Die Legitimität der NATO-Intervention während des libyschen Bürgerkrieges im Jahre 2011


Hausarbeit, 2016

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


1. Einleitung.

"If humanitarian intervention is, indeed, an unacceptable assault on sovereignty, how should we respond to a Rwanda, to a Srebrenica, to gross and systematic violation of human rights that offend every precept of our common humanity?" 1

Kofi A. Annan, Millenniums Gipfel 2000

Das Konzept der Responsibility to Protect ist die übernommene Antwort der Vereinten Nationen (kurz: UN) auf die Frage, die der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan 2000 auf dem Millenniums Gipfel stellte. Die Responsibility to Protect geht davon aus, dass die Souveränität eines Staates mit der Verantwortung einhergeht seine Bevölkerung vor schwerwiegenden Massenverbrechen zu bewahren. Wenn Staaten dieser Aufgabe nicht nachkommen können oder nicht dazu bereit sind, geht diese Verantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft über.2

Die vorliegende Arbeit thematisiert, wie das Konzept der Responsibility to Protect während der Militärintervention der NATO im Bürgerkrieg in Libyen 2011 eingesetzt wurde und ob die NATO als intervenierender Akteur dieses sowie das Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen legitim angewandt hat. Die Hausarbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil der Arbeit werde ich etablieren, dass es sich bei der Intervention des Militärbündnisses NATO in den libyschen Bürgerkrieg um die Anwendung der Responsibility to Protect handelt. Darauf aufbauend werde ich im zweiten Teil drei Kriterien anführen, anhand derer sich im Anschluss die legitime Anwendung der Responsibility to Protect und der Resolution 1973 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (kurz: UN Sicherheitsrat) nachprüfen lässt. Im dritten Teil der Hausarbeit werde ich mithilfe dieser drei Kriterien an der empirischen Realität prüfen, inwieweit die Legitimität des NATO Einsatzes gegeben ist.

Bei der Beantwortung der Forschungsfrage spielt meine politische Sichtweise und Sympathie keine Rolle, da es in dieser Hauarbeit ausschließlich um die Untersuchung der legitimen Anwendung des UN Mandats und des Konzepts der Responsibility to Protect geht. Die Arbeit hat in keiner Weise zum Ziel, die Herrschaft Muammar al-Gaddafis zu rechtfertigen oder zu verteidigen. Ob Gaddafis Amtsführung und das politische System der Libysch-Arabischen Dschamahirija politisch annehmbar sind, ist für diese Arbeit ebenfalls irrelevant.

2. Kriterien für die legitime Anwendung der Responsibility to Protect und der Resolution 1973 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.

2.1

Dieses Kapitel versucht zu beweisen, dass es sich bei der zu beobachtenden Intervention der NATO in Libyen im Jahre 2011 um die Anwendung der Responsibility to Protect handelt.

Die Responsibility to Protect ist ein Konzept der International Commission on Intervention and State Sovereignty (kurz: ICISS) um die Anwendung militärischer Mittel zur Vermeidung schwerwiegender Verbrechen gegen die Menschlichkeit innerhalb souveräner Staaten zu steuern. Die ICISS war eine auf Initiative der Kanadischen Regierung eingerichtete ad hoc Kommission, mit dem Ziel ein Konzept zur Beantwortung der Frage Kofi Annans zu erstellen.3 Das Konzept ist mittlerweile eine international anerkannte Norm4, auf die sich bei beinahe jeder Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu diesem Thema in den letzten Jahren bezogen wurde.5

Die Responsibility to Protect diente als wesentliche Grundlage der Resolution 1973 des UN Sicherheitsrates zum Militäreinsatz der NATO während des Bürgerkrieges in Libyen im Jahre 2011.6 Innerhalb der Responsibility to Protect ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist der entscheidende Akteur, um die Anwendung von militärischen Mitteln aus humanitären Motiven zu genehmigen:

There is no better or more appropriate body than the United Nations Security Council to authorize military intervention for human protection purposes.7

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verwies in seiner Resolution 1973 vom 17. März 2011 wiederholt und explizit auf die Responsibility to Protect8 und verwendete dabei „RtoP language“9. In der Resolution 1973 wird der Schutz von Zivilpersonen als oberste Priorität dargestellt und als Ziel der dadurch legitimierten militärischen Intervention in Libyen gesetzt.10 In der vorhergegangenen Resolution 1970, die sich ebenfalls auf die chaotische Lage in Libyen bezog, wies der UN Sicherheitsrat „ auf die Verantwortung der libyschen Beh ö rden, die libysche Bev ö lkerung zu sch ü tzen “ hin.11

Ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich bei dem Einsatz der NATO in Libyen um die Anwendung der Responsibility to Protect handelt zeigt sich darin, dass kein Mitgliedstaat des UN Sicherheitsrates in seinen Statements zur Resolution Vorbehalte über die Einbindung von „RtoP language“ in die Resolution äußerte.12 Die einzigen Zweifel an der Richtigkeit der Resolution bezogen sich auf die Anwendung militärischer Gewalt an sich und auf die undurchsichtige Kontrolle der Intervention durch den UN Sicherheitsrat.13 Gareth Evans und Ramesh Thakur bezeichnen die Abwesenheit von Bedenken dieser Art als „ [ … ] consensus when the Security Council, specifically invoking R2P, authorized military action in Libya in March 2011 [. ..] ” 14

Ein anderer Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Falles der Responsibility to Protect liegt darin, dass sowohl der Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama als auch der britische Premierminister David Cameron in ihren Reden zur Ankündigung der NATO Intervention „RtoP language“ verwendeten beziehungsweise direkte Bezüge zum Konzept der Responsibility to Protect herstellten.15

Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es sich bei der Intervention der NATO in Libyen im Jahr 2011 um die Anwendung des theoretischen Konzepts der Responsibility to Protect handelt.

2.2

Das folgende Kapitel skizziert drei Kriterien, mithilfe derer sich die Legitimität der Militärintervention der NATO in Libyen überprüfen lässt. Grundlage für die Kriterien ist einerseits das Konzept der Responsibility to Protect, andererseits die Resolution 1973 des UN Sicherheitsrates.

2.2.1

Das erste Kriterium, nach dem die Anwendung militärischer Gewalt in der Responsibility to Protect zur Verteidigung von Menschenleben innerhalb eines souveränen Staates und gegen den Willen der Regierung legitim ist, ist das Vorliegen eines humanitären Extremfalles, da sich auch die Responsibility to Protect auf die UN Charta stützt. Zu den wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts gehören das der Gewaltlosigkeit, der Souveränität von Staaten und damit einhergehend das der Nicht-Intervention.16 Daher dürfen diese Prinzipien nicht ohne außergewöhnliche Umstände außer Kraft gesetzt werden. In der deutlichen Mehrheit der Fälle erfordern innerstaatliche Konflikte zu ihrer Lösung ohnehin keine Einmischung ausländischer Akteure.17 Es existieren jedoch besondere Fälle in denen es im Interesse der Staatengemeinschaft ist auf dramatische humanitäre Situationen in einem Staat auch militärisch zu reagieren, um die internationale Ordnung aufrechtzuerhalten.18 Diese Ereignisse, in denen die Responsibility to Protect angewandt und damit die oben genannten Prinzipien der UN Charta außer Kraft gesetzt werden, sollten sich nach dem Bericht der ICISS allerdings in Grenzen halten:

„ Military intervention for human protection purposes must be regarded as an exceptional and extraordinary measure, and for it to be warranted, there must be serious and irreparable harm occurring to human beings, or imminently likely to occur. ” 19

Nach dem ICISS-Bericht ist eine militärische Intervention nur dann gerechtfertigt, wenn sie erforderlich ist, um entweder eine hohe Anzahl von Toten unter der Zivilbevölkerung oder eine großflächige „ethnische Säuberung“ jedweder Art zu verhindern.20 Damit einhergehend ist eine militärische Handlung auch dann abgedeckt, wenn sie als antizipatives Mittel gegen ein bevorstehendes derartiges Verbrechen eingesetzt wird.21

Des Weiteren darf nach dem Prinzip der Responsibility to Protect eine militärische Intervention nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie das letzte bleibende Mittel ist um gegen ein Regime vorzugehen, das Menschenrechte in einem Ausmaß wie beschrieben verletzt.22

Alle Mittel der Responsibility to Prevent, das heißt alle verfügbaren wirtschaftlichen und diplomatischen Sanktionen und Druckmittel, müssen entweder ausgeschöpft sein oder es muss unverkennbare Anzeichen dafür geben, dass ihre Anwendung die befürchteten Gefahren in der verbleibenden Zeit nicht verhindert hätte.23

2.2.2

Das zweite Kriterium für eine legitime Anwendung der Responsibility to Protect ist das der „right intention“, also das Vorliegen richtiger Motive der beteiligten Staaten zu intervenieren.24 Die wesentliche Intention, die einer Intervention im Rahmen der Responsibility to Protect vorausgeht, muss in der Abwendung von Schaden an der Zivilbevölkerung liegen. Im Bericht der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) heißt es dazu:

„ The primary purpose of the intervention, whatever other motives intervening states may have, must be to halt or avert human suffering. ” 25

Aus dieser Aussage geht zusätzlich hervor, dass es durchaus zulässig ist auch andere Ziele bei der Intervention zu verfolgen so lange der Fokus beim Schutz der Zivilbevölkerung liegt. Dass sich Staaten vollkommen ohne Eigeninteressen auf eine Intervention zur Verteidigung von Menschenrechten einlassen ist ohnehin unwahrscheinlich. Vor allem dann, wenn man die potenziellen finanziellen und personellen Kosten in Betracht zieht.

[...]


1 Annan 2000, S. 48

2 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. Synopsis

3 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. Foreword

4 Bellamy 2015, S. 161

5 Bellamy 2015, S. 166-167

6 Bellamy 2011, S. 263

7 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. Synopsis

8 UN Sicherheitsrat 2011b, S. 461-464

9 Bellamy 2015, S. 166

10 UN Sicherheitsrat 2011b, S. 463

11 UN Sicherheitsrat 2011a, S. 453

12 Bellamy 2015, S. 166

13 Bellamy 2015, S. 166

14 Evans 2013, S. 200

15 Bellamy 2015, S. 173-174

16 Vereinte Nationen 1945, S. Artikel 2

17 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 31-32

18 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 31

19 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 32

20 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 32

21 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 32-33

22 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 31-32

23 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 36-37

24 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 35

25 International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001, S. 12

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Legitimität der NATO-Intervention während des libyschen Bürgerkrieges im Jahre 2011
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto Suhr Institut)
Veranstaltung
Internationale Sicherheitspolitik
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V431205
ISBN (eBook)
9783668741089
ISBN (Buch)
9783668741096
Dateigröße
1291 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
NATO, Libyen, R2P, RtoP, Legitimität, Intervention, Gaddafi, UNSR, Resolution
Arbeit zitieren
José Manuel Geier (Autor:in), 2016, Die Legitimität der NATO-Intervention während des libyschen Bürgerkrieges im Jahre 2011, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/431205

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