und Herzegowina und Kosovo noch auf der Liste der potenziellen Kandidatenländer stehen. Die Kandidatenländer sind bei der Umsetzung der EU Rechtsvorschriften im nationalen Recht während die potenziellen Kandidatenländer noch nicht die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft in die EU erfüllen.11

Nun gibt seit 2014 die Westbalkankonferenz, welche auch als ein „Paradigmenwechsel“12 der EU gelten kann, weil damit die Zusammenarbeit innerhalb der Region gestärkt wird, um dann als eine gemeinsame starke Region der EU beizutreten. Das ist sinnvoll für unterschiedliche Punkte: Zum einen, sind die Kriegswunden der Balkanländer noch nicht verheilt und die Schwierigkeit eines Kompromisses von alleine ist für die Mentalität sowie für die Nachkriegsgeneration auf eine offizielle und engere Ebene nicht denkbar. Das führt dazu, dass die Regierungen dieses Thema für deren nationalen Wahlkampf nutzen um Stimmen zu bekommen. Eine Politik des Kompromisses würde viele Stimmen kosten. Aber wenn das als „eine Bedingung der EU“ in der Öffentlichkeit „verkauft“ wird, dann können die Länder auf nationaler Ebene in der Zusammenarbeit Fortschritte machen. Ein anderer Punkt, warum die EU Interesse an einen regionalen13 und nicht staatlichen Beitritt hat, ist die Methode der Entscheidung des Europäischen Rates für die Mitgliedschaft eines Landes.14 Wenn Serbien alleine als erstes der EU beitreten würde, mit dem Einstimmigkeitsprinzip, wird sie ihr Veto benutzen und Länder wie Kosovo oder Bosnien werden nie der EU beitreten können. Dieses Veto hat Griechenland bei der Erweiterung 2004 für Zypern genutzt15, und auch in Bezug auf Mazedonien. Um solche Probleme zu vermeiden liegt es im Interesse der EU, den Westbalkan als Ganzes zu integrieren und nicht einzelne Länder.

In dieser Arbeit wird klar gestellt, dass der Westbalkan anhand von unterschiedlichen Anreizen, die von der EU versprochen werden, bereit ist, die Konditionen zu erfüllen und Fortschritte zu machen. Anhand dieser These wird versucht zu erklären, welche Erfolge und welche Misserfolge die Westbalkankonferenz in diesen drei Jahren mit sich gebracht hat. In dieser Arbeit werden nur die ersten drei Konferenzen von Berlin 2014, Wien 2015 und Paris 2016 berücksichtigt. Die Westbalkankonferenz von Juli 2017 in Triest wird auf Grund der Kurzfristigkeit nicht berücksichtigt. In dieser Arbeit wird untersucht ob es Änderungen bezüglich des Annäherungsprozesses der Westbalkanländer zur EU auf Grund der Westbalkankonferenz gab und ob diese erfolgreich oder nicht erfolgreich sind. Aus theoretischer Sicht wird auch dargestellt, welche Anreize die Westbalkanländer zu diesen Änderungen beeinflusst haben. Dabei werden die rationalistische und konstruktivistische Erklärung helfen, um die Zusammenhänge zwischen den Fortschritten und dem Interesse der Westbalkanländer zu äußern. Um die Gliederung dieser Arbeit besser nachzuvollziehen, hilft die untenstehende Erklärung der Arbeitssteilung.

Fragestellung

Um einen neuen Beitrag in diesem Thema zur oben erstellten Debatte zu leisten, lautet die Fragestellung der vorliegenden Arbeit: K ö nnen die Reihe der Westbalkankonferenzen den Prozess der Ann ä hrung des Westbalkans zur EU dienen?

Die genannte Fragestellung verweist auf einen breiten Problemzusammenhang, deswegen wird in dieser Arbeit die Fragestellung präziser auf: Hat es Ver ä nderungen im Ann ä hrungsprozess des Westbalkans zur EU auf Grund der Westbalkankonferenzen gegeben? Das ist die Forschungsfrage dieser Arbeit.

Theorie

Die Theoretische Grundlage wird dazu dienen, um die Veränderungen in den Westbalkanländern und die Gründe die dazu geführt haben nachzuvollziehen. Am Anfang werden die rationalistischen und konstruktivistischen Ansätze erläutert, um die Verhaltensweisen der Westbalkanländer zu erklären und die wichtigen Anreize darzustellen. Diese Ansätze dienen dazu, einen Übergang zu der Theorie der Internationalen Sozialisation von Schimmelfennig zu ermöglichen, welche die Haupttheorie dieser Arbeit ist. Durch die Darstellung der unterschiedlichen Ansätze, in dem die verwendeten Anreize der EU um die Westbalkanländer auf dem Annährungsweg zu europäischen Werten zu motivieren, wird die theoretische Grundlage dargestellt.

Methodik und Aufbau

Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: aus einem theoretischen und einem analytischen Teil. Der theoretische Teil wird anhand der rationalistischen und konstruktivistischen Gedanken dargestellt. Das wird als Ü bergang zu der Theorie der Internationalen Sozialisation von Schimmelfennig genutzt. Somit werden die Anreize der EU auf die Westbalkanl ä nder erkl ä rt.

Im zweiten Teil wird anhand von einer Dokumentenanalyse überprüft, in wie fern die Anreize der EU und die vorgenommenen Initiativen der Westbalkankonferenz, eine Veränderung gebracht haben. Ob diese Veränderungen als Erfolge oder als Misserfolge bezeichnet werden und welche Kriterien dazu dienen, wird sehr deutlich erläutert. Zwischen diesen zwei Teilen, wird es auch eine Beschreibung der Konditionen, die EU für eine Mitgliedschaft in die EU stellt, geben. Das ist von Interesse um den Zusammenhang zwischen den Konditionen und die damit verbundenen Anreizen zu stellen. Zum Schluss erfolgt das Fazit.

2. Theoretischer Rahmen

2.1 Einführung in die Theorie, EU-Konditionalität

Die EU wurde seit ihrer Gründung mehrmals erweitert; aus den sechs Gründungsländern entwickelte sich die heute aus 28 Mitgliedstaaten bestehende Europäische Union. Die EU verfolgt eine Strategie mit Blick auf Stabilisierung des europäischen Kontinents, die auf Erweiterung zielt. Damit verfolgt die EU auch eigene Interessen. Denn durch die Aufnahme potenziell instabiler Staaten versucht die Union, den Kontinent zu stabilisieren.16 So Stratenschulte: „Die Länder werden in die EU geholt und dann innerhalb der Familie wirtschaftlich aufgepäppelt und politisch sozialisiert.“17 Die Stabilisierung des Kontinents durch die EU kann erreicht werden, indem die EU die Probleme der Fragilität von Staaten internalisiert. Über den Weg einer vollständigen Integration beabsichtigt die Erweiterungsstrategie, Stabilität und Wohlstand für die Partnerländer zu sichern.18 Ein Report von Kok besagt, dass die EU „verpflichtet“ sei, ihre erreichten Vorteile mit benachbarten Ländern zu teilen und sie bei wirtschaftlichen und demokratischen Defiziten zu unterstützen.

So wird gleichzeitig die Sicherheit und Stabilität auf dem gesamten Kontinent gefördert. Außerdem sollte laut der Gründer der EU die Integration der westeuropäischen Wirtschaften dazu führen, Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa zu schaffen und Krieg zu verhindern.19

Die Europäische Union versteht sich als Gemeinschaft liberaldemokratischer Staaten (Art. 6 EUV) und verlangt von ihren Beitrittskandidaten vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, dass diese „stabile demokratische und rechtsstaatliche Institutionen besitzen und die Menschen- und Minderheitenrechte achten.“20 Um die Drittländer zu motivieren, die EU-Regeln und Normen zu Übernehmen, verfolgt die EU die Politik der Konditionalität. So Schimmelfennig: „mit ihrer Politik der demokratischen Konditionalität verfolgt die EU eine Strategie der reaktiven Verstärkung durch materielle und soziale Anreize, die den Regierungen einen beträchtlichen Reaktionsspielraum lässt.“21 Mit dem Instrument der EU-Konditionalität kann die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Zielländer zum Positiven verändert werden, indem eine Anpassung an die EU-Regeln folgt.22

2.2 Europäisierung und Anreize

Die Anpassung der Verfahren formaler und informeller Regeln, gemeinsamer Werte und Normen sowie die drei Dimensionen von Politik23 bestimmen die Europäisierungsforschung.24 Diese Anpassungen spielen für die Nicht-Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle, da sie für den Beitritt in die EU notwendig sind.25 Schimmelfennig sagt, dass „bei den Nicht-Mitgliedstaaten die Übernahme des Acquis Communautaire 26 und damit der typische Gegenstand der Europäisierungsforschung jedoch erst mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen in den Vordergrund tritt.“27 Europäisierung wird als „der Prozess der Institutionalisierung von Regeln der Europäischen Union unterhalb und außerhalb der europäischen Ebene“ beschrieben.28 Europäisierung befasst sich auf regionaler und nationaler Ebene mit den Rückwirkungen europäischer Politik sowie mit dem Wandel in Drittstaaten in Folge europäischer Entscheidungen. Europäisierung ist als Prozess zu verstehen, den die Adressaten, je nach Untersuchungsgegenstand, in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen können.29

Im Europäisierungsprozess der Nichtmitgliedstaaten spricht sich Schimmelfennig für einen Verhandlungsprozess zwischen den Akteuren aus 30, welcher asymmetrisch werden könne, da die EU durch ihren Zugang zu mehr Ressourcen 31, die Zielvorgaben und Konditionen stellen kann.32 Weiter beschreibt Schimmelfennig, dass diese Anreize sowohl negative (Sanktionen) als auch positive Anreize sein können. Die Europäische Union folgt eher die Politik der positiven Konditionalität (reifdorcement by reward).33 Die Belohnungsstufen können unterschiedlich sein. Die volle Mitgliedschaft ist als höchster positiver Anreiz zu verstehen und folgt damit den Anreizen von politischer und wirtschaftlicher Kooperation oder auch finanzieller Hilfe.34 Je höher die Anreize, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Regelübernahme. Für Schimmelfennig hängt die Wirksamkeit der Anreize und folglich auch die Regelübernahme vor allem von der Größe und Zeitnähe der Anreize, der Vetospieler, der Glaubwürdigkeit der Konditionalität sowie der Höhe der Adaptionskosten ab.35

Folgend erklären die rationalistischen sowie die konstruktivistischen Ansätze, welche die größten Anreize für die Nicht-EU-Länder sind, welche diese Länder auf den Weg in die EU beeinflussen.

2.3 Rationalismus

Rationalismus wird definiert als Überzeugung, in der gesellschaftliche Akteure36 versuchen, ihre Eigeninteressen zu maximieren und ihre Umwelt zu beeinflussen, um ihre Ziele zu erreichen. Strategisch denken und strategisch verhalten, um den eigenen Nutzen zu maximieren, sind Kernpunkte der rationalistischen Ideen.37 Die Faktoren, die laut rationalistischen Analysen das Integrationsverfahren von Akteuren beeinflussen, sind überwiegend materieller Art, wie wirtschaftliche Interessen und militärische Stärke.38 Engert erklärt, warum Länder die Mitgliedschaft anstreben. Die „material benefits“ ließen sich an Hand der realistischen Ansätze erklären: Aus der rationalistischen Perspektive will ein Staat der EU beitreten, wenn die Vorteile der Mitgliedschaft größer als die Kosten sind.39 Auf die rationalistischen Ansätze stütz sich die Logik der Folgerichtigkeit (logic of consequences), nach der das strategische Verhalten der Akteure nur das Ziel hat, deren individuellen Nutzen zu maximieren.40 March und Olsen beschreiben das als den Prozess, in dem die Präferenzen und die Erwartungen der Akteure bezüglich der Konsequenzen des Handelns ihr Handeln bestimmen.41

Die Theorie des Rationalismus erklärt die EU-Konditionalität anhand des „Compliance- Forschung“ Ansatzes. Die „Compliance-Forschung“ basiert auf die Strategie der „Verstärkung durch Belohnung“, in dem die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Zielländer zugunsten der Nutzenseite modifiziert werden können, um als Folge die Anpassung an EU- Regeln zu haben.42 Dabei handelt es sich nicht nur um die Übernahme dieser Regeln und deren Anpassung der nationalen Rechte in dem internationalen Recht, sondern auch um die Verfügungsstellung der Ressourcen die für Anwendung der Regeln nötig sind.43 Diese Regelübernahme ist auch mit Kosten verbunden. Das Normenanhalten in diesem Prozess spielt eine zentrale Rolle. Für die Realisten, ist das Interesse der Adressaten direkt mit den materiellen Anreizen verbunden.

2.4 Konstruktivismus

Die Theorie des Konstruktivismus erklärt die EU-Konditionalität anhand des „Social Learning Model“-Ansatzes. „Social Learning Model“ sieht die Interessen der Drittländer, die Regeln und Normen zu übernehmen, an die gemeinsame Identifikation mit EU-Staaten gekoppelt.44

Die Konstruktivisten bestehen darauf, „ (...) dass materielle Faktoren erst dadurch Einfluss auf menschliche Entscheidungen haben, wenn ihnen eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben wird.“45 Hierbei werden bestimmte soziale Normen verfolgt, welche die Identität der Akteure formt und deren Verhalten beeinflusst. Daraus ist zu erkennen, dass Konstruktivisten die sozialen Identitäten von Akteuren fokussieren.46

Für den Konstruktivismus ist der Forschungsgegenstand des Sozialwissenschaftlers sozial konstruiert und vom Bewusstsein der Akteure abhängig.47 Dort gilt die Überzeugung, dass Ideen von Bedeutung sind und die grundlegenden Verhaltensmuster sozialer Akteure als Regel-Folgen definiert sind. Die Identitäten der Akteure erfordern die Einhaltung internalisierter Normen, unabhängig davon, ob diese Normen den Akteuren zusätzliche Vorteile bringen oder nicht.48 Wenn sich ein Staat stark mit der Zielgemeinschaft identifiziert, bemüht er sich als volles und gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe, angenommen zu werden.49

Prisesmeyer und Tkocz argumentieren, dass die Drittländer die Normen der EU unabhängig von materiellen Gewinnen adaptieren. Sie tun dies anhand der Logik der Angemessenheit (logic of appropriateness) und weil sie dies als alten Teil ihrer eigenen kollektiven Identität empfinden.50 Schimmelfennig argumentiert, dass der Europäisierungsprozess durch Sozialisierung kein indirekter Prozess sei, der nur durch die Logik der Angemessenheit der EU und Drittländer bestimmt sei. Dieser Prozess, so Schimmelfennig, könne durch die EU direkt verfolgt werden und durch konsultative Kooperationsformen und Überzeugungstechniken vorangebracht werden, die die zu europäisierenden Akteure an die Werte und Identität der EU erinnern. So kommt es zur Europäisierung und Adaption der EUNormen in den Nachbarstatten, welche der EU beitreten wollen.51

2.5 Internationale Sozialisation

Im Vergleich zu den rationalistischen Ansätzen, welche die Interesse nur an die materiellen Vorteile ziehen, und zu sozialkonstruktivistischen, welche die Interessen der zu europäisierenden Staaten nur an der gemeinsamen Identität und kollektiven Werten sehen, stellt Schimmelfennig in seiner Analyse dar, dass die Interessen aus einer Mischung von sowohl rationalistischen als auch konstruktivistischen Ansätze erklärt werden können.52 Er spricht von der Theorie der internationalen Sozialisation, welche ein kombinierter Ansatz von beiden Ansätzen sein kann. Dieser Ansatz sieht die rationalistischen Annahmen in Bezug auf die Handlungslogik der Akteure und die konstruktivistischen Annahmen mit ihrer Betonung der internationalen Organisationen als sozialisierende Akteure als wichtig an. Schimmelfennig et al. definieren das wie folgt:

“We define international socialization as a process in which states are induced to adopt the constitutive rules of an international community. [...] we analyze international socialization in a 'forward-looking' perspective, as a process directed at or potentially leading to rule adoption by the target states. The observation of international or non-international inducements to adopt the constitutive rules of an international community is thus sufficient to characterize a process as a socialization process.“53

In Tabelle 1 spiegelt Schimmelfennig noch einmal die zwei Kernideen des Verhaltens wieder, einerseits die rationalistische Logik der Folgerichtigkeit, welche dem Mechanismus der Externalisierung entspricht und andererseits die konstruktivistische Logik der Angemessenheit, welche den Mechanismen der Sozialisierung und Imitation entspricht. Während die Externalisierung direkten Einfluss in Konditionalität und den Merkmalen der Anreize sieht, sieht die Sozialisierung den direkten Einfluss in der Legitimität der Normen und Regeln sowie in der Identifikation mit der Europäischen Union. Für den Theorieansatz der Internationalen Sozialisation ist der Prozess der Europäisierung eine Form der Sozialisation. Schimmelfennig sieht den Erfolg des Europäisierungsprozesses in der Kombination aus der Identifikation mit Normen und der Verwirklichung der materiellen Akteureinteressen.54 Schimmelfennig sagt, dass in der ersten Linie die Akteure der Logik der Folgerichtigkeit folgten, aber sich bewusst von normativen Regeln beeinflussen ließen. Das Handeln der Akteure sei nach einer Kosten-Nutzen-Kalkulation ausgerichtet, trotzdem sei der Einfluss konstruktivistischen Motiven an deren Argumentation zu sehen.

Tabelle 1. Mechanismen der Europ ä isierung nach Schimmelfennig55

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schlussendlich sieht Schimmelfennig die Kombination dieser beiden Ansätzen als sehr vorteilhaft an, da auch die Legitimität der politischen Entscheidungen erhöht werden kann, wenn die Normenübernahme bewusst durch direkte Sozialisierungsmechanismen und Überzeugungstechniken manipuliert werden können.

Im Theorierahmen wurde das Ziel der Europäischen Union zur Erweiterung dargestellt. Weiter wurde das Instrument der EU, nämlich die EU-Beitrittskonditionalität sowie die dazu verbundenen Anreize erklärt. Anhand von rationalistischen und sozialkonstruktivistischen Ansätzen wurde erklärt, welche Anreize die größte Bedeutung für die Motivation der Nicht- EU-Mitgliedsländer haben. Die Haupttheorie besagt, dass eine Kombination aus der Logik der Folgerichtigkeit und der Logik der Angemessenheit das Interesse der Westbalkanländer, die EU-Regeln zu folgen, am besten erklären kann. Mit Rückblick auf die Forschungsfrage „ Hat es Ver ä nderungen gegeben im Ann ä hrungsprozess des Westbalkans zur EU auf Grund der Westbalkankonferenzen? “ werden die Theorieansätze helfen, im Abschluss dieser Arbeit die Gründe, die die Westbalkanländer dazu gebracht haben, die Erfüllung der Ziele der Westbalkankonferenz zu verfolgen oder zu ignorieren, darzustellen. Diese Analyse wird auch dazu dienen, den direkten Zusammenhang zwischen dem Interesse der Westbalkanländer an Implementierung der Ziele der Westbalkankonferenz und die Anreize, die diese Interesse beeinflussen, zu erklären.

3. Konditionen einer Mitgliedschaft

3.1 Westbalkan und die EU-Perspektive

Der Begriff Westbalkan ist weniger als geographischer Begriff zu verstehen, sondern eher als ein politischer. Er umfasst jene südosteuropäischen Staaten, die als nächste potentielle Kandidaten für eine Erweiterung der EU in Frage kommen. Eingeführt wurde der Begriff während des EU-Gipfels im Dezember 1998 in Wien, um letztere Länder von Rumänien und Bulgarien zu differenzieren.56 Dazu gehören neben Albanien die fünf Länder des damaligen Jugoslawiens: Serbien, Montenegro, Bosnien, Kosovo und Mazedonien. Mit dem Versprechen von Thessaloniki 200357 wurde dem Westbalkan die Perspektive gegeben, Teil der Europäischen Union zu werden. In seiner ersten Rede als Präsident der Kommission machte Junker im Jahr 2014 deutlich, dass es während seiner ersten Amtsperiode keine Erweiterung der Union geben würde.58 Junker tätigte diese Aussage ein Jahr nach dem Beitritt Kroatiens, das als zweites Land nach Slowenien (2004) Teil der Europäischen Union wurde. Slowenien und Kroatien setzten sich für die Integration des Westbalkans als Teil der EU ein und gründeten daher den „Brdo Process“.59 Die von Bundeskanzlerin Merkel initiierte Westbalkankonferenz brachte erneut Bewegung in den Erweiterungsprozess. Zuvor forderte sie Unterstützung der EU für alle westlichen Balkanstaaten und suchte kontinuierlich nach Wegen, eine neue Dynamik im Hinblick auf eine regionale Zusammenarbeit zu schaffen. Dies tat sie unter anderem, indem sie sich für Kooperation und Versöhnung in der Region engagierte.60 Die Idee der Westbalkankonferenz entstand während des 100-sten Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und sollte bis 2018 fortgeführt werden. Dabei handelte es sich um eine Reihe von Konferenzen, die von 13 EU-Ländern unterstützt wurde.

[...]


1 „Das lange warten auf die EU -Balkan bekommt „Trostpreis“ Artikel von 6.06.2017, abrufbar unter: http://www.kosmo.at/das-lange-warten-auf-die-eu-balkan-bekommt-trostpreis/

2 „Merkel verspricht Westbalkan Unterstützung für EU-Beitritt“, NOZ, Artikel von 15.07.2014,
abrufbar unter: https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/490469/merkel-verspricht-westbalkan- unterstutzung-fur-eu-beitritt

3 „UK votes to leave EU after dramatic night divides nation“, The Guardian, Artikel von 24.06.2016, abrufbar unter: https://www.theguardian.com/politics/2016/jun/24/britain-votes-for-brexit-eu-referendum-david-cameron

4 „Abgeordnete Aussetzen der Türkei-Beitrittsgespräche“, 24.11.2016, abrufbar unter:http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/eu-parlament-fordert-aussetzen-der-tuerkei-beitrittsgespraeche.

5 Es ist die Rede von den Koppenhagener Kriterien, werden in S.14 erläutert.

6 "Mit so einem Land kann man nicht verhandeln", Artikel von 21.01.2014, N-tv, abrufbar unter: http://www.n- tv.de/politik/Mit-so-einem-Land-kann-man-nicht-verhandeln-article12110281.html

7 Diese Probleme werden auf Seite 18ff dargestellt.

8 „Der neue Nationalismus stürzt Europa in den Abgrund“, Welt, Artikel von 05.03.2014, abrufbar unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article125451311/Der-neue-Nationalismus-stuerzt-Europa-in-den-Abgrund.html.

9 Die Säulen werden in Kapitel 3 erklärt.

10 Die Kriterien von Kopenhagen werden in Kapitel 3 erklärt.

11 Türkey ist auch ein Beitrittskandidat, aber die Beziehungen sind eingefroren. Europäische Union, abrufbar unter: https://europa.eu/european-union/about-eu/countries_de.

12 Das ist wichtig zu wissen, damit es keine Missverständnisee gibt, wenn in dieser Arbeit die Rede für die Beitritt der Westbalkan als Ganzes gesagt wird. Die EU verfolgt bilaterale Beziehungen zu jedem Land und die Annährungsprozess unterschiedlich ist, aber trotzdem ist in dieser arbeit gemeint, dass durch WBK die EU auf lange Sicht der ganzen Westbalkan die Perspektive öffnet.

13 In diesem Fall ist der Westbalkan gemeint.

14 „Bedingungen für den Beitritt zur Europäischen Union“, Die Bundesregierung, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/Europa/Artikel/2005-11-08-kriterien- beitrittskandidaten.html.

15 # Eine Frage bewegt die EU-Erweiterung“,FAZ, Artikel von 16.01.2002, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/zypern-eine-frage-bewegt-die-eu-erweiterung-148097.html !

16 vgl. Gjura 2015 : S.9.

17 Stratenschulte 2013 : S.10.

18 vgl. Stratenschulte 2013 : S.18.

19 vgl. Kok 2003 : S.29.

20 vgl. Schimmelfennig at al. 2003 : S.321.

21 Schimmelfennig 2003: S. 321.

22 vgl. Smolnik 2008 : S.24.

23 Die drei Dimension der Politik sind policy, polity und politics.

24 vgl. Knodt at al. 2012 : S.133.

25 Übernahme des Acquis Communautaire.

26 werden in den Kapitel 3 erläutert.

27 vgl. Schimmelfennig at al. 2003 : S.321.

28 Schimmelfennig 2004: S.253.

29 vgl. Gjura 2015 : S.5.

30 EU und Westbalkanländer in diesem Fall.

31 Welche sowohl Informationen als auch wirtschaftliche Mittel sein können.

32 Schimmelfennig, 2005 : S.10.

33 vgl. Schimmelfennig/Engert/Knobel 2006: 31.

34 vgl. Smolnik 2008 : S.19.

35 Schimmelfennig 2004 : S.253.

36 Unter dem Begriff Akteure ist zu verstehen sowohl die EU als auch die Westbalkanländer.

37 vgl. Gjura 2015 : S.3.

38 vgl. Peuten 2010 : S.7-11.

39 Die Neoliberalen sehen die Steigerung der Motivation zum Beitritt, an der Effizienz der erwarteten Zunahme des Wohlfahrtsniveaus. vgl. Engert 2010 : S.72-73.

40 vgl. Schimmelfennig/Sedelmeier 2005: S.9.

41 vgl. March und Olsen 1989, S. 160.

42 vgl. Smolnik 2008 : S.24.

43 Börzel/ Risse 2001: S. 3f.

44 vgl. Smolnik 2008 : S.24-25.

45 Biling/Lerch 2012 : S. 274.

46 vgl. Peuten 2010 : S.12-13.

47 vgl. Filzinger 2013 : S.4.

48 vgl. Kratochvil/Tulmets 2010 : S.26.

49 vgl. Engert 2010 : S.72-73.

50 vgl. Priesmeyer-Tkocz 2010: S.37.

51 vgl. Schimmelfennig 2010: S.9.

52 vgl. Schimmelfennig/Engert/Knobel 2006: S.2.

53 Schimmelfennig/Engert/Knobel 2006: S.2.

54 vgl. Kasper 2012 : S.29.

55 Schimmelfennig 2010 : S.8.

56 „Den Balkan integrieren“, Artikel von 06.05.2003, Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar unter: http://www.bpb.de/apuz/27760/den-balkan-integrieren.

57 Während des Gipfeltreffens in Thessaloniki 2003 wurde den Westbalkanländern die perspektive eines Beitritts zur EU zugesagt. Erklärung abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/misc/76317.pdf.

58 vgl. Lilyanova 2016 : S.1.

59 Lilyanova 2016 : S.2.

60 With the Paris Summit, the EU’s Balkan Connectivity Agenda Takes Shape“, Artikel von 12.07.2016, abrufbar unte http://www.balkanalysis.com/blog/2016/07/12/with-the-paris-summit-the-eus-balkan-connectivity-agenda- takes-shape/.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Erfolge und Misserfolge der Westbalkankonferenz
Untertitel
Hat es Veränderungen im Annährungsprozess des Westbalkans zur EU auf Grund der Westbalkankonferenzen gegeben?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
55
Katalognummer
V426289
ISBN (eBook)
9783668708907
ISBN (Buch)
9783668708914
Dateigröße
1004 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erweiterung der EU
Arbeit zitieren
Dora Gjura (Autor:in), 2017, Erfolge und Misserfolge der Westbalkankonferenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426289

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