Das Prinzip Alternativer Möglichkeiten im Kontext moralischer Verantwortung

Ein Unterrichtskonzept zum Argument Harry G. Frankfurts


Hausarbeit, 2018

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sachanalyse

3. Klarheiten

4. Didaktische Konzeption

5. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Moralische Verantwortung ist nicht nur eine im philosophischen Fachdiskurs vieldiskutierte Thematik, sondern auch eine Sache, die Menschen im Alltag einander häufig und oft unreflektiert zuschreiben. Das Anliegen dieses Unterrichtskonzeptes soll es sein, moralische Verantwortung aus ihrem alltäglichen Status als etwas oft beiläufig Attestiertem herauszuheben, zu analysieren und zu diskutieren. Da moralische Verantwortung ein sehr weites Feld ist, ist es notwendig, den Fokus für den Unterrichtsentwurf genauer zu spezifizieren. Das Hauptaugenmerk richtet sich auf das Prinzip alternativer Möglichkeiten (PAP) als – aus kompatibilistischer Sicht – Bedingung für moralische Verantwortung und Harry G. Frankfurts Argument, welches ebendieser Annahme widerspricht. Anliegen hierbei ist es, die Schüler[1] dazu zu befähigen, ihre eigenen Alltagshandlungen und –einstellungen zu analysieren und kritisch zu betrachten. Aus diesem Grund setzt das Unterrichtskonzept zunächst bei den Alltagserfahrungen der Schüler an. Anhand von vorgestellten Szenarien werden die Schüler anschließend dazu aufgefordert, eigene Urteile bezüglich moralischer Verantwortung zu fällen und argumentativ zu begründen. Da der gewählte Fokus sich auf das PAP und Frankfurts Argument richtet, erfolgt die Behandlung des Themas moralische Verantwortung aus der Perspektive des Kompatibilismus, welcher – so die hier getroffene Annahme – auch weitestgehend im Einklang mit den Lebenserfahrungen und -wahrnehmungen der Schüler steht. Dennoch bietet sich aufgrund der Diskussion bzw. des Gesprächs als vornehmlicher Aktionsform auch Raum für Argumente anderer Thesen. Da die gewählte Thematik sich auf einem für den schulischen Rahmen recht hohem Anforderungsniveau bewegt, ist die Unterrichtskonzeption auf eine Doppelstunde im Ethik- oder Philosophieunterricht in der Oberstufe/Sekundarstufe II ausgerichtet und ließe sich z.B. im Rahmen der im Thüringer Lehrplan für die Jahrgangsstufe 12 formulierten Kategorie „Was soll ich tun?“[2] verwirklichen. Ausgehend von der Freiheitsfrage in Bezug auf moralische Verantwortung befasst sich die dem konkreten Unterrichtsentwurf vorangehende Sachanalyse zunächst einführend mit den verschiedenen Thesen bezüglich des Weltverlaufs, um daran anknüpfend das Argument Harry G. Frankfurts zu betrachten.

2. Sachanalyse

Moralische Verantwortung ist nicht ohne die Attestierung von Freiheit denkbar. Eine Person kann nur dann als moralisch verantwortlich betrachtet werden, wenn selbige auch in gewisser Weise verantwortlich für ebendasjenige war, für das sie moralisch zur Verantwortung gezogen wird, ihr also in gewisser Weise ein Einfluss auf die von ihr ausgeübte Handlung möglich war. Die Frage der Verantwortlichkeit ist keineswegs unerheblich und innerhalb des philosophischen Diskurses existieren unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Form von Freiheit gegeben sein muss, damit von moralischer Verantwortung gesprochen werden kann. Bevor auf die Differenzierungen des Freiheitsbegriffs näher eingegangen wird, lässt sich festhalten, dass im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung zunächst die Frage grundlegend ist, aus welcher Perspektive der Zustand und die Ereignisse in der Welt betrachtet werden. Hierbei gilt es zuvorderst Determinismus, Inkompatibilismus und Kompatibilismus zu unterscheiden,[3] um diese Thesen dann im Hinblick auf den Freiheitsgedanken einzuordnen.

Wird eine streng deterministische Haltung – die des harten Determinismus – eingenommen, so kann es moralische Verantwortung strenggenommen nicht geben, denn universaler Determinismus besagt, „dass der gesamte Weltverlauf ein für alle Mal fixiert ist. Durch einen beliebigen Anfangszustand und die Naturgesetze sind alle weiteren Weltzustände festgelegt, sodass es zu jedem Zeitpunkt genau eine mögliche Zukunft gibt.“[4] Freiheit ist in einer streng deterministischen Weltanschauung also nicht denkbar, da alle Zustände in der Welt notwendig aus vorangehenden Zuständen folgen, eine Abweichung somit nicht möglich ist. Ist dies der Fall, kann dem Menschen keine moralische Verantwortung zugeschrieben werden, denn der Verlauf der Welt ist unvermeidlich, somit kann der Mensch diesen nicht ändern und trägt daher keine Verantwortung an dem, was geschieht oder sich ereignet.[5] Diese streng deterministische These ist gleichzeitig eine inkompatibilistische, da sie verneint, dass Determinismus und Freiheit vereinbar sind. Hinzu kommt in diesem Fall, dass nicht nur die Inkompatibilität vertreten wird, sondern zudem noch die Ansicht, dass der Determinismus wahr ist. Inkompatibilismus an sich besagt nicht mehr und nicht weniger als dass „Freiheit und Determinismus nicht vereinbar sind.“[6] Somit gibt es unter den Inkompatibilisten auch diejenigen, welche die Meinung vertreten, dass Freiheit existiert. Da sie gleichzeitig der Ansicht sind, dass Freiheit und Determinismus unvereinbar sind, schließen sie somit, dass der Determinismus falsch sein muss. Vertreter dieser These werden als Libertarier bezeichnet. Da aus libertarischer Perspektive Freiheit existiert, schließt selbige im Gegenteil zum harten Determinismus die Möglichkeit der moralischen Verantwortung nicht aus. Die Existenz von Freiheit wird aber auch seitens des Kompatibilismus nicht bestritten, welcher besagt, dass Freiheit und Determinismus durchaus vereinbar sind. Auch hier wird moralische Verantwortung also nicht durch die Ausschließung des Freiheitsgedankens von vornherein negiert.

Die Diskussion moralischer Verantwortung ist also aus kompatibilistischer und aus inkompatibilistischer Perspektive möglich, mit der Einschränkung, dass es sich bei letzterer nicht um den harten Determinismus handeln kann, also um die These, dass der Determinismus wahr und mit Freiheit nicht zu vereinbaren ist. Kurz gesagt, die Thesen des Kompatibilismus und des Libertarismus beinhalten einen Freiheitsgedanken und damit grundlegend die Möglichkeit der Zuschreibung moralischer Verantwortung.

Nach Ansicht der Libertarier kann einer Person nur dann moralische Verantwortung zugeschrieben werden, wenn diese über Handlungs- und Willensfreiheit verfügt. Eine Person verfügt über Handlungsfreiheit, „wenn sie tun kann, was sie tun will“[7], ihr Wille ist frei, „wenn sie die Fähigkeit hat, ihren Willen zu bestimmen, zu bestimmen, welche Motive, Wünsche und Überzeugungen handlungswirksam werden sollen“[8]. Es reicht aus libertarischer Sicht also nicht aus, verschiedene Handlungen ausführen zu können, vielmehr muss die handelnde Person aus ihrem Willen heraus handeln und Anteil an ihrem Willen haben. Anders gesagt, eine Person muss auch die Urheberschaft über ihren Willen besitzen.[9] Denn wenn die handelnde Person, so die Argumentation, zwar nach ihrem Willen entscheidet und handelt, aber nicht selbst für die Formung des Willens verantwortlich ist, dann kann sie auch nicht für die aus diesem Willen folgende Entscheidung oder Handlung verantwortlich sein. Kritiker äußern hier die Frage, wie es möglich sein soll, dass Personen „tatsächlich die letzte Quelle und der Ursprung aller ihrer Ziele und Absichten sein“[10] könnten. Prominent vertritt diesen Einwand Galen Strawson, der das Basic Argument anführt, nach dem es sogar irrelevant ist, ob der Determinismus wahr oder falsch ist, denn: „Nothing can be causa sui, and in order to be truly morally responsible for one's actions one would have to be causa sui, at least in certain crucial mental respects.“[11] Diesem Einwand begegnen Libertarier unter anderem mit der Akteurskausalität, welche besagt, dass ein Handelnder H eine Wirkung B einfach „hervorbringt“.[12] Auch hier wissen Gegner des Libertarismus etwas entgegenzusetzen und es ließen sich an dieser Stelle zahlreiche weitere Einwände und Entgegnungen beider Seiten anbringen. Darauf soll an dieser Stelle jedoch verzichtet und stattdessen das Augenmerk auf einen Punkt gerichtet werden, der Libertarier im Freiheits- und damit verbundenen moralischen Verantwortungsgedanken von Kompatibilisten unterscheidet und sich bereits in den bis hierher geäußerten Gedanken zeigt. Von ultimativer moralischer Verantwortung kann aus Sicht des Libertarismus nur dann gesprochen werden, wenn der Handelnde oder Ereignisbewirkende auch die Erstursache seiner eigenen Handlung ist.

Der Freiheitsgedanke beim Kompatibilismus stellt sich als ein anderer als der des Libertarismus dar,[13] was sich zwangsläufig daraus ergibt, dass der Kompatibilismus den Determinismus nicht ablehnt. Willensfreiheit im ultimativen Sinn ist aus kompatibilistischer Perspektive nicht möglich, aber auch nicht, so die Argumentation, notwendig, da diese Art der Willensfreiheit in sich inkohärent sei. Vereinbar mit der kompatibilistischen Haltung ist hingegen Willensfreiheit, wenn diese meint, dass Menschen ohne Zwang oder Unterdrückung frei wählen oder entscheiden können.[14]

Handlungsfreiheit, also die Umsetzung des Willens in gewählte Handlungen (unabhängig davon, ob man diesen Willen als libertarisch frei oder kompatibilistisch frei betrachtet) spielt sowohl bei Libertariern als auch Kompatibilisten eine entscheidende Rolle und wird oft als Prinzip alternativer Handlungsmöglichkeiten (PAP) bezeichnet. Wie der Name bereits aussagt, handelt es sich hierbei um die Bedingung, dass einer handelnden Person mehrere Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen, damit besagte Person als moralisch verantwortlich für ihre Handlung gelten kann. Grundlegend betrachtet ist das PAP im Libertarismus eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für moralische Verantwortung, da der Handelnde ja auch an der Formung seines Willens, aus dem die Handlungsentscheidung folgt, beteiligt (gewesen) sein muss. Aus kompatibilistischer Perspektive erscheint das PAP sogar als hinreichend für moralische Verantwortung, wenn, und das setzt das PAP quasi voraus, keine inneren oder äußeren Zwänge vorlagen, die den Handelnden zu seiner Entscheidung bzw. Handlung gedrängt haben.[15]

Obwohl das PAP aus kompatibilistischer Sicht hinreichend für die Zuschreibung von moralischer Verantwortung ist, kann jedoch bezweifelt werden, dass moralische Verantwortung auch nur dann gegeben ist, wenn alternative Handlungsoptionen offen stehen. Genau diesen Zweifel erhebt Harry G. Frankfurt. Eine Person kann seiner Meinung nach auch dann für seine Handlung verantwortlich sein, wenn sie nicht anders hätte handeln können, denn schließlich kann eine Person „unter Umständen, die ihr keine Handlungsalternative lassen, irgend etwas tun, ohne daß diese Umstände sie wirklich dies zu tun veranlassen oder verleiten.“[16] Trete dieser Fall ein, so Frankfurt, sei die betreffende Person für ihre Handlung moralisch verantwortlich. Um sein Argument zu verdeutlichen, bringt Frankfurt das Beispiel von Jones, welcher sich entschieden hat, in einer gewissen Art zu handeln. Nun tritt noch eine weitere Person auf, welche Jones eine schwere Strafe androht, sollte er nicht genau so handeln und Jones handelt in dieser Weise. Eine erste, voreilige Intuition sähe wahrscheinlich dergestalt aus, dass Jones in dieser Situation für moralisch nicht verantwortlich angesehen wird. Dies ist nach Frankfurt allerdings ungerechtfertigt, da ein tieferer Blick auf den Charakter Jones’ und den tatsächlichen Grund für seine Art und Weise zu handeln vonnöten sei. Nun unterscheidet Frankfurt in Jones1, Jones2 und Jones3. Jones1 ist eine unvernünftige Person, die von der Drohung in keiner Weise beeindruckt ist und ihre Handlung unabhängig von der Drohung vollzieht, da sie sich schon vorher dafür entschieden hatte. Dieses Beispiel ist für Frankfurts weitere Argumentation irrelevant, da in diesem Fall die Drohung keine nötigende Wirkung auf Jones1 hatte und denselben deshalb nicht wirklich seiner Handlungsoptionen beraubt hat. Jones2 gerät durch die Drohung in Panik. Er vergisst völlig seine eigenen Gründe für die Handlung und handelt nur aus Angst vor der ihm angedrohten Strafe. In diesem Fall ist Jones2 nicht für seine Handlung moralisch verantwortlich, auch wenn er dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass er sich im Vornherein schon einmal zu dieser Handlung entschieden hat. Dies ist jedoch für den tatsächlichen Verlauf der Handlung nicht mehr von Belang, da Jones2‘ ursprüngliche Beweggründe in diesem Szenario gänzlich wegfallen. Frankfurt legt sein Augenmerk auf Jones3, mit dessen Hilfe er seine Behauptung, dass es falsch sei, anzunehmen, die Gegebenheit des PAP wäre für moralische Verantwortung vonnöten, zu beweisen sucht. Jones3 steht der Drohung weder gleichgültig gegenüber, noch wurde er durch dieselbe in Panik versetzt. Was ihn jedoch letztlich dazu motivierte, die fragliche Handlung zu vollziehen, war nicht die Drohung, sondern seine eigenen vorangegangenen Überlegungen. Die Drohung hätte Jones3 nur dann zu seiner Handlung bewegt, wenn er sich nicht schon vorher zu der Handlung entschieden hätte. Also liegt hier ein Fall vor, in dem Jones3 trotz fehlender Handlungsalternativen für seine Handlung moralisch verantwortlich ist.[17]

Frankfurt ist sich möglicher Angriffspunkte seines Jones-Beispiels bewusst. Er führt an, dass eingewandt werden könne, dass Jones3’ „Wissen darum, daß er im Begriff ist, eine nicht hinnehmbar harte Strafe zu erleiden […] genaugenommen nicht [bedeutet], daß Jones3 nicht irgend eine Handlung außer der vollziehen kann, die er wirklich ausführt.“[18] Kritisch betrachtet kann dieses Beispiel also als Widerlegung des PAP abgelehnt werden. Doch Frankfurt bleibt hier nicht stehen und führt die Person Black in sein Szenario ein.[19] Black möchte, dass Jones4 in einer gewissen Weise handelt, doch spricht er Jones4 gegenüber keine Drohung aus, wie im vorangegangenen Beispiel, sondern greift erst dann in das Geschehen ein, wenn ihm klar ist, dass Jones4 im Begriff ist, anders zu handeln, als Black es wünscht. Nun kann sich Jones4 auch bei diesem Beispiel selbst für seine Handlung entscheiden. Ist dies der Fall, so trägt er die gleiche moralische Verantwortung, die er tragen würde, wäre Black nicht anwesend. Denn wenn Jones4 sich ohnehin für die fragliche Handlung entscheidet, kommt es überhaupt nicht dazu, dass Black eingreift. Mit diesem Beispiel ist für Frankfurt das geltende PAP widerlegt, denn es ist für ihn bewiesen, dass Umstände vorliegen können, „die es einer Person unmöglich machen, eine Handlung zu vermeiden, ohne daß diese Umstände es auf irgendeine Weise zuwege bringen, daß sie jene Handlung vollzieht.“[20] Frankfurts Vorschlag besteht darin, dass PAP durch folgendes Prinzip zu ersetzen: „Eine Person ist dann für das, was sie getan hat, moralisch nicht verantwortlich, wenn sie es nur deshalb tat, weil sie nicht anders hätte handeln können.“[21] Nach Frankfurts Ansicht widerspricht dieses Prinzip nicht der Position, dass moralische Verantwortung und Determinismus miteinander vereinbart werden können.[22]

Gegen Frankfurts Argument wurden einige Einwände geäußert, sowohl seitens der Inkompatibilisten, insbesondere der Libertarier, als auch seitens anderer Kompatibilisten. Als Reaktion hierauf haben die Fürsprecher Frankfurts wiederum neue, überarbeitete FrankfurtSzenarien entworfen. Da auch diesen stets erneut begegnet wird, handelt es sich bei der Diskussion des PAP als Bedingung für moralische Verantwortung um eine Debatte, die (höchstwahrscheinlich) keine Einigung erzielen wird, was vermutlich nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass es in der Diskussion letztlich auch darauf ankommt, welche These als gültig erachtet wird, die des Libertarismus oder des Kompatibilismus. Dennoch ist Frankfurts Argument (und die zahlreichen Modifikationen desselben) ein geeigneter Gedankengang um das Prinzip alternativer Möglichkeiten, welches vor allem im Alltagsdenken bei der Zuschreibung moralischer Verantwortung sehr prominent ist, als hinreichende Bedingung für ebendiese Verantwortung kritisch zu hinterfragen.

3. Klarheiten

Die Zuschreibung moralischer Verantwortung ist in großem Maße abhängig von der jeweiligen These, die in Bezug auf Ereignisse in der Welt eingenommen wird. In der vorliegenden Unterrichtskonzeption soll es aber nicht darum gehen, die Schüler zunächst mit diesen Thesen vertraut zu machen um dann auf einem recht abstrakten Niveau die Debatte um moralische Verantwortung zu führen. Vielmehr ist es das Anliegen, dass die Schüler zunächst selbst aus ihrer Alltagswelt heraus überlegen und ableiten, wann sie einer Person Verantwortung zuschreiben, wann sie der Meinung sind, dass Lob und Tadel angemessen sind und wann nicht. Auf diesem Weg soll die erste Klarheit abgeleitet werden:

(1) Ein Mensch ist moralisch verantwortlich, wenn er im Moment der Handlung hätte anders handeln können, als er gehandelt hat.

Hierbei handelt es sich also um die Ableitung des Prinzips alternativer Möglichkeiten (PAP) als (aus der Perspektive des Kompatibilismus) hinreichendes Prinzip für moralische Verantwortung.

Anschließend daran soll die abgeleitete Klarheit auf ihre Notwendigkeit für moralische Verantwortung überprüft werden. Anknüpfend an das Argument Harry G. Frankfurts hinterfragen die Schüler diese Notwendigkeit und gelangen zur zweiten Klarheit:

(2) Es ist vorstellbar, dass ein Mensch auch dann moralisch verantwortlich sein kann, wenn er im Moment der Handlung nicht anders hätte handeln können, als er gehandelt hat.

Mit anderen Worten:

(2a) Das Prinzip alternativer Möglichkeiten ist keine notwendige Bedingung für moralische Verantwortung.

Eng verknüpft hiermit ist die Frage nach dem menschlichen Willen. In Frankfurts Modell ist der jeweils Handelnde ja verantwortlich, da er die Handlung aus seinem Willen heraus ausführt, auch wenn er nicht weiß, dass ihm nur diese eine Willensentscheidung zur Verfügung stand. Eine weitere Klarheit in diesem Zusammenhang, die sehr relevant ist, ist daher:

(3) Ein Mensch ist für seine Handlung moralisch verantwortlich, wenn diese Handlung seinem Willen entspricht.

Anknüpfend hieran sind weitere Klarheiten bzw. vielmehr Unklarheiten möglich, die dann ins Feld der Diskussion reichen, welche These – Libertarismus, Kompatibilismus oder harter Determinismus – wahr ist. So insbesondere die Fragen: Ist jemand für eine Handlung verantwortlich, wenn sein Wille nicht frei ist? Unter welchen Bedingungen kann man von Willensfreiheit sprechen? Möglich wäre auch die grundsätzliche Infragestellung moralischer Verantwortung: Kann ein Mensch jemals ultimativ moralisch verantwortlich für eine Handlung oder Entscheidung sein? Diese Gedanken und Fragestellung können in den Unterrichtsdiskussionen thematisiert werden und auch dazu dienen, die erarbeiteten Klarheiten zu hinterfragen.

4. Didaktische Konzeption

Durch einen geeigneten Unterrichtseinstieg sollen sich die Schüler zunächst selbst Gedanken über moralische Verantwortung machen. Hierfür benötigen sie kein fachliches Vorwissen, sondern schöpfen aus eigener Lebenserfahrung. Der Unterrichtseinstieg ist dabei jedoch bewusst so gestaltet, dass die Thematik moralische Verantwortung noch nicht konkret Teil der Aufgabenstellung ist. Bei der Vorstellung und dem Vergleich ihrer Gedanken zum Thema Vorwurf und Dank rückt die Thematik dann in den Fokus und es zeichnen sich möglicherweise bereits die Klarheiten (1) und (3) ab. Anschließend daran soll das Thema moralische Verantwortung weiter vertieft werden. Zu diesem Zweck werden den Schülern verschiedene Szenarien vorgestellt. Diese beziehen sich auf die Thematik des Schießbefehls seitens der DDR-Regierung an der innerdeutschen Grenze. Hierdurch gestalten sich die Szenarien etwas weniger theoretisch und bieten auch Anknüpfungspunkte an bereits erworbenes Wissen aus dem Geschichtsunterricht.[23] Zunächst werden Szenarien präsentiert, die dazu dienen, die Klarheit (1) herauszustellen bzw. zu vertiefen. Im Anschluss daran folgt die kritische Auseinandersetzung mit derselben. Hierzu wird ein an Frankfurts Argument angelehntes Grenzszenario entworfen. In der Diskussion desselben sollen die Schüler zur zweiten Klarheit, dass moralische Verantwortung auch ohne Gewährung des Prinzips der alternativen Handlungsmöglichkeiten vorstellbar ist, gelangen.

[...]


[1] Dieser und folgende maskuline Termini beziehen sich auf sämtliche Geschlechter. Sie werden der besseren Lesbarkeit halber gewählt und beinhalten keinesfalls eine Wertung.

[2] Thüringer Ministerium für Bildung Wissenschaft und Kultur: Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife Ethik, 2012, S.28.

[3] Die im Folgenden vorgenommenen Darstellungen dienen einer grundlegenden Klärung der verschiedenen Thesen als Grundlage für die weiterführende Diskussion der moralischen Verantwortung. Sie erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

[4] Geert Keil: Willensfreiheit und Determinismus. Stuttgart 2009, S. 35.

[5] Vgl. u. a. Robert Kane: A Contemporary Introduction to Free Will. New York u. Oxford 2005, S.68f.

[6] Ansgar Beckermann: Willensfreiheit – ein Überblick aus kompatibilistischer Sicht, 2007. Als pdf abrufbar unter: <http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2007/1158/>, S.2 [Hervorhebung im Original].

[7] Beckermann, S.6.

[8] Ebd.

[9] Vgl. Reinhard Merkel: „Handlungsfreiheit, Willensfreiheit und strafrechtliche Schuld. Vorläufige Vorschläge zur Ordnung einer verworrenen Debatte“, in: Helmut Fink und Rainer Rosenzweig (Hg.), Freier Wille – frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit. Paderborn 2005, S. 135-191, hier S.158, Beckermann, S.5 u. 11f., Henrik Walter u. Thomas Goschke: „Autonomie und Selbstkontrolle. Bausteine für eine naturalistische Konzeption von Willensfreiheit“, in: Kristian Köchy und Dirk Stederot (Hg.), Willensfreiheit als Interdisziplinäres Problem. Freiburg und München 2006, S. 103-142, hier S. 108f.

[10] Beckermann, S.11.

[11] Galen Strawson: „The Impossibility of Moral Responsibility“, in: Philosophical Studies 75 (1994), S. 5-24, hier S. 21, vgl. auch Beckermann, S.11, Kane 2005, S.71.

[12] Beckermann, S.4, vgl., neben anderen, auch Walter, S.112.

[13] Vgl. u.a. Kane 2005, S.14, Walter, S.109.

[14] Vgl. Kane 2005, S.17.

[15] Vgl. Kane 2005, S.13.

[16] Harry Gordon Frankfurt: „Alternative Handlungsmöglichkeiten und moralische Verantwortung“, in: Harry G. Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, hg. v. Monika Betzler und Barbara Guckes. Berlin 2001, S. 53-64, hier S.54.

[17] Vgl. ebd. S.55ff.

[18] Ebd., S.58f.

[19] Vgl. ebd., S.59.

[20] Ebd., S.62.

[21] Ebd., S.64.

[22] Vgl. ebd.

[23] So ist z.B. die deutsch-deutsche Geschichte im Thüringer Lehrplan Geschichte bereits in der Klassenstufe 9/10 obligatorisch, wobei ein Augenmerk auch auf der staatlichen Handhabe von Opposition liegt. Vergleichbares gilt für Klassenstufe 12 in Thüringen. Der Thüringer Lehrplan Geschichte ist als pdf abrufbar unter: <https://www.schulportal-thueringen.de/web/guest/media/detail?tspi=2839>. Vgl. hierzu vor allem die Seiten 29 und 37f., ferner auch S.32. Diese Inhalte bergen in sich natürlich nicht konkret den Aspekt Schießbefehl. Dessen Behandlung könnte den Szenarien auch – so Bedarf besteht – vorangestellt werden. Hierfür böten sich Zeitungsartikel an, so z.B. der unter der folgenden Adresse abrufbare: <http://www.spiegel.de/politik/deutschland/erinnerungen-eines-ddr-grenzsoldaten-wir-waren-doch-keineschiesswuetigen-killer-a-500141.html> [Abrufdatum: 20.03.2015].

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Prinzip Alternativer Möglichkeiten im Kontext moralischer Verantwortung
Untertitel
Ein Unterrichtskonzept zum Argument Harry G. Frankfurts
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Didaktik und Methodik des Ethikunterrichts II
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
22
Katalognummer
V430865
ISBN (eBook)
9783668736702
ISBN (Buch)
9783668736719
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Harry Frankfurt, Motlaische Verantwortung
Arbeit zitieren
Erik Schittko (Autor:in), 2018, Das Prinzip Alternativer Möglichkeiten im Kontext moralischer Verantwortung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430865

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