„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist eine von vielen bekannten Redewendungen, welche darauf zu verweisen scheinen, dass jenen Fähigkeiten, welche im Kindesalter nicht oder nur unzureichend beziehungsweise bruchstückhaft ausgeprägt und sich angeeignet wurden, ein höheres Maß an Beherrschung jener in einem fortgeschrittenem Alter verwehrt bleibt. Gewöhnlich ist hier die Rede von einer kritischen Phase, welche vertritt, dass bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen nur in einem biologischen Zeitfenster erworben werden können.
„Ihren wissenschaftlichen Niederschlag findet die Problematik der Entwicklung bzw. der Alterung des Menschen bezüglich der Ausprägung der Ausprägung der Sprache in der […] Critical Period Hypothesis (CPH)“ (Molnár 2010), welche als einer der ersten der Linguist und US-Neurologe Eric H. Lenneberg aufgriff: „Hinsichtlich der Sprache haben wir als Grenzen der kritischen Periode zerebrale Unreife – an ihrem Beginn –und Abschluß [sic!] eines Stadiums der Plastizität der Hirnorganisation, verbunden mit einer Lateralisation der Funktion – an ihrem Ende – angenommen“(Lenneberg 1972). Diese Annahme unterlag wiederum kontroversen Diskussionen in der Sprachwissenschaft und begründete gleichzeitig die fast gegensätzliche Forschungsmeinung, welche die generelle Annahme der sprichwortartigen Kurzformel ‚je jünger, desto besser‘ zu relativieren versucht.
Für diese stellvertretend könnte unter anderem Prof. Dr. Rüdiger Grotjahn, pensionierter Professor für Sprachlehrforschung, angeführt werden. Auch dieser kritisiert, dass die Verfechter einer critical period hypothesis selten kennzeichnen, „was sich hinter dem Qualitätskriterium „besser“ verbirgt: eine höhere Lerngeschwindigkeit, ein höheres abschließend erreichtes Kompetenzniveau oder gar eine höhere Kompetenz und Motivation weitere Sprachen zu lernen“ (Schmelter 2010). Eine wissenschaftliche Forschungsfrage und -durchführung wird im Hinblick darauf, sprichwortartige Kurzformeln ‚je jünger, desto besser‘ oder ‚je später, desto schlechter‘ quantitativ und qualitativ zu beweisen oder zu wiederlegen unter anderem deshalb verkompliziert, weil die Forschung zum Faktor Alter eine Präzisierung des Begriffs benötigt, und sich globale Angaben wie ‚Kinder‘ und ‚Erwachsene‘ als zu unpräzise gestalten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Mehrsprachigkeit: Gesellschaftliche Bedeutung
- Termini und Fakten
- Mehrsprachigkeit: Zerebrale Verarbeitungsstrategien
- Spracherwerb: Studien im Vergleich
- Syntax bzw. Wortstellung
- Phonologie und Flexionsmorphologie
- Lösung: Sensible Phasen und Motivation?
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der verbreiteten Annahme, dass Kinder leichter Sprachen lernen als Erwachsene. Sie stellt die „Critical Period Hypothesis“ (CPH) in Frage und untersucht, inwieweit die Annahme, „je jünger, desto besser“ oder „je später, desto schlechter“ durch wissenschaftliche Erkenntnisse gerechtfertigt ist. Sie analysiert die gesellschaftliche Bedeutung von Mehrsprachigkeit und beleuchtet den Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb aus biopsychologischer und neurolinguistischer Sicht.
- Kritik an der „Critical Period Hypothesis“ und ihre wissenschaftliche Fundierung
- Gesellschaftliche Relevanz des Altersfaktors für den Fremdsprachenerwerb
- Biopsychologische und neurolinguistische Erkenntnisse zum Spracherwerb
- Analyse verschiedener Studien zum Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb
- Entwicklung eines alternativen Denkansatzes zum Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage in den Kontext gängiger Sprichwörter und wissenschaftlicher Theorien zur „Critical Period Hypothesis“ (CPH). Sie kritisiert die unpräzise Definition der CPH und zeigt die Relevanz wissenschaftlicher Forschung im Gegensatz zu unfundierten Volksweisheiten auf.
Mehrsprachigkeit: Gesellschaftliche Bedeutung
Dieses Kapitel beleuchtet die Bedeutung des Altersfaktors für den Fremdsprachenerwerb in der öffentlichen Debatte, besonders im Hinblick auf den Erwerb der englischen Sprache und die sprachlichen Defizite von Kindern mit nichtdeutscher Sprache. Es stellt die Frage, ob das Gehirn durch zu frühen Zweitsprachenerwerb überlastet werden kann und ob es signifikante Altersschwellen für den Zweitspracherwerb gibt. Die Bedeutung des Faktors Alter für den Fremdsprachenerwerb wird in den Kontext der gesellschaftspolitischen Aktualität, sowohl national als auch international, eingebettet.
Termini und Fakten
Dieses Kapitel definiert den Terminus „Alter“ im wissenschaftlichen Kontext und beleuchtet die Entwicklung des menschlichen Gehirns im Laufe des Lebens. Es stellt die Frage nach der Plastizität des Gehirns und dessen Einfluss auf den Spracherwerb.
Mehrsprachigkeit: Zerebrale Verarbeitungsstrategien
Dieses Kapitel beleuchtet die neuronalen Prozesse, die beim Erlernen von Sprachen im Kindes- und Erwachsenenalter stattfinden. Es untersucht die Unterschiede in der Verarbeitungsstrategie und die Rolle der Gehirnplastizität.
Spracherwerb: Studien im Vergleich
Dieses Kapitel stellt drei verschiedene Studien vor, die den Erwerb einer (Fremd-)Sprache als Forschungsgegenstand haben. Es analysiert die Ergebnisse der Studien im Hinblick auf den Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen wie dem Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb, der „Critical Period Hypothesis“, der Bedeutung von Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft, der Hirnplastizität, neuronalen Verarbeitungsstrategien und der Analyse verschiedener Studien zum Spracherwerb.
- Quote paper
- Theodor Serbul (Author), 2016, Je Später, desto schlechter? Der Einfluss des Alters auf den Fremdsprachenerwerb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429750