1900 wurde Henri Bergsons Essay "Le rire: essai sur la signification du comique" veröffentlicht. Parallel zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges produzierte Charles Chaplin den Film "Der große Diktator". Wahrscheinlich kannte Chaplin Bergsons Theorien nicht, dennoch tauchen viele von ihnen als praktische Umsetzung in seinem Film auf. Chaplin und Bergson beschäftigten sich mit ähnlichen Fragen: Welche Bedeutung hat das Lachen? Wodurch wird es hervorgerufen und welche Wirkung hat es beim Rezipienten? Diesen geht Bergson schriftlich und möglichst objektiv nach. Chaplin hingegen nutzt die filmische Poetik, um Lachen mit filmischen Mitteln zu provozieren. Inwieweit lassen sich zwischen Henri Bergsons Theorie des Lachens und Charles Chaplins Film "Der große Diktator" Parallelen ziehen? Untersucht wird in erster Linie "Der große Diktator" von Chaplin, welcher mit den theoretischen Gedanken Bergsons angereichert wird. Auf diesem Weg soll anhand exemplarischer Beispiele eine Verbindung zwischen den beiden Gegenständen dieser Untersuchung hergestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hynkel als komische Figur
2.1. Gesten
2.2 Mimik
2.3 Sprache
3. Der Mensch als Maschine
3.1 Steifheit der Sprache
3.2 Steifheit des Körpers und Geistes
4. Fazit
Quellenangaben
1. Einleitung
1900 wurde Henri Bergsons Essay Le rire: essai sur la signification du comique[1] veröffentlicht. Parallel zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges produzierte Charles Chaplin den Film Der große Diktator. Wahrscheinlich kannte Chaplin Bergsons Theorien nicht, dennoch tauchen viele von ihnen als praktische Umsetzung in seinem Film auf. Chaplin und Bergson beschäftigten sich mit ähnlichen Fragen: Welche Bedeutung hat das Lachen? Wodurch wird es hervorgerufen und welche Wirkung hat es beim Rezipienten? Diesen geht Bergson schriftlich und möglichst objektiv nach. Chaplin hingegen nutzt die filmische Poetik, um Lachen mit filmischen Mitteln zu provozieren. Inwieweit lassen sich zwischen Henri Bergsons Theorie des Lachens und Charles Chaplins Film Der große Diktator Parallelen ziehen? Untersucht wird in erster Linie Der große Diktator von Chaplin, welcher mit den theoretischen Gedanken Bergsons angereichert wird. Auf diesem Weg soll anhand exemplarischer Beispiele eine Verbindung zwischen den beiden Gegenständen dieser Untersuchung hergestellt werden. Bergsons Lachtheorie beschäftigt sich mit der zentralen These, dass das Lachen eine soziale Bedeutung hat, welche nur innerhalb der Gesellschaft existieren kann.[2] Diese erkennt die Versteifung eines Einzelnen und isoliert jenen durch die soziale Geste des Lachens von der Gruppe. Hierdurch wird sich der Starre seines Fehlverhaltens bewusst und bekommt die Möglichkeit, sein Verhalten zu korrigieren und sich so wieder in die Gruppe zu integrieren.[3] Bergson bringt seine Theorie auf den Punkt: „Was das Lachen hervorheben möchte, das ist dieses Starre, Fixfertige, Mechanische im Gegensatz zum Beweglichen, immerfort Wechselnden und Lebendigen, es ist die Zerstreutheit im Gegensatz zur Aufmerksamkeit, Automatismus im Gegensatz zu freiem Handeln.“[4] Die verschiedenen Punkte dieser Aussage werden im Laufe des Textes näher erläutert.
Blickt man in der Geschichte zurück, stellt sich die Frage, wie Chaplin zur Zeit des Zweiten Weltkrieges eine Komödie kreieren konnte, welche jenes kritische Thema parodiert. Schon hier kann man mit Bergson argumentieren, der den Mensch als Marionette sieht und behauptet: „Es gibt […] keine echte, ernste, ja dramatisch Szene, welche die Phantasie nicht ins Komische übersetzten könnte, […]“[5], laut ihm kann also jede Thematik für Komödien genutzt werden. Lachen kann man nach Bergson zudem nur auf der rein intellektuellen Ebene, indem man seine Emotionen unterdrückt.[6] „Es gibt auch eine Kunst, die unsere Sympathie just in dem Augenblick, da sie erwachen könnte, tötet, so daß wir sogar eine ernste Situation nicht mehr ernstnehmen.“[7] Mit diesem zweiten Zitat lässt sich relativ gut erklären, warum man zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, zumindest in den USA, über Hitler lachen konnte. Chaplin selbst erklärt seine Motivation für den Film wie folgt: „Was das Komische an Hitler betrifft, möchte ich nur sagen, dass es, wenn wir nicht ab und zu über Hitler lachen können, noch viel schlechter um uns bestellt ist als wir glauben.“[8] Zu dem Zweck kreiert er die Hauptfiguren des Films: einen Frisör und den Diktator Hynkel, der die Parodie Hitlers darstellt. Auf letzteren wird sich diese Ausarbeitung konzentrieren, um verschiedene Aspekte des Komischen darstellen zu können. Als Hauptbezug dient hierfür Hynkels erste Rede.[9]
2. Hynkel als komische Figur
Laut Bergson erscheint die komische Gestalt als ein Typ, mit dem jede Analogie etwas Komisches hat.[10] Dabei fällt bei Der große Diktator die Ähnlichkeit der Anhänger Hynkels auf, welche mit ähnlichen Uniformen bekleidet sind und sich meist in der Masse gleichförmig bewegen, wie es für Soldaten üblich ist. Sie wirken bereits durch ihr Auftreten, ihr ähnliches Äußeres, ihre synchronen Handlungen und Haltungen wie die von Bergson propagierten Marionetten.[11] Diese mechanisch anmutenden Gesten werden von Hynkel hyperbolisiert.
2.1. Gesten
Bei Hynkels Rede lässt sich ein Fokus auf die Gesten des Diktators richten. Dabei wird eine erste Parallele zu Bergsons Theorie deutlich, laut dem die Komödie unser Interesse auf die Gesten statt auf die Handlung legt:[12] „Komisch ist jedes Geschehnis, das unsere Aufmerksamkeit auf das Äußere einer Person lenkt, während es sich um ihr Inneres handelt.“[13] Dieses Stilmittel nutzt Chaplin und lässt Hynkel während seiner Rede mehrfach hintereinander Husten. Hierbei wird die Aufmerksamkeit des Publikums bewusst auf den Körper gelenkt, der statt der Rede in den Vordergrund tritt. Das komische Element taucht kurze Zeit später wieder auf. Jene Wiederholungen sind eine weitere Technik der Komik. Denn Gesten und Gebärden, welche an und für sich nicht komisch sind, werden aufgrund ihrer Wiederholungen lächerlich. Indem Chaplin Hitlers Reden aufmerksam und intensiv studierte, ahmt er dessen Gesten nach und nutzt durch das Mittel der Wiederholung die monotone und mechanische Wirkung, welche konträr zu einer lebendigen Persönlichkeit steht.[14] Jene mechanische Starrheit taucht ebenfalls in Hynkels Mimik auf.
2.2 Mimik
Laut Bergson kann jeder Mensch mittels Nachahmung von Verunstaltungen Komik erzielen. Diesen Aspekt nutzt Chaplin, und erweitert Hitlers starres Mienenspiel in der Rede und vor allem am Ende der Szene, als Hynkel für ein Foto posiert und sein Gesicht dafür starr verzieht. Auffallend ist dieser Gesichtsausdruck, da der Zuschauer das starre Einnehmen einer Haltung und eines Gesichtsausdrucks vor einer Kamera kennt, es an dieser Stelle jedoch bis zur Hässlichkeit übertrieben wird.[15] „Lächerlich wird also ein Gesichtsausdruck sein, wenn er uns an etwas Verkrampftes erinnert, an etwas im gewöhnlich bewegten Mienenspiel Erstarrtes.“[16] Die komische Wirkung wird durch die Diskrepanz des Euphemismus des Sprechers und die hierzu konträren Handlungen Hynkels unterstrichen, welche die Absurdität der Szene verdeutlichen und die Ironie klarmachen. Im weiteren Verlauf der Komödie wird die Wichtigkeit der Sprache deutlich.
2.3 Sprache
Der Sprache kommt in Der große Diktator generell eine wichtige Rolle zu. Hierbei ist Bergsons These wichtig, dass sich Witze meist nicht in andere Sprachen übersetzen lassen, da sie im Kontext der jeweiligen Gesellschaft entstehen und funktionieren. Auch die Wortkomik, welche mittels Sprache erzeugt wird, funktioniert beim Übersetzen oft nicht. Dies gelingt meist nur, wenn die Sprache Komik ausdrückt.[17] Der Film wurde des Verständnisses halber auf Deutsch statt in der Originalsprache rezipiert. Von dieser wird im Folgenden ausgegangen. Trotz der Übersetzung sind viele komische Elemente enthalten. In der Rede Hynkels lässt sich zudem Bergsons Aspekt der beruflichen Verhärtung anführen, bei dem Personen ins Lächerliche gezogen werden, indem sie sich durch ihre Sprache und dessen unverständlichen Fachjargon isolieren, da dieser für Außenstehende unverständlich ist.[18] Das trieb Chaplin auf die Spitze: Hynkel spricht keine real existierende Sprache. Nur teilweise tauchen vertraute, mit Deutschland assoziierte Wörter wie „Sauerkraut“ oder „Wiener Schnitzel“[19] auf, die unpassend für eine Volksrede sind. Typisch sind dabei, wie auch bei Hynkels Gestik, häufige Wiederholungen. Diese charakteristische Verfahrensweise der klassischen Komödie wird hier ebenfalls genutzt, und zeigt erneut das Starre, Mechanische im Menschen.[20] Ein exemplarisches Beispiel stellt das von Hynkel häufig genutzte Wort „Stronk“[21] dar. Jenes ist besonders interessant, da es hauptsächlich aus Konsonanten besteht und somit hyperbolisch die Härte der deutschen Sprache darstellen könnte. Wiederholungen erscheinen zudem als Repetition von Wortreihen in Verbindung mit dem Wort für Jude. Sie werden in verschiedenen Tonarten durchgespielt und gestisch unterstützt, indem beispielsweise ein imaginäres Kind auf dem Arm gewiegt oder Tränen mit einer Krawatte getrocknet werden.[22] Ein weiterer komischer Effekt entsteht, wie auch Bergson feststellt, wenn ein Ausdruck wortwörtlich umgesetzt wird. Auf Hynkels Aufforderung, man müsse den Gürtel enger schnallen, steht Feldmarschall Hering auf und setzt diesen im übertragenen Sinn intendierten Ausdruck um, wobei er hierbei noch scheitert, da der enger geschnallte Gürtel am kräftigen Bauch des Mannes wieder aufspringt.[23] Die von Bergson definierte Transposition, welche der Repetition bei der Handlung entspricht, und bei der „ […] man den natürlichen Ausdruck in eine andere Tonart überträgt.“[24], also eine familiäre Tonart bei feierlichen Anlässen wie Hynkels Volksrede anschlägt,[25] ist bei Hynkel zu beobachten, welcher Hering lautstark beschimpft, nachdem dieser ihn versehentlich die Treppe heruntergestoßen hatte. Mit einem solchen emotionalen Verhalten vor der Kamera, macht sich der Diktator lächerlich. Dabei fällt er aber aus dem ansonsten stark mechanisch anmutenden Handeln heraus. Jenes wird nun näher beleuchtet.
[...]
[1] Übersetzung ins Deutsche: Das Lachen: Ein Essay über die Bedeutung des Komischen.
[2] Vgl. Berson (2011), S.17.
[3] Vgl. Berson (2011), S.23f..
[4] Berson (2011), S.93.
[5] Berson (2011), S.62.
[6] Vgl. Bergson (2011), S.14f,S.17, S.101, S.104.
[7] Berson (2011), S.101.
[8] Chaplin, Charles: http://www.der-grosse-diktator.de/global_html/zumfilm_1.html (06.08.2015)
[9] Vgl.: Der große Diktator. 1939/1940. TC: 16:10-24:23.
[10] Vgl. Berson (2011), Das Lachen, S. 106.
[11] Vgl. Bergson (2011), S.33.
[12] Vgl. Bergson (2011), S.103.
[13] Bergson (2011), S.42.
[14] Berson (2011), S.32.
[15] Vgl. Bergson (2011), S. 25f.
[16] Bergson (2011), S.26.
[17] Vgl. Bergson (2011), S.16, 77.
[18] Vgl. Bergson (2011), S.40ff..
[19] Vgl.: Der große Diktator. 1939/1940. TC: 16:10-24:23.
[20] Vgl. Bergson (2011), S.58, 61.
[21] Der große Diktator. 1939/1940. TC: 16:10-24:23.
[22] Vgl. Bergson (2011), S.86.
[23] Vgl. Berson (2011), S.84.
[24] Bergson (2011), S.89.
[25] Vgl. Bergson (2011), S.89.
- Arbeit zitieren
- Marie Welsche (Autor:in), 2015, Das Lachen in Charles Chaplins "Der große Diktator", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/435416
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