Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
Einführung
1. Von der Irritation um „östliche Teile des Deutschen
Reiches“ zum Abkommenüber „gute Nachbarschaft
und freundschaftliche Zusammenarbeit“
2. Politik der kleinen Schritte – Assoziierungsabkommen
und Kopenhagener Kriterien
3. Schwere Belastung der Beziehungen – das Ende des
Versöhnungskitsches und der Papierkrieg 1998
4. Rot-grüner Wahlsieg und die Entschädigung der
NS-Zwangsarbeiter als erste Belastungsprobe
5. Osterweiterung der EU –
die „Wiedervereinigung Europas“ ?
6. Europa in der Krise? Der Irakkrieg und der Streit
um die EU-Verfassung
Fazit
Literaturverzeichnis
Einführung
Laut Auswärtigem Amt sind die deutsch-polnischen Beziehungen von „herausgehobener Bedeutung“ und es besteht momentan eine „vertrauensvolle Partnerschaft“ zwischen den beiden Staaten. Doch schon die Formulierung „die Beziehungen […] der jüngeren Geschichte verfügenüber eine einmalige Dynamik“1 lässt eine gewisse Kompliziertheit dieser Beziehungen erahnen. Auch von der viel beschworenen „deutsch-polnischen Interessengemeinschaft“ ist keine Rede mehr. Stattdessen wird der in der Tat sehr intensive deutsch-polnische Kultur- und Bildungsaustausch gelobt.
Doch wie erst vor Kurzem der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ aus dem März 2013 gezeigt hat, kann sich selbst die Debatte um einen Spielfilm schnell zur „Staatsaffäre“ 2 ausweiten. Der Stein des Anstoßes für die polnische Seite war hierbei eine, so der Vorwurf der Kritiker, antisemitische Darstellung der polnischen Widerstandskämpfer sowie die Herabwürdigung der polnischen Kultur.3 Den Produzenten wurde einerseits vorgeworfen polnische Widerstandskämpfer als Mittäter am Holocaust zu stilisieren, um die deutsche Schuld zu relativieren. Andererseits wurde aber auch darauf hingewiesen, wie der Film den „Kanon der Nazi-Propaganda vom primitiven, rohen, polnischen Untermenschen“ 4 wiederhole. Dieses aktuelle Beispiel führt daher sehr gut vor Augen, dass trotz einer vertrauensvollen Partnerschaft und regem kulturellem Austausch auf beiden Seiten noch immer große Vorurteile existieren.
Ziel dieser Arbeit ist es, die politischen Dimensionen der Beziehung zwischen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland aufzuzeigen. Dies soll anhand der Leitfrage, ob es denn eine sogenannte „Interessengemeinschaft“ gibt oder gegeben hat geschehen. Dazu werden einzelne Ereignisse, länger andauernde Prozesse, bi- und multilaterale Verträge und Zusammenkünfte sowie gesellschaftliche Debatten in Polen und Deutschland, die einen großen Einfluss auf die bilateralen Beziehungen nahmen, untersucht und zueinander in Verbindung gesetzt.
1. Von der Irritation um „dieöstlichen Teile des Deutschen Reiches“ zum Abkommenüber „gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“
Schon vor der Wiedervereinigung Deutschlands bestand auf polnischer Seite das Interesse nach einer Stärkung der bilateralen Beziehungen zu Deutschland. Nicht anders ist die Äußerung des polnischen Außenministers Krzysztof Skubiszewski aus dem Februar 1990 zu verstehen. Er forderte, noch vor der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, Deutschland und Polen müssten sich zu einer „deutsch-polnischen Interessengemeinschaft“ 5 zusammenschließen.
Doch bereits die Verhandlungen um die deutsche Wiedervereinigung offenbarte die Problematik des deutsch-polnischen Verhältnisses. Zu Irritationen auf polnischer Seite führte, dass Theo Waigel6 noch 1990 wiederholte, was er bereits am 2. Juli 1989 auf einem Schlesier-Treffen festgestellt hatte: Dass es „keinen völkerrechtlich wirksamen Akt [gibt], durch den dieöstlichen Teile des Deutschen Reiches von diesem abgetrennt worden sind.“ 7 Auch das Agieren des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl zur Frage der Ostgrenze einer wiedervereinigten Bundesrepublik, sorgte für große Verärgerung auf polnischer Seite. Einerseits durch juristische Besorgnisse, aber andererseits eben auch von wahltaktischen Gründen motiviert, ließKohl die Erwähnung der Oder-Neiße-Grenze in seinem sogenannten Zehn-Punkte-Plan bewusst außen vor.8 Im Gegenzug hatte auch die polnische Forderung nach einer Beteiligung an den 2+4 Vertragsgesprächen, die in Person des polnischen Premierministers Tadeusz Mazowiecki vorgetragen wurde, ihren Anteil an der „diplomatischen Misere“ 9.
Durch die Unterzeichnung des Grenzvertrages im November 1990 und des Nachbarschaftsvertrages im Juni 1991, konnten diese Differenzen jedoch beigelegt werden. Wie durch den Nachbarschafsvertrag gefordert, war das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen in den darauf folgenden Jahren von „guter Nachbarschaf“ 10 geprägt. Die Gründung des Weimarer Dreiecks durch die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands beispielsweise, kann als Beleg für die Umsetzung der Forderung nach guter Nachbarschaft angeführt werden. Vor allem aber das vertragliche Festschreiben, dass ein polnischer Beitritt zur Europäischen Union ein „gewichtiges, gemeinsames außenpolitisches Anliegen“ 11 sei, ist ein Gradmesser dafür, wie positiv die politisch Verantwortlichen das deutsch-polnische Verhältnis Anfang der neunziger Jahre sahen. Ein Vertreter der These, dass es die von Krzysztof Skubiszewski geforderte deutsch-polnische Interessengemeinschaft tatsächlich gibt oder zumindest gegeben hat, wird darin wohl die Geburtsstunde eben dieser Interessengemeinschaft sehen. Doch tatsächlich verfolgte die wiedervereinigte Bundesrepublik, wie auch die Republik Polen vor allem eigene, nationale Interessen, wie sich noch zeigen wird, auch in Bezug auf die EU-Osterweiterung.
Doch selbstverständlich hatte auch der wirtschaftliche Aufschwung Polens, von dem auch Deutschland profitierte, seinen Anteil am guten Verhältnis der frühen neunziger Jahre. Für Polen wurde Deutschland schnell zum wichtigsten Handelspartner, doch was vielleicht etwas mehr erstaunt, auch die Bedeutung Polens für den deutschen Handel war immens. So wurde Polen im Verlauf der neunziger Jahre Deutschlands drittwichtigster Handelspartner außerhalb der EU, noch vor Japan und China.12 Ein weiterer wichtiger Faktor war die sogenannte Versöhnungspolitik. Ihr Ziel war es, Feindbilder die maßgeblich in den Jahren 1939 – 1947 gebildet wurden auszuräumen. Begonnen wurde dieser Aussöhnungsprozess bereits in den siebziger Jahren, initiiert von den Kirchen der beiden Staaten.13
Einen Höhepunkt des Aussöhnungsprozesses bildete sicherlich auch die Rede des deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog, am 50. Jahrestag des Warschauer Aufstandes am 1. August 1994 in Warschau. Die Worte „Ich bitte um Vergebung für das, was ihnen von Deutschen angetan worden ist.“14 wurden sowohl in Polen, als auch in Deutschland positiv aufgenommen.
2. Politik der kleinen Schritte – Assoziierungsabkommen und Kopenhagener Kriterien
Das Agieren der Bundesregierung auf dem Weg zur EU-Osterweiterung wird zwar als „ Politik der kleinen Schritte “15 bezeichnet, war aber aus der Retrospektive wohl genau richtig, da es in der EG zu diesem Zeitpunkt noch eine große Gegnerschaft einer Osterweiterung der Gemeinschaft gab. Frankreich beispielsweise befürchtete seinen großen Einfluss in der Gemeinschaft zu verlieren und die südeuropäischen Staaten hatten die Angst, durch die Osterweiterung verringere sich ihr Anspruch auf EG-Strukturhilfen. Unterstützung erhielten die deutschen Initiativen unterdessen ausgerechnet aus Großbritannien, das sich durch eine Osterweiterung erhoffte den europäischen Integrationsprozess zu verlangsamen.
Deutschland setzte sich zunächst für Mittel der Heranführung Polens an die EG ein, die mit den Ängsten Frankreichs und der südeuropäischen Staaten wenig zu tun hatten. So wurde bereits 1991, auf deutsche Initiative hin, für polnische Bürger die Visapflicht im Schengenraum aufgehoben. Instrumente der Heranführung Polens sowie der anderen osteuropäischen Beitrittskandidaten Ungarn, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Estland, Lettland und Litauen waren außerdem das PHARE-Programm16 und die Assoziierungsverträge. Der Assoziierungsstatus hatte zur Folge, dass die Mitglieder der EG ihre Zoll- und Einfuhrschranken abbauten. Eine vertragliche Verpflichtung der EG zu einer EU-Osterweiterung konnte indes zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht werden. Man verständigte sich lediglich darauf, dass der EG-Beitritt dieser Staaten der Wunsch der Europäischen Gemeinschaft sei.
Dieser nächste Schritt wurde dann 1993 durch die Kopenhagener Kriterien vollzogen. Durch diese Kriterien wurden nicht nur Standards festgelegt, welche Beitrittskandidaten erfüllen mussten, beispielsweise die Achtung der Menschenrechte, die Existenz eines demokratischen Rechtsstaats sowie eine funktionierende Marktwirtschaft, die dem Wettbewerb des europäischen Binnenmarktes gewachsen ist.17 Außerdem wurde den assoziierten Staaten das Recht auf eine zukünftige Mitgliedschaft eingestanden, was für Polen und die anderen assoziierten Staaten ein entscheidender Schritt war.18 Auch hier war Deutschland, das im Vorfeld des Kopenhagener EU-Gipfels in zahlreichen bilateralen Konsultationen Überzeugungsarbeit leistete19, entscheidend am Erfolg beteiligt, was spätestens an dieser Stelle die Frage aufwirft, warum es gerade Deutschland war, das auch gegen große Widerstände die Annäherung Polens und der anderen Beitrittskandidaten unablässig vorantrieb.
Zum einen werden wohl auch moralische Gründe eine Rolle gespielt haben. Die Schuldgefühle für die NS-Verbrechen und der dringende Wunsch eine Versöhnung mit Polen herbeizuführen sind in dieser Kategorie die wohl wichtigsten Triebfedern. Doch selbstverständlich spielten auch wirtschaftliche sowie politische Gründe eine, wahrscheinlich auch zentrale Rolle. Obwohl das wirtschaftliche Potential Polens anfangs sogar noch unterschätzt wurde,20 war man sich bewusst, dass durch eine Erweiterung des Binnenmarktes und dem damit verbundenen Exportzuwachs Arbeitsplätze in der Bundesrepublik geschaffen würden. Gleichzeitig befürchtete man, dass bei einem Scheitern die Kriminalität stark ansteigen würde und es zu „elementaren, unkontrollierbaren Wanderungsbewegungen“ 21 kommen würde. Außerdem bestand seit den römischen Verträgen auch ein Anrecht darauf, „als europäisches und demokratisches Land, das politischen Pluralismus, die freie Marktwirtschaft und Wettbewerb akzeptiert“ 22 als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Doch auch die Vorstellung, durch eine Osterweiterung würde Deutschland wieder mehr ins Zentrum Europas rücken hatte eine Rolle gespielt. Denn bereits in seinem Zehn-Punkte-Plan forderte Helmut Kohl: „Die EG darf nicht an der Elbe enden, sondern mußdie Offenheit auch nach Osten wahren.“23 Unter anderem solche Äußerungen, zu einem so frühen Zeitpunkt sind verantwortlich dafür, dass Deutschland in den neunziger Jahren auch als „Anwalt Polens in Europa“ bezeichnet wurde.
3. Schwere Belastung der Beziehungen – das Ende des Versöhnungskitsches und der sogenannte „Papierkrieg“ 1998
Der ersten rot-grünen Koalition wird in der neueren Forschung24 teilweise vorgeworfen verantwortlich für das Abkühlen der bilateralen Beziehungen zu Polen zu sein. Diese These wird unter anderem dadurch begründet, dass nun erstmals25 der Terminus „Versöhnungskitsch“ 26 aufgekommen sei. Doch der Historiker Klaus Bachmann führte diesen Begriff bereits 1994 in einem Artikel für „die tageszeitung“ ein, als er vor einer falschen Interpretation des Versöhnungsprozesses warnte.27 Tatsächlich gab es schon vor dem Regierungswechsel im Jahr 1998 Ereignisse, die das Verhältnis schwer belasteten. Die Nicht-Einladung Polens zu den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum des Kriegsendes, wurde in Polen als ein Signal für die marginale Bedeutung Polens in der deutschen Außenpolitik gedeutet.28 Vor allem als Antwort auf die Einladung Roman Herzogs zum 50. Jahrestages des Aufstandes im Warschauer Ghetto, war eine Einladung zum Jubiläum des Kriegsendes von polnischer Seite erwartet worden. Auch wenn die Verstimmungen nicht lange anhielten29, kann diese Nichtberücksichtigung tatsächlich als Marginalisierung der Bedeutung Polens für Deutschland verstanden werden30 und somit schon als erstes Indiz für eine Verschlechterung der Beziehungen angesehen werden. Die Problematik des Versöhnungskitsches, die Bachmann beschreibt, zeigt m. E. sehr gut, dass auch für die frühen neunziger Jahre nicht von einer „deutsch-polnischen Interessengemeinschaft“ zu sprechen ist. Es gab lediglich die unausgesprochene Abmachung die Gemeinsamkeiten in den europapolitischen Ansichten zu demonstrieren und dabei einer Lösung von potentiell konfliktträchtigen Problemen aus dem Weg zu gehen.
[...]
1 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Polen/Bilateral_node.html.
2 http://www.welt.de/debatte/kommentare/article115006449/Die-Empoerung-der-Polen-ist-berechtigt.html.
3 http://www.taz.de/!118603/.
4 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/polen-debattiert-unsere-muetter-unsere-vaeter-sie-schonen-sich-nicht-12239597.html.
5 Ludwig: Polen und die deutsche Frage. S. 206.
6 Zu diesem Zeitpunkt Bundesminister der Finanzen sowie Vorsitzender der CSU.
7 http://www.dearchiv.de/php/dok.php?archiv=bla&brett=B89_08&fn=NEISSE.889&menu=b1989.
8 Holesch: Verpasster Neuanfang? S. 33.
9 Ebd. S. 34.
10 Deutsch-polnischer Nachbarschafsvertrag Art 1, Abs, 1; zitiert nach: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/334466/publicationFile/3304/Nachbarschaftsvertrag.pdf.
11 Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag Art. 8, Abs. 3.
12 Kerski: Polen. In: Handbuch zur deutschen Außenpolitik. S. 410.
13 Mehlhorn: Zwangsverordnete Freundschaft. S. 80.
14 http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1994/08/19940801_ Rede.html.
15 Przeglad Zachodni 4/2000. S. 49 – 71. Zitiert nach: Holesch: Verpasster Neuanfang? S. 33.
16 PHARE-Programm: „Poland and Hungary: Aid for Restructoring of the Economics“ Dieses, 1989 exklusiv für Polen und Ungarn ins Leben gerufene Programm, förderte die Infrastruktur und den Verwaltungsaufbau. 1994 wurden die restlichen Kandidaten für die EU-Osterweiterung in das Programm aufgenommen.
17 Wolfrum: Rot-Grün. S. 378.
18 Holesch: Verpasster Neuanfang. S. 54.
19 Ebd. S. 54.
20 Koszel: Deutschland – Polen – Europäische Union. S. 22f.
21 Ebd. S. 23.
22 Ebd. S. 22.
23 Ebd. S. 24.
24 Kerski: Polen. In: Handbuch zur deutschen Außenpolitik. S. 411 – 414.
25 Kerski: Polen. In: Handbuch zur deutschen Außenpolitik. S. 412.
26 Der Begriff „Versöhnungskitsch“ meint das explizite Nichtansprechen wichtiger bilateraler Themen, wie die Vertriebenenproblematik sowie die Zwangsarbeiterentschädigung, um das gute Verhältnis nicht zu belasten.
27 Bachmann: „Versöhnungskitsch zwischen Deutschen und Polen“, in: die tageszeitung. 5. 8. 1994. (zitiert nach: Holesch: Verpasster Neuanfang? S. 43.)
28 Holesch: Verpasster Neuanfang? S. 41.
29 1996 wurden die deutsch-polnischen Beziehungen vom polnischen Außenminister Dariusz Rosati als beispielhaft bezeichnet.
30 Mildenberger: „Interessensgemeinschaft?“ S. 119.