Unterrichtseinheit: Balladen (9. Klasse)


Unterrichtsentwurf, 2005

18 Seiten


Leseprobe


1. Überlegungen zur Lerngruppe

Die Klasse 9a ist, was den Leistungsstand betrifft, ausgesprochen heterogen. Einerseits enthält die Klasse Schüler wie Simon, der schriftlich nur sehr schwache Leistungen erbringt, aber dies durch eine rege mündliche Beteiligung zu kompensieren versucht; seine bisweilen naiv-drolligen Beiträge wissen die Mitschüler inzwischen mit Humor zu nehmen. Andererseits enthält die Klasse Schüler wie Kerstin, Paul und Johannes, deren Leistungen die eines durchschnittlichen Hauptschülers weit übersteigen. Johannes war allerdings in der der Lehrprobe vorausgehenden Woche erkrankt und konnte sich an der Vorbereitung der Balladen-Präsentationen nicht beteiligen. Im Fach „Deutsch“ ebenfalls leistungsstark ist die Schülerin Bianca, die allerdings den Schulbesuch derzeit verweigert. Francois, ein französischsprachiger Togolese, ist nun schon ca. ein Dreivierteljahr in Deutschland. Zunehmend häufiger wird er in den allgemeinen Unterricht mit einbezogen. Kreativ-produktive Umgangsformen mit Literatur erleichtern es ihm, sich in das Unterrichtsgeschehen einzubringen, und so bekam er in den der Lehrprobe vorausgehenden Stunden kein gesondertes DAZ-Fördermaterial; er hat sich für die Gruppe entschieden, die die Ballade sinngestaltend vortragen soll.

Was die Disziplin betrifft, legt Herr W., der Klassenlehrer, großen Wert auf seine Funktion als Erzieher, und so ist die Klasse im Großen und Ganzen angepasst. In der vorherigen Unterrichtsreihe zum Thema „Bewerbung“ war die Klasse allerdings z. T. ein wenig unruhig gewesen. Nach dem dreiwöchigen Praktikum hatten die Schüler erst einmal wieder Tritt fassen müssen, aber dies scheint inzwischen der Fall zu sein. Viele Schüler bangen derzeit darüber hinaus um ihre Zeugnisnoten und ihre Versetzung bzw. die Qualifikation für die Klasse 10 b. Weil im Fach „Deutsch“ bereits alle Klassenarbeiten geschrieben wurden, bemühen sich einige Schüler durch ihre Mitarbeit im Unterricht und durch zusätzliche schriftliche Leistungen ihre Note zu verbessern. Allerdings ist auch die intrinsische Motivation für das Thema der Reihe groß. Während der Reihe zum Thema „Bewerbung“ fragten des öfteren Schüler, wann wir denn endlich mit dem Thema „Balladen“ begönnen. Bei Kerstin geht das Interesse an Literatur so weit, dass sie sich durch Goethes „Faust“ gearbeitet hat.

Was die Vertrautheit der Schüler mit Unterrichtsformen betrifft, wissen die Schüler größtenteils – das hat sich auch bei der Vorbereitung der Präsentationen der heutigen Stunde gezeigt – mit Formen des freien Arbeitens umzugehen. Getrost konnte der Lehrer einzelne Gruppen zum Vorbereiten und Proben ihrer Balladen-Aufführungen auf den Flur, in andere Klassenräume oder auf den Schulhof schicken, ohne dass die Schüler versuchten diese Freiräume zu missbrauchen. Auffallend ist, dass die Schüler bei ihrer gemeinsamen Arbeit in den Gruppen sehr kritisch beobachteten, wie sehr sich die einzelnen Schüler einbringen. Kerstin etwa beschwerte sich während der Vorbereitung des Gerichts-Rollenspiels bei Kevin und Anton über deren Arbeitshaltung und Engagement. Dieses Bewusstsein wurde gezielt mit Methoden des kooperativen Lernens geschult. So waren die Schüler nach Gruppenarbeitsphasen des öfteren aufgefordert gewesen, mündlich oder per „Zielscheibe“ die Qualität ihrer Teamarbeit zu bewerten, um außer für die Qualität des angestrebten Produkts auch für den Prozess der Gruppenarbeit sensibilisiert zu werden.[1] Um den Gruppenarbeitsprozess zu verbessern, wurde darüber hinaus die Methode „Placemat“ eingeführt, bei der sich jeder Schüler einer Gruppe zunächst einmal allein Gedanken machen und diese am Rand des Plakats fixieren muss, bevor dann ein gemeinsames Ergebnis in der Mitte des Plakats festgehalten wird. Demselben Ziel diente die Methode „Jigsaw“, ein Verfahren, bei dem sich Stammgruppen- und Expertengruppenarbeit abwechseln. Für die Erarbeitung der fünf verschiedenen Gruppenarbeitsthemen zur Ballade „die Vergeltung“ wurden nun erstmals Neigungsgruppen gebildet, und erstaunlicherweise war eine gute Verteilung von leistungsstarken und -schwachen Schülern sowie der sonst eng befreundeten Schüler festzustellen.

2. Überlegungen zum Unterrichtsinhalt

Die Unterrichtsreihe trägt den Titel „Rund um Balladen“. Sie ist also nicht in dem Sinne integrativ konzipiert, dass hier ein bestimmtes Thema im Vordergrund stünde, zum dem dann Texte verschiedenster Textsorten herangezogen würden. Um die Integration der unterschiedlichen Gegenstandsbereiche des Faches „Deutsch“ bemüht sich die Reihe und insbesondere die heutige Unterrichtsstunde gleichwohl.

Herr W. leitete in den Deutschstunden, in denen der Lehramtsanwärter nicht zugegen war, die Reihe ein mit einem literaturgeschichtlichen Überblick. Bis zur heutigen Stunde wurden anschließend folgende Aspekte zum Thema „Rund um Balladen“ behandelt:

- Rekonstruktion zweier naturmagischer Balladen anhand von Inhalt/Schlüsselwörtern und Reimschema („Erlkönig“ (Goethe), „Knabe im Moor“ (Droste))
- Vergleich der beiden Balladen anhand der Kriterien „Handlung“, „Personen“, „Anlass“, „Wahrnehmung der Jungen“
- Wiederholung des Spannungsverhältnisses von Aberglaube vs. Aufklärung, wie die Schüler es aus dem „Schimmelreiter“ kennen
- Einführung in die Gattungstheorie zur Ballade und Analyse der o. g. Balladen auf epische, lyrische und dramatische Aspekte hin
- Inhaltsbesprechung der Schicksalsballade „die Vergeltung“ (Droste)
- Funktion des Dingsymbols „Balken“ in der Ballade (Zeuge der Tat, Verknüpfung von Tat und Vergeltung)
- Erörterung der Frage, ob der Schiffbrüchige zu Recht oder Unrecht verurteilt wird (Selbsterhaltungstrieb vs. Tötungsverbot); Analyse der Hinweise auf die Position des Erzählers/der Autorin (insbesondere Zahlensymbolik von 510, Leitmotiv der Barmherzigkeit).

Die Richtlinien und Lehrpläne fordern für den Deutschunterricht im Allgemeinen und als Auswahlkriterium für Texte im Besonderen, dass sie dem Schüler beim „Durchschauen und Bewältigen von Problemen der individuellen und gesellschaftlichen Existenz“ helfen und dass sie gegenwarts- und zukunftsrelevant sind.[2] Dieses Kriterium wird konkretisiert. Einige Konkretisierungen lauten beispielsweise, dass dem Schüler die Möglichkeiten und Grenzen seines Handelns bewusst gemacht werden sollen, er mit grundlegenden Sinnfragen konfrontiert werden und Anteil an fundamentalen menschlichen Erfahrungen nehmen soll.[3] Die Ballade „die Vergeltung“ erfüllt diese Kriterien zweifellos, denn sie konfrontiert die Schüler mit einer grundlegenden ethischen Fragestellung. Die Ballade tut dies allerdings anders als ein philosophischer Lehrbuchtext auf eine ausgesprochen anschauliche, geradezu didaktische Art und Weise, denn das Charakteristikum von Balladen ist es ja, dass sie eine Geschichte erzählen. In der Ballade erleidet der Protagonist Schiffbruch. Auf dem Meer drängt er einen anderen Überlebenden von der Planke, um sein eigenes Leben zu retten. Er wird von einem Schiff aufgenommen und wähnt sich gerettet: „Viktoria, nun ist er frei.“ Das Schiff ist allerdings ein Piratenschiff. Die Piraten werden gefasst und gehängt, und mit ihnen gehängt wird der Schiffbrüchige, obwohl er seine Unschuld beteuert.

In dieser Ballade thematisiert Droste-Hülshoff das Motiv der menschlichen Fehlbarkeit und der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit auf literarisch exzellente Weise und gibt ihrem persönlichen Gerichtspessimismus Ausdruck. Der Protagonist der Ballade wird als Seeräuber hingerichtet, obwohl er ein Schiffbrüchiger ist. Zwar hatte er einen anderen Schiffbrüchigen von dem rettenden Balken gedrängt, aber die weltliche Justiz würde ihn, selbst wenn sie um diese Geschehnisse auf dem Wasser wüsste, nicht hinrichten, weil ihr zufolge der Selbsterhaltungstrieb die Tat rechtfertigt. In der an die Bergpredigt angelehnten Sicht Drostes ist die Tat hingegen nicht gerechtfertigt. Ihre Novelle „Die Judenbuche“ thematisiert den Gerichtspessimismus dann noch eingehender. Schon gleich zu Anfang heißt es: „Wo ist die Hand so zart, dass ohne Irren / Sie sondern mag beschränktes Hirnes Wirren, / So fest, dass ohne Zittern sie den Stein / Mag schleudern auf ein arm verkümmert Sein? / ... / Du Glücklicher, geboren und gehegt / Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt, / Leg hin die Waagschal', nimmer dir erlaubt! / Lass ruhn den Stein - er trifft dein eignes Haupt!“ Zöge man hieraus die Konsequenz, die Regierung dürfe keinen Gebrauch von ihrem Schwertamt machen, wäre das fatal und müsste in Anarchie enden. Allerdings relativiert Droste diese Passage durch andere Äußerungen. So schreibt sie in der „Judenbuche“ auch, die weltliche Gerichtsbarkeit urteile nach ihrer „in den meisten Fällen redlichen Einsicht“.

Dieses Motiv mit den Schülern aufzuarbeiten wäre sicher lohnenswert. Im Sinne einer demokratischen Erziehung würden die Schüler dafür sensibilisiert werden können, dass jede von Menschen ausgeübte Autorität auch fehlbar ist, und ihnen könnte ein gesunder Zweifel an der Integrität des Menschen zu urteilen vermittelt werden. Andererseits droht gerade dabei die Gefahr, eine übertriebene, pathologische Skepsis gegenüber dem Staat und der Politik zu forcieren statt das Vertrauen zu stärken.

Aufgegriffen wurde daher nicht das Motiv des Gerichtspessimismus’, sondern eine Abstraktionsstufe darunter die Frage erörtert, inwieweit der Schiffbrüchige, obwohl vordergründig zu Unrecht verurteilt, nicht doch schuldig geworden ist, als er den Kranken von der Planke stieß. Die Schüler, die in einem Rollenspiel eine Gerichtsszene nachstellen, haben sich eingehender mit dieser Kontroverse befasst und werden einen Prozess nachstellen, in dem über die Schuld des Schiffbrüchigen befunden wird. Die Kontroverse ist deswegen so bedeutsam, weil sie an die Frage heranführt, ob das Tötungsverbot ein generelles ist oder ob es Ausnahmen davon etwa im Falle der persönlichen Notwehr oder der eines Staates im Falle eines Verteidigungskrieges gibt. Man könnte im Anschluss an die Behandlung der Ballade auch der Frage nach dem gerechten Krieg und der Berechtigung bzw. Fragwürdigkeit eines kategorischen Pazifismus’ nachgehen.

3. Überlegungen zur methodischen Gestaltung

Die Schüler haben in einer der vorhergehenden Stunden folgende Gattungsmerkmale einer Ballade erarbeitet und die beiden Balladen „Erlkönig“ und „Knabe im Moor“ daraufhin analysiert:

Epische Merkmale: Erzählstoff, Erzähler und Handlung, Wertung

Dramatische Elemente: Dialoge/Monologe, Konflikt, Spannungsaufbau

Lyrische Merkmale: Vers, Strophe, Reim, Metrum

Die Gattungstheorie soll auch Gegenstand der heutigen Stunde sein, allerdings wird die Identifizierung der Merkmale diesmal nicht auf analytischem Weg erfolgen, sondern anhand der Darbietungen der einzelnen, mehrheitlich produktiv-kreativen Gruppenarbeitsergebnisse.[4] Die Auswahl und Gestaltung der Gruppenarbeitsaufträge erfolgte nämlich schon mit der Intention, die Ballade „die Vergeltung“ auf diese unterschiedlichen Gattungsmerkmale hin überprüfen zu wollen. Das Schattenspiel würde v. a. den Spannungsbogen, der dem eines Dramas ähnelt, verdeutlichen können. Die Umsetzung in ein Schattenspiel erforderte eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text, denn zunächst mussten Handlungsabschnitte ausfindig gemacht werden, dann Überlegungen zu den darzustellenden Schattenfiguren und -requisiten angestellt werden. Danach erfolgte die Erstellung der Schattenfiguren, was ein hohes Maß an künstlerischem Geschick erforderte. Das Aufführung selbst verlangt schließlich von den Schülern eine exakte Abstimmung, einerseits unter den die Figuren bewegenden Schülern, andererseits zwischen dem Leser und den die Figuren bedienenden Schülern.

[...]


[1] Der Kernlehrplan fordert dies ausdrücklich (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder (Hrsg.), Kernlehrplan für die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen. Deutsch (Düsseldorf/Frechen: 2004), S. 21).

[2] Vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder (Hrsg.), Richtlinien und Lehrpläne für die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen. Deutsch (Düsseldorf/Frechen: 1989 (unveränderter Nachdruck 2003)), S. 16, 18, 86.

[3] Vgl. ebd., S. 11; 14, 36, 61.

[4] Waldmann gibt hinsichtlich der Lyrik zu bedenken, was auch für Balladen zutreffen dürfte, dass nämlich der produktive und der mehr analytisch-interpretative Umgang damit nicht als Gegensätze zu verstehen seien, sondern als Verfahren, die sich gegenseitig ergänzen (vgl. Günter Waldmann, Produktiver Umgang mit Lyrik. Eine systematische Einführung in die Lyrik, ihre produktive Erfahrung und ihr Schreiben (Baltmannsweiler: 72001), S. S. 275).

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Unterrichtseinheit: Balladen (9. Klasse)
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V42930
ISBN (eBook)
9783638408417
ISBN (Buch)
9783638930994
Dateigröße
1128 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Schüler setzen in dieser Unterrichtssequenz die Ballade 'die Vergeltung' von Droste in szenisches Spiel, ein Moritat, ein Schattenspiel und eine Gerichtsverhandlung um, halten ein Referat zur Herkunft des Stoffes oder bereiten den sinngestaltenden, freien Vortrag der Ballade vor. Komplett mit Analyse des theologisch-philosophischen Gehalts der Ballade und ansprechenden Arbeitsblättern für die Gruppenarbeit und einem Beobachtungsbogen für die Phase der Präsentation der Arbeitsergebnisse.
Schlagworte
Unterrichtseinheit, Balladen, Klasse)
Arbeit zitieren
Marcel Haldenwang (Autor:in), 2005, Unterrichtseinheit: Balladen (9. Klasse), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42930

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