Das Reisejournal, das Johann Gottfried Herder in einem zeitlichen Abstand von mehreren Monaten zu seiner Schiffsreise von Riga nach Nantes im Jahre 1769 niederschrieb, wurde in vollständiger Form das erste Mal mehr als 70 Jahre später von seinem Sohn Emil Gottfried Herder veröffentlicht. Das "sonderbare Ding" , wie Herder selbst den Text in einem Brief an seinen Verleger Johann Friedrich Hartknoch genannt hat, war nicht zur Veröffentlichung gedacht, der Autor intendierte keine größere Rezeption, allenfalls einige engere Freunde schwebten ihm als mögliche Leser vor.
Es geht hier nicht um eine eindeutige Zuordnung des Textes zu einer bestimmten (literatur-) historischen Epoche. Ebenso wenig soll eine Antwort auf die Frage der Zugehörigkeit oder der Gegenläufigkeit des Sturm und Drang zur Aufklärung gegeben werden. Vielmehr soll aufgezeigt werden, inwiefern der Sturm und Drang berechtigterweise als Fortführung oder Ergänzung der Aufklärung, aber ebenso als Kritik an bestimmten Formen derselben gesehen werden kann; stellt sie doch selbst keinesfalls eine geradlinige Bewegung, sondern ein lebendiges Gebilde mit unterschiedlichen Strömungen dar.
Eine radikale Ablehnung eines Teils der Aufklärung durch den Sturm und Drang muss daher nicht zwangsläufig eine generelle Abkehr von allen aufklärerischen Ideen bedeuten. Gerade an der Person Herders lässt sich das deutlich zeigen. In dem Versuch der vornehmlich älteren Herder-Forschung, ihn einseitig entweder der Periode der Aufklärung oder der des Sturm und Drang zuzuordnen, zeigt sich die Begrenztheit der Beschreibungsmöglichkeiten eines literaturwissenschaftlichen Verfahrens, das stets darum bemüht ist, literarische Phänomene in eindeutiger Weise zu kategorisieren.
Herders außergewöhnlichem Denken - außergewöhnlich insofern, als er Aspekte ganz verschiedener Denkansätze in seinem Denken vereinigt - kann so nicht entsprochen werden. Der traditionelle Epochenbegriff muss hier unweigerlich an seine Grenzen stoßen.
Im Folgenden soll daher versucht werden, in einem knappen Überblick die Epochen der Aufklärung und des Sturm und Drang zu definieren und in ihrem Verhältnis zueinander zu skizzieren sowie aufzuzeigen, auf welche Weise sich das Journal in diesen Zusammenhang einfügt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Geistesgeschichtlicher Kontext des Journals
- Zum Begriff „Aufklärung“
- Periodisierung der Epoche der Aufklärung nach Alt
- Zum Begriff „Sturm und Drang“
- „Absetzung von aller Fremdbestimmung“ – Beschreibungsmodell nach Siegrist
- Problematik des Verhältnisses von Aufklärung und Sturm und Drang
- Zum Begriff „Aufklärung“
- Herders geistesgeschichtlicher Kontext zur Zeit der Niederschrift des Journals
- Rousseau und Spinoza
- Herders Menschliche Philosophie
- Einordnung des Journals im Kontext von Aufklärung und Sturm und Drang
- Theoreme des Sturm und Drang im Journal nach Braune-Steininger
- Aufklärerische Aspekte im Journal
- Geschichtsphilosophische Aspekte im Journal
- Mensch und Natur
- Despotismus
- Religion und Mythologie
- Das Wunderbare und das Erhabene
- Stellung des Journals im Gesamtwerk Herders
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht Johann Gottfried Herders Journal meiner Reise im Jahr 1769 im Kontext der Aufklärung und des Sturm und Drang. Ziel ist es, die Einordnung des Journals in diese beiden Epochen zu beleuchten und die spezifischen Merkmale des Sturm und Drang anhand des Textes zu verdeutlichen. Zudem soll untersucht werden, inwiefern der Sturm und Drang als Fortführung oder Ergänzung der Aufklärung, aber auch als Kritik an bestimmten Formen derselben verstanden werden kann.
- Die Beziehung zwischen Aufklärung und Sturm und Drang
- Herders geistesgeschichtlicher Kontext und seine Philosophie
- Die Einordnung des Journals in den geistesgeschichtlichen Kontext
- Die spezifischen Merkmale des Sturm und Drang im Journal
- Geschichtsphilosophische Aspekte im Journal
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt das Journal meiner Reise im Jahr 1769 von Johann Gottfried Herder vor und erläutert den besonderen geistesgeschichtlichen Kontext des Textes an der Schnittstelle von Aufklärung und Sturm und Drang. Die Arbeit befasst sich nicht mit einer eindeutigen Epochenzuordnung, sondern versucht am Beispiel des Journals die Beziehung zwischen Aufklärung und Sturm und Drang zu beleuchten.
- Geistesgeschichtlicher Kontext des Journals: Dieses Kapitel definiert die Begriffe „Aufklärung“ und „Sturm und Drang“ und skizziert deren Verhältnis zueinander. Es wird die Problematik der traditionellen Epochenbegriffe diskutiert und die „Tyrannei der Vernunft“ als Fehlinterpretation der Aufklärung kritisiert.
- Herders geistesgeschichtlicher Kontext zur Zeit der Niederschrift des Journals: Dieses Kapitel befasst sich mit den Einflüssen von Rousseau und Spinoza auf Herders Denken und stellt seine „Menschliche Philosophie“ vor. Es wird deutlich, dass Herders Denken Elemente aus verschiedenen Denktraditionen vereint und sich nicht eindeutig einer Epoche zuordnen lässt.
- Einordnung des Journals im Kontext von Aufklärung und Sturm und Drang: Dieses Kapitel untersucht, wie sich das Journal in den Kontext von Aufklärung und Sturm und Drang einordnet. Es werden die „Theoreme des Sturm und Drang“ im Journal nach Braune-Steininger sowie aufklärerische Aspekte im Text analysiert.
- Geschichtsphilosophische Aspekte im Journal: Dieses Kapitel behandelt die geschichtsphilosophischen Aspekte des Journals und untersucht Themen wie Mensch und Natur, Despotismus, Religion und Mythologie sowie das Wunderbare und das Erhabene.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Aufklärung, Sturm und Drang, Johann Gottfried Herder, Journal meiner Reise im Jahr 1769, geistesgeschichtlicher Kontext, Epochenzuordnung, Philosophie, Geschichtsphilosophie, Mensch und Natur, Despotismus, Religion und Mythologie, das Wunderbare und das Erhabene.
- Arbeit zitieren
- Florian Görner (Autor:in), 2002, Johann Gottfried Herders "Journal meiner Reise im Jahr 1769" im Kontext von Aufklärung und Sturm und Drang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4332