Der Global Household. Zur Rolle der Reproduktionsarbeit in (feministischen) Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie


Essay, 2018

9 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Die Gewerkschaften haben die Reproduktionsarbeit für sich entdeckt. Es laufen Kampagnen für Friseurjnnen[1] und Erzieher_innen[2]. Es gibt einen Twitter-Hashtag zur ״Pflegekrise“[3] und im MDR wird über und mit ״sex workers solidarity“ diskutiert[4]. Im aktuellen Konjunkturhoch des Themas leuchten verstaubte Diskursfragmente der 1970er Jahre wieder auf: ״Ihr nennt es Liebe, wir nennen es Arbeit“, ״Wages for housework“ sind die eindrucksvollsten, die bei meiner Lektüre des Texts ״The global household: Toward a Feminist Postcapitalist International Political Economy“ von Maliha Safri und Julie Graham durch die Zeilen blitzten. Doch bieten die beiden Wirtschaftswissenschaftlerinnen uns echte theoretische Neuerungen, sind es die alten Standpunkte in neuem Gewand oder gar postmodernes Allerlei? Hat ihre Arbeit das Potential, die Theorien Internationaler Politischer Ökonomie um die fehlende Perspektive auf Hausarbeit zu erweitern? Zentrale Aufgabe dieses Essays soll sein, die Rolle der Reproduktionsarbeit im Hinblick auf ihre ökonomische Funktion zu diskutieren, die im genannten Aufsatz skizziert wird.

Zu Beginn lohnt sich ein Blick auf die allgemeinen Aussagen des Aufsatzes. Mit dem Ziel der Sichtbarmachung unbezahlter Hausarbeit und Haushaltseinkommen jenseits offizieller BIP- Statistiken (bzw. BWP-Statistiken[5] ) argumentieren Safri und Graham dafür, den globalen Haushalt als eigenständigen transnationalen Akteur auf die Bühne der globalen Ökonomie­Theorie zu rücken. Sie fassen diesen als eine Institution ״formed by family networks dispersed across national boundaries“ (Safri/Graham 2010, 100), wobei auch die erweiterte Familie und Freund_innen mit eingeschlossen sind, solange sie an diesem Netzwerk teilhaben, das neben unbezahlter Haus- und Sorgearbeit auch ״household business income, monetary and in-kind remittances and gifts“ erwirtschaftet und teilt. Er fördere darüber hinaus nicht-kapitalistische Unternehmensformen, wie bspw. Kooperativen und sozialen Ausgleich durch direkte Investitionen in die Heimatländer der verstreuten Netzwerkmitglieder. Das erweiterte Ziel ihres Diskussionsbeitrags ist es, an den durch Graham geförderten Diskurs einer verdeckten ״ökonomischen Diversität“[6] anzuknüpfen und die (Forschungs-)Wirklichkeit ein Stück in Richtung einer postkapitalistischen zu verschieben, in welcher der von ihnen kritisierte capitalocentrism - der Fokus auf den Kapitalismus als die ökonomische Norm - überwunden und die Wirtschaftsform der permanenten Profitsteigerungslogik nur noch eine Möglichkeit unter vielen ist. Gerade in transnationalen familiären Netzwerken existierten bereits vielfältige, auch nicht-kapitalistische Wirtschaftstätigkeiten, die einen immensen Beitrag zum sozialen Reichtum der Weltgesellschaft beitrügen. Zu diesen zählen sie explizit allerdings nur die Haus- und Sorgearbeit, nachdem sie reflektieren, dass Sklaverei und andere Ausbeutungsarten ähnlich dem Kapitalismus auch in familiären Kontexten stattfinden. Von der Aufwertung und Gleichstellung dieser Tätigkeiten mit monetär entlohnten erhoffen sie sich, vereinfacht gesagt, den angeblichen capitalocentrism auszuhebeln. Ich möchte diese Entscheidung aus unterschiedlichen Gründen kritisch hinterfragen.

Ihre These, um die 50% der Weltwirtschaftsaktivität fände zu Hause und unentlohnt statt, ist soweit nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass Reproduktionsarbeit die Bedingungen für Produktionsarbeit schafft und im Haushalt beinah so viele Stunden täglich gearbeitet wird wie in Fabriken und Büros, was OECD-Studien belegen[7]. Nur wird an keiner Stelle methodisch reflektiert, dass diese Zahl, um es vorsichtig auszudrücken, sehr groben Schätzungen unterliegt, was bei der Beschaffenheit des Themas auch nicht vermeidbar ist. In Fabriken als auch bei der Post scannt man sich zu Beginn der Arbeitszeit ein und am Ende wieder aus, doch die Datenerhebung in unserem Fall muss damit arbeiten, dass sie den Aussagen von Menschen vertraut. Dabei bleibt es jedoch nicht, es wird weiter behauptet, dies entspräche einem Wertäquivalent von 80% des globalen BWP. Mit dieser zahlenfokussierten Argumentation begibt man sich in Teufels Küche, ist sie doch leicht aufgrund der schwierigen Empirie-Bedingungen angreifbar. Das ist den Autorinnen vermutlich bewusst, verlieren sie schließlich kein Wort darüber, wie die Rechnungen, auf die sie sich beziehen, methodisch zustande kamen. Nach Ironmonger, einem ihrer Zahlenquellen, gab es seit den 1920er Jahren in diversen westlichen, v.a. skandinavischen Ländern Bestrebungen, Hausarbeit in Zahlen zu erfassen. Seltsam anmutende Modelle, die die Hausarbeit von verheirateten Frauen mit der Lohnarbeit unverheirateter Frauen und Witwen in Wert setzen, ohne auf die Art der Arbeit einzugehen, sind Vergangenheit. Seit 1975 wird v.a. ein zeit-basiertes System genutzt, welches das Lohnfiktivum dem Marktpreis für eine_n Hausangestellte_n entlehnt. Diesem Gedanken lässt sich wieder leichter folgen. Es ist sicherlich ein niedrigschwelliges Modell, womit es einfacher ist, auf die Unmengen an unbezahlter Arbeit aufmerksam zu machen und Zahlen lassen bekanntlich alles handfester wirken. Und doch machen sie meiner Meinung nach einen entscheidenden theoretischen Fehler, indem sie die unentlohnte Arbeit mit dem Etikett des Nicht-Kapitalismus belegen und damit seine systemische Rolle verkennen.

Ein Blick über 40 Jahre zurück könnte erhellend wirken. ״Lohn für Hausarbeit!“ Diese weltweite Kampagne[8] sorgte 1972 für Aufsehen, da die Philosophin Silvia Federici, Mariarosa Dalla Costa und das International Feminist Collective zynisch formulierten: wenn die Fabrikarbeiter zum Generalstreik aufriefen und damit meinten, dass sie zu Hause bleiben und sich dort bekochen lassen, dann sei das heuchlerisch oder mindestens unvollständig - ein echter proletarischer Generalstreik müsste alle Arbeit umfassen, die Teil des Arbeit-Kapital­Widerspruchs sei. Nun Stand Federici und auch die Kampagne in einer postoperaistischen, also marxistischen Theorietradition und ihr Plakatslogan war ein ironischer Propagandazug um die eigene marginalisierte Position innerhalb der männlich dominierten Arbeiterklasse zu stärken. Für sie war klar, dass die beiden Sorten Tätigkeit zwei Seiten derselben Medaille sind und eine tatsächliche Kommodifizierung von Reproduktionsarbeit nicht sinnvoll oder möglich wäre. Und vor allem gar nicht nötig, gehören sie doch zusammen.

Immanuel Wallerstein, auf den sich die Autorinnen beziehen um die Relevanz des global household zu unterstreichen, erkannte später erneut, dass unbezahlte Arbeit jeglicher Art, von Sklaven- bis zur Sorgearbeit durch Ehefrauen, funktional und konstitutiv für die offizielle Arbeit ist. Seine Weltsystemtheorie ist hilfreich um globale Phänomene wie das Wohlstands­Gefälle zwischen ehemaligen Kolonialstaaten und ״den anderen“, als auch Sexismus und andere Ausbeutungsverhältnisse aus einer wirtschaftlich-funktionalen Perspektive zu erklären. Ohne diese extremen Formen der Ausbeutung hätte sich Kapitalismus nicht entwickeln und durchsetzen können und ohne sie würde das Rad daher wahrscheinlich tendenziell zum Stehen kommen. Ohne Graham & Safri unterstellen zu wollen, sie hätten derartige Ziele, überlege man sich für einen Moment, was die Folgen einer tatsächlichen Inwertsetzung dieser ganzen Arbeit wären. Nicht nur würde die Weltwirtschaft kollabieren, weil es freilich nicht möglich ist, auf einmal doppelte Lohnkosten auszuzahlen. Wäre dies wundersamer Weise dennoch der Fall, so würden wir in einer Welt leben, in der Eltern einen Scheck dafür erhielten, ihren Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen und dafür gekündigt würden, kämen sie ihren Pflichten laut Jobausschreibung nicht nach. Bisher ist dieser Bereich unseres Lebens nur so weit kommodifiziert, als dass es Nannys, Kindergärten und ״Coaches“ gibt, die uns dazu raten, regelmäßige Familienessen abzuhalten. Sollten wir uns wirklich wünschen, diesen Prozess fortzuführen?

Was Graham und Safri uns vermutlich eigentlich sagen wollen, ist wohl, dass diese Arbeit besser ist als Lohnarbeit, weil sie nicht-kapitalistisch ist oder das Potential dazu hat derartige Arbeit zu fördern, wie, bleibt ein Rätsel. So weisen sie darauf hin, dass in der Sichtbarmachung und Förderung dieser eine Hoffnung auf den Weg aus dem System läge. Der Utopie nicht genug, zeigten Studien, dass die globale Migration geschlechter-gerechtere Arten der Arbeitsteilung fördere, da Väter in Ländern des globalen Südens neuerdings für sich und die Kinder kochen lernen, während ihre Frauen für wohlhabende Diplomatenfamilien im Ausland (weiterhin) in der Küche Stehen. Das ist nicht nur zynisch in Anbetracht der global care chain und vor allem global care drain[9], es deutet auf eine Scheuklappen-Sicht der Autorinnen auf ökonomische Prozesse hin. Deutlich wird dies auch, wenn sie nicht berücksichtigen, wie die Überweisungen der im Ausland lebenden Verwandten in ihre Heimatländer zu Stande kamen. Sie kommen selbstverständlich nicht aus dem Nichts und können daher auch nicht isoliert bewertet werden. Sie sind Teil eines globalen Kreislaufs und es trägt kaum zu einer Demokratisierung der Welt bei, wenn Menschen etwas Geld in ein Land zurückschicken, das dazu gezwungen ist, seine mit Hilfe eben dieser Überweisungen groß gezogenen jungen Arbeitskräfte auf gefährliche Fluchtwege zu schicken, sodass sie das Hamsterrad eines Tages weiterdrehen ״dürfen“. Es ändert sich dadurch nichts an den ungleichen Tauschbedingungen zwischen Zentrum und Peripherie und der eindeutigen Fließrichtung des weltweiten Mehrwertstroms, wie Wallerstein es beschreiben würde.

Der Produktionsmodus in Familien sei laut einer Studie von 1924 über sowjetische Bauernhaushalte gar effizienter als andere. Nicht nur moralisch überlegen, auch noch effizienter? Vorsicht, wenn die Firmenchefs das mitbekommen, dann Gott bewahre. Moment, haben die bei Google das nicht schon längst verstanden? Dort gibt es kuschelige Sofas, wo man sich zum kreativen Klönschnack trifft und der Chef hängt lässig mit am Pool. Niemand muss sich am Eingang einscannen, Hauptsache ist, die Arbeit wird erledigt und die Familienmitglieder klären ihre Konflikte vor dem nächsten gemeinsamen Avocado-Sesam- Bagel in der community kitchen. Der Pfad der Aufwertung reproduktiver Arbeit birgt somit ganz dialektisch die Gefahr einer romantisierten Essentialisierung, die nicht zwangsläufig nur Gutes verspricht. Träumen AfD und CDU/CSU etwa nicht von einer Rückkehr der ״Heimpflege“? Wer am Ende, glücksduselig über die Abwesenheit fremder Dienstleister_innen abstrakter Arbeit im Eigenheim, die Windeln und Katheter wechseln darf, liegt auf der Hand.

Um die Argumentation nicht vollends in Zynismus abgleiten zu lassen, ist es sicherlich einleuchtend, sich dem Problem elementarer zu nähern. Was war eigentich dieser Wert und lässt sich reproduktive Arbeit mir nichts, dir nichts in produktive umzudeklarieren, wie es die Autorinnen versuchen?

Mit Marx gesprochen kann das Produkt einer Arbeit nur dann einen Wert im ökonomischen Sinn erhalten, wenn diese doppelten Charakters ist: sowohl konkret als auch abstrakt. Erst wenn der konkrete Abwasch, vermittelt durch das Medium Geld, gegen eine andere konkrete Arbeit (ein Kinofilm Z.B.) getauscht wird, wird sie Teil eines objektivierten Marktzusammenhangs. Erst im Tauschwert spiegelt sich die für diese Art Arbeit gesamtgesellschaftlich durchschnittliche als auch zur Befriedigung des zahlungsfähigen gesellschaftlichen Bedarfs notwendige Arbeitszeit wider. Klingt kompliziert. Verkürzt gesagt ist ein ״Arbeitsprodukt, für sich isoliert betrachtet, [...] also nicht Werth, so wenig wie es Ware ist. Es wird nur Wert in seiner Einheit mit andrem Arbeitsprodukt.“ (Marx 1871/72, 31). Bleibt dieser Schritt aus wie im Fall der meisten Abwäschen weltweit, dann ist diese Arbeit werttheoretisch betrachet - wertlos. Deshalb wirkt es absurd, wenn Safri & Graham mit fiktiven Tauschwerten um sich werfen.

Zwar ist Safri Teil des Editorial Boards vom Rethinking Marxism Journal, allerdings scheinen noch Verständnis-Lücken zu bestehen, behauptet sie ernsthaft, das Selbstständigen-Dasein sei keine Form der Ausbeutung und nicht profitorientiert. Hier wird offenbar nur die innere Logik der Unternehmensformen betrachtet, fernab der gesellschaftlichen Relationen, in die sie eingebettet sind und die Marx sich damals angeschaut hat. Nur weil eine Selbstständige keinen Chef über sich hat, von dem sie ihren Lohn erhält, ist sie noch lange nicht Nicht­Kapitalistin. Sie beutet sich selbst aus, zahlt sich einfach selbst den Lohn und steht in diversen Abhängigkeits- und Konkurrenzbeziehungen zu allen möglichen Menschen in aller Welt, u.a. zu denjenigen, die sie mit Webspace versorgen und denen, die ihre Arbeitskraft bald billiger anbieten. Und selbst, wenn sie sich dafür entscheidet, ihre Termine, Arbeitsmittel und den Online-Auftritt weiterhin selbst zu verwalten und Gewerberäume nach Feierabend eigenhändig zu putzen, die Tausch - und Ausbeutungslogiken sind dadurch nicht via Wunderhand außer Kraft gesetzt. Bei Safri & Graham existiert aber offenbar keine strukturelle Ausbeutung wie Marx sie analysiert hat. Sie scheinen zu beabsichtigen, Marx mit dem Motto ״Wo kein Chef, da kein Ausbeuter“ radikal neuzudenken, ohne zu merken, dass sie damit einen der ältesten Denkfehler der Arbeiterbewegung wiederholen. Das Ausblenden der objektivierten Zusammenhänge erlaubt es ihnen leider auch, reproduktive Arbeit auf einer moralisch-politischen Ebene in produktive umzudeuten. Selbst eine Waschmaschine ist für sie eigentlich ein Produktionsmittel, weil damit eine Investition in erhöhte Produktivität getätigt werde. Es stimmt zwar, dass sich dadurch die Produktivität der Lohnarbeitenden erhöht, aber das ist ja gerade der Sinn von Reproduktionsarbeit: Es geht um die Wiederherstellung von Arbeitskraft, es ist eben nicht diese an sich.

Wissenschaftlich und rein logisch betrachtet ist das offensichtlich fragwürdig. Da wird behauptet, Hausarbeit sei ״eigentlich“ so und so viel wert, während sie gleichzeitig nicht kapitalistisch sein soll. Was denn nun - sollen wir sie mit in die BIP-Rechnung aufnehmen oder nicht? Vielleicht ist ein anderer Zugang vonnöten um die Probleme in den Griff zu bekommen, die dabei entstehen, zwei Sorten Arbeit auf einen Nenner zu bringen.

Zwar sah der chauvinistische Marx schon ein, dass es eine Art Arbeit ist, was außerhalb der Fabriken geleistet wird, jedoch bezog er diese Erkenntnis nie in seine Theorien ein und sein Reproduktionsbegriff meinte noch die gesellschaftliche Reproduktion im Ganzen. Einige feministische Theoretikerinnen wie Federici fokussierten in den 1970ern nun auf diesen und dachten die beiden Formen als sich gegenseitig bedingend zusammen. Große Teile der Frauenbewegung riefen in einem angestrengten ״Wir auch!“ allerdings nach einer rein additiven Einbeziehung der Hausarbeit in den Arbeitsbegriff ohne sich zu fragen, warum man eigentlich so gerne für den Reichtum anderer arbeiten möchte. Ähnlich Safri & Graham: neben Lohnarbeit sollten andere Formen der Arbeit so einbezogen werden, dass sie aufgereiht nebeneinander Stehen können und es werde dann ganz von selbst jede_m und jeder wie Schuppen von den Augen fallen: Miss Housework ist die Schönste von allen. Der Fehlschluss ist die unreflektierte Affirmation der Haus- und Sorgearbeit als ״gute“, weil ihrem Verständnis nach nicht-kapitalistische Arbeit. Diesem Fehler liegt ihre Ignoranz gegenüber der vielfach erläuterten wechselseitigen Bedingtheit der beiden diskutierten Arbeitsformen und offenbar auch gegenüber entscheidenden Elementen Marx'scher Kritik zugrunde, als deren Reformer_innen sie sich präsentieren. Es bliebe zu spekulieren, ob sie einem Essentialismus ״weiblicher“ Fähigkeiten und Eigenschaften verfallen oder schlicht der postmodernen Kulturalisierungsfalle aufgesessen sind. Als ob sich real-materielle Verhältnisse wegdiskutieren ließen, indem man eine bestimmte PR-Kampagne führt.

Meiner Ansicht nach liegt längst ein Vorschlag auf dem Tisch oder besser gesagt in der Schublade, der das noch hinter unserer Fragestellung liegende Problem, den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Kapitalismus zu erklären, bei der Wurzel fasst. Im Zentrum des bereits 1992 von Roswitha Scholz beschriebenen Wertabspaltungstheorems steht die ״Gleichursprünglichkeit“ von wertschöpfender Produktion und Reproduktion, die demnach in einer Licht/Schatten-Beziehung Stehen. Plausibel zeichnet sie nach, wie sich, angefangen in der Antike, zwei analoge europäische Entwicklungen der gesellschaftlichen Sphärentrennung in Öffentlich & Privat und der Entstehung abstrakter und häuslicher als komplementäre Formen der Arbeit auf eine asymmetrisch vergeschlechtlichte Art und Weise vollzogen. Das Neue an diesen Ausführungen ist nicht die These der kulturellen Abspaltung der ״Weiblichkeit“ von der ״Männlichkeit“ als Norm, sondern die Entdeckung der grundlegenden Verbindung derer mit der Geschichte und strukturellen Beschaffenheit unserer wertförmigen Gesellschaft. Jegliche Ökonomie-Theorie sollte auf diesen zugegebenermaßen zuerst sperrig erscheinenden Ansatz mindestens einen Blick werfen, bevor sie ihn aus ideologischen Gründen verwirft. Denn er bietet meiner Meinung nach, vor allem in Verbindung mit der globalen Perspektive von Wallerstein, die Chance auf eine tiefer-dimensionierte Erfassung ökonomisch-gesellschaftlicher Phänomene als sich ausgeschnittene Oberflächenerscheinungen wie Western-Union-Transfers migrierter Hausangestellter anzusehen.

Zu hoffen bleibt, dass die hier diskutierten theoretischen Ausführungen zum globalen Haushalt nicht in ihrem jetzigen Stand verharren, sondern bisher ausgebliebene breitere Kontroversen über Hausarbeit innerhalb des Wissenschaftszweigs und darüber hinaus auslösen. Hoch anzurechnen ist den Autorinnen ihr Versuch der Sichtbarmachung des blinden Flecks der unbezahlten Arbeit in einer Profession, die stark ״männlich“ dominiert ist. Jedoch hat ihr Ansatz aufgrund der erläuterten methodischen und konzeptuellen Mängel nicht das Potential, bestehende Theorien Internationaler Politischer Ökonomie zufriedenstellend zu erweitern oder zu erneuern. Dafür brauchte es einen deutlichen materialistischen ״turn“ oder wenigstens ״touch“, den sie so schnell vermutlich nicht bereit sind hinzulegen, in ihrem Arbeitsfeld aber dazu gehören müsste.

Zusätzlich mitgeben würde ich ihnen - sofern sie noch dazu kommen studentische Essays aus Deutschland zu lesen - dass die ״Frau [...] nicht das "vollere Individuum", sondern nur die andere, inferior gesetzte Seite der patriarchalen Abspaltung, und deshalb ein mindestens genauso reduziertes Wesen wie der Mann“ ist (Scholz 1992, 8).

Literaturverzeichnis

Berger, Michael. 2004: Karl Marx: Das Kapital. Stuttgart.

Federici, Silvia. 2012: Aufstand aus der Küche: Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. 1. Aufl. Kitchen politics 1. Münster: Ed. Assemblage.

Federici, Silvia. 2012A: Revolution at point zero: housework, reproduction, and feminist struggle. Oakland, CA : Brooklyn, NY: London: PM Press; Common Notions:

Autonomedia ;Turnaround [distributor].

Heim, Tino. 2013: Kapitel 1: Wertform, Mehrwert, Profit. Kernmomente in Marx’ Theorie der kapitalistischen Produktionsweise. In: Metamorphosen des Kapitals. Bielefeld.

Marx, Karl. 1871/72: Ergänzungen und Veränderungen zum Ersten Band des ״Kapital“. In: MEGA, II.Abteilung, Band 6. Berlin.

Safri, Maliha, und Graham, Julie. 2010: The global household: Toward a Feminist Postcapitalist International Political Economy. In: Signs. Journal of Women in Culture and Society, vol. 36, no. 1, Chicago.

Scholz, Roswitha. 1992: Der Wert ist der Mann Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis. Krisis, Nr. 12: 19-52f. Münster.

Scholz, Roswitha. 2011: Das Geschlecht des Kapitalismus - Feministische Theorie und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats. Bad Honnef.

[1] https://www.verdi.de/themen/nachrichten/++co++lae7eefa-913b-lle6-ab91-525400940f89

[2] https://www.verdi.de/presse/aktuelle-themen/++co++ad398328-dl38-lle4-9ede-5254008a33df

[3] https://twitter.com/hashtag/pflegekrise

[4] https://www.mdr.de/sachsenradio/programm/dienstags-direkt-sex-gegen-geldlOO zc-d04934cf ZS- 89611860.html ; https://www.facebook.com/sexworkerssohdarity/? hc_ref=ARTwz3uvM9JoLgsO36PpCrQ64pic4PgbGS0dsDvBBRD6JlWLf5PjjkXU7jwXvpyFLzw&fref=nf

[5] Bruttoweltprodukt oder Welt-Bruttoinlandsprodukt

[6] Roelvink, St. Martin, Gibson-Graham 2015: Making Other Worlds Possible: Performing Diverse Economies. University of Minnesota Press.

[7] http://www.oecd-ilibra1y.org/social-issues-migration-health/cooking-caring-and-volunteering-unpaid-work- around-the-world_5kgh1jm8sl42-en

[8] https://caringlabor.wordpress.com/2010/09/15/silvia-federici-wages-against-housework/

[9] Vgl. Barbara Ehrenreich, Arlie Hochschild (eds.) 2002: Global Woman. Nannies, Maids, and Sex Workers in the New Economy, New York.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Der Global Household. Zur Rolle der Reproduktionsarbeit in (feministischen) Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Soziologie)
Veranstaltung
Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
9
Katalognummer
V427728
ISBN (eBook)
9783668717473
ISBN (Buch)
9783668717480
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische Ökonomie, Feminismus, Global Household
Arbeit zitieren
Nora Molinari (Autor:in), 2018, Der Global Household. Zur Rolle der Reproduktionsarbeit in (feministischen) Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/427728

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