Arno Schmidts Schwarze Spiegel - eine Analyse


Hausarbeit, 2005

36 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung von “Schwarze Spiegel”
2.1 Umstände der Entstehung von “Schwarze Spiegel” .
2.2 “Schwarze Spiegel” im Kontext von “Nobodaddy`s Kinder”

3. Unterschiedliche Typologisierungsansätze von “Schwarze Spiegel” in der Schmidt- Forschung
3.1 “Schwarze Spiegel” als Idylle
3.2 “Schwarze Spiegel“ als Weltuntergangsvorstellung
3.3 Robinsonade oder utopische Prosa

4. Umwelt des Ich-Erzählers im Text
4.1 Natur als Menschenersatz
4.2 Darstellung der „menschlichen“ Umwelt in der Erzählung
4.3 Argumente für Solipsismus

5. Formanalyse von “Schwarze Spiegel“
5.1 Formale Segmentierung der Erzählung
5.2 Erzählform des Textes
5.3 Erzählebenen im Text
5.3.1 Funktion des Autors innerhalb der Erzählung .
5.3.2 Erzählsituation und Erzählperspektive
5.3.3 Zeitverlauf von erzählter Zeit und Zeit des Erzählens

6. Funktionen von Textreferenz in “Schwarze Spiegel”
6.1 Inhaltliche Klassen von Referenztexten
6.2 Semantische Funktion von Textreferenz
6.2.1 Raumorganisation in “Schwarze Spiegel”
6.2.2 Reduktion des Raumes
6.3 Thematisierung des Ende der Menschheit

7. Schlussteil

Anhang:

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die hier vorliegende Hausarbeit sucht eine monographische Auseinandersetzung mit Arno Schmidts Erzählung “Schwarze Spiegel”. Unter dieser Vorraussetzung werden sowohl Versuche der Typologisierung als auch formelle, stilistische, interpretatorische und literaturtheoretische Überlegungen zu machen sein. In diesem Zusammenhang muss auch der Entstehungszeitraum der Erzählung bzw. der ganzen Trilogie “Nobodaddy`s Kinder” mitberücksichtigt werden, da die politische Situation und die noch eindrücklichen Erinnerungen an den 2.Weltkrieg Schmidt wahrscheinlich zum Imaginieren der solipsistischen Existenz bewegt haben.

2. Entstehung von “Schwarze Spiegel”

2.1 Umstände der Entstehung von “Schwarze Spiegel”

Arno Schmidts Erzählung “Schwarze Spiegel” entstand im Mai 1951 und wurde im selben Jahr erstmals zusammen mit der Erzählung “Brands Haide” in einem Band unter gleichnamigen Titel veröffentlicht.

“Schwarze Spiegel” entstand noch zu einer Zeit, bevor Schmidt selbst aus der Stadt in die Lüneburger Heide gezogen ist. Somit hat Schmidt die ersehnte Abgeschiedenheit auf literarischer Ebene eher verwirklicht als in der Realität. Dieser Wunsch nach Abgeschiedenheit wird in seinen frühen Erzählungen häufig thematisiert, zumeist durch einen Ich - Erzähler, einen intellektuellen Solipsisten, der in der geistesfeindlichen Welt Separation sucht (vgl. z.B. “Gadir”). Dieses intellektuelle “Ich” ist im Gesamtwerk stets präsent und weist starke Verwandtschaft mit seinem Autor auf, wirkt zuweilen sogar identisch.

Schmidts “Schwarze Spiegel” ist unter anderem geprägt durch die politische Nachkriegssituation in Deutschland, der Wiederbewaffnung und einem möglichen deutschen Verteidigungsbeitrag im Koreakrieg. Die Erzählung zeugt von Enttäuschung und Resignation angesichts der augenscheinlich menschlichen Unvernunft, die Schmidt zwangsläufig in einen dritten Weltkrieg gipfeln sah.1

2.2 “Schwarze Spiegel” im Kontext von “Nobodaddy`s Kinder”

Schmidt selbst machte durch diese Werksausgabe die Beziehung von “Schwarze Spiegel” zu den anderen Titeln der Trilogie “Nobodaddy`s Kinder” deutlich. Sie wurde 1963 veröffentlicht und enthielt neben den beiden Titeln aus “Brands Haide” die “Faun”-Erzählung. Bei allen drei Texten fehlen in dieser Ausgabe die Widmungen zu Beginn, so in “Schwarze Spiegel” die Widmung an Schmidts gefallenen Schwager Werner Murawski. Diese Form der Auslassung unterstreicht die Geschlossenheit der Trilogie und die Gleichwertigkeit ihrer drei Teile. Formal werden die drei Texte als Erzählungen oder Kurzromane eingeordnet.

In semantischer Hinsicht ist der Raum Heide als Zufluchtsort ein Bindeglied zwischen den Texten, denn alle Protagonisten flüchten, ziehen sich zurück oder werden vertrieben in solch einen jeweils sehr abgelegenen ,Heideort an dem sie hoffen, ihr Leben retten zu können. Im Fall von “Schwarze Spiegel” handelt es sich beim Ich-Erzähler um einen der letzten Überlebenden des dritten Weltkrieges, der sich in die Heide zurückzieht, um dort sesshaft zu werden. Weiter zeichnen sich die drei Ich-Erzähler durch ihre Distanz zur Wirklichkeit aus, „deren Un-Sinn und Geistlosigkeit sie beständig aufdecken und demonstrieren. Das flüchtende, sich zurückziehende, vertriebene Ich einer vom Krieg beschädigten und zerstörten Welt erfährt in den einsamen Heide-, Moor- und Waldlandschaften sein ihm gemäßes, “natürliches” Leben”.2

Innerhalb der Trilogie zeichnet sich “Schwarze Spiegel” dadurch aus, dass dieser menschenleere, natürliche Raum im radikalsten Ausmaß dargestellt wird.

Weiter hebt sich “Schwarze Spiegel” innerhalb der drei Erzählungen aus “Nobodaddy`s Kinder” hervor durch „die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Realitätsebene und das Verhältnis dieser zueinander, wie sie im Begriff des LGs expliziert werden, [denn erst sie gewährleisten], dass die fiktive Realität des Textes als eine nach subjektiver Maßgabe ins Subjektive transformierte Darstellung der objektiven Realität erkannt wird.”3

Thematisch ist der Text den anderen beiden untergeordnet, ihren Anteilen nach jedoch nebengeordnet. Zu Beginn steht eine genaue Datierung ,,1.5.1960” (201)4, die beim Erscheinen der Erzählung in der Zukunft liegt, was als Verweis für den Leser zu deuten ist, dass es sich um eine andere Realitätsbeschreibung handelt als in “Faun” oder “Brands Haide”, die in der Vergangenheit angesiedelt sind. Dementsprechend stellen die Datierungen zu Beginn der Texte Bezug zwischen ihnen her.

Weiter weisen die Texte Übereinstimmungen bezüglich der Räumlichkeiten und der in ihnen agierenden Figuren auf, denn es handelt sich bei ihnen nicht um historisch relevante Orte oder Personen, sondern immer um ländliche Heiderandbezirke mit den in ihnen enthaltenen Ich-Erzählern. Die Realität wird durch dieses “Ich” mitgeteilt, es bestimmt die Umstände der Realitätsvermittlung.5

3. Unterschiedliche Typologisierungsansätze von “Schwarze Spiegel” in der Schmidt-Forschung

“Schwarze Spiegel” wird häufig als Robinsonade, Warnutopie, negative Utopie, Wunschphantasie oder Idylle eingeordnet. Diese Gattungstypen erfassen jedoch nur Einzelaspekte der Erzählung und lassen Fragen offen, da eine ambivalente Deutbarkeit des Textes nicht von der Hand zu weisen ist. So ist bei verschiedenen Interpreten sowohl die Rede von einem Warnmodell, etwa vor einem ABC-Krieg, oder von einer Wunschphantasie, die als Naturidylle realisiert wird. Fraglich ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis der Utopien zueinander: widersprechen sie sich oder besteht eine Verknüpfung zwischen ihnen?

3.1 “Schwarze Spiegel” als Idylle

Bei der Erzählung handelt es sich um eine Zeitutopie, da der Text in der Zukunft angesiedelt ist. Die genauen Daten zu Beginn der beiden Teile innerhalb der Erzählung sind also elementar. Gerade deshalb sticht der zum Ende wahrzunehmende Drang nach Aufhebung der Datierungen hervor: ,,alle Uhren gehen aus; ein Geist müsste man sein: schwebend über Herbstwiesen, so sähe mein trauriges Paradies aus.”(257) Zu Beginn versucht der Ich-Erzähler noch die Zeit mit Genauigkeit festzustellen, indem er anhand der nächst folgenden Mondfinsternis überprüft, ob er seinen Kalender noch korrekt führt.(vgl.218) Im Kontrast zu den anderen beiden Texten der Trilogie beginnt “Schwarze Spiegel” an der Stelle, an der die Katastrophe schon geschehen ist und man sie nur noch an ihren Rudimenten erkennen kann. Es scheint ein zeitlich unbegrenzter elysischer Zustand zu herrschen. Für eine Idylle wäre ein Zustand, in dem Zeit keinen Faktor darstellt, Vorraussetzung, jedoch kann durch die Erhöhung hin zur Zeitlosigkeit diese Vorstellung, so Axel Dunker, relativiert werden.

Schmidt selbst weist implizit bezüglich der Einordnung seiner Erzählung auf die Gattung der Robinsonade hin, wenn er schreibt: ,, Ich ging am Waldrand so für mich hin, buchstäblich : ganz ohne Vorsatz. Wie Robinson mit 2 Flinten” (238). An dieser Stelle des Textes trifft der Ich-Erzähler auf seinen ,,weibliche[n] Freitag, der ihm allerdings in Differenz zu Defoe gleich ein paar Gewehrkugeln um die Ohren knallt”6. In diesem Augenblick, an dem Lisas Auftritt eingeleitet wird, verwendet Schmidt ein Zitat (vgl. ebd.) aus dem Goethe-Gedicht “Gefunden”7 (Strophe 1-3):

Ich ging im Walde

So für mich hin,

Und nichts zu suchen,

Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn, Wie Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen, Da sagt es fein:

,,Soll ich zum Welken Gebrochen sein?“

Das literarische “Ich” erschießt, trotz der Möglichkeit, seine Bedroherin nicht, noch vergewaltigt er sie, obwohl er auf ihre Frage gestehen muss, darüber nachgedacht zu haben. In diesem Zusammenhang sieht Dunker Goethes Bild vom Brechen der Blume, das er in Verbindung mit Johann Gottfried Herders Version vom Volkslied “Heideröslein” stellt8, in dem es heißt: ,,Röslein wehrte sich und stach / Aber es vergaß danach / Beim Genuß das Leiden“9. Diese hergestellte Verbindung zwischen den beiden Gedichten kann (im Bezug auf “Schwarze Spiegel“) als Vergewaltigungsphantasie gesehen werden.10 Neben der möglichen Typologisierung als Robinsonade ist eine Einordnung zwischen Warnutopie und Idylle denkbar, es existiert eine scheinbare Korrespondenz zwischen diesen beiden Gattungstypen. Es handelt sich hierbei um eine Form von einer gesellschaftskritischen Idylle, die auch als utopisch gewertet werden kann. Die Vorstellung der Idylle entstammt der Arkadiendichtung aus Griechenland. Auszeichnend für eine Idylle ist der “locus amoenus“ (lat. lieblicher Ort), der sich etwa durch grüne Wiesen, sprudelnde Bäche und ähnliches beschreiben lässt und den Rahmen für die Arkadiendichtung bildet, aber nicht sofort wahrnehmbar sein muss. In “Schwarze Spiegel“ wird der “locus amoenus“ durch die Umgebung dargestellt, in der sich der Ich- Erzähler sein Haus baut, in der norddeutschen Heidenatur mit Wacholderbüschen statt Bäumen und Wiesen:

„Wacholder bildeten zwei feine Halbkreise : das mußten sehr alte Pflanzen sein, der Größe nach zu urteilen (werden 800 bis 1000 Jahre alt; ich nicht). Auch war der Boden so fest und sauber, dass ich mich behaglich seufzend hingoß. Wunderbar !“ (214) Das Wetter ist ebenso typisch norddeutsch, doch der Protagonist schätzt auch den Regen: „schön am Waldrand durchzuregnen bei völliger Windesstille (im Mai - Land; nicht Milano)“ (ebd.). Diese negativ anklingende Erwähnung Milanos stellt Referenz zu den südlichen Gebieten Europas, speziell zu Italien her; im Zusammenspiel mit der norddeutschen Idylle wird ein Kontrast gebildet. Für den Ich-Erzähler sind die Merkmale einer Idylle gegeben, es wird ein abgeschlossener Raum dargestellt, denn das literarische “Ich“ muss „in die Wacholderringe“(215).

Da der Protagonist am Hausbau arbeitet, ist die Frage zu stellen, ob sich diese Arbeit widersprüchlich zur Idyllenvorstellung verhält. Die Arbeit am Hausbau ist jedoch nötig, um sich ein Haus zu errichten, das in seinem “locus amoenus“, seinem Wacholderring steht.

Weiterhin nicht untypisch für die Idyllenliteratur ist, dass es sich bei dem Protagonisten um einen kultivierten, literarisch und musisch interessierten Menschen handelt.11 Schmidts Ich-Erzähler fährt demgemäß gleich zu Beginn des Textes nach Hamburg, um sich in der Universitätsbibliothek mit Büchern zu versorgen.

Weitere Verweise auf Italien sind neben dem bereits erwähnten „nicht Milano“ in dem Bild von Magnus Zeller “die italienische Stadt“ zu sehen, welches der Protagonist in Hamburg findet (vgl. 226), sowie in der vom ihm erdachten „phantastischen Erzählung“(212): „Achamoth oder Gespräche der Verdammten“(ebd.). Dort wird zum einen Piranesi erwähnt, der zu Schmidts bevorzugten Kupferstechern zählte, und zum anderen findet Napoli betont Erwähnung. Neapel galt im 18. Jahrhundert besonders wegen seiner speziellen Esswaren als Höhepunkt jeder Italienreise. An dieser Stelle kann Bezug auf Lisas Essenswünsche genommen werden: „ >> Was essen wir heute? << […] >> - Makkaroni mit Käse; dazu grüne Erbsen. Einen Mordsbraten; Tomatenmarksoße.-“(248) In den historischen Reisebeschreibungen waren Makkaroni Neapels Aushängeschild und Ausdruck italienischen Wohllebens. In “Schwarze Spiegel“ kommen die Zutaten dieses Wohllebens allerdings nur aus Konserven, was einen Bruch mit der Utopie schafft. Auch Georg Büchner schafft in seinem Lustspiel “Leonce und Lena“ eine Verbindung zwischen der Arkadien-Dichtung und Italien, wenn er Valerio sagen lässt:,, [und wir] bitten Gott um Makkaroni, […], um musikalische Kehlen und klassische Leiber […]“12, die bei Schmidt Verwendung findet, denn Lisa verweist auf die „klassischen Leiber“, als sie aufbrechen will: „ich werde bei Dir - ich weiß nicht - dicker und klassischer“ (259). Dieses Dicke und Klassische ist somit gewissermaßen Teil der Idylle. Weiter wird bei Büchner auch das Aufheben von Zeit thematisiert, als der Prinz alle Uhren zerschlagen und Kalender verbieten will.13 Dieser Aspekt ist ebenso als Hinweis auf den italienischen Lebensstil zu lesen, der auch in “Schwarze Spiegel“ aufgegriffen wird: „alle Uhren gehen aus; ein Geist müsste man sein: schwebend über Herbstwiesen, so sähe mein tauiges Paradies aus.“(257) Diese Vorstellung ist ein Auszug aus der Kindheitsgeschichte des Ich- Erzählers, die Schmidt bereits in etwas abweichender Form in der bis dahin nicht erschienen Erzählung “Der Rebell“ 1941 verfasst hatte. Hier beschreibt das “Ich“, wie es seine Kindheit wahrgenommen hat, nämlich als Repression, aus der er nur mittels seiner Phantasie zu flüchten wusste. Die Realität der Kindheit ist also ebenso zeitlos wie die Welt der Arkadiendichtung. An diesem Punkt lässt sich an Schiller anknüpfen, der in seinem Gedicht “Resignation“ eine Verbindung zwischen Kindheit und Arkadien herstellt: „Auch ich war in Arkadien geboren, / Auch mir hat die Natur / An meiner Wiege Freude zugeschworen“14. Eine der Schlusszeilen in diesem Gedicht besagt, dass die „Weltgeschichte […] das Weltgericht [sei]“15, jedoch „[verwirklicht im Falle Schmidts] die Weltgeschichte als Prozess […] das Weltgericht für alle“16. Im Gegensatz zu Schillers Behauptung wird in “Schwarze Spiegel“ zu Ende das Weltgericht durch das Idyllenkonzept aufgehoben. Da die Weltgeschichte quasi bereits beendet ist, hat kein sinnvoller Geschichtsverlauf stattgefunden.17

Die Idylle ist immer eine künstliche Gattungsform gewesen, die die Möglichkeit bietet, einen Gegenentwurf zur schlechteren Realität darzustellen, sie besitzt somit kritisch- utopisches Potenzial . Schmidt kehrt den Prozess der Idyllenkonzeption um, wenn er aus dem Furchtbaren das Schöne macht und so seine kritische Position ausdrückt.

3.2 “Schwarze Spiegel“ als Weltuntergangsvorstellung

Betrachtet man die in “Schwarze Spiegel“ dargestellten Weltuntergangsphantasien Schmidts in Hinsicht auf biographische Aspekte, so lässt sich konstatieren, dass der 2.Weltkrieg ihn zu einem desillusionierten, verbitterten Mann gemacht hat. Nach 1945 zeichnete sich nicht ab, dass die Menschen vernünftiger geworden wären: es fand eine Wiederbewaffnung der deutschen Truppen statt, Atombomben standen zur Debatte und es wurde von einem deutschen Verteidigungsbeitrag im Koreakrieg gesprochen. Anhand dieser Entwicklungen sah Schmidt einen 3.Weltkrieg für vorprogrammiert. Seine Erbitterung über die menschliche Unvernunft äußert sich nicht ausschließlich im Entsetzen darüber, was noch folgen wird, denn in der Erzählung “Schwarze Spiegel“ ist zeitweise geradezu eine Genügsamkeit über das Ende der Menschheit festzustellen. Die eigentliche Katastrophe war vielmehr, dass es in der Realität so weitergeht.

So kommt in Schmidts Erzählung ein „spätaufklärerische[r] Pessimismus [zum Ausdruck, der] nicht nur dem Menschen, sondern Gott selbst die Fähigkeit zur Güte [abspricht]“18. Dementsprechend wird Gott bei Schmidt auch als Leviathan dargestellt und die Katastrophe wird so quasi gottgegeben und unabänderlich ins Weltgeschehen eingebaut. Nicht genauer definiert wird an diesen Stellen im Text, welche Verantwortlichkeit noch dem Menschen zukommt, da gleichzeitig der Eindruck höchster Determiniertheit vermittelt wird. „Ein Stück Freiheit der moralischen Wahl muß er annehmen, weil sonst nur noch ein Rasen gegen Gott möglich wäre“19.

Lebenswillen und Aussichtslosigkeit stehen sich in dieser Erzählung gegenüber, meist setzt sich jedoch der resignative Teil durch, den das Ende der Menschheit wiederum glücklich stimmt. So kann die depressive Stimmung, wenn auch nicht immer explizit dargestellt, mit ausschlaggebend für die Darstellung des Szenarios gewesen sein. Der Text ist also nicht ausschließlich als negative Utopie bzw. Warnutopie zu deuten. Zu Beginn des Textes sagt der Ich-Erzähler aus, dass er „seit fünf Jahren keinen Menschen mehr gesehen [hat], und nicht böse darüber war“(203). Diese Äußerung, die an anderen Stellen des Textes in ähnlicher Form wieder zu finden ist, wirkt angesichts der Tatsache, dass er der einzige Überlebende des 3.Weltkrieges ist, äußerst unrealistisch, denn der Protagonist muss sich an einigen Stellen eingestehen, dass er sich nach menschlichem Kontakt sehnt:

„Tiefe Traurigkeit: Ich strich mit der Hand über das mühsam Gemauerte; mein Mund bog Sich nach unten; die Füße hafteten im Dielenlosen: das war nun das Ergebnis !“ (210)

An einer weiteren Stelle sinnt er über die mögliche Existenz weiterer Menschen nach: „Ob außer mir überhaupt noch jemand übrig war? […] man müsst ein Radio in Betrieb setzen können“(221). Das Radio bedeutet eine Verbindung zu anderen Menschen, die unter Umständen doch noch existieren, und auch als der Ich-Erzähler auf Lisa trifft, stellt sich heraus, dass er glücklich über ihre Begegnung ist. Wie ernst ist das Solipsisten-Dasein somit zu werten?

Die dargestellte Melancholie scheint, wenn zum Teil auch ernsthaft vorhanden, weitererzählt, um die Geschichte am Leben zu halten, so Drews. Diese Widersprüchlichkeiten innerhalb des Textes erzeugen allerdings eine emotionale Dynamik. Die Welt nach der Apokalypse dient in einigen Teilen also vielmehr als Bühne für die Darstellung einer solipsistischen Existenz und wird so nicht unbedingt als wünschenswert angesehen.

[...]


1 vgl. Vollmer, Hartmut: Glückseligkeiten letzter Menschen: Arno Schmidts “Schwarze Spiegel” In: Schardt, Michael Matthias (Hg.): Arno Schmidt. Das Frühwerk II. Romane, Aachen 1988, S. 55f (zit.: Vollmer: “Schwarze Spiegel”)

2 ders.: aaO., S.56f

3 Hinrichs, Boy: Utopische Prosa als Längeres Gedankenspiel. Untersuchungen zu Arno Schmidts Theorie der Modernen Literatur und ihrer Konkretisierung in „Schwarze Spiegel“, „Die Gelehrtenrepublik und „Kaff auch Mare Crisium“, Tübingen 1986, S. 197 (zit.: Hinrichs: Utopische Prosa)

4 In Klammern gesetzte Zahlen beziehen sich auf die Seitenzahlen der Bargfelder Ausgabe (Werkgruppe I, Bd.I), Zürich 1987

5 vgl. Hinrichs: Utopische Prosa, S. 195ff

6 Dunker, Axel: Im Wacholderring oder >>Der nächste Fußpfad in Richtung Arkadien<<. Arno Schmidts Erzählung >>Schwarze Spiegel<< als Idylle in: Weninger, Robert(Hrsg.): Wiederholte Spiegelungen. Elf Aufsätze zum Werk Arno Schmidts, Bargfeld 2003, S. 100 (zit.: Dunker: Idylle)

7 Goethe, Johann Wolfgang: Gefunden in: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur (Hrsg.): Goethes Werke. In zwölf Bänden, Bd. I, Gedichte I, Berlin und Weimar 1981, S. 374

8 Axel Dunker stellt genau genommen die Verbindung zu Goethes Gedicht her, da er in seinem Aufsatz davon ausgeht, dass die von ihm zitierten Zeilen aus Goethes Gedicht “Heidenröslein“ stammen, es handelt sich jedoch dabei um eine ähnliche, aber differente Version Herders

9 http://cazoo.org/folksongs/heidenroslein.htm

10 vgl. Dunker: Idylle, S. 100f

11 vgl. hierzu Axel Dunkers Ausführungen in Bezug auf Salomon Geßner und sein Gedicht „Der Wunsch“, S. 103f

12 Büchner, Georg: Leonce und Lena, Stuttgart 1999, S. 36

13 vgl., ders., aaO., ebd.

14 Schiller, Friedrich von: Resignation. Eine Phantasie in: Echtmeyer/von Wiese (Hg.): Deutsche Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1993, S. 248

15 ders., aaO., S. 251

16 Dunker: Idylle, S. 110

17 vgl. ders., aaO., S.105ff

18 Drews, Jörg: >>Wer noch leben will, der beeile sich!<< Weltuntergangsphantasien bei Arno Schmidt (1949- 1959) in: Grimm, Faulstich, Kuon: Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1986, S.17 (zit.: Drews: Weltuntergangsphantasien)

19 ders. aaO., ebd.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Arno Schmidts Schwarze Spiegel - eine Analyse
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
36
Katalognummer
V43276
ISBN (eBook)
9783638411141
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arno, Schmidts, Schwarze, Spiegel, Analyse
Arbeit zitieren
Rahel Missal (Autor:in), 2005, Arno Schmidts Schwarze Spiegel - eine Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43276

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