Die Überzeugung, dass erst die Bildung den Menschen zum Menschen macht, beherrschte die ganze Renaissance. Auf ihrem Höhepunkt hat sie Erasmus von Rotterdam, der „in ganz Europa in allen Bildungsfragen als höchste Autorität, als `König der Humanisten´“ galt, bekräftigt: „Wie die kaum halbe Mütter sind, die bloß gebären und nicht erziehen, so sind die kaum halbe Väter, welche, während sie das für das leibliche Wohl ihrer Kinder Nötige bis zum Überfluß besorgen, den Geist derselben durch keinerlei ehrenwerte Kenntnisse ausbilden lassen. Bäume wachsen vielleicht von selbst, die dann allerdings weder gar keine oder wilde Früchte tragen; Pferde kommen zur Welt, wenn auch unbrauchbare: aber Menschen, das glaube mir, werden nicht geboren, sondern gebildet.“
Die christliche Ethik war für Erasmus das oberste Ziel aller Bildung und Christus der vorbildlichste aller Lehrer der Menschheit. Dieses christlich-sittlichen Bildungszieles wegen musste auch auf christlichem Gebiet das „ad fontes“ gelten, das Zurückgehen auf die Quelle der Lehre der Meister, auf die Bibel in ihren Ursprachen und die Reinigung der Überlieferung. Erasmus, der neben seinem Vorgänger Lorenzo Valla als Pionier der Bibelwissenschaft gilt, war im Grunde kein Theologe. Seine Bibelarbeit sei, so Exner „eine Bildungstat, ja weithin vielleicht sogar nur eine literarische Angelegenheit“. So sei das „erasmische Christentum ... jene pietas litterata oder philosophia Christiana, die das Ergebnis der `Wandlung von der christlichen humilitas zur christlichen humanitas´ war“ nichts weiter als ein Bildungsziel, allerdings das höchste.
Insbesondere die Einleitungsschriften „Paraclesis“, „Methodus“ und „Apologia“, die Erasmus der Ausgabe des Neuen Testamentes beigab, sowie die Schrift „Theologische Methodenlehre oder Verfahren, wie man zur wahren Gottesgelehrsamkeit gelangen könne“ enthalten die religiösen und wissenschaftlichen Ansichten von Erasmus, die er unter dem Namen „philosophia Christiana“ zusammenfasste.
Erasmus war der Ansicht, dass jeder Einzelne die christliche Philosophie für sich durch das Studium des Neuen Testamentes erlangen könne. Im Folgenden soll der von Erasmus vorgegebene Weg zur Erreichung dieses höchsten Bildungsziels, insbesondere am Beispiel des „Methodus“ dargestellt werden. Dabei wird zunächst auf die Forderung des Erasmus nach der Unabhängigkeit der Vernunft gegenüber jeglicher Autorität und sein Verständnis von Frömmigkeit eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Forderung nach Unabhängigkeit und Distanz im Umgang mit antiken Texten
- Kritik an der Verkomplizierung von Inhalten
- Kritik an voreiligen Interpretationen
- Bedeutung der Frömmigkeit (pietas)
- Die Methode zur Erlangung der philosophia Christiana
- Voraussetzungen für das Studium der christlichen Philosophie
- Ethische Voraussetzungen
- Philologische Voraussetzungen
- Musische Voraussetzungen
- Erarbeitung der Heiligen Schrift
- Die methodische Erarbeitung der Heiligen Schrift
- Der Umgang mit Kommentaren zur Heiligen Schrift
- Voraussetzungen für das Studium der christlichen Philosophie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit Erasmus von Rotterdams Philosophie Christiana und seinem Ansatz zur Interpretation der Heiligen Schrift. Ziel ist es, den von Erasmus vorgegebenen Weg zur Erreichung dieses höchsten Bildungsziels, insbesondere am Beispiel seiner „Methodus“, darzustellen.
- Die Forderung nach Unabhängigkeit der Vernunft gegenüber jeglicher Autorität.
- Erasmus' Verständnis von Frömmigkeit (pietas).
- Die Bedeutung der Bibel in ihren Ursprachen und die Reinigung der Überlieferung.
- Die Methode zur Erlangung der philosophia Christiana durch das Studium des Neuen Testaments.
- Die Kritik an der Verkomplizierung und dem Vortäuschen von Klarheit in der Lehre.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Erasmus von Rotterdam als zentralen Vertreter der Renaissance und seinen Ansatz zur Bildung dar, wobei die christliche Ethik das oberste Ziel darstellt. Erasmus' Bedeutung als Pionier der Bibelwissenschaft wird hervorgehoben, seine Bibelarbeit wird als eine Bildungstat und ein literarisches Projekt beschrieben, das das höchste Bildungsziel, die philosophia Christiana, anstrebt.
Das zweite Kapitel behandelt Erasmus' Forderung nach Unabhängigkeit der Vernunft gegenüber jeglicher Autorität. Er kritisiert die Verkomplizierung von Inhalten und das Vortäuschen von Klarheit, um die Menschen in ihrer Abhängigkeit zu belassen. Am Beispiel seiner Ausgabe des Neuen Testaments und seiner Kritik an der Vulgata-Übersetzung wird gezeigt, wie Erasmus sich für einen direkten Zugang zum Text einsetzt und die Bedeutung der philologischen Methode betont.
Das dritte Kapitel behandelt Erasmus' Verständnis von Frömmigkeit (pietas) und die Bedeutung dieser für die Erlangung der philosophia Christiana. Erasmus plädiert für eine kritische und methodische Auseinandersetzung mit den Texten, die auf einer soliden philologischen Grundlage basiert. Er unterstreicht die Notwendigkeit einer breiten Bildung und eines freien Zugangs zu den Quellen.
Im vierten Kapitel wird die Methode zur Erlangung der philosophia Christiana durch das Studium des Neuen Testaments beschrieben. Erasmus definiert die ethischen, philologischen und musischen Voraussetzungen für das Studium, wobei er den Fokus auf die methodische Erarbeitung der Heiligen Schrift legt. Er fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten und eine unabhängige Interpretation, die nicht von vorgegebenen Autoritäten abhängig ist.
Schlüsselwörter
Erasmus von Rotterdam, philosophia Christiana, Bibelwissenschaft, philologische Methode, Frömmigkeit (pietas), Neue Testament, Vulgata, Humanismus, Bildung, Autonomie, Kritik, Interpretation, Überlieferung.
- Arbeit zitieren
- Anonym (Autor:in), 2003, Erasmus von Rotterdam: Philosophia Christiana. Zum Umgang mit der Heiligen Schrift, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43117