Prävention. Ein strategisches Geschäftsfeld für die Offizinapotheke

Eine empirische und theoretische Analyse auf der Grundlage von "Hauptsache Prävention! Die Arbeiten für den ersten WIPIG-DAZ-Präventionspreis"


Master's Thesis, 2011

75 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Gang der Untersuchungen

2 Prävention
2.1 Allgemeine Begriffsbestimmungen
2.1.1 Allgemeiner Präventionsbegriff
2.1.1.1 Primäre, Sekundäre und Tertiäre Prävention
2.1.1.2 Probleme definitorischer Abgrenzung
2.1.2 Gesundheitsförderung
2.1.3 Verhaltens- und Verhältnisprävention
2.1.4 Zugangswege der Prävention
2.1.4.1 Individueller Ansatz:
2.1.4.2 Settingansatz:
2.2 Gesundheitliche und ökonomische Bedeutung der Prävention
2.2.1 Bedeutung der Prävention für die Gesundheit
2.2.2 Ist Vorbeugen billiger als Heilen?
2.3 Gesundheitspolitische Umsetzung von Prävention
2.3.1 Geschichtliche Entwicklung in der BRD
2.3.2 Entwicklung der Prävention in der Sozialgesetzgebung
2.3.3 Akteure und Institutionen in der Prävention
2.3.4 Ansätze zur Koordinierung der Präventionspolitik
2.3.4.1 Gesundheitsziele.de
2.3.4.2 Deutsches Forum Prävention und Gesundheitsförderung
2.3.4.3 Das Scheitern der Präventionsgesetze
2.4 Finanzierung von Prävention
2.4.1 Gesetzliche Regelungen
2.4.2 Finanzierung der Primärprävention
2.4.2.1 Beteiligung der Versicherten an Maßnahmen zur Primärprävention:
2.4.2.2 Beteiligung von Kooperationspartnern:
2.4.3 Finanzierung der Sekundär- und Tertiärprävention

3 Prävention und die Offizinapotheke
3.1 Standespolitische Ansätze zur Etablierung der Prävention in der Offizinapotheke
3.2 Präventionsaktivitäten in deutschen Apotheken, eine empirische Analyse anhand von „Hauptsache Prävention! Die Arbeiten für den ersten WIPIG-DAZ-Präventionspreis“
3.2.1 Bewerbung eines Projektes oder einer Idee
3.2.2 Zahlen, Daten, Fakten zu den Bewerbungen
3.2.3 Analyse der Projektbewerbungen
3.2.3.1 Themengebiete
3.2.3.2 Zielgruppen
3.2.3.3 Wie wurden die Projekte entlohnt?
3.2.3.3.1 Die kostenpflichtigen Programme:
3.2.3.3.2 Die kostenlosen Programme:
3.2.3.4 Kooperationspartner
3.2.3.5 Werbung und Marketing
3.2.4 Themengebiete der Ideenbewerbung

4 Prävention als strategisches Geschäftsfeld der Offizinapotheke
4.1 SWOT-Analyse des strategischen Geschäftsfeldes Prävention
4.1.1 Stärken
4.1.2 Schwächen
4.1.3 Chancen
4.1.4 Risiken
4.1.5 Abgeleitete Strategien für das Geschäftsfeld Prävention
4.1.5.1 Strategien, die Stärken ausbauen, um Chancen zu nutzen:
4.1.5.2 Strategien, die Schwächen aufholen, um Chancen zu nutzen:
4.1.5.3 Strategien, die Stärken nutzen, um Risiken abzusichern:
4.1.5.4 Strategien, die Schwächen minimieren und Risiken meiden:
4.2 Bewertung einzelner Segmente des strategischen Geschäftsfeldes Prävention
4.2.1 Bewegung
4.2.2 Ernährung
4.2.3 Prävention bestimmter Erkrankungen
4.2.3.1 Herz- und Gefäßerkrankungen
4.2.3.2 Prävention von Diabetes
4.2.3.3 Prävention von Osteoporose
4.2.4 Screeningmaßnahmen
4.3 Preispolitik

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gesundheitsf ö rderung und Krankheitspr ä vention

Abbildung 2: Ausgaben f ü r Pr ä vention u. Gesundheitsschutz in Deutschland im Jahr 2009 nach Kostentr ä ger

Abbildung 3: Themengebiete und Anzahl der Projekte

Abbildung 4: Anzahl der Projekte, die sich mit der Pr ä vention einzelner Erkrankungen besch ä ftigen

Abbildung 5: Zielgruppen der Projekte

Abbildung 6: Kooperationspartner der Apotheken

Abbildung 7: Werbema ß nahmen

Abbildung 8: Themengebiete und Anzahl der Ideen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gewonnene Lebensjahre aufgrund reduzierter Sterblichkeit, Ausgew ä hlte Ursachen, 1980-2000

Tabelle 2: H ä ufige Risikofaktoren und das zuordenbare Sterberisiko und das Risiko f ü r Behinderung nach Geschlecht f ü r entwickelte L ä nder

Tabelle 3: Akteure in Institutionen der Pr ä vention in Deutschland

Tabelle 4: Gesetzliche Regelungen der Pr ä vention

Tabelle 5: Finanzierung der Inanspruchnahme verhaltenspr ä ventiver Ma ß nahmen in den letzten 12 Monaten nach Kassenart

Tabelle 6: SWOT-Analyse des strategischen Gesch ä ftsfeldes Pr ä vention f ü r eine deutsche Offizinapotheke

Tabelle 7: Aus der SWOT-Analyse abgeleitete Strategien f ü r das Gesch ä ftsfeld Pr ä vention

1 Einleitung

1.1 Ausgangssituation

Öffentliche Apotheken haben den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. (§1 Bundesapothekerordnung). Dieser Versorgungauftrag stellt das Kerngeschäft der Deutschen Apotheken dar: 90,5% ihrer Umsätze machte 2010 der Verkauf von Arzneimitteln aus. Der größte Teil davon (81,7%) wird von den Krankenkassen (GKV, PKV und Sonstige) finanziert. Die Selbstmedikation erzielte 8,8% des Umsatzes. Der restliche Umsatz wird durch Krankenpflegeartikel und medizinischen Bedarf (4,3%) und dem apothekenüblichen Ergänzungssortiment (5,2%) erreicht.1

Rabattverträge, Festbeträge, Zwangsabschläge an die Krankenkassen und Kostendämp- fungsgesetze machen den Apotheken zunehmend das Leben schwer und lassen ihre Gewin- ne schrumpfen. Konkurrenz im OTC-Markt durch Discount- und Versandapotheken, Droge- riemärkte und Lebensmitteleinzelhandel verstärkt den Preiskampf in diesem Bereich und führte zu Umsatzrückgängen von 5 Milliarden € im Jahr 2005 auf 4,5 Milliarden € im Jahr 20102. Der GKV-finanzierte Hilfsmittelmarkt entwickelt sich durch Einzelregelungen der Krankenkassen immer mehr zum bürokratischen Monster und wird zunehmend von den öf- fentlichen Apotheken abgezogen. So wundert die Meldung der IFH Köln nicht, dass jede 3. Apotheke in Deutschland Verluste macht3. Will die öffentliche Apotheke weiter Gewinn er- zielen, muss sie sich neue Geschäftsfelder erschließen. Für die Zukunft wird im GKV-Markt praktisch ein Nullwachstum erwartet, aber der freie Gesundheitsmarkt wird durch den de- mographischen Wandel, medizinisch-technischen Fortschritt und steigendes Gesundheits- bewusstsein in der Bevölkerung weiter steigen4. In der Apothekerschaft ist in den letzten Jahren ein steigendes Interesse an Prävention zu verzeichnen.

1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Gang der Untersuchungen

In dieser Arbeit soll geklärt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Prävention als strategisches Geschäftsfeld für die Apotheke eignet und welche Dienstleistungen in das Portfolio einer Apotheke passen. Bevor die Analyse beginnen kann, wird im ersten Kapitel zunächst Prävention definiert. Anschließend soll geklärt werden, welchen Einfluss Prävention auf die Gesundheit hat und es wird auf die viel diskutierte Frage eingegangen, ob durch Prä- vention Geld gespart werden kann. Im dritten Kapitel geht es um Prävention in der deut- schen Gesundheitspolitik, die verschiedenen Akteure und um Kosten und Finanzierung der Prävention. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der momentanen Situation in deutschen Offizinapotheken. Es wird darauf eingegangen, wie die berufspolitischen Bemühungen bisher verlaufen sind, Prävention in das Berufsbild des Apothekers zu integrieren und Einfluss auf die Gesundheitspolitik auszuüben. Anhand von 80 Bewerbungen für den WIPIG- Präventionspreis (=Wissenschaftliches Institut für Prävention im Gesundheitswesen) im Jahr 2009, soll eine Analyse der momentanen Präventionsaktivitäten durchgeführt werden. Bei diesem Wettbewerb wurde dazu aufgerufen, bereits durchgeführte Projekte oder Ideen zur Prävention in öffentlichen Apotheken abzugeben. Anhand dieser Bewerbungen wird ein Überblick geschaffen, welche Dienstleistungen und Themen häufig von öffentlichen Apothe- ken angeboten werden und wie diese Dienstleistungen honoriert wurden. Danach wird eine Analyse des Geschäftsfeldes vorgenommen. Nach Gedanken zur strategischen Planung, wer- den einzelne Segmente des Geschäftsfeldes darauf untersucht, ob sie zum Kerngeschäft der Apotheke passen und von der Apotheke als Dienstleistung angeboten werden können.

2 Prävention

2.1 Allgemeine Begriffsbestimmungen

2.1.1 Allgemeiner Präventionsbegriff

Der Begriff „Prävention“ kommt vom lateinischen Wort praevenire = zuvorkommen. Präven- tion ist der Oberbegriff für vorbeugende Maßnahmen, die unerwünschte Ereignisse oder Entwicklungen verhindern sollen.5 Spricht man im Gesundheitswesen von „Prävention“, dann ist damit die „Krankheitsprävention“ gemeint. Im wörtlichen Sinne will man hier einer Erkrankung zuvorkommen, um deren Ausbruch zu verhindern oder noch rechtzeitig abweh- ren zu können. Als zentrale Annahme der Prävention gilt: Wenn die Voraussetzungen für die Entstehung von Krankheiten früh erkannt werden, können gezielte Maßnahmen zur Abwehr von Krankheiten oder deren Folgen eingeleitet werden. Der Erfolg einer Präventionsmaß- nahme lässt sich daran messen, in welchem Ausmaß der Ausbruch oder die Verschlimme- Prävention rung einer Krankheit verringert oder verhindert werden kann. 6 Eingeleitet werden können Interventionshandlungen durch das Erkennen von Risikofaktoren (z.B. Rauchen, Überge- wicht, Bluthochdruck), oder Rahmenbedingungen, die an der Entstehung einer physischen oder psychischen Erkrankung beteiligt sind. 7 Durch das rechtzeitige Eingreifen nach dem Erkennen von Risikofaktoren, hofft man, dass die Krankheitsentstehung oder bereits beste- hende Erkrankung einen anderen Verlauf nimmt, als anfangs angenommen. Idealerweise wird so früh eingegriffen, dass aus den erkannten Risikofaktoren noch keine Erkrankung ent- standen ist. Aber auch die Möglichkeit zur Prävention nach Ausbruch einer Erkrankung be- steht.8

Aufgrund dieses Gedankens wird Prävention in verschiedene Stufen anhand einer Zeitachse von gesund nach krank eingeteilt. Es steckt außerdem die Absicht dahinter in diesem Zeitverlauf die verschiedenen Möglichkeiten und Arten Prävention durchzuführen, voneinander abgrenzen zu können.9

2.1.1.1 Prim ä re, Sekund ä re und Terti ä re Pr ä vention

Unter primärer Prävention versteht man sämtliche Aktivitäten, die ergriffen werden, bevor eine Erkrankung oder eine Schädigung aufgetreten ist.10 Sie richtet sich an Gesunde, die entweder noch kein Risiko für eine Erkrankung haben oder schon gewissen Risikofaktoren ausgesetzt sind. Durch Ausschaltung von Expositionsfaktoren sollen Krankheiten verhütet werden (z.B. durch Ausrottung von Virenstämmen), die Abwehrkräfte gegen Krankheiten sollen erhöht und verhaltensbedingte Risikofaktoren (z.B. Rauchen) sollen reduziert oder beseitigt werden. Maßnahmen hierfür sind z.B. Schutzimpfungen oder Gesundheitserzie- hung.11 Häufig geht es in der Primärprävention darum, das Ernährungs- und Bewegungsver- halten, sowie den Konsum von Suchtmitteln (z.B. Zigaretten) positiv zu beeinflussen.12 Eine weitere Möglichkeit ist die gesundheitsförderliche Beeinflussung des Lebensumfelds (z.B. Arbeit, Schule, Freizeit, Wohnen)13 und Ausschaltung von Umweltfaktoren, die an der Krank-

heitsentstehung beteiligt sind (z.B. Abbau belastender Arbeitsbedingungen).14 So soll in der Gesamtbevölkerung das Auftreten von Neuerkrankungen verringert und für die einzelne Person die Wahrscheinlichkeit zu erkranken vermindert werden.

Von manchen Autoren15 wird von der primären Prävention noch die primordiale Prävention abgegrenzt. Die Maßnahmen der primordialen Prävention sollen im Zeitverlauf noch vor der primären Prävention eintreten und schon verhindern, dass Risikofaktoren überhaupt auftre- ten können.16

Eine genaue Abgrenzung zur primären Prävention ist hier aber äußerst schwierig, schon allein weil sich viele Bereiche überschneiden.17 Die primordiale Prävention hat wahrscheinlich wegen dieser Problematik auch weniger Bedeutung in der Literatur.

Ziel der Sekundärprävention ist es Erkrankungen in einem frühen Stadium zu entdecken, bevor sie zu Beschwerden oder Krankheitssymptomen führen. Durch eine frühe Therapie soll das Fortschreiten einer Erkrankung verhindert bzw. die Heilungschancen erhöht werden. Sekundärprävention ist also eine Krankheitsfrüherkennung und das Eindämmen von Krankheiten. Maßnahmen der Sekundärprävention sind Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen (z.B. Hautkrebsfrüherkennung), Massen-Screenings ausgewählter Bevölkerungsgruppen (z.B. Brustkrebsmassenscreenings von Frauen über 50 oder Screenings in Betriebsbelegschaften oder Beratungen zur Änderung des Lebensstils).18

Die Maßnahmen der Tertiärprävention greifen bei Patienten ein, die bereits erkrankt sind oder bei denen sich ein Leiden schon manifestiert hat. Das Ziel der tertiären Prävention ist die Verhütung von Krankheitsverschlechterungen. Folgeschäden und Rückfälle sollen abge- mildert oder vermieden werden und einer Chronifizierung soll vorgebeugt werden. Heil- und Folgebehandlungen werden dazu möglichst früh eingeleitet. Ein Beispiel für eine Maßnahme ist z.B. eine Rückenschulung nach einem Bandscheibenvorfall oder eine rehabilitative Be- handlungen nach einer Krebserkrankung. Probleme bereitet die Abgrenzung der tertiären Prävention zur medizinisch-therapeutischen Behandlungen und zur Rehabilitation. Oft ist es nur eine Frage aus welcher Perspektive die Maßnahme gesehen wird, oder welches Ziel ver- folgt wird, um sie dann der Prävention oder der Therapie zuzuordnen. Maßnahmen der tertiären Prävention sind rein krankheitsorientiert. Rehabilitation hat zum Ziel, den Betroffenen und ihrer Umwelt zu helfen, um ihnen ein möglichst gutes Leben trotz Krankheit oder Behinderung zu ermöglichen.19

2.1.1.2 Probleme definitorischer Abgrenzung

Neben den Abgrenzungs- und Definitionsproblemen bei der tertiären Prävention, ist auch die genaue Definition der anderen Präventionsphasen schwierig. Die Zuordnung spezifischer Phasen wird uneinheitlich gehandhabt und zieht eine kunterbunte Begriffsverwendung in der Fachwelt nach sich.

Anhand von Beispielen lässt sich erklären, warum die Einordnung so schwierig sein kann: Bluthochdruck kann als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen gesehen werden oder als eigene Krankheit. Die präventive Maßnahme Blutdrucksenkung kann deswegen sowohl als Primär-, Sekundär-20 oder sogar Tertiärprävention21 eingeordnet werden. Die Einordnung zu einer Präventionsstufe bei einem Programm zur Raucherentwöhnung verdeutlicht die Problematik: Solch ein Programm kann bei noch gesunden Rauchern als Maßnahme der Pri- märprävention, bei Rauchern mit früherkannten Koronarproblemen als Sekundärprävention und bei Patienten mit manifesten Koronarerkrankungen als Tertiärprävention eingeordnet werden.22 Mit zunehmenden diagnostischen Möglichkeiten zur Erkennung von Frühsymp- tomen wurde die Zuordnung mancher Maßnahmen von primärer nach sekundärer Präventi- on verlagert.23

2.1.2 Gesundheitsförderung

Die Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung werden sowohl in der Wissenschaftssprache, Politik und in der Umgangssprache häufig miteinander verwechselt, synonym verwendet oder nebeneinander gebraucht. Hierbei handelt es sich aber um zwei unterschiedliche Begriffe mit unterschiedlicher historischer Entstehung:

Krankheitsprävention ist der historisch ältere Begriff, der sich schon im 19. Jahrhundert in der Sozialmedizin entwickelte. Damals erkannte man, dass fehlende Hygiene und schlechte Arbeitsbedingungen für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich sein können. Präven- tion zielt darauf ab, das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten in der Bevölkerung zu verringern. Der Ansatzpunkt ist hier eine Vermeidungsstrategie, deren Ziel es ist, Auslöse- faktoren zu verdrängen und auszuschalten. Prävention sieht als Ausgangspunkt Krankheiten und Störungen und will die Risiken dafür reduzieren. Wissenschaftlich kann man die Prävention den Naturwissenschaften und der Medizin zuordnen.24

Abbildung 1: Gesundheitsförderung und Krankheits- prävention

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Kaba-Schönstein (2011a)

Anders bei dem wesentlich jüngeren Begriff "Gesundheitsförderung", der eine rein salutogenetische25 Orientie- rung aufweist. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist hier der Ausbau und die Förderung der gesundheitlichen Res- sourcen. Ziel ist die Vermehrung von Gesundheit durch Verbesserung der Lebensbedingungen.26 Dieser Begriff etablierte sich nach der Konferenz der WHO in Ottawa im Jahr 1986. In der daraufhin erstell- ten „Ottawa Charta“ sind seitdem die Ziele und Prinzipien der Gesundheitsförderung zu- sammengefasst. Fachwissenschaftliche Betrachtung dieses Begriffs kommt aus den Bevölke- rungs- und Kulturwissenschaften.27 Auch wenn beide Begriffe unterschiedlich geprägt sind, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: In beiden Fällen wird in bestehende Zustände eingegrif- fen, um sich abzeichnende Entwicklungen sowohl in der Gesellschaft, als auch beim Einzel- nen zu beeinflussen. Gesundheitsförderung und Prävention haben das gleiche Ziel: Vermeh- rung von Gesundheit in der Gesellschaft und beim Einzelnen (siehe Abb. 1). Bei der Präventi- on entsteht der Gesundheitsgewinn durch Zurückdrängung von Risikofaktoren für Krankhei- ten, in der Gesundheitsförderung durch Aufbau und Erweiterung der gesundheitlichen Ressourcen. Die beiden Begriffe lassen sich allerdings nicht leicht voneinander abgrenzen, was in der Praxis auch nicht hilfreich ist. In der Ottawa-Charta wurde Gesundheitsförderung nie genau definiert und zur Prävention abgegrenzt. Somit ist eine scharfe Trennung zwischen beiden Handlungsfeldern nicht möglich, in der Praxis aber auch nicht erforderlich. Eine Kombination aus beiden Ansätzen ist sinnvoll, um maximalen Gesundheitsgewinn zu erhalten. Beide Begriffe können also als sich ergänzend angesehen werden.28

2.1.3 Verhaltens- und Verhältnisprävention

Die Verhaltensprävention stellt Strategien dar, die ein gesundheitsrelevantes Verhalten des Einzelnen fördern. Maßnahmen sind die Veranlassung zu gesundheitsfördernden Verhal- tensweisen (mehr Bewegung, gesündere Ernährung) und Vermeidung von gesundheitsris- kantem Verhalten wie übermäßiger Alkoholkonsum oder Rauchen. Instrumente sind Infor- mation und Aufklärung, aber v.a. Programme, die auf das Verhalten des Einzelnen abzielen z.B. Raucherentwöhnung, Ernährungsgewohnheiten und Reduktion von Stress. Dazu gehört auch Gesundheitserziehung in Schulen. Die größte Schwierigkeit in der Verhaltensprävention ist es, die Zielpersonen auch dazu zu bringen, sich gesünder zu verhalten.29

Unter Verhältnisprävention versteht man Strategien, die Gesundheitsrisiken in Umwelt-, Arbeits- und Lebensbedingungen reduzieren oder beseitigen und eine gesunde Lebensweise ermöglichen. Die Handlungsfelder der Verhältnisprävention sind die Veränderung der Arbeitsbedingungen in Betrieben (Arbeitsschutz, Förderung besserer Arbeitsbedingungen und die Betriebliche Gesundheitsförderung) und (politische) Aktivitäten, sowohl auf kommunaler, regionaler, überregionaler, nationaler und internationaler Ebene zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen.30

Verhaltens- und Verhältnisprävention beeinflussen sich gegenseitig und sollen für einen bes- seren Erfolg verknüpft werden. Beispielsweise kann eine einzelne Person gesundheitsförder- liches Verhalten erst dann richtig durchsetzen, wenn die passenden Rahmenbedingungen erfüllt sind (z.B. adäquate Gesundheits- oder Freizeitangebote). Im Idealfall beinhaltet jede präventive Maßnahme beide Strategien.31

2.1.4 Zugangswege der Prävention

Präventions- und Gesundheitsprojekte können in zwei verschiedenen Ansätzen durchgeführt werden, im individuellen und im Setting-Ansatz:32

2.1.4.1 Individueller Ansatz:

Der individuelle Ansatz beinhaltet Interventionen, die auf den Einzelnen und sein Verhalten ausgerichtet sind. Sowohl in Einzelberatungen als auch Gruppenschulungen bekommt die Einzelperson gesundheitsbewusstes Verhalten beigebracht, das Störungen und Erkrankungen vorbeugen soll.33 Diese Programme werden hauptsächlich von Gesundheitsbewussten aufgesucht, die die Motivation haben, etwas für ihre Gesundheit zu tun.34

2.1.4.2 Settingansatz:

Interventionen im Settingansatz sind auf ganze Lebensräume ausgerichtet, bilden Strukturen und fördern dadurch die Gesundheit.35 Der Settingansatz kommt aus der Gesundheitsförde- rung und hat seinen Ursprung in der Ottawa-Charta der WHO. Ein Setting ist ein Lebensbe- reich, in dem Personen einen Großteil ihrer Zeit verbringen (z.B. Arbeit, Schule, Kindergar- ten, Wohnort etc.). Ein Setting übt als soziales System einen starken Einfluss auf die Gesund- heit der einzelnen Personen aus. Hier lassen sich deswegen auch gesundheitsförderliche Maßnahmen gut gestalten.36 Der Settingansatz eignet sich vor allem dazu, Personengruppen an Prävention heranzuführen, die von sich aus kein Präventionsangebot aufgesucht hätten. Dazu gehören vor allem sozial Benachteiligte, die im Setting-Ansatz ohne Stigmatisierung gut erreicht werden können, da im Settingansatz nicht nur sozial Benachteiligte angetroffen werden.37

2.2 Gesundheitliche und ökonomische Bedeutung der Prävention

2.2.1 Bedeutung der Prävention für die Gesundheit

Lag die Lebenserwartung einer Frau Anfang des 20. Jahrhunderts noch bei 48,3 Jahren und bei 44,8 Jahren bei einem Mann, so verbesserte sie sich dramatisch bis zum Jahr 2009 auf 82,7 Jahre für Frauen und auf 77,7 Jahre bei Männern.38 Diese Erfolge kann man einer Kom- bination aus Prävention, Kuration und besseren Lebensverhältnissen zurechnen.39 Die OECD kam in ihrem Bericht vom Jahr 2005 zum Schluss, dass zu einem größeren Teil verhaltens- und verhältnispräventive Faktoren für die Zunahme der Lebenserwartung verantwortlich sind als höhere Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit.40 Große Fortschritte in der Medizin ver- dankt man der Reduktion von Risikofaktoren. So führte dies schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert durch Verbesserungen in der Hygiene und Ernährung und Fortschritte in der Prävention von Infektionskrankheiten zu einer Senkung der Sterblichkeit der jüngeren Bevölkerung. Vor allem die Kinder- und Säuglingssterblichkeit nahm massiv ab und sorgte somit für eine weit höhere Lebenserwartung. Inzwischen konnte die Säuglingssterblichkeit sogar noch weiter gesenkt werden (siehe Tabelle 1) und befindet sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Seitdem führt hauptsächlich die Reduktion kardiovaskulärer Erkrankungen zu einer Steigerung der Lebenserwartung der älteren Bevölkerung.41

Tabelle 1: Gewonnene Lebensjahre aufgrund reduzierter Sterblichkeit, Ausgewählte Ursachen, 1980-2000 (zwischen 1980 bis 1989 nur die Daten für Westdeutschland, danach gesamte BRD).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Felder (2006) S. 54

Wie Tabelle 1 zeigt, konnten so allein zwischen 1980 und 2000 2,12 Jahre bei Männern und 1,82 Jahre bei Frauen gewonnen werden. Weitere Gründe für die Steigerung der Lebenser- wartung sind ebenso in Tabelle 1 dargestellt. Krebserkrankungen sind, weniger als erhofft, nur für eine Zunahme von 0,55 (Männer) bzw. 0,66 (Frauen) Lebensjahren verantwortlich. Dies lässt sich eher einer verminderten Inzidenz von Lungenkrebs bei Männern und Magen- krebs bei Männern und Frauen zurückführen und weniger auf die Heilung von Krebserkran- kungen.42

Vielen Erkrankungen kann man heute Risikofaktoren für ihre Entstehung zuordnen, die leicht verändert und damit durch präventive Maßnahmen verhindert werden können.43 Es gilt aber zu bedenken, dass bei Vorliegen eines Risikofaktors die entsprechende Person nicht sicher erkrankt oder eine Erkrankung definitiv auf einen Risikofaktor zurückgeführt werden kann.44 Tabelle 2 zeigt die laut WHO45 wichtigsten Risikofaktoren in entwickelten Ländern, die für Mortalität und Morbidität (gemessen in DALYS = disability adjusted life years) verantwortlich sind. Zu den Hauptrisikofaktoren gehören Rauchen, Bluthochdruck, übermäßiger Alkohol- konsum, hohe Cholesterinwerte, Übergewicht, Bewegungsmangel und zu geringer Verzehr von Obst und Gemüse. Alles Faktoren, bei denen präventive Maßnahmen greifen können.

Tabelle 2: Häufige Risikofaktoren und das zuordenbare Sterberisiko und das Risiko für Behinderung nach Geschlecht für entwickelte Länder (= Europäische Region, USA, Kanada, Cuba, Australien, Brunei, Japan, Neuseeland, Singapur. Quelle: WHO 2002

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach WHO (2002)

Die Risikofaktoren ändern sich im Laufe der Zeit: Waren Infektionskrankheiten die großen Risiken im 19. und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland (und sind es noch wei- terhin in Entwicklungsländern), so erwartet die OECD, dass Übergewicht, Fehlernährung und mangelnde Bewegung in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen werden.46 In den USA gibt es inzwischen Befürchtungen, dass wegen der Ausbreitung der Adipositas die Lebenser- wartung nicht weiter ansteigt.47 Der Tabakkonsum soll dagegen weiter abnehmen, wie es schon der Trend in den letzten 20 Jahren für Tabak und Alkoholkonsum war.48

In entwickelten Ländern sind Herzerkrankungen und Krebs die Hauptursachen für Todesfälle.49 Und viele davon wären vermeidbar und könnten durch Prävention verhindert werden: Schätzungen ergeben, dass über 70 % aller Kolonkarzinome und Schlaganfälle, über 80 % der koronaren Herzkrankheiten und über 90 % aller Typ II Diabetes-Erkrankungen durch Änderungen des Lebensstils vermeidbar wären.50

Menschen werden also durch Fortschritte in der Medizin, der Prävention und verbesserter Lebensumstände immer älter. Es stellt sich aber die Frage, ob Menschen gesund alt werden, oder ob sie weiterhin zum gleichen Zeitpunkt an chronischen Leiden erkranken, die sie bis an das Ende ihres längeren Lebens begleiten. Es stellt sich auch die Frage, ob eine verlängerte Lebenserwartung höhere medizinische Kosten nach sich zieht. Dazu gibt es verschiedene Thesen51:

Laut Morbiditätskompressionsthese sollen durch verbesserte Prävention und Fortschritte in der Medizin, Lebens- und Arbeitsbedingungen chronische Erkrankungen und Behinderungen möglichst erst kurz vor dem Ende eines langen Lebens eintreten. Das Leben soll also künftig verlängert und die Morbidität gleichzeitig verringert werden.

Nach der Medikalisierungsthese können zwar die Dauer und die Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen und Behinderungen zurückgehen, aber die Morbidität wird bedingt durch ein längeres Leben zunehmen. So können hohe Kosten für das Gesundheitssystem verursachen werden.

Bisher konnte noch keine der beiden Thesen eindeutig bestätigt werden. Untersuchungen aus den USA lassen allerdings die Tendenzen erkennen, dass für Schichten mit hohem Bil- dungsstand und höherem Einkommen eher die Kompressionsthese zutrifft. Dagegen gilt für niedrigere Bildungs- und Einkommensschichten eher die Medikalisierungsthese. Ihre gerin- gere Anzahl an gewonnenen Lebensjahren verbringt die Unterschicht mit vergleichsweise früh ausgebrochenen chronischen Erkrankungen.52 Diese Erkenntnis gilt auch für Deutsch- land. Laut sozioepidemiologischen Studien bedeutet der gleiche Zugang zu Gesundheit nicht, dass jeder die gleichen Chancen auf ein langes, gesundes Leben hat53. Die Beseitigung dieses Missverhältnisses wurde in Deutschland gesetzlich im § 20 SGB V verankert54. Die GKV ist u.a. verpflichtet, einen „Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Ge- sundheitschancen [zu] erbringen.“55

2.2.2 Ist Vorbeugen billiger als Heilen?

Man sieht also, dass Prävention wichtig für Gesundheit, Lebensqualität und Lebenserwartung ist und ihr Nutzen unbestreitbar ist. Häufig wird Prävention für die Lösungen der steigenden Gesundheitsausgaben gehalten und von vielen Seiten wird behauptet, vorbeugen sei billiger als heilen. Aber ist das wirklich so?

Die Aussage, dass sich mit Prävention Geld sparen lässt, ist vor allem in der Politik sehr populär. Es lassen sich zahlreiche Zitate finden, die Prävention als Allheilmittel für Gesundheit und Gesundheitskosten sehen. So äußerte sich beispielsweise Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung kürzlich im Südkurier: „ Nehmen Sie das gro ß e Thema Pr ä ven tion. Viele Kosten entstehen, weil Vorsorge nicht getroffen wurde. [ … ]wie k ö nnen wir es schaffen, dass mehr B ü rger die Angebote zur Pr ä vention annehmen? “ 56

Auch im angelsächsischen Raum ist diese Aussage beliebt, so äußerte sich einst Präsident Clinton "it's just common sense [...] [that] long-term costs to the health system will be lower if we have comprehensive preventive services. ” 57

Im Einzelfall mögen solche Aussagen stimmen, aber eine Verallgemeinerung ist nicht mög- lich. Es existieren sogar Studien, die belegen, dass durch riskantes Verhalten Geld im Ge- sundheitswesen gespart werden kann. So zeigte eine Studie in den Niederlanden, dass die Prävention potenziell tödlicher Krankheiten wie koronarer Erkrankungen, Krebs, oder chronischen obstruktiver Lungenerkrankungen die Gesundheitskosten erhöhen. Die Patienten überleben diese Krankheit und Kosten für andere Krankheiten im weiteren Leben werden fällig. Dagegen spart nach dieser Studie die Prävention nicht tödlicher chronischer Krankheiten wie Muskel-Skelett-Krankheiten und psychische Erkrankungen Geld.58

Das Ganze lässt sich auch noch auf die Spitze treiben: Laut einer Schweizer Studie aus dem Jahr 1984 sparen Raucher Gesundheitskosten ein, denn die höheren Kosten ihrer Erkrankun- gen werden durch ihr frühes Ableben, das weitere Kosten einspart, wieder wett gemacht.59

Auch muss bedacht werden, dass das Vorliegen eines Risikofaktors nicht sofort bedeutet, dass man tatsächlich erkrankt. Studien zeigen, dass Präventionsprogramme in einer großen Gruppe teurer sein können, als die Heilung einzelner Erkrankter: Dies zeigt eine Berechnung aus den USA, die Kosten pro Extra-Lebensjahr bei verschiedenen Maßnahmen gegen Herzin- farkt zeigt: Die Kardiologische Intensivstation kostet 5000 Dollar pro Extra-Lebensjahr, ein Notarztwagen 7000 Dollar und eine Angiographie mit eventueller Bypass Operation beläuft sich auf 14.000 Dollar. Die vorbeugende Bluthochdruckbehandlung kostet 20.000 Dollar pro Extra-Lebensjahr und ein Belastungstest an symptomfreien Patienten mit anschließendem Szintigramm sogar 39.000 Dollar.60 In diesem Fall muss die Zielgruppe sehr eng auf Personen mit einem hohen Erkrankungsrisiko an koronaren Herzkrankheiten definiert werden und sollte nicht an der breiten Bevölkerung angewendet werden, da oft die ausgewählte Ziel- gruppe darüber entscheidet, ob ein Programm kosteneffektiv ist oder nicht.

Daraus lässt sich ableiten, dass manche Präventionsprogramme auch kostensparend und gesundheitsförderlich sein können. Aus den USA kommt eine neuere Studie, die das Kosten- Nutzen-Verhältnis von 599 Präventionsmaßnahmen untersuchte. Sie kam zum Ergebnis, dass Kosten-Nutzen-Verhältnisse sowohl von Präventions- als auch Therapiemaßnahmen eine vergleichbar breite Streuung haben. Es gibt also Präventionsmaßnahmen, die die Mortalität senken können und dabei sogar Kosten sparen oder nur geringe Kosten verursachen. Bei- spiele sind Raucherentwöhnungsprogramme bei Erwachsenen, Darmkrebsscreenings und Grippeimpfungen.61

Die OECD veröffentlichte kürzlich eine Studie „obesity and the economics of prevention“,62 die in Teilbereichen Einsparungen bei Prävention von Adipositas zeigt. Auch in Deutschland kam 2002 der Sachverständigenrat für Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zum Schluss, dass sich „ theoretisch (bei nicht saldierter und nicht diskontierter Betrachtung) [ … ] rund 25-30% der heutigen Gesundheitsausgaben in Deutschland durch langfristige Pr ä venti- on vermeiden [lassen] “ .63

Allerdings ist die Forschungslage noch immer sehr heterogen und es lässt sich nicht sagen, ob Vorbeugen billiger ist als Heilen. Dazu werden mehr evidenzbasierte Studien, systematische Reviews und Metaanalysen benötigt.64

Die Präventionsforschung steht auch vor einigen Problemen:

Viele ökonomische Evaluationen werden nicht durchgeführt, weil einfach die betreffenden Kostenträger nicht von ihnen profitieren.65 Ein weiteres Problem der Studienfinanzierung ist, dass Präventionsstudien schnell zum öffentlichen Gut werden. Denn Präventionsstudien lassen sich selten patentieren. Wer die Studie finanziert, kann anders als z.B. die pharmazeutische Industrie, selten Geld durch Verkäufe des Patents verdienen. Dazu kann die Konkurrenz von den Studienergebnissen profitieren.66

Präventionsstudien haben außerdem das Problem, dass eine lange Zeit zwischen Präventionsmaßnahme und potentiellen Krankheitsauftritt liegt, man oft Präventionsmaßnahmen und Verhaltensänderungen oder verschiedene Risikofaktoren nicht eindeutig dem Erhalt von Gesundheit oder der Entstehung von Krankheit zuordnen kann und die Bewertung (intangibler) Kosten und Erträge Probleme bereiten.67

Ein weiteres Problem ist die Frage, ob eine Verhaltens- oder Verhältnisänderung bei der Zielgruppe von Präventionsmaßnahmen überhaupt möglich ist und welche Zielgruppen er- reicht werden sollen, um durch Prävention Geld im Gesundheitswesen einsparen zu kön- nen.68

Wichtig ist aber die Erkenntnis, dass Gesundheit nicht zum Nulltarif zu haben ist und auch Präventionsmaßnahmen Geld kosten. Studien sind weiterhin wichtig, um zu definieren, für welche Präventionsmaßnahmen die Allgemeinheit aufkommen soll.69 § 12 SGB V Abs. 1 Satz 2 besagt: "Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, k ö nnen Versicherte nicht beanspruchen, d ü rfen Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen." So kann in der GKV Prävention also nur in den Bereichen stattfinden, in denen Zusammenhänge zwischen Krankheitsursache und Wirkung von Prävention erkannt sind und Kosten-Nutzen-Potenziale positiv bewertet wurden.70

2.3 Gesundheitspolitische Umsetzung von Prävention

2.3.1 Geschichtliche Entwicklung in der BRD

In den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland spielte Prävention in der Gesundheitspolitik keine Rolle.71 Dafür sind mehrere Gründe auszumachen:

Nach den Zerstörungen im Krieg musste das deutsche Gesundheitswesen zunächst restauriert werden.72 In diesem Prozess erfolgte eine Bestärkung der sich schnell entwickelnden kurativen Medizin. Prävention wurde nicht beachtet, weil man in dieser Zeit sich auf das Heilen von Krankheiten konzentrierte. Dies wurde durch eine große Entwicklung an neuen Therapie- und Diagnoseverfahren vorangetrieben.73

Ein weiterer Grund war das Trauma, das in Verbindung von Prävention mit den Nationalsozialisten bestand. Eugenik, also Auslese guter Erbanlagen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes des Volkes und der dafür zentralisierte Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) als ausführendes Organ war das Verständnis von Prävention der Nationalsozialisten.74

Die erste Einführung präventiver Leistungen (Krebsvorsorgeuntersuchungen, Untersuchungen bei Kindern) zur Früherkennung von Krankheiten in die vertragsärztliche Versorgung erfolgte 1971 mit dem 2. Krankenversicherungsänderungsgesetz.75

Nach einer längeren Durststrecke im Hinblick auf die Präventionspolitik, rückte in den 1980ern die Prävention in den Fokus der Gesundheitspolitik. Dafür waren verschiedene Entwicklungen verantwortlich:

Verstärktes Auftreten chronisch-degenerativer Krankheiten zeigte die Grenzen der kurativen Medizin auf und lenkte den Blick mehr auf die Prävention von Krankheiten. Internationale Bewegungen v.a. die Ottawa-Charta der WHO (1986) übten einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Gesundheitspolitik aus.

In der Mitte der 70er läutete die Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen die bis heute andauernde Phase der Kostendämpfung ein. Man erhoffte sich mittel- und langfristig Ausgaben für die Behandlung von Krankheiten durch Prävention einzusparen. Seit Beginn der 1970er Jahre entstanden in Teilen der Bevölkerung Verluste in das Ver- trauen des Medizinsystems und steigende Bedeutung individueller Präventionsmaßnah- men.76

2.3.2 Entwicklung der Prävention in der Sozialgesetzgebung

Die Entwicklung der Prävention und Gesundheitsförderung im deutschen Gesundheitssystem ist geprägt durch eine Vielzahl an Akteuren und Institutionen,77 der großen Bedeutung der Bundesländer in der Gesundheitspolitik und durch fehlende einheitliche Gesundheitsförderungsstrukturen. Der größte Einfluss des Bundes in der Prävention und Gesundheitsförderung liegt in der Sozialgesetzgebung, das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).78 Sie wurde 1883 von Reichskanzler Otto von Bismarck gesetzlich verankert und stellt nach allen historischen Entwicklungen in Deutschland weiterhin den wichtigsten ordnungspolitischen Rahmen für Gesundheitspolitik dar.79 Dem Sozialgesetzbuch (SGB) kommt daher in der Entwicklung der Prävention in Deutschland eine große Bedeutung zu. Das erste Mal erschien Prävention dort 1989, wurde zwischen 1996 bis 2000 teilweise wieder abgeschafft und war inzwischen Thema in sechs Gesundheitsreformen:

[...]


1 Vgl. ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (2010a)

2 Vgl. Resch (2011)

3 Vgl. Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln (IfH) (05.02.2010)

4 Vgl. Hilbert (2008) und Oberender (2010), S. 184

5 Vgl. Kirch et al. (2010), S. 180-181

6 Vgl. Hurrelmann et al. (2010), S. 14

7 Vgl. GKV Spitzenverband (2010), S. 84-85

8 Vgl. Hurrelmann (2010), S. 14-15

9 Vgl. Slesina (2007), S. 2196

10 Vgl. Kirch et al. (2010), S. 181

11 Vgl. Franzkowiak (2011)

12 Vgl. Slesina (2007), S. 2197

13 Vgl. Slesina (2007), S. 2197

14 Vgl. Franzkowiak (2011)

15 Verwendet wird primordiale Prävention u.a. bei Slesina (2007) und Caplan (1964)

16 Vgl. Leppin (2010), S. 36

17 Vgl. Kirch et al. (2010), S. 181

18 Vgl. Slesina (2007), S. 2197

19 Vgl. Leppin (2010), S. 36 und Franzkowiak (2011)

20 Vgl. Leppin (2010), S. 37

21 Vgl. Slesina (2007), S. 2197-2198

22 Vgl. Froom und Benbassat (2000), S. 153

23 Vgl. Slesina (2007), S. 2197-2198

24 Vgl. Hurrelmann (2010), S. 13 und Hurrelmann und Laaser (2006), S. 750

25 Salutogenese stellt den Gegenbegriff zur Pathogenese dar: Während sich die Pathogenese um die Entstehung von Krankheiten dreht, stellt sich die Salutogenese die Frage, wie Gesundheit erhalten und gefördert wer- den kann. Vgl. Franke (2011)

26 Vgl. Kaba-Schönstein (2011a)

27 Vgl. Hurrelmann et al. (2010), S. 13

28 Vgl. Hurrelmann (2006), S. 750-752

29 Vgl. Lehmann (2011)

30 Vgl. Lehmann (2011

31 Vgl. Lehmann (2011

32 Vgl. GKV Spitzenverband (2010), S. 11-16

33 Vgl. GKV Spitzenverband (2010), S. 13

34 Vgl. Zelen und Strippel (2010), S. 19

35 Vgl. GKV Spitzenverband (2010), S. 87

36 Vgl. Kirch et al. (2010), S. 185

37 Vgl. GKV Spitzenverband (2010), S. 12-13

38 Vgl. WHO | World Health Organization (2011); Weiland et al. (2006), S. 1072-1077

39 Vgl. Felder 2006; Rosenbrock und Gerlinger (2006), S. 28

40 Vgl. OECD (2005), S. 10

41 Vgl. Felder (2006), S. 50; Oeppen und Vaupel (2002)

42 Vgl. Weiland et al. (2006), S. 1072-1077

43 Vgl. Weiland et al. (2006), S. 1076

44 Vgl. Oberender (2010), S. 192

45 Vgl. WHO | World Health Organization (2002), S. 86-87

46 Vgl. OECD (2005), S. 15

47 Vgl. Olshansky (2005), S. 1138

48 Vgl. OECD (2005), S. 15

49 Vgl. Kenkel (2000), S. 1677-1678; Statistisches Bundesamt (Destatis) (2010)

50 Vgl. Weiland et al. (2006), S. 1076

51 Vgl. Fries (2000), S. 1586; Oberender (2010), S. 118

52 Vgl Fries (2000) S. 1586

53 Vgl. Oberender (2010), S. 118

54 siehe dazu Kapitel 2.4.1

55 Siehe §20 SGB V Abs.1

56 Schwarz (2011)

57 Zit. n. Kenkel (2000), S. 1704

58 Vgl. Bonneux et al. (1998), S. 26

59 Vgl. Leu und Schaub (1984)

60 Vgl. Krämer (2006), S. 33

61 Vgl. Cohen (2008), S. 661

62 Vgl. Sassi (2010)

63 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2000), S. 25

64 Einen guten Überblick über den momentanen internationalen und deutschen Forschungsstand geben: Walter et al. (2011a), S. 83-84; Walter et al. (2011b), S. 94

65 Vgl. Walter et al. (2011b), S. 94

66 Vgl. Krauth et al. (2011)

67 Vgl. Oberender (2010), S. 193, Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2000), S. 25, Plamper und Stock (2010), S. 405

68 Vgl. Kirch et al. (2010), S. 195-196

69 zur Finanzierung von Prävention vgl. Kapitel 2.4

70 Vgl. Oberender (2010), S. 194

71 Vgl. Rosenbrock und Gerlinger (2006), S. 29

72 Vgl. Mosebach et al. (2010), S. 370-371

73 Vgl. Rosenbrock und Gerlinger (2006), S. 29-30

74 Vgl. Rosenbrock und Gerlinger (2006), S. 29-30

75 Vgl. Mosebach et al. (2010), S. 373

76 Vgl. Rosenbrock und Gerlinger (2006), S. 29-30

77 einen Überblick gibt Kapitel 2.3.3

78 Vgl. Kaba-Schönstein (2011b)

79 Vgl. Mosebach et al. (2010), S. 369

Excerpt out of 75 pages

Details

Title
Prävention. Ein strategisches Geschäftsfeld für die Offizinapotheke
Subtitle
Eine empirische und theoretische Analyse auf der Grundlage von "Hauptsache Prävention! Die Arbeiten für den ersten WIPIG-DAZ-Präventionspreis"
College
University of Bayreuth
Grade
2,3
Author
Year
2011
Pages
75
Catalog Number
V433633
ISBN (eBook)
9783668754997
ISBN (Book)
9783668755000
File size
1123 KB
Language
German
Keywords
prävention, geschäftsfeld, offizinapotheke, eine, analyse, grundlage, hauptsache, arbeiten, wipig-daz-präventionspreis
Quote paper
Barbara Straller (Author), 2011, Prävention. Ein strategisches Geschäftsfeld für die Offizinapotheke, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433633

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