Nutzung und Anbau von Medizinalhanf in der Bundesrepublik Deutschland


Masterarbeit, 2018

110 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Material und Methoden

3 Ergebnisse
3.1 Aktuelle gesetzliche und wirtschaftliche Situation
3.1.1 Gesetzliche Vorschriften
3.1.1.1 Verschreibung
3.1.1.2 Administration
3.1.1.3 Anbau
3.1.2 Bisherige Bereitstellung von Medizinalhanf
3.1.3 Verbrauch von Medizinalhanf
3.2 Die Pflanze Hanf
3.2.1 Taxonomie
3.2.2 Herkunft und Verbreitung
3.2.3 Morphologie
3.2.4 Entwicklungsstufen
3.2.5 Photoperiodismus
3.2.6 Geschichte der Nutzung
3.2.7 Unterschied Nutz- und Medizinalhanf
3.3 Medizin und Pharmakologie
3.3.1 Wirkstoffe
3.3.1.1 Hauptwirkstoffe
3.3.1.2 Biosynthese
3.3.1.3 Vorkommen in der Pflanze
3.3.1.4 Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren und Wirkstoffgehalt
3.3.2 Pharmazie und Pharmakologie
3.3.2.1 Verabreichungsformen und Effekte
3.3.2.2 Pharmakologie, Wechsel- und Nebenwirkungen
3.3.2.3 Cannabisbasierte Medikamente und Produkte
3.3.3 Medizinische Einsatzmöglichkeiten
3.4 Landwirtschaftlich-gärtnerischer Anbau
3.4.1 Züchtung, Sorten und Erträge
3.4.2 Anbausysteme und Nährmedien
3.4.2.1 Hydroponischer Anbau
3.4.2.2 Erdfreie Substrate
3.4.2.3 Substrat-Temperatur
3.4.2.4 Anbausysteme
3.4.3 Pflanzen- und Sortenwahl
3.4.4 Licht
3.4.4.1 Lichtspektrum
3.4.4.2 Belichtungszeit
3.4.4.3 Lichtleistung, Lichtintensität und Lichtfarbe
3.4.4.4 Abstimmung der Belichtung mit dem Wachstumszyklus
3.4.4.5 Wirkung von UV-Licht
3.4.4.6 Leuchtenarten und Eigenschaften
3.4.4.7 Reflektoren
3.4.4.8 Light Mover
3.4.5 Bewässerung und Wasserqualität
3.4.6 Versorgung mit Mineralnährstoffen
3.4.7 Luft
3.4.7.1 Luftbewegung und Belüftung
3.4.7.2 Temperatur
3.4.7.3 Luftfeuchtigkeit
3.4.7.4 Kohlenstoffdioxid
3.4.8 Pflanzendichte
3.4.9 Pflanzengesundheit
3.4.10 Wachstumsregulation
3.5 Ernte
3.5.1 Erntezeitpunkt
3.5.2 Ernteprozess
3.6 Nachernteprozess
3.6.1 Qualitätsanforderungen und Qualitätssicherung
3.6.2 Trocknung
3.6.3 Verpackung und Lagerung
3.7 Aufbereitung
3.8 Dokumentation, Kontrolle und Überwachung

4 Diskussion
4.1 Gesetzgebung, Verschreibung, Medizinische Anwendungen
4.2 Cannabis-Produkte und Wirkungen
4.3 Anbau und Pflanzen

5 Zusammenfassung

6 Quellenverzeichnis

7 Anhang
7.1 Verbrauch von Medizinalhanf
7.2 Morphologie
7.3 Cannabis-Anwendungsgebiete in der Medizin
7.4 Erntezeitpunkt

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich ein herzliches „Danke“ an die Menschen richten, die mich bei der Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt haben.

Zuallererst und ganz besonders möchte ich mich bei meiner lieben Familie für die stetige und liebevolle Unterstützung während meiner Studienzeit und Masterarbeitsphase bedanken! Die Idee, sich im Rahmen der Abschlussarbeit mit Hanf auseinanderzusetzen, entstand Anfang März 2017 bei gemeinsamen Überlegungen und der Suche nach jeweiligen Abschlussarbeits-Themen. Während meine Wahl auf Medizinalhanf fiel, befasste sich meine Schwester im Rahmen ihrer Facharbeit in der 10. Klasse mit Nutzhanf.

Bei Herrn Prof. Dr. Jörg Pölitz möchte ich mich ganz herzlich für die fachliche Betreuung, die Beantwortung meiner Fragen, die vielen hilfreichen Anregungen und Tipps bei der Erstellung der Masterarbeit, die konstruktive Kritik, die zur Verfügung gestellte Literatur sowie die Begutachtung der Masterarbeit bedanken.

Herrn Prof. Dr. Knut Schmidtke danke ich ganz herzlich für die freundliche Übernahme des Gutachteramtes und in besonderer Weise für seinen persönlichen Einsatz kurz vor geplantem Beginn meines Masterstudiums. Ohne seine Unterstützung und Ermutigung hätte ich dieses weder aufnehmen noch im Rahmen dieser Arbeit zum Abschluss bringen können.

Bedanken möchte ich mich besonders bei Herrn Dr. Arno Hazekamp für den persönlichen Austausch, die Bereitstellung bedeutender Informationen, gegebener Denkanstöße sowie die geduldige Beantwortung meiner Fragen auf schriftlichem und telefonischem Wege.

Ebenfalls für das Teilen von Erfahrungen und Wissen, Hinweisen, das Zurverfügungstellen von Infos und Literatur sowie den persönlichen Austausch bedanke ich mich bei Herrn Dr. Franjo Grotenhermen, Herrn Jan Jurij Eržen, Herrn Dipl.-Ing. Andreas Golde, Herrn Maik Tempel und Frau Verena Aßmann.

Weiterhin gilt mein spezieller Dank Frau Martina Liebsch für das geduldige und gewissenhafte Korrekturlesen der Masterarbeit.

Einen besonderen Dank möchte ich an meine Freunde und Verwandten für die vielen guten Wünsche, lieben Worte, Hinweise, Ideen und das Interesse am Thema in zahlreichen Gesprächen richten. Immer wieder erreichten mich gesammelte, informative Beiträge und Artikel aus Print- und anderen Medien zum Medizinalhanf.

Mein ganz persönlicher Dank gilt Frau Dipl.‑Ing. Monika Bethmann und Herrn Dr. Ulrich Hampl, welche stets ein offenes Ohr für meine Bedenken und Gedanken hatten, mir mit viel Geduld und Hilfsbereitschaft vor Ort und aus der Ferne zur Seite standen und mir emotionalen Rückhalt boten.

Allen hier aufgeführten sowie nicht namentlich genannten Personen, die mich in irgendeiner Art und Weise bei der Erstellung dieser Masterarbeit unterstützten und motivierten und zum Gelingen beitrugen, gebührt mein HERZLICHER DANK!

Claudia Miersch, Dresden, 05.02.2018

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Illustration von Cannabis sativa L.

Abbildung 2: Harz bildende Drüsen.

Abbildung 3: Morphologischer Unterschied zwischen den drei Cannabis-Taxa.

Abbildung 4: Unterschiede in der Blatt-Morphologie zwischen Cannabis sativa L. und C annabis indica Lam. .

Abbildung 5: Strukturformeln wichtiger Cannabinoide

Abbildung 6: Biosyntheseweg von THC und CBD

Abbildung 7: Männliche und weibliche Vorblüte bei Cannabispflanzen

Abbildung 8: Vergleich der beleuchteten Fläche bei einer leistungsstärkeren Lampe und bei mehreren Lichtquellen mit geringerer Wattzahl

Abbildung 9: Farbspektrum des Lichts mit charakteristischen Wellenlängen, Farbtemperaturen, Einordnung entsprechender Leuchtmittel sowie Hinweis zum Einsatz des richtigen Spektrums in Wachstums- und Blütephase.

Abbildung 10: Beispiel einer Lichtquelle basierend auf Leuchtstoffröhren.

Abbildung 11: Beispiel einer Energiesparlampe

Abbildung 12: Beispiel einer Hochdruckentladungslampe

Abbildung 13: Beispiel für eine LED-Lichtquelle.

Abbildung 14: Frühes, mittleres und spätes Entwicklungsstadium des weiblichen Blütenkelchs mit Griffeln und Trichomen.

Abbildung 15: Rotbraune Färbung der Blütenstempel sowie milchig-weiße Färbung der Trichome als Indikatoren des Reifeprozesses.

Abbildung 16: Produktionsstufen Trocknung bis Verpackung bei Bedrocan BV

Abbildung 17: Morphologischer Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Hanf-Pflanzen

Abbildung 18: Männliche blühende Hanf-Pflanze

Abbildung 19: Weibliche blühende Hanf-Pflanze

Abbildung 20: Übersicht, über die möglichen Einsatzgebiete einzelner Cannabinoide

Abbildung 21: Vereinfachte Darstellung des Reifeprozesses weiblicher Cannabis-Blüten mit typischen Veränderungen des Blütenkelchs einschließlich Trichomen und der Griffel

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Morphologische und pflanzenphysiologische Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Hanfpflanzen.

Tabelle 2: Unterscheidungsmerkmale zwischen Cannabis sativa L. , C. indica Lam. und C. ruderalis Janisch .

Tabelle 3: Deutliche Unterschiede zwischen Nutzhanf und Medizinal- oder Drogenhanf.

Tabelle 4: Pharmakokinetische Unterschiede zwischen der Aufnahme von THC über die Lunge (inhalativ) und über den Magen-Darm-Trakt (oral).

Tabelle 5: In Deutschland verfügbare Sorten Medizinalhanf-Blüten mit den jeweiligen Konzentrationen (in % der TS) an THC und CBD.

Tabelle 6: Gesundheitliche Wirkungen der Cannabinoide THC, CBD, CBC, CBG sowie der Cannabionid-Carbonsäuren THCA

Tabelle 7: Übersicht über Effekte unterschiedlicher Belichtungsmöglichkeiten auf die Pflanzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Wachstumszyklus bezogen auf eine 24-stündige Photoperiode

Tabelle 8: Vergleich der Lichtausbeute bei Natriumdampf-Hochdrucklampen (HPS) und Halogen-Metalldampflampe (MH) mit unterschiedlichen Leistungen

Tabelle 9: Vergleich der für die Hanfpflanzen real nutzbaren Lichtleistung (PAR-Watt).

Tabelle 10: Lichtbedarf in Abhängigkeit der Wachstumsphase mit Angabe empfohlener Leuchtmittel.

Tabelle 11: Quartalsweise verkaufte Mengen [kg] getrockneten Medizinalhanfs in Kanada.

Tabelle 12: Quartalsweise produzierte Mengen [kg] getrockneten Medizinalhanfs in Kanada

Tabelle 13: Quartalsweise Anzahl registrierter Patienten in Kanada.

Tabelle 14: Jährliche im staatlichen Auftrag produzierte Mengen Medizinalhanf in den Niederlanden von 2010 bis 2016.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Hanf, als eine der ältesten Nutzpflanzen, hat in der Weltwirtschaft heute als legale und illegale Kulturpflanze eine wichtige Bedeutung (Datwyler & Weiblen 2006, S. 371). Aufgrund des umfangreichen Nutzungsspektrums lässt sich Hanf als „Büffel unter den Pflanzen“ betrachten (Rätsch 1995, S. 17). Alle Teile des Büffels (Bison bison) wurden kulturell genutzt und lieferten den Indianern alles, was sie zum Leben brauchten. Selbiges lässt sich auf Hanf übertragen. Aus der Totalverwertung der Pflanze ergibt sich eine multiple Nutzung als Nahrung, Rohstofflieferant, Medizin, Genussmittel und spirituelles Rauschmittel, was für viele frühe Kulturen belegt ist. Weltweit wird Hanf mit dieser vielseitigen Verwendung angebaut – in manchen Regionen dominiert der Gebrauch als Rauschmittel, in anderen die Verwertung der widerstandsfähigen, langlebigen Fasern oder der nahrhaften Samen. Die medizinische Nutzung der Pflanze ist dabei überall anzutreffen. (vgl. Datwyler & Weiblen 2006, S. 371; Rätsch 1995, S. 15, 17) Gleichsam, wie beim Nutzhanf festzustellen, erlebt auch Medizinalhanf im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren eine Wiederentdeckung und es stellt sich eine Normalisierung im Umgang mit dem umstrittenen Multitalent Hanf als Rauschdroge und dem Medikament Cannabis ein (Grotenhermen 2015, S. 16 f.).

Von den Pflanzen produzierte und für die Gattung Cannabis charakteristische Phytocannabinoide stellen die, für die Medizin pharmazeutisch wirksamen und wichtigen Inhaltsstoffe dar (Hazekamp 2016, S. 9 f.). Das breite Wirkungsspektrum dieser Stoffe ermöglicht den Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel bei einer Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen (Rätsch 2016, S. 7). Aus einem amerikanischen Urteil von 1988 ging hervor, dass es sich bei Cannabis-Pflanzenteilen „[…] um eine der sichersten therapeutischen Substanzen handele, die der Menschheit bekannt sind.“ (vgl. Herer & Bröckers 1995, S. 9). Der Erwerb von Medizinal-Cannabis in Form getrockneter Medizinal-Cannabisblüten und Cannabisextrakten zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie unterlag bisher einem Erlaubnisverfahren mit Bezug auf § 3 Absatz 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Patienten mussten für den Erwerb eine entsprechende Ausnahmeerlaubnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragen. (vgl. BfArM 2017b) Mit Inkrafttreten des Gesetzes „Cannabis als Medizin“ („Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“, Deutscher Bundestag 2017c) am 10.03.2017 ist die Verschreibungsfreiheit für Cannabis hergestellt und die vormaligen Ausnahmeerlaubnisse für die Patientenversorgung mit Medizinal-Cannabis sind nicht mehr weiter erforderlich (BfArM 2017b). Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen und bei fehlenden Therapiealternativen können Cannabis in kontrollierter, pharmazeutischer Qualität auf ärztliche Verordnung und Verschreibung auf einem Betäubungsmittelrezept in Apotheken erhalten (Bussick & Eckert-Lill 2017). Weiterhin wurde durch das Gesetz und eine damit verbundene Änderung im Sozialgesetzbuch eine Erstattungsmöglichkeit der Kosten für die Patienten durch die gesetzliche Krankenversicherung geschaffen (Deutscher Bundestag 2016, S. 13). Die Anzahl durch Apotheken ausgestellte Rezepte über Fertigarzneimittel und inzwischen erlaubte Rezepturarzneimittel mit Cannabisblüten ist bis Juni 2017 kontinuierlich angestiegen und hat sich vervierfacht (Ärzte Zeitung online 2017). Um den steigenden Bedarf zu decken und die Versorgung Schwerkranker mit Cannabis in pharmazeutischer Qualität sicherzustellen, soll Medizinalhanf zukünftig in Deutschland angebaut werden. Der Eigenanbau durch Patienten zur medizinischen Selbsttherapie birgt u.a. die Gefahr von mangelnden Qualitäts- und Sicherheitskontrollmöglichkeiten (Deutscher Bundestag 2016, S. 2), weswegen im BfArM die Cannabisagentur zur Kontrolle und Steuerung des Cannabisanbaus in Deutschland geschaffen wurde. Infolge eines EU-weiten Ausschreibungsverfahrens wurden an Betriebe, die die Anforderungen der Cannabisagentur erfüllen, Lizenzen zum Anbau von Medizinalhanf im Umfang von etwa 6 600 kg innerhalb von vier Jahren vergeben (Deutscher Bundestag 2017a, S. 1). Laut BfArM wird ab 2019 das erste in Deutschland erzeugte und geerntete Cannabis für medizinische Anwendungen verfügbar sein. (vgl. BfArM 2017c) Der bereits deutlich gewordene Bedarfsanstieg cannabinoidhaltiger Medizinprodukte wird sich über die nächsten Jahre fortsetzen (Deutscher Bundestag 2016, S. 13) und entsprechende Produktionsmengen an Medizinalhanf in Deutschland erfordern.

In den nachfolgenden Kapiteln erfolgt die Darstellung der Ergebnisse einer umfassenden Literaturrecherche zu verschiedenen Aspekten der Nutzung und des Anbaus von Medizinalhanf in der Bundesrepublik Deutschland. Die Begriffe „Cannabis“ (griech. kánnabis = Hanf) (Schubert & Wagner 1971, S. 87) und „Medizinalhanf“ werden dabei als Synonyme verwendet.

Im ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf gesetzlichen und wirtschaftlichen Themen, gefolgt von Erläuterungen zu Botanik, Physiologie, Nutzungsgeschichte der Hanfpflanze sowie Ausführungen zu Medizin und Pharmakologie. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf dem landwirtschaftlich-gärtnerischen Anbau, wobei Darstellungen zu den einzelnen Stufen des Kultivierungsprozesses folgen. In Verbindung mit Erläuterungen zur Auswahl verschiedener Anbau-Parameter werden relevante Zusammenhänge erklärt. Die nachfolgende Diskussion dient dem Aufzeigen von bestehenden, deutlich gewordenen Problemen sowie Forschungsdefiziten im Bereich der Medizinalhanf-Verwendung und des -Anbaus. Die abschließende Zusammenfassung liefert einen Überblick der Ergebnisse der bearbeiteten Themenkomplexe.

2 Material und Methoden

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Literaturarbeit. Neben der Recherche nach Büchern in gedruckter und digitaler Form erfolgte die Suche nach Informationen über Suchmaschinen wie beispielsweise GoogleScholar, wobei zahlreiche Texte zu wissenschaftlichen Untersuchungen gefunden wurden. Über den Bibliothekskatalog der HTW Dresden konnte ebenfalls auf Publikationen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Journalen zugegriffen werden. Weiterhin wurde die medizinische Datenbank PubMed (National Center for Biotechnology Information 2017) für Recherchezwecke genutzt.

Die Ermittlung von Statistiken zu Produktion und Verbrauch von Cannabis(-produkten) in anderen Ländern erwies sich als schwierig. Derartiges Datenmaterial ist fast ausschließlich für den illegalen Bereich verfügbar. Selbst kontaktierten Mitgliedern der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM) in Deutschland, Kanada und Israel lagen keine Zahlen diesbezüglich vor. Lediglich vom Bureau voor Medicinale Cannabis in Den Haag, Niederlande erfolgte eine Auskunft zu Cannabis-Produktionsmengen. Für Angaben aus Deutschland wurde bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. nachgefragt, worauf der Hinweis auf die Kleinen Anfragen an die Bundesregierung mit enthaltenen Zahlen zum Import folgten. Vonseiten der Cannabisagentur wurden jegliche Anfragen mit Verweis auf die Homepage des BfArM sowie des Ausschreibungsverfahrens zum „Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke“ im Amtsblatt der Europäischen Union zurückgewiesen. Ein entsprechendes Formblatt mit Angaben zum Vergabeverfahren wurde aus Vertraulichkeitsgründen von der Agentur nicht zur Verfügung gestellt. Informationen diesbezüglich konnten nur durch persönlichen Kontakt zu einem Bewerber gewonnen werden. Angaben zur Richtigkeit einiger Aussagen zum Import von Medizinalhanf nach Deutschland in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung ließen sich weder über öffentliche Institutionen wie der Cannabisagentur noch über die Redaktion direkt erlangen. Erst vom niederländischen Gesundheitsministerium wurden die Aussagen revidiert.

Um an Informationen zum Medizinalhanf-Anbau in der Praxis zu gelangen, wurden verschiedene Firmen in Kanada, den USA und Österreich kontaktiert. Die Anfragen blieben jedoch unbeantwortet oder es wurde wie im Falle des Herstellers pflanzlicher Arzneimittel Bionorica auf Geheimhaltung verwiesen. Infolge des Interesses am gemeinsamen Austausch und der Kommunikation mit Arno Hazekamp – international anerkannter Cannabis-Forscher und ehemaliger Leiter der Forschungs- und Bildungsabteilung vom niederländischen Unternehmen Bedrocan International – konnten individuelle Fragen im telefonischen Gespräch (Hazekamp 2017) sowie schriftlich per Mail beantwortet werden. Weitere Informationen konnten durch den schriftlichen Kontakt mit Spezialisten und Forschern wie Franjo Grotenhermen, Ilya Reznik und Jan Jurij Eržen gewonnen werden.

Da der Medizinalhanf-Anbau im Rahmen von Gesetzesänderungen in den deutschsprachigen Ländern erst langsam an Bedeutung gewinnt, besteht der überwiegende Teil der genutzten Quellen aus englischsprachiger Literatur.

Die Aktualität des Themas machte es erforderlich, für neuere Informationen im Hinblick auf Medizinalhanf in Deutschland Mitteilungen einiger Online-Portale wie Pharmazeutische Zeitung online oder die Deutsche Apotheker Zeitung online zu nutzen.

Für zusätzliche Hinweise und Erklärungen zu Cannabis-Sorten oder der technischen Ausrüstung beim Anbau wurde ebenso auf Internetquellen zurückgegriffen. Allgemein besteht bei der Bearbeitung des Themas die Schwierigkeit, an fundierte, wissenschaftliche Daten und Informationen zu gelangen. Entweder handelt es sich bei den Autoren um vorrangig im illegalen Bereich agierende Cannabis-Anbauer und keine Wissenschaftler, deren Angaben auf eigenen Beobachtungen basieren. Andernfalls sind es Wissenschaftler, die an entsprechenden Themenkomplexen forschen, jedoch aufgrund strenger Regularien in der Informationen-Herausgabe eingeschränkt sind. (Hazekamp 2017) Bei der Verwendung von Websites mit hilfreichen Anbauangaben, die bislang nicht in begutachteten (peer-reviewed) wissenschaftlichen Fachbeiträgen enthalten sind, wurde deswegen darauf geachtet, Online-Quellen zu nutzen, deren Verfasser oder Herausgeber öffentliche Institutionen oder namentlich bereits aus anderen gesichteten und genutzten Quellen bekannt sind.

3 Ergebnisse

3.1 Aktuelle gesetzliche und wirtschaftliche Situation

3.1.1 Gesetzliche Vorschriften

3.1.1.1 Verschreibung

Durch das Änderungsgesetz „Cannabis als Medizin“ (Deutscher Bundestag 2017c) sind seit dem 10.03.2017 in Deutschland Cannabisarzneimittel in standardisierter Qualität verkehrs- und verschreibungsfähig. Eine Abgabe dieser ist ausschließlich durch Apotheken und auf Basis einer ärztlichen Betäubungsmittelverschreibung zulässig. Durch damit verbundene Änderungen anderer Gesetzestexte wie der Anpassung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) sind neben Cannabisextrakten nun auch nach der betäubungsmittelrechtlichen Begriffsbestimmung als „Stoff“ und nicht als „Zubereitung“ definierte, getrocknete Cannabisblüten verschreibungsfähig. (vgl. Deutscher Bundestag 2016, S. 13 f., 21) Der Zugang schwerwiegend Erkrankter zu Cannabisarzneimitteln setzt voraus, dass sowohl eine konkrete ärztliche Diagnose und eine entsprechende Indikation zur Behandlung gestellt wurden als auch, dass „[…] eine ärztliche Therapie mit sämtlichen für die Behandlung der vorliegenden Erkrankung oder Symptomatik zugelassenen bzw. verfügbaren und verkehrsfähigen anderen Arzneimitteln keine weiteren Erfolge gezeigt hat.“ (vgl. Deutscher Bundestag 2016, S. 22). Liegt ein entsprechendes Fehlen geeigneter anderer Therapieformen als Alternative vor, können je nach Krankheitsbild unterschiedliche Sorten von standardisiertem Cannabis zum therapeutischen Einsatz kommen. Diese können sich in ihrem Gehalt an THC unterscheiden. Die 100 g Cannabisblüten innerhalb von 30 Tagen betragende Höchstverschreibungsmenge wurde zur Vereinfachung unabhängig vom THC-Gehalt festgelegt. (vgl. Deutscher Bundestag 2016, S. 23) Das BfArM ist gesetzlich beauftragt, eine bis zum 31.03.2022 laufende nichtinterventionelle Begleiterhebung zur Anwendung der Cannabisarzeimittel durchzuführen (Deutscher Bundestag 2017c, S. 405). Für eine Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Teilnahme aller Versicherten, die mit entsprechenden Arzneimitteln behandelt werden, an der Erhebung verpflichtend (Deutscher Bundestag 2016, S. 24). Von den Ärzten werden anonymisierte bei der Anamneseerhebung oder im Therapieverlauf höchstens zweimalig erhobene Patientendaten an die Bundesopiumstelle übermittelt (Cremer-Schaeffer et al. 2017, S. 677). Die wissenschaftlich auswertbare Datenlage ist derzeit noch zu gering für das Treffen von Aussagen zu Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabisblüten und -exktrakten. (vgl. BfArM 2017c; Bussick & Eckert-Lill 2017) Die Auswertung der Behandlungsdaten soll eine Einschätzung über das Nutzen/Risiko-Verhältnis bei der Anwendung derartiger Arzneimittel ermöglichen (AMK 2017). Cannabis-Arzneimittel haben ein breites Wirkpotenzial. Gleichzeitig wird oft kritisiert, dass „[…] die Informationen über die Wirkung von Cannabis häufig auf anekdotische Berichte oder Untersuchungen zurückzuführen sind, die nicht den Anforderungen einer klinischen Prüfung nach dem AMG genügen.“ (Möller & Flenker 2001, S. A1104). Für die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabis-Basis sind (weitere) klinische Forschungen erforderlich, wofür die Ergebnisse der Begleiterhebung wiederum Grundlage sein können. (vgl. Cremer-Schaeffer et al. 2017, S. 678)

3.1.1.2 Administration

Der Anbau von Medizinalhanf in Deutschland hat nach den Vorgaben des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe (Deutscher Bundestag 1961) zu erfolgen. Demnach ist eine staatliche Stelle zu Steuerung und Kontrolle des Anbaus von THC-reichem Cannabis zu medizinischen Zwecken einzurichten. Diese Aufgaben wurden dem BfArM übertragen, welches in verschiedenen rechtlichen Funktionen handelt – zum einen zivilrechtlich als Cannabisagentur (Ankauf/Verkauf) und zum anderen als Bundesopiumstelle für die Überwachung des legalen Betäubungsmittelverkehrs einschließlich Erlaubniserteilung. Das Aufgabenspektrum des staatlichen Büros zum medizinischen Gebrauch von Cannabis in den Niederlanden wurde entsprechend auf die staatliche Stelle in Deutschland übertragen. Demnach obliegen dem BfArM folgende Aufgaben: Ausschreibung des Bedarfs und Kontrolle des Cannabisanbaus; Qualitätsprüfung; Organisation der Belieferung von Großhändlern und Apotheken; Einrichtung einer effektiven und kontrollierten Verteilungsstruktur; Verhinderung der Nutzung zu unerlaubten Zwecken; Sicherstellung der konstanten Verfügbarkeit sowie die Überwachung und Lizenzierung aller Firmen in der Produktions-, Verpackungs- und Verteilungskette. Die im Ausschreibungsverfahren ausgewählten Unternehmen erhalten von der Cannabisagentur in Verbindung mit dem Abschluss zivilrechtlicher Liefer- und Dienstleistungsverträge den Auftrag zum Anbau von Medizinalhanf. (vgl. Deutscher Bundestag 2016, S. 20 f., 28) Die staatliche Stelle wird zunächst durch Ankauf Eigentümerin der gesamten Ernte, legt den Abgabepreis fest und verkauft die Ware an Cannabisarzneimittel-Hersteller, Großhändler oder Apotheken weiter (BfArM 2017d, S. 1). Alle Glieder der Wertschöpfungskette haben über die erforderlichen betäubungsmittel- und arzneimittelrechtlichen Erlaubnisse und Genehmigungen zu verfügen und die jeweils einschlägigen Vorschriften des Betäubungsmittel-, Arzneimittel- und Apothekenrechts einzuhalten (vgl. BfArM 2017c).

3.1.1.3 Anbau

In der Auftragsbekanntmachung der EU-weiten Ausschreibung ist in der Beschreibung („Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken in einer gesicherten Inhouse-Plantage in Deutschland.“, BfArM 2017) bereits die Vorgabe des geschützten-/indoor-Anbaus enthalten.

Die Anbaubetriebe als Auftragnehmer haben gemäß BfArM (2017d, S. 1) folgende Leistungen zu erbringen: Anbau der Cannabispflanzen und Ernte der Cannabisblüten; Weiterverarbeitung, Kontrolle der Qualität, Lagerung der Cannabisblüten; Abfüllen und Verpacken der weiterverarbeiteten Cannabisblüten als Bulkware in Gebinde; Übergabe der verpackten Cannabisblüten am vereinbarten Übergabeort; Vernichtung von Cannabispflanzen und ggf. Cannabisblüten. Alle geschuldeten Leistungen müssen dabei mit Ausnahme laborgebundener Analysen am Produktionsstandort / in der Anlage erbracht werden.

Die Betriebe müssen eine Anbauerlaubnis gemäß § 3 BtMG sowie eine Herstellungserlaubnis gemäß § 13 Arzneimittelgesetz (AMG) beantragen (BfArM 2017e, S. 3, 5). Der Anbau des Cannabis hat in Übereinstimmung mit den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen zu erfolgen, wobei folgende Regelungen streng zu beachten und einzuhalten sind:

- "EUDRALEX: Volume 4 Medicinal Products for Human and Veterinary Use: Good Manufacturing Practice” (GMP) und des
- “Annex 7: Manufacture of Herbal Medicinal Products"
- "Guideline on Good Agricultural and Collection Practice (GACP) for Starting Materials of Herbal Origin" (EMEA/HMPC/246816/2005) (vgl. BfArM 2017d, S. 1)

Die im Nachernteprozess respektive der Weiterverarbeitung (Trocknung, Transport, Verpackung, Lagerung etc.) genutzten Räume und Geräte müssen „[…] alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen und dem Stand von Wissenschaft und Technik i.S.d. § 14 AMG entsprechen.“ (vgl. BfArM 2017d, S. 3).

3.1.2 Bisherige Bereitstellung von Medizinalhanf

Neben der Bundesrepublik Deutschland besitzen „[…] die Niederlande, Österreich, die Schweiz, die Tschechische Republik, Israel und Australien eine Behörde, die für die Wahrnehmung der Aufgaben im Sinne des Einheits-Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe verantwortlich ist und die teilweise als Cannabisagentur bezeichnet wird.“ (vgl. Deutscher Bundestag 2017a, S. 2). Bereits im Jahr 2001 wurde in Kanada das Beziehen von getrockneten Cannabisblüten und -blättern für Patienten mit entsprechender ärztlicher Bescheinigung möglich (Page & Ware 2015, S. S9) und auch in den Niederlanden ist der medizinische Gebrauch von Cannabis seit 2003 erlaubt (Deutscher Bundestag 2016, S. 18). In Ländern mit entsprechenden gesetzlichen Vorschriften sind Unternehmen ansässig, die für den eigenen Markt sowie den Export Medizinalhanf produzieren. In Kanada gibt es 62, vom Health Canada’s Office of Controlled Substances als staatliche Stelle, lizenzierte Produzenten (Government of Canada 2017a). Bedrocan BV steht als einziges Unternehmen beim niederländischen Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport und dabei dem Bureau voor Medicinale Cannabis als staatliche Institution, für den Anbau und die Hanfblüten-Produktion unter Vertrag. Cannabispräparate dieses weltweit ersten Unternehmens mit GMP-konformer Herstellung werden neben Finnland, Italien, Israel, Norwegen und Polen auch nach Deutschland exportiert. (vgl. Bifulco & Pisanti 2015, S. 130; Blasius 2017a) Für Israel wurde eine Kommissions-Empfehlung für den Export gegeben, wobei die endgültige politische Entscheidung noch aussteht. (vgl. Deutscher Bundestag 2017a, S. 2)

Der Import von Medizinalhanf nach Deutschland kann generell aus jedem Land erfolgen, welches über einen staatlich kontrollierten Anbau verfügt und Arzneimittelqualität gewährleisten kann (BfArM 2017c). Die dazu entsprechend rechtlich erforderliche Übereinstimmung mit den Anforderungen aus dem oben genannten Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe (Deutscher Bundestag 1961) zum Export nach Deutschland erfüllen laut Deutscher Bundestag (2017a, S. 2) bisher nur Kanada und die Niederlande. Aus beiden Ländern erfolgten bisher Importe, um den Medizinalhanf-Bedarf in Deutschland zu decken.

Im Jahr 2014 wurden 48 kg und 2015 rund 94 kg Medizinalhanf nach Deutschland importiert (Deutscher Bundestag 2016, S. 19). 2016 belief sich die Importmenge auf 170 kg (ZEIT ONLINE 2017). Eine enorme Bedarfssteigerung ist mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes im März 2017 zu verzeichnen, da im Zeitraum zwischen 01. Januar und 27. Juli 2017 bereits 318,5 kg importiert wurden (Deutscher Bundestag 2017a, S. 1).

Zum Sicherstellen der Patientenversorgung werden die Importe von Cannabis zur medizinischen Verwendung auch weiterhin fortgesetzt, da eigene Ernte frühestens ab 2019 zur Verfügung steht. Entsprechend einer politischen Regelung in den Niederlanden beträgt die jährliche Exportmenge pro Land 100 kg Medizinalhanf. Aufgrund des höheren Bedarfs und dem Überschreiten dieser Mengengrenze in Deutschland erfolgte zwischen dem niederländischen Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport und der deutschen Bundesopiumstelle für einen Zeitraum von drei Jahren die Vereinbarung einer anderen maximalen Menge. Gleichzeitig besteht vonseiten des niederländischen Ministeriums die Erwartung, dass in solchem Falle das jeweilige Importland den Medizinalhanf-Anbau selbst organsiert. (vgl. Couwenbergh 2017; Sandvos 2017)

Medizinische Cannabisblüten beziehen deutsche Apotheken derzeit über die Importeure ACA Müller ADAG Pharma aus Überlingen, Cannamedical® Pharma aus Köln und Fagron Deutschland aus Barsbüttel, welche alle vom niederländischen Hersteller Bedrocan BV beliefert werden. Das Unternehmen MedCann aus St. Leon-Rot bei Heidelberg importiert Blüten vom kanadischen Hersteller Tweed. Pedanios aus Berlin bezieht sowohl von Bedrocan BV als auch von Peace Naturals in Kanada. (vgl. Blasius 2017b)

3.1.3 Verbrauch von Medizinalhanf

Zahlen und Statistiken zum Cannabis-Anbau und -Konsum sind hauptsächlich im illegalen Kontext verfügbar. Für den medizinischen Bereich liegen entweder keine Daten vor oder erfolgt die Herausgabe und Veröffentlichung dieser nur in Ausnahmefällen.

Laut Siegel-Itzkovich (2017) lag die Weltproduktion an Medizinalhanf im Jahr 2000 bei 1,3 t und stieg bis 2014 auf 57,3 t an.

Mit dem Erlass neuer Vorschriften im Juli 2001 wurde in Kanada Patienten mit bestimmten Krankheiten der Zugang zu Medizinalhanf gewährt (Nolin & Kenny 2002, S. 18). Aus eigenen Auswertungen (Tabelle 11 bis Tabelle 13 im Anhang) vorhandenen Zahlenmaterials ging hervor, dass sich die produzierte Menge getrockneten Medizinalhanfs in Kanada von 2015 auf 2016 mehr als verdoppelt hat. Die Verkaufsmenge ist im gleichen Zeitraum um den Faktor 2,5 und die Gesamtzahl an Patienten um das 3,2-fache angestiegen. (vgl. Government of Canada 2017b)

Seit 2003 wird in den Niederlanden Medizinalhanf zur Behandlung von Patienten produziert. Wie aus Tabelle 14 im Anhang (S. 93) hervorgeht, hat sich die Produktionsmenge zwischen 2010 (ca. 120 kg) und 2016 (ca. 1 050 kg) fast verneunfacht (Office of Medicinal Cannabis 2017). Zurückzuführen ist dies unter anderem auf den Export in andere Länder, wie z.B. Tschechien, Italien, Österreich etc., wo Cannabis zu medizinischen Zwecken legalisiert wurde (Melle 2017).

Israel gilt als weltweites Forschungszentrum im Bereich Cannabis und besitzt ein nationales Medizinalhanf-Programm. Bezogen auf die Bevölkerungszahl weist das Land die größte Zahl an Cannabis-Patienten auf. Diese liegt seit der medizinischen Legalisierung im Jahr 1995 bei mehr als 39 000 Patienten (IACM 2017, S. 22).

Der aus verfügbaren Zahlen zu Medizinalhanf-Bedarf und -Verbrauch erkennbare Anstieg lässt sich auf alle Staaten übertragen, in denen der medizinische Gebrauch von Medizinalhanf legalisiert wurde. Für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich auf eine ähnliche Entwicklung schließen.

3.2 Die Pflanze Hanf

3.2.1 Taxonomie

Die Gattung Cannabis (Hanf) lässt sich in der Klasse der Dicotyledoneae (Zweikeimblättrige) in die Ordnung Urticales (Nesselartige) und dabei der Familie der Cannabaceae einordnen. Letztere wurde früher laut Brown (1998, S. 31 f.) zunächst zur Familie der Urticaceae (Nesselgewächse) und dann zu den Moraceae (Maulbeergewächse) gerechnet, wogegen allerdings wesentliche Merkmals-unterschiede sprechen. (vgl. Hanf 1996, S. 39) Die in den 1960ern infolge morphologischer und chemischer Untersuchungen eingeführte Familie der Cannabaceae (Hanfartige) (Brown 1998, S. 31 f.) weist neben Hanf und seinem nächsten Verwandten dem Hopfen (Humulus lupulus) (Rätsch 2016, S. 13) inzwischen noch weitere Gattungen auf (Knight et al. 2010, S. 37). Clarke & Merlin (2013) verweisen sogar darauf, dass im Vergleich zu den sehr eng verwandten Pflanzenfamilien Moraceae und Urticaceae die Cannabaceae eine entwicklungsgeschichtlich ältere Pflanzenfamilie ist.

Hinsichtlich der weiteren taxonomischen Einordnung des Hanfs gilt bislang keine eindeutige Vereinbarung (Pertwee 2014, S. 90) und es existieren bis heute vielerlei Meinungen und Angaben (Chandra et al. 2017, S. 1). Während nach Betrachtungen von Carl von Linné (1753) die Gattung mit Cannabis sativa L. lediglich aus einer Art besteht, ermittelte Lamarck (1785), dass sich Cannabissorten von Indien und Europa unterscheiden, woraufhin er eine weitere, zweite Art Cannabis indica Lam. beschrieb. (vgl. Hillig 2005, S. 162) Von anderen Systematikern erfolgte der Vorschlag weiterer Arten. Im frühen 20. Jahrhundert wurde vom russischen Botaniker Dmitrij E. Janischewsky Cannabis ruderalis Janisch. als dritte Art beschrieben (Ude & Wurglics 2017, S. 11).

Von Knight et al. (2010, S. 37), Brown (1998, S. 32), dem kanadischen Botaniker Jonathan Page (Laursen 2015, S. S4) und anderen Experten wird die Problematik in der Taxonomie der Gattung Cannabis mit der langen Kultivierungsperiode durch den Menschen begründet, welche eine große Anzahl phänotypisch getrennter Taxa zur Folge hatte. Weiterhin zog laut Knight et al. (2010, S. 37) der illegale Anbau in den meisten Ländern eine Verbreitung informeller Namen nach sich, welche keine eindeutige oder allgemeine Verwendung ermöglichen. Die Frage, ob es sich mit Cannabis sativa L., C. indica Lam. und C. ruderalis Janisch. tatsächlich um drei separate Arten handelt oder ob diese als Unterarten von Cannabis sativa L. (z.B. C. sativa subsp. indica) oder Varietäten (z.B. C. sativa var. indica) zu behandeln sind, ist offen und Gegenstand andauernder wissenschaftlicher Diskussionen.

An 157 Populationen weltweit durchgeführte genetische Untersuchungen von Hillig (2005, S. 176) ergaben eine Verschiedenheit innerhalb des Cannabis-Genpools, was die Existenz von C. sativa L. und C. indica Lam. als eigenständige Arten bestätigte. Hillig (2005, S 177) weist gleichzeitig darauf hin, dass die Rolle der menschlichen Selektion – anders als von Knight et al. (2010, S. 37) und den Botanikern Small und Cronquist 1976 angenommen und beschrieben (Hillig & Mahlberg 2004a, S. 973) – für diesen Unterschied der Genpools unsicher ist und sich nicht in entsprechenden Untersuchungen zeigt (Hillig & Mahlberg 2004a, S. 973). Die für die Anerkennung von C. sativa L. und C. indica Lam. als getrennte Spezies relevanten Differenzen in der Morphologie, den geographischen Ursprüngen und genetischen Merkmalen, spiegeln sich in Cannabinoid-Gehalts-Unterschieden zwischen beiden Arten wider (Hillig & Mahlberg 2004a, S. 971).

Aufgrund des Nichtvorhandenseins genetischer und chemotaxonomisch signifikanter Unterschiede lässt sich eine Eigenständigkeit von C. ruderalis Janisch. nicht sicher nachweisen (Hillig & Mahlberg 2004a, S. 971). Die von Hillig & Mahlberg (2004a, S. 973) durchgeführte Untersuchung zur Cannabinoid-Variation befürwortet dementsprechend ein zwei-Arten-Konzept für Cannabis.

Auf Untersuchungs- und Feldforschungsergebnissen führender botanischer Autoritäten wie Richard E. Schultes und William Emboden basierend, sind gemäß Rätsch (2016, S. 11) drei Taxa valide, womit der Hanf die drei Arten Cannabis sativa L. , C. indica Lam. und C. ruderalis Janisch. umfasst. In taxonomischen Datenbanken wie Integrated Taxonomic Information System, The Plant List oder BiolFlor wird hingegen weiterhin an einer monotypischen Gattung mit entsprechenden Unterarten festgehalten (Ude & Wurglics 2017, S. 11).

Aufgrund der Uneinigkeiten unter den Botanikern sowie differierender Angaben in Florenwerken und Datenbanken hinsichtlich der Taxonomie von Cannabis sollen im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Bezeichnungen „Sippe“ respektive „Taxon“ Verwendung finden. Beide Begriffe bezeichnen in der botanischen Taxonomie keine definierte hierarchische Rangstufe (Kühn & Klotz 2002, S. 41).

Mit einer steigenden Anzahl an Rechtsverordnungen, Erlaubnissen und Verboten im Bezug auf Hanf, ist eine eindeutige, allgemein gültige Taxonomie unabdingbar. Behörden müssen zur Schaffung eines Rechtsrahmens und zur Ableitung juristischer Konsequenzen klassifizieren und definieren können, um welche Art von Pflanze es sich handelt. (vgl. Knight et al. 2010, S. 37; Laursen 2015, S. S4 f.; Rätsch 2016, S. 11)

3.2.2 Herkunft und Verbreitung

Angesichts der komplexen Geschichte des Hanfs betreffs Nutzung; Zweifel an der Unterscheidung von Wild-, Kultur- und verwilderter Form etc. ließ sich kein exaktes geografisches Herkunftsgebiet für die Zeit vor der Gemeinschaft mit dem Menschen ermitteln. Allgemein gilt Zentralasien als die ursprüngliche Heimat des Hanfs. Die Regionen um das Kaspische Meer, Zentral- und Südrussland, Sibirien, Afghanistan, China, Nordindien und das Himalaya stellen Ursprungsgebiete dar. Sicher ist, dass die Pflanze in der Alten Welt ihren Ursprung besitzt. (vgl. Brown 1998, S. 29; Heuser 1927, S. 3; Rätsch 2016, S. 13; Small 2015, S. 194) Von Martius (1855, S. 27) wurde gemutmaßt, dass Hochasien vielleicht sein ursprüngliches Vaterland sei, da wild wachsender Hanf im Himalaya noch in Höhen von 2 100 m (7 000 ft) häufig und in üppigster Entwicklung mit Pflanzenhöhen bis über 3,5 m (12 ft) anzutreffen ist.

Die Gattung Cannabis könnte mit einem hindustanischen und einem europäisch-sibirischen Schwerpunkt zwei Diversitäts-Zentren haben und ist von einer ausgedehnten geografischen Verteilung in unterschiedlichen Klimazonen gekennzeichnet. (vgl. Hillig 2005, S. 161; Small 2015, S. 198) Laut Claussen & Korte (1968, S. 172) passt sich Hanf schnell dem Klima an und nach Geschwinde (2007, S. 8) gedeihen die Pflanzen – die Arktis und tropischen Regenwälder ausgenommen – auch unter extremen Umweltbedingungen. Laut Hillig (2005, S. 161) erstreckt sich das Verbreitungsgebiet vom Äquator bis etwa 60°N geografische Breite und über weite Teile der südlichen Hemisphäre. Cannabis sativa L. stammt überwiegend aus Asien, Amerika, Afrika und ist vorrangig äquatornah zwischen dem 30. nördlichen und südlichen Breitengrad vorkommend. Cannabis indica Lam. stammt aus Pakistan und Indien und besiedelt im Allgemeinen Gegenden von 30° bis 50° nördlicher und südlicher Breite. Natürliche Vorkommen von Cannabis ruderalis Janisch. sind nördlich und südlich des 50. Breitengrades zu finden. Jedes Ursprungsgebiet weist spezifische Pflanzen-Charakteristiken auf, aber allen gemein sind die und unter 3.2.3 (ab S. 13) aufgeführten allgemeinen Merkmale. (vgl. Cervantes 2006, S. 10 f.; Short 2003, S. 71)

Cannabis kann in verschiedenen Lebensräumen von Meereshöhe in tropischen Regionen bis – wie bereits von Martius (1855, S. 27) erwähnt – ins alpine Vorgebirge des Himalayas, je nach Breitengrad, in Höhenlagen von mehreren tausend Metern über dem Meeresspiegel vorkommen. (vgl. Chandra et al. 2008, S. 300; Clarke & Merlin 2013; Small 2015, S. 199)

Von Small (2015, S. 194 f.) wird außerhalb gezielten Anbaus vorkommender und an anthropogen entstandenen oder veränderten Standorten wachsender Hanf als Unkraut bezeichnet.

3.2.3 Morphologie

Bei Hanf handelt es sich im Allgemeinen um eine einjährige Art, deren Wachstumsmuster sehr stark von den Jahreszeiten bestimmt wird. In subtropischen bis tropischen Gebieten ist ein mehrjähriges Überleben von Cannabis sativa L. ebenfalls möglich (vgl. Tabelle 1). (vgl. Brown 1998, S. 36; Pertwee 2014, S. 66; Small 2015, S. 192). Aus der Anpassung der Hanf-Sippen an das Überleben und Gedeihen in sehr unterschiedlichen Klimazonen und Lebensräumen und dem menschlichen Eingreifen resultieren verschiedene Pflanzenformen (Pertwee 2014, S. 66). Obwohl die Sprossachse mehr oder weniger verholzt ist, wird Hanf als Kraut oder Hochstaude bezeichnet. Der zähe Stamm ist steif, aufrecht, stumpfeckig, mit zunehmender Höhe gefurcht, einfach ästig und mit kurzen, steifen Haaren dicht besetzt. Eine Verzweigung (etwa alle 12 – 25 cm) ist abhängig von der Pflanzendichte. Die Pflanzenhöhen können je nach Genotyp, Umweltbedingungen und Nutzungsaspekt stark variieren und erstrecken sich von 20 cm Höhe im ausgewachsenen Zustand bis auf 6 m Höhe bei kultivierten Formen, wobei gewöhnlich 1 – 3 m erreicht werden. Die langgestielt, tief handförmig geteilten Blätter sind im unteren Bereich der Sprossachse gegenständig und nach oben hin wechselständig sowie mit Nebenblättern versehen. Sie bestehen aus 3 bis 15 – meist siebenfingrigen – lanzettförmigen, gesägten sowie ober- und unterseits kurzhaarigen Teilblättern. (vgl. Brown 1998, S. 34; Clarke & Merlin 2013; Geschwinde 2007, S. 8 f.; Martius 1855, S. 26; Pertwee 2014, S. 66; Small 2015, S. 192)

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Abbildung 1 : Illustration von Cannabis sativa L. A) Blühender männlicher Trieb; B) Fruchtender weiblicher Trieb; C) Traube aus männlichen Blüten; D) Frucht (Achäne) umgeben von Kelchblättern; E) Ansicht der breiten Seite der Achäne; F) Ansicht der schmalen Seite der Achäne; G) Fruchtknoten mit zwei Narben (Griffel, Stigmen); H) von Kelchblättern umschlossener Fruchtknoten; Quelle: Small 2015, S. 193

Die Pflanzen sind überwiegend zweihäusig (diözisch), wobei männliche und weibliche Blüten auf separaten Pflanzen ausgebildet werden (Rätsch 2016, S. 13). Die jeweilige Gestalt der Pflanzen und Infloreszenzen unterscheidet sich, wie in Abbildung 1 und Tabelle 1 sowie in Abbildung 18 und Abbildung 19 (S. 95 und 96 im Anhang) dargestellt. Gelegentlich sind monözische Pflanzen mit beiden Blütengeschlechtern anzutreffen (Brown 1998, S. 33). Viele Zuchtsorten und speziell die zur Faserproduktion selektierten Sorten sind monözisch (Small 2015, S. 204). Zwitterbildung ist möglich (Rätsch 2016, S. 13).

Tabelle 1 : Morphologische und pflanzenphysiologische Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Hanfpflanzen. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brown 1998, S. 34; Hai & Rippchen 1994, S. 64, 116; Martius 1855, S. 26

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Einzelblüten männlicher Pflanzen produzieren etwa 350 000 Pollen, deren geringe Masse und Größe (mittlerer Durchmesser: 33 µm) die Windbestäubung ermöglichen. (vgl. Small 2015, S. 203, 205) Der strenge Fremdbefruchter Hanf zählt damit zu den pollenreichsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen (Kriese 2007, S. 6). Alle Hanf-Sippen lassen sich aufgrund ihrer Variabilität kreuzen (Kreuzbestäubung) (Rätsch 2016, S. 13).

Die Samen – als Nüsse bezeichnet – sind eirund, stumpf, etwas zusammengedrückt, mit grünlich-weißlichgrauer Fruchtschale, von rindenartiger, harter, glatter und glänzender Gestalt (Martius 1855, S. 27). Sie enthalten 25 – 38 % Öl (Kriese 2007, S. 13), 20 – 25 % Proteine, 20 – 30 % Kohlehydrate sowie 10 – 15 % Ballaststoffe und weisen daher einen außergewöhnlichen Nährwert auf (Clarke & Merlin 2013). Das Fettsäuremuster von Hanf ist durch einen hohen, bei 80 – 90 % liegenden Anteil an essentiellen, einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren und dabei v.a. Linolsäure und Alpha-Linolensäure gekennzeichnet (Grotenhermen 2015, S. 180; Kriese 2007, S. 6).

Auf allen Teilen der Hanfpflanze – außer Samen und Wurzeln – befinden sich Drüsenhaare und kugelförmige Drüsen. Reife Sekretzellen dieser Trichome erzeugen eine harzige Flüssigkeit, welche sich als Tropfen am Ende der Drüsen sammelt und abgesondert wird. Neben ätherischem Öl und anderen Stoffen enthält dieses Harz v.a. die ab 3.3.1 näher beschriebenen Cannabinoide. Wie in Abbildung 2 erkennbar, besitzen die Trichome eine pilzähnliche Gestalt. Auf der Unterseite der Blätter und entlang der Blattadern und an den Blütenständen (Kelch und Kelchblättern) ist der Bestand an Drüsen am höchsten. Mit voranschreitender Pflanzenentwicklung und Alterung werden die vormals transparenten Trichome milchig und schließlich bernsteinfarben. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 69, 75; Hazekamp 2016, S. 9; Kriese 2007, S. 17; Rätsch 2016, S. 15)

A Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten B Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Harz bildende Drüsen. A) Trichome auf der Oberfläche eines kleinen Blattes. Quelle: Anonym 2016, S. 17; B) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Cannabis sativa L.-Kelchblattes mit langstieliger, kugelkopf-förmiger Drüse (vorn) und Cystholit-Haar (hinten), Quelle: Small 2015, S. 238

Cystholit-Haare (siehe Abbildung 2-B) sind lang, spitz und gewöhnlich auf der Blattunterseite zu finden.

Im Gegensatz zu anderen Nutzpflanzen erfolgt beim Hanf die Entwicklung der oberirdischen Teile schneller als die Ausbildung des Wurzelsystems (Heuser 1927, S. 15). Die Pflanzen entwickeln eine seitlich verzweigte Pfahlwurzel (Abbildung 17, S. 94), die je nach Umweltbedingungen mehr als 2 m in den Boden reichen kann, um so auch niedrigere Grundwasserschichten zu erreichen. Auf Standorten mit oberflächennaher Wasserversorgung ist das Wurzelsystem flach. (vgl. Small 2015, S. 200) Dies verweist auf die hohe Anpassungsfähigkeit von Hanf (Heuser 1927, S. 1).

Von Heuser (1927, S. 6) wird bemerkt, dass Hanf in seinen Erscheinungsformen so variabel ist, dass eine eindeutige botanische Unterscheidung der verschiedenen Formen nur bedingten Wert haben würde. Nach Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale und der Differenzierung in männliche und weibliche Wuchstypen (Riedel 2005, S. 12) lassen sich die unter 3.2.1 (ab S. 10) aufgeführten Hanf-Sippen dennoch morphologisch unterscheiden (Tabelle 2, Abbildung 3, Abbildung 4).

Tabelle 2 : Unterscheidungsmerkmale zwischen Cannabis sativa L. , C. indica Lam. und C. ruderalis Janisch.
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Rätsch 2016, S. 12 f.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 : Morphologischer Unterschied zwischen den drei Cannabis-Taxa. Quelle: Anonym 2016, S. 18

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 : Unterschiede in der Blatt-Morphologie zwischen Cannabis sativa L. (links) – schmal und lang und Cannabis indica Lam. (rechts) – breit und kurz. Quelle: Anonym 2016, S. 18

In ihrem Geruch und Geschmack unterscheiden sich die drei Sippen (Cervantes 2006, S. 10), sodass sich noch weitere Differenzierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise unter 3.3.1.1 (ab S. 24) dargestellt, ergeben.

3.2.4 Entwicklungsstufen

Innerhalb von drei bis sieben Tagen keimen die Samen und das Keimblattpaar mit einem vergleichsweise langen (bis 5 cm) Stiel wird ausgebildet. Nachfolgend entfalten sich deutlich gestielte, echte Blattpaare. Die Zahl der Blattfinger nimmt zu. Ein Austrieb weiterer seitlicher Sprosse ebenfalls mit meist paarig auftretenden Blättern aus den Blattachseln am Hauptspross ist möglich (vgl. 3.4.10 ab S. 62). (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 60-65) Die im Jugendstadium viereckige Sprossachse entwickelt im weiteren Wachstumsverlauf einen sechseckigen Querschnitt (Riedel 2005, S. 12). Die Ausbildung des ersten Blattpaares kennzeichnet den Beginn des vegetativen Wachstums. In dieser Phase erfolgt unter hohem Nährstoff- und Wasserverbrauch ein rasches Pflanzenwachstum mit entsprechender Biomassezunahme. An die vegetative Phase mit Blatt- und Mengenwachstum schließt sich die reproduktive Phase mit Blüten- und Samenbildung an. Auslöser dafür ist der Übergang von Langtag- zu Kurztags-Bedingungen. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 60-65)

Mit einsetzender Blütenbildung verlangsamen sich die Sprossachsen- und Blattentwicklung, die Pflanzenhöhe stagniert. Das vegetative Wachstum wird 3 – 4 Wochen nach Blüteninduktion eingestellt (Pertwee 2014, S. 76). Wie in Tabelle 1 (S. 15) dargestellt, kommt es nach Pollenfreisetzung zum Absterben der männlichen Pflanzen. Nach Bestäubung und Befruchtung setzt auf den Fruchtpflanzen das Reifen der Samen ein. Mit Samenreife verwelken die Pflanzen und mit Ausfallen der Samen stirbt die weibliche Pflanze ab. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 60-65)

Neben der Photoperiode sind der Entwicklungsstatus der Cannabis-Pflanzen sowie die Temperatur Einflussfaktoren auf den Beginn der generativen Phase. Teilweise wird bei Sortencharakteristiken die Temperatursumme – d.h. die Zeit vom Auflaufen bis zur Blüte der Pflanze und die Summe der mittleren Lufttemperaturen – in Gradtagen (°Cd) angegeben, die zur Blüteninduktion notwendig ist. (vgl. Kriese 2007, S. 6) Umweltstress wie Trockenheit sowie Hybridisierung beeinflussen ebenfalls Blütenbildung und Blütezeit (Small 2015, S. 208). Weiterhin sind die ursprüngliche geografische Herkunft und die elterliche Genetik der Sorte ganz entscheidend für den zeitlichen Entwicklungsverlauf der Cannabis-Pflanzen. Die ursprünglich aus Gebieten nördlich des 60. Breitengrades stammenden Pflanzen des Taxons Cannabis ruderalis Janisch. müssen zur Arterhaltung unter natürlichen Bedingungen den Lebenszyklus inklusive Samenreife in 60 – 70 Tagen beenden. Medizinalhanf-Pflanzen von Cannabis sativa L.-Typen mit äquatorialer oder tropischer Abstammung benötigen einen Monat und länger zur Beendigung der juvenilen und den Übergang zur generativen Phase. Nach Blühinduktion können die Pflanzen ab Beginn der Blüte bis zur Vollendung des Blühzyklus noch mindestens 10 – 15 Wochen wachsen, da sich die Abreife sequentiell vollzieht. Von Cannabis indica Lam. und ursprünglich aus Regionen mit gemäßigten klimatischen Bedingungen abstammende Medizinal- und Faserhanf-Pflanzen weisen eine 6- bis 9-wöchige Blühphase auf und reifen einheitlich ab. (vgl. Eržen 2018) Weitere Angaben über die Dauer bis zur Ernte erfolgen unter 3.5.1 (ab S. 63).

3.2.5 Photoperiodismus

Das Verhältnis zwischen der Länge von Licht- und Dunkelphasen wird als Photoperiode (Cervantes 2006, S. 163) und die physiologische Reaktion von Organismen auf die Tages- und Nachtlänge wird als Photoperiodismus bezeichnet. Cannabis gilt als quantitative (fakultative) Kurztagspflanze. Die Blütenbildung wird durch einen Mindestzeitraum an Tagen mit ununterbrochener Dunkelperiode ausgelöst. (vgl. Small 2015, S. 208) Bestimmte Sorten können unter kontinuierlicher Beleuchtung Knospen produzieren – bevor sich diese öffnen, bedarf es bei manchen Sorten jedoch Kurztagsbedingungen. Andere Sorten können unter Dauerlicht, aber erst nach einer langen Wachstumsperiode und damit einem bestimmten Alter blühen. Die kritische Tageslänge scheint bei männlichen Hanf-Pflanzen länger zu sein, da sie, wie unter 3.2.4 (ab S. 19) beschrieben, die Blühphase innerhalb einer Population früher als weibliche Pflanzen erreichen. (vgl. Small 2015, S. 208)

Der wichtigste Faktor für die Reaktion auf die Photoperiode ist der Genotyp der Cannabis-Pflanzen. Der Übergang zwischen vegetativer und generativer Phase lässt sich beim indoor-Anbau durch eine regulierte Photoperiode und bei Vorhandensein ausreichender Nährstoffe und eventueller Zugabe von Pflanzenhormonen beschleunigen. Das Reaktionsmuster der Pflanzen bleibt dennoch erhalten. (vgl. Eržen 2018) Die unterschiedlichen Hanf-Sippen sind photoperiodisch an das Lokalklima ihrer Ursprungsregion angepasst (Small 2015, S. 209). Bei Cannabis ruderalis Janisch. beginnt die Blüte ab einem bestimmten Alter der Pflanzen, unabhängig einer photoperiodischen Blüteninduktion und damit unabhängig vom Lichtregime (Cervantes 2006, S. 12). Für Pflanzen mit Cannabis sativa L.-Abstammung hat das Alter wie bei Cannabis ruderalis Janisch. für die Blüteninduktion eine größere Relevanz als die Photoperiode. Aufgrund ihrer originären äquatorialen Herkunft mit einer ganzjährig nahezu gleichbleibenden Tageslänge von 11 bis 13 Stunden Tageslicht im gesamten Jahresverlauf reagieren Sativa -dominante Pflanzen besser auf Langtagsbedingungen und langsamer auf eine Änderung der Lichtverhältnisse. Bei Indica -dominanten Pflanzen ist die Reaktion auf Veränderungen des Tag/Nacht-Verhältnisses stärker. (vgl. Cervantes 2006, S. 163; Eržen 2018, Pertwee 2014, S. 74) Genügt bei Indica -dominanten Sorten eine 9- bis 10‑stündige Dunkelphase zum Blühen, sind bei Sativa -dominanten Sorten 13 Stunden Dunkelheit zur Aktivierung des lichtempfindlichen Blütehormons erforderlich (Hai & Rippchen 1994, S. 116 f.).

Bei der gezielten Belichtungssteuerung reagieren die Pflanzen innerhalb von 10 bis 15 Tagen auf die neue Photoperiode (Hai & Rippchen 1994, S. 116 f.). Laut Cervantes (2006, S. 163) verbleiben die meisten Medizinalhanf-Sorten im vegetativen Stadium, solange eine 18- bis 24-stündige Licht- und 6‑ bis 0‑stündige Dunkelphase vorliegt.

Sprunghafte Änderungen der Photoperiode können bei genetisch instabilen Sorten zur Entwicklung unerwünschter zwittriger Pflanzen führen (Cervantes 2006, S. 164).

3.2.6 Geschichte der Nutzung

Vor 10 000 bis 12 000 Jahren begann die Hanf-Nutzung durch den Menschen, wobei sich der Anbau zunächst auf Fasern und Samen beschränkte (Khan & Ather 2007, S. 31 f.; Pain 2015, S. S10). Seit über 4800 Jahren werden die pharmakologischen Wirkungen von Cannabis zu Genuss‑, medizinischen oder religiösen Zwecken verwendet (Pertwee 2014, S. VIII). Die früheste Nutzung von Hanf als Medizin wird mit dem chinesischen Kaiser Shen Nung in Verbindung gebracht, welcher etwa 2 700 v.Chr. lebte. (vgl. Khan & Ather 2007; S. 31 f.; Pain 2015, S. S10) Cannabis hatte für mehr als 3 500 Jahre in den Kulturen China, Indien, dem Mittleren und Nahen Osten, Afrika und dem vorchristlichen Europa einen hohen, teilweise sogar den höchsten Stellenwert unter den Heilpflanzen (Herer & Bröckers 1995, S. 75). Belegt ist die Verwendung zu medizinischen Zwecken bis in das 6. vorchristliche Jahrhundert (Rommelspacher 2000, S. A3473). Während in Ostasien und Europa die Fasergewinnung und Samenproduktion im Vordergrund stand, ohne dem THC-Gehalt einen Wert beizumessen, lag in Indien, dem Mittleren Osten, Südasien und Afrika der Fokus auf der psychoaktiven Wirkung (Ude & Wurglics 2017, S. 11).

Die moderne medizinische Anwendung ist hauptsächlich auf den Iren William Brooke O'Shaughnessy zurückzuführen, welcher um 1839 als einer der ersten Ärzte systematisch das therapeutische Potenzial von Cannabis indica Lam. erforschte (Khan & Ather 2007, S. 31-32; Pain 2015; S. S10). In Westeuropa wurde Cannabis im frühen 19. Jahrhundert zur Behandlung von Epilepsie, Trigeminusneuralgie, Schlafstörungen, Schmerzen und Müdigkeit eingesetzt (Rommelspacher 2000, S. A3473), später bei Asthma, Depressionen, Appetitlosigkeit verwendet (Grotenhermen & Müller-Vahl 2012, S. 495). Die chemischen Strukturen der Cannabispflanzen-Inhaltsstoffe blieben lange Zeit unbekannt, woraufhin cannabisbasierte Medikamente in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu vollkommen an Bedeutung verloren. Erst 1964, mit der chemischen Definition des Delta-9-Tetrahydrocannabinol und der Entdeckung des körpereigenen Cannabinoidsystems, begannen intensive Forschungen zur Funktion des Endocannabinoidsystems und der klinischen Bedeutung von cannabisbasierenden Medikamenten. (vgl. Grotenhermen & Müller-Vahl 2012, S. 495 f.) Trotz der jahrtausendelangen Kultivierung und Nutzung resultiert das gegenwärtige Wissen über die pharmakologischen Eigenschaften des Medizinalhanfs aus Studien seit Ende des 19. Jahrhunderts (Atakan 2012, S. 241 f.). Deren Schwerpunkt lag hauptsächlich auf dem Cannabis-Missbrauch (Hazekamp 2016, S. 9).

3.2.7 Unterschied Nutz- und Medizinalhanf

Zwischen einzelnen Hanf-Sippen sowie zwischen und innerhalb deren Populationen wurden von Datwyler & Weiblen (2006, S. 373) Unterschiede nachgewiesen. Wie bereits unter 3.2.1 (ab S. 10) dargestellt, bestehen genetische Verschiedenheiten, die Pflanzengestalt differiert (vgl. 3.2.3, S. 13) und in der chemischen Zusammensetzung lassen sich verschiedene Typen feststellen, woraus sich entsprechende Unterschiede in der jeweiligen Verwertung als Nutz- oder Medizinalhanf und folglich hinsichtlich der Anbaumethoden und Produktion ergeben. (vgl. Johnson 2017, S. 1)

Nutzhanf – auch als Faser- oder Industriehanf bezeichnet – bezieht sich auf Cannabis sativa L.-Sippen, welche als landwirtschaftliche Feldfrucht im Freiland angebaut werden und Produkte wie Fasern, Samen, Blätter und Nebenprodukte wie Öl, Presskuchen, Mehl, Schäben etc. generieren. In Abhängigkeit vom Zielprodukt werden entsprechende Pflanzenteile geerntet. Die Zeitspanne zwischen Saat und Ernte beträgt je nach Verwendungszweck, Sorte und Klimabedingungen zwischen 70 und 140 Tagen. (vgl. Johnson 2017, S. 3) Da Nutzhanf-Sorten nicht für narkotische Zwecke selektiert wurden, weisen diese in der Regel einen begrenzten Gehalt an berauschenden Inhaltsstoffen auf (Small 2015, S. 228). Für den Anbau kommen laut geltender Vorgaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) nur solche Sorten infrage, deren THC-Gehalt weniger als 0,2 % in der Trockenmasse (TS) beträgt (BLE 2017). Der Konsum großer Mengen schließt eine Rauschwirkung aus (Herer & Bröckers 1995, S. 310), da die Schwelle für eine psychotrope Wirkung oberhalb dieser 0,2 % THC (TS) liegt. Nutzhanf kann somit in Lebensmitteln wie hanfhaltigen Likören, Bier, Schokoladen etc. und in Form von Hanfnüssen und Pulver gehandelt werden (Geschwinde 2007, S. 37 f.). Vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) wurden vorläufige, nicht europaweit geltende THC-Richtwerte für hanfhaltige Lebensmittel abgeleitet (BgVV 2000).

Für den Medizinalhanf-Anbau kommen Sorten der Cannabis indica Lam.-Sippen zum Einsatz, welche von einem hohen – 30 % und mehr betragenden – THC-Gehalt gekennzeichnet sind. Der Anbaufokus liegt dabei auf den Blüten (sogenannte Buds) und oberen Blättern. Die ausgeschiedene Harzmenge mit den typischen psychoaktiven Substanzen ist in diesen Pflanzenteilen am größten. (vgl. Johnson 2017, S. 4) Das von den Drüsen abgesonderte, geerntete Harz wird als „Haschisch“ bezeichnet und die getrockneten Blüten und Blätter als „Marihuana“ (ACM 2017, S. 10).

Tabelle 3 : Deutliche Unterschiede zwischen Nutzhanf und Medizinal- oder Drogenhanf. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Johnson 2017, S. 3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Klassifizierung in Faser- und Drogenhanf erfolgt über das Verhältnis der Hauptwirkstoffe THC und CBD. Hinsichtlich der inhaltsstofflichen Zusammensetzung wie z.B. den für den spezifischen Duft verantwortlichen Terpenen bestehen ebenfalls Unterschiede zwischen Sorten, die zum Sativa - oder Indica- Typ gehören (Grotenhermen 2015, S. 30; Hazekamp 2016, S. 12; Hazekamp et al. 2016, S. 213).

3.3 Medizin und Pharmakologie

3.3.1 Wirkstoffe

Über 545 chemische Substanzen konnten bisher aus Cannabis sativa L. isoliert werden (Chandra et al. 2015, S. 40), wobei die meisten dieser natürlichen Inhaltsstoffe auch in anderen Pflanzen und Tieren vorkommen und keine oder nur geringe pharmakologische Wirkungen verursachen. Aminosäuren, Proteine, Zucker, Terpene (ätherische Öle), Flavonoide, Vitamine, Hydrocarbone, Alkohole, Ketone, Fettsäuren, Pigmente und weitere Stoffgruppen, die hingegen keine psychoaktive Wirkungen hervorrufen, sind in der Hanfpflanze enthalten. (vgl. Grotenhermen 2015, S. 30) Nahezu alle Spezialisten sind der Ansicht, dass die besondere Wirkstoffklasse der Cannabinoide charakteristischer für Cannabis als für jegliche andere Pflanze ist (Small 2015, S. 240; Mansouri et al. 2009, S. 270) und natürliche Cannabinoide lediglich in Cannabis -Taxa biosynthetisiert werden (Khan & Ather 2007, S. 2). Nach Chandra et al. (2015, S. 40) und Pertwee (2014, S. 4) wurden bislang 104 Phytocannabioide aus Cannabis sativa L. isoliert.

Cannabinoide sind starke Antioxidantien und in ihrer Wirkung ähnlich dem Vitamin E (Pertwee 2014, S. 73). Gemäß Kriese (2007, S. 17) und Small (2015, S. 243) stellen die Cannabinoide für die Pflanzen einen gewissen Schutz in Form einer Anpassungsleistung zur Verringerung von Angriffen durch Bakterien, Pilze und Insekten dar. Die erhöhte Harzproduktion in den weiblichen Blütenständen könnte laut Kriese (2007, S. 18) als Schutz für den sich entwickelnden Embryo dienen. Nach Pertwee (2014, S. 73) besteht in der Absorption schädlicher UV-Strahlung eine weitere Schutzfunktion der Cannabinoide für die Pflanzen.

Nachweis und Mengenbestimmung der enthaltenen Wirkstoffe in Cannabis erfolgen mit Dünnschicht- (DC), Hochdruckflüssigkeits- (HPLC) respektive Gaschromatografie (GC) und oft in Kombination mit Massenspektrometrie (Khan & Ather 2007, S. 25).

Die Hauptkomponenten und zugleich Hauptwirkstoffe des Harzes sollen nun im Folgenden beschrieben werden.

3.3.1.1 Hauptwirkstoffe

Von Raphael Mechoulam, Yechiel Gaoni und Habib Erdery wurde 1964 in Israel das pharmakologisch wichtige, psychoaktive Cannabinoid Delta-9-Tetrahydrocannabinol, Δ9-THC abgekürzt, erstmals isoliert (Bruining 2013, S. 30; Kriese 2007, S. 18). Aufgrund seiner therapeutischen, pharmakologischen Wirksamkeit wird diese Substanz von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem internationalen Freinamen (INN) Dronabinol geführt (EMCDDA o. J.). Das in allen drei anerkannten Sippen nachgewiesene (Rätsch 2016, S. 17) Δ9‑THC ist ein blassgelbes, harziges, bei Raumtemperatur klebriges Öl. Es ist gut alkohol- und öl-, jedoch schlecht wasserlöslich, geruchlos, bitter schmeckend und bei Licht- und Wärmeeinwirkung oxidierend. (vgl. Khan & Ather 2007, S. 3)

Das mengenmäßig bedeutsame Cannabinoid Cannabidiol (CBD) (ebd., S. 6) ist für die Klassifizierung der Cannabis-Sippen in Chemotypen relevant. Im Jahr 1940 wurde es aus (Nutz-)Hanföl erstmals isoliert (Hall et al. 2001, S. 47). CBD gilt als wichtiger nicht psychotroper Inhaltsstoff der Hanfpflanze und unterliegt damit nicht dem BtMG (Uhlenbrock & Langebrake 2002). Unter Luft-, Licht- und Wärmeeinwirkung entsteht aus Δ9-THC u.a. Cannabinol (CBN) als Oxidationsprodukt (Hai & Rippchen 1994, S. 78). Das geschichtlich zuerst identifizierte und für die THC-Synthese bedeutende Cannabinoid ist Cannabigerol (CBG) (Khan & Ather 2007, S. 5). Weitere pflanzliche Cannabinoide, die keine psychischen, aber therapeutische Wirkungen besitzen, sind THC-Säure (THCA), CBD-Säure (CBDA), Tetrahydrocannabivarin (THCV) sowie Cannabichromen (CBC) (Grotenhermen 2015, S. 36). Die Wirkungen dieser Komponenten des Cannabis-Harzes sind unter 3.3.2.2 (ab S. 30) und in Tabelle 6 (S. 34) sowie ausführlicher Abbildung 20 im Anhang (S. 97) aufgeführt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 : Strukturformeln wichtiger Cannabinoide. Quelle: Small 2015, S. 241

Der Anteil an Δ9-THC ist entscheidend für die psychotrope Wirksamkeit, welche von weiteren Harzsubstanzen beeinflusst wird (Hazekamp 2017). Hanfgenotypen aus wärmeren Gebieten besitzen infolge des Schutzes gegen UV-Strahlung, Schädlingsbefall und Wasserverlust einen höheren Δ9-THC-Gehalt (vgl. 3.3.1), dessen Höhe vom geografischen Ursprung der Hanfgenotypen bestimmt wird. (vgl. Kriese 2007, S. 18 f.) Die nicht-psychotropen Nutzhanf-Pflanzen wurden ursprünglich in nördlicheren, kühleren Gegenden angebaut (Small 2015, S. 209). Durch pflanzenbauliche Maßnahmen ist es daher nicht möglich unter optimalen Bedingungen die gering bis nicht psychoaktiven Nutzhanf-Typen in Drogenhanf-Typen umzuwandeln (Kriese 2007, S. 19). Ungünstige Kultivierungsbedingungen beim Medizinalhanf-Anbau hemmen die volle Entfaltung der Erbanlage, wodurch der darin festgelegte Cannabinoid-Gehalt der Pflanze unter dem maximal möglichen bleibt. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 74 f.)

Der THC-Gehalt verschiedener Hanfpflanzen, -sorten und -züchtungen ist sehr variabel (Rätsch 2016, S. 14) und damit auch das psychoaktive Potenzial. Basierend auf den Unterschieden in der Cannabinoid-Zusammensetzung ergibt sich eine Differenzierung in drei Chemotypen. Diese korreliert jedoch nicht mit den, durch morphologische Merkmale (vgl. 3.2.3 ab S. 13) unterschiedenen, drei Cannabis -Taxa (C. sativa L., C. indica Lam., C. ruderalis Janisch.). (vgl. Brown 1998, S. 63) Die qualitative Charakterisierung der Chemotypen ergibt sich aus dem Verhältnis der Gehalte (in Prozent von der Trockenmasse) von CBD und THC, welches über die gesamte Pflanzenentwicklung stabil bleibt (Hillig & Mahlberg 2004b, S. 967).

Chemotyp I / Drogen-Typ: CBD < THC (THC : CBD > 1)

Chemotyp II / Intermediärer Typ: CBD ≈ THC (THC : CBD ≈ 1)

Chemotyp III / Nutzhanf-Typ: CBD > THC (THC : CBD < 1)

(vgl. Hillig & Mahlberg 2004b, S. 967; Khan & Ather 2007, S. 14)

Je nach Quelle gelten Δ9-THC-Gehalte von 0,3 % respektive 0,5 % als Schwellenwerte für die psychoaktive Wirksamkeit (vgl. Brown 1998, S. 63; Kriese 2007, S. 18 f.) Medizinal- oder Drogenhanf ist durch einen hohen THC-Gehalt, und Nutzhanf durch einen hohen CBD-Gehalt gekennzeichnet (Herer & Bröckers 1995, S. 310).

Eindeutige Unterscheidungsmerkmale sind die deutlich höhere Terpen-Konzentration und der damit typische, stärkere Geruch und Geschmack, das Vorhandensein hydroxilierter Terpene sowie die insgesamt breitere chemische Vielfalt der Cannabinoide bei Cannabis indica Lam . Cannabis sativa L. hingegen weist ein engeres, festgelegtes chemisches Profil und leicht höhere CBC- und CBG-Gehalte auf. (vgl. Hazekamp et al. 2016, S. 213)

3.3.1.2 Biosynthese

Der Biosyntheseweg der Cannabinoide wurde in den 1990er Jahren (Small 2015, S. 244) von Raphael Mechoulam (Rätsch 2016, S. 14) entdeckt. Im ersten Schritt kondensiert Geranylpyrophosphat als eine in der Pflanzenwelt verbreitete Vorstufe von Terpenen zu Cannabigerol (CBG). Cannabigerol-Säure (CBGA) ist das Vorprodukt von Tetrahydrocannabinol-Säure (THCA), Cannabidiol-Säure (CBDA) und Cannabichromen-Säure (CBCA). Mittels spezifischer Synthase-Enzyme werden THCA, CBDA jeweils aus CBGA synthetisiert (Abbildung 6). Die Phytocannabinoide liegen vorwiegend in ihrer nur geringfügig psychoaktiven und damit pharmakologisch weniger wirksamen Carbonsäure-Form vor. Unter Temperatur- und Sauerstoffeinwirkung findet durch Decarboxylierung die Transformation der eben genannten Säuren in ihre chemisch neutralen, aber psychoaktiven und medizinisch bedeutenderen Phenole THC, CBD und CBC statt. CBN wird als Abbauprodukt von THC und CBD gebildet, was bei der Lagerung zu beachten ist (vgl. 3.3.1.1 ab S.­24 und 3.6.3 ab S. 68). Ebenso wie CBN werden weder THC noch CBD von den Pflanzenzellen selbst erzeugt, weswegen deren Bildung kein Bestandteil des Biosynthesewegs ist. (vgl. Grotenhermen 2015, S. 35 f.; Hai & Rippchen 1994, S. 71, 78; Khan & Ather 2007, S. 5-11; Small 2015, S. 244).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 : Biosyntheseweg von THC und CBD. 1: THCA-Synthase; 2: CBDA-Synthase; 3: Decarboxylierung. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Small 2015, S. 244

Bei in Mitteleuropa angebauten Hanfpflanzen liegt mehr als 90 % des THC als THCA vor. Hanfpflanzen aus südlichen, wärmeren Gebieten wie Marokko und Indien hingegen können mehr als 30 % des enthaltenen THC in der wirksamen phenolischen Form enthalten, was den Zusammenhang zwischen Wärmeeinwirkung und Decarboxylierung widerspiegelt. (vgl. Grotenhermen 2015, S. 159)

Bei der Gaschromatografie zur chemischen Analyse ist zu beachten, dass durch die hohen Temperaturen bis 250°C alle Cannabinoid-Säuren (THCA, CBDA) vollständig in ihre neutrale Form (THC, CBD) umgewandelt werden (Hazekamp et al. 2016, S. 207). Infolgedessen wird eine größere Menge THC bzw. CBD nachgewiesen, als ursprünglich im Pflanzenmaterial vorhanden war (Bruining 2013, S. 27). Entsprechend der Arzneibuchmonographie zu Cannabisblüten ist daher eine Gehaltsbestimmung für THC, CBD und die korrespondierenden Säuren vorgesehen (Keusgen 2017, S. 59).

Die Biosynthese der ätherischen Öle ist für die Cannabispflanzen mit einem hohen Energieverbrauch verbunden. Die erforderliche Energiemenge zur Biosynthese von Terpenoid-Molekülen ist bis zu dreimal größer als die zur Synthese eines äquivalenten Gewichts an Zuckern erforderliche Energiemenge. (vgl. Pertwee 2014, S. 80)

3.3.1.3 Vorkommen in der Pflanze

Bei Individuen bestimmter Pflanzenpopulationen sind die THC-Gehalte einheitlicher, während bei anderen Populationen erhebliche Variationen zwischen den Pflanzen auftreten können (Small 2015, S. 243). Die Cannabinoide sind innerhalb der Pflanze nicht gleichmäßig (Pertwee 2014, S. 67) verteilt und der Wirkstoffgehalt steigt in der Pflanze vom Sämlingsstadium zur Blüte an (Small 2015, S. 243). Aufgrund des dichteren Besatzes mit Harzdrüsen bei der Ausbildung neuer Blätter und Blüten gilt: Je später ein Pflanzenorgan in der Entwicklung einer Pflanze gebildet wurde, umso höher ist dessen Wirkstoffgehalt. Dementsprechend ergibt sich hinsichtlich der Wirksamkeit nachfolgende Reihenfolge der einzelnen Pflanzenteile.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sprossachse

Samen und Wurzeln

(vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 70 f., 75)

Die für die Harzproduktion kugelförmigen Drüsen (Abbildung 2, S. 16) sind an Samen und Wurzeln nicht vorhanden, weswegen diese Pflanzenteile durch die fehlenden Cannabinoide pharmakologisch unwirksam sind. Hinsichtlich der Blätter und Blattstiele ist die Bestandesdichte mit Drüsen bei den kleinen Blättern an den Blüten sehr groß und über die mittleren Blättern an den Ästen zu den großen Blättern am Hauptspross abnehmend. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 70 f., 75)

Um die möglichen Gehaltsunterschiede an THC oder CBD innerhalb der Pflanze zu verdeutlichen, weisen Hillig & Mahlberg (2004b, S. 967) darauf hin, dass der Gehalt dieser Cannabinoide in einem reifen weiblichen Medizinalhanf-Blütenstand 10 % (TS) übersteigen kann, während er in den Primärblättern oft bei unter 1 % (TS) liegt. Gemischte Proben aus dem gesamten Laub weiblicher Pflanzen einschließlich der obersten Blätter enthalten 2 – 3 % THC (TS) und getrocknetes Pflanzenmaterial der Sprossachse 0,3 % (TS) oder weniger THC (Pertwee 2014, S. 67).

Abweichungen von der oben dargestellten Reihenfolge bezüglich der Wirksamkeit der Pflanzenteile ergeben sich besonders bei männlichen Pflanzen, wenn beispielsweise die Triebspitzen stärker wirksam als die Blüten sind. In ihrem Wirkstoffgehalt sind die drüsenärmeren männlichen Pflanzen nicht einheitlich. Hinsichtlich der Harz-Zusammensetzung bestehen zwischen beiden Geschlechtern bei gleichem Erbgut keine Unterschiede. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 70 f., 75)

Neben der nahezu ausschließlichen Harzproduktion der Trichome sondern auch Laticiferen (kleine längliche Zellen) im Pflanzeninnern – wenn auch sehr geringe – Harzmengen ab. In den Triebspitzen, dem Phloem entlang der Blattadern und allen grünen Teilen der Pflanze befinden sich diese kleinen Zellkanäle. (vgl. Hai & Rippchen 1994, S. 74)

3.3.1.4 Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren und Wirkstoffgehalt

Der Wirkstoffgehalt innerhalb der Pflanzen wird laut Hillig & Mahlberg (2004b, S. 967) durch die Interaktion einiger Gene mit der Umwelt durch biotische und abiotische Faktoren festgelegt. Geschlecht, Reife der Pflanze, Umgebungstemperatur, Nährstoffverfügbarkeit, Photoperiode, Lichtqualität und UV-Lichtstärke können den quantitativen Gehalt der Wirkstoffe modifizieren. (vgl. Hillig & Mahlberg 2004b, S. 967; Small 2015, S. 244) Weiterhin scheinen Stresseinwirkungen wie Nährstoffmangel oder Störungen im Wasserhaushalt die THC-Synthese zu verstärken. So können Faserhanf-Sorten unter maritimen Klimabedingungen höhere THC-Gehalte produzieren. (vgl. Kriese 2007, S. 19)

3.3.2 Pharmazie und Pharmakologie

3.3.2.1 Verabreichungsformen und Effekte

Cannabinoide sind lipophile Verbindungen, weswegen die Bioverfügbarkeit und Wirkstoffkonzentration erheblich von der Verabreichungsform und Zubereitung beeinflusst wird (Khan & Ather 2007, S. 32; Rätsch 2016, S. 14). Die physischen und psychosozialen Eigenschaften der jeweiligen Personen (z.B. Menge und Einnahme-Häufigkeit, Körpergewicht und Körperfett) sind weitere Einflussfaktoren (Clifford 2016, S. 547).

Neben dem Rauchen als bekannteste, aber nicht bestmögliche Art der Anwendung, können cannabishaltige Produkte auf unterschiedliche Art und Weisen konsumiert werden. So stellen die Inhalation mittels eines Verdampfungsgeräts; die Einnahme als Kapseln oder Tropfen; Tee, Plätzchen oder Gebäck; in Form konzentrierter Extrakte und Cannabis-Öl sowie der Verzehr kleiner Stücke der Pflanze in Salaten oder Smoothies häufige Verabreichungsformen beim medizinischen Gebrauch von Medizinalhanf dar. Je nach Verabreichungsform und damit verbundener Zubereitung ist eine Änderung der ursprünglichen chemischen Zusammensetzung des verwendeten Hanfs – insbesondere durch Erhitzung – möglich. Zu hohe Temperaturen können das Entstehen von Zerfallsprodukten wie CBN und Δ8-THC zur Folge haben, welche eigene pharmakologische Wirkungen besitzen.

Jede Verabreichungsform wird spezifisch über Darm oder Lunge vom Körper aufgenommen und durch den Stoffwechsel verarbeitet. Inhalierte Cannabinoide und Terpene gelangen direkt und unverändert in die Blutbahn, wirken daher schnell und ermöglichen eine bessere Dosierung, während bei oraler Einnahme durch den Magen-Darm-Trakt deutlich mehr Zeit bis ins Blut benötigt wird. Teilweise kommt es zuvor zur Zerstörung der Wirkstoffe durch die Magensäure und dem Abbau durch die Leber. Wie aus Tabelle 4 hervorgeht, bestehen zwischen oralen und pulmonalen Präparaten Unterscheide in Art und Dauer der Wirkung – auch dann, wenn bei der Zubereitung die gleiche Cannabis-Sippe verarbeitet wurde. (vgl. ACM 2017, S. 7; Hazekamp 2016, S. 15)

Tabelle 4: Pharmakokinetische Unterschiede zwischen der Aufnahme von THC über die Lunge (inhalativ) und über den Magen-Darm-Trakt (oral). Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Grotenhermen 2015, S. 248; Grotenhermen & Müller-Vahl 2017, S. A 356)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.3.2.2 Pharmakologie, Wechsel- und Nebenwirkungen

Die konkrete medizinische Wirkung hängt von der genauen Wirkstoffmischung in den Pflanzenhaaren ab (Hazekamp 2016, S. 9).

Bei der Klassifizierung der Cannabis -Sippen in Chemotypen (vgl. 3.3.1.1 ab S. 24) ist die Anwesenheit von Terpenen irrelevant. Über 120 dieser duft- und geschmacksbestimmenden Stoffe wurden bisher in Cannabis nachgewiesen. Analog der Cannabinoide resultiert auch bei Terpenen aus jeder Mischung dieser Stoffe eine einzigartige medizinische Wirkung, weswegen nicht nur den Cannabinoid-Gehalten Beachtung geschenkt werden sollte. Es wird davon ausgegangen, dass jede Cannabis -Sippe eine spezifische Kombination aus Cannabinoiden und Terpenen aufweist. Für die medizinische Wirkung ist die Zusammensetzung der Terpene relevant. Beeinflussen können sie die Steigerung der Cannabinoid-Aufnahme über den Darm oder die Lunge, die Rezeptorenbindung oder den Metabolismus. Terpene besitzen zudem eigene medizinische Wirkungen (entzündungshemmend, antibiotisch, schmerzlindernd). (vgl. Hazekamp 2016, S. 6, 11-13)

Hinsichtlich der spezifischen Wirkungen von Medizinalhanf lassen sich keine allgemeinen Aussagen treffen, da diese in einem Fall positiv, erwünscht und in einem anderen Fall als unangenehm und Nebenwirkung empfunden werden können (Grotenhermen 2015, S. 128; Soyka 2003, S. 270). Insgesamt gilt Cannabis als „[…] weder besonders gefährlich, noch völlig harmlos.“ (Grotenhermen 2015, S. 128). Es wirkt auf viele Organsysteme, woraus eine Vielzahl nicht schwerwiegender und gut verträglicher Nebenwirkungen resultieren kann (ACM 2017, S. 9).

Zu Therapiebeginn mit Cannabis und Cannabinoiden können Schwindel und Müdigkeit auftreten, welche im Behandlungsverlauf meist nachlassen. Studienberichten zufolge sind weitere Nebenwirkungen Mundtrockenheit, Depression, Desorientiertheit, Fatigue, Orientierungslosigkeit, Euphorie, paranoide Reaktionen, Gedächtnisstörungen und Gangunsicherheit.

Im Gegensatz zu Ländern wie Israel, Kanada und den Niederlanden, wo Kontraindikationen definiert sind (Überempfindlichkeitsreaktionen, schwere Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie und andere psychotische Erkrankungen sowie Suchtmittelmissbrauch in der Vergangenheit), existieren in Deutschland bisher noch keine Angaben. Von Grotenhermen (2015, S. 142 f.) erfolgen diesbezüglich einige Darstellungen. Bei Menschen mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion kann sich die Wirkung von Cannabis übermäßig verstärken oder verlängern, da THC und CBD in der Leber verstoffwechselt werden. Cannabinoide können die Entstehung einer Fettleber fördern, weswegen bei der Einnahme entsprechender Medikamente bei Patienten mit chronischer Hepatitis C Vorsicht geboten ist. Bei der Verordnung von Cannabis an Kinder und Jugendliche hat aufgrund eventueller Auswirkungen auf die Entwicklung eine fundierte Risiko-Nutzen-Abwägung zu erfolgen. Schwangeren und stillenden Müttern wird angesichts unzureichender Kenntnisse über die mögliche Schädigung von Un- sowie Neugeborenen vom Cannabis-Konsum abgeraten. (vgl. Bussick & Eckert-Lill 2017)

Die vom menschlichen Körper produzierten Endocannabinoide – Abkömmlinge bestimmter Fettsäuren, Signalgeber und Regler wichtiger Prozesse im Körper – binden sich an die spezifischen Cannabinoid-Bindungsstellen auf der Oberfläche vieler Zelltypen und aktivieren sie. Diese Cannabinoid-Rezeptoren – zwei Subtypen (CB1-R und CB2-R) existieren – bilden zusammen mit den Endocannabinoiden das Endocannabinoidsystem. (vgl. Grotenhermen 2006, S. 11) Während CB1-Rezeptoren v.a. auf Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark vorkommen, finden sich CB2-Rezeptoren hauptsächlich auf Zellen des Immunsystems (Soyka 2003, S. 269). Die insbesondere in den Cannabis-Sippen vorkommenden Phytocannabinoide stimulieren und aktivieren diese Rezeptoren im Körper und ähneln sehr den Endocannabinoiden, was die schnelle Wirkung von Cannabis erklärt (Bruining 2013, S. 30). Auch bei langjähriger medikamentöser Einnahme in therapeutischer Dosierung stellen sich keine Störungen der physiologischen Funktionen oder Organschädigungen ein (Grotenhermen 2015, S. 128). Die akute Toxizität von THC ist sehr gering und eine akute letale Toxizität für Cannabis bei Menschen wurde nicht nachgewiesen. Die mittlere letale Dosis (LD50) für oral aufgenommenes THC beträgt bei Ratten in Abhängigkeit von Geschlecht und Abstammung 800 – 1 900 mg je kg Körpergewicht. Orale Gaben von bis zu 3 000 mg/kg THC bei Hunden und 9 000 mg/kg THC bei Affen hatten keine tödlichen Auswirkungen. In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass bei Menschen die notwendige Dosis, damit eine toxische Wirkung der Inhaltsstoffe eintritt, weder durch orale noch durch inhalative Cannabis-Aufnahme zu erreichen ist. Die Langzeitanwendung von Cannabis bei Tieren führte zu keiner erhöhten Mortalität. Die Verabreichung von 50 mg/kg THC an Ratten über einen Zeitraum von zwei Jahren ergab eine höhere Überlebensrate der behandelten Tiere (70 %) als bei der unbehandelten Kontrollgruppe (45 %) aufgrund des geringeren Krebs-Auftretens bei den behandelten Ratten. (vgl. Pertwee 2014, S. 674 .)

3.3.2.3 Cannabisbasierte Medikamente und Produkte

Mit einem Betäubungsmittelrezept dürfen in Deutschland die folgenden drei cannabisbasierten Medikamente verschrieben werden:

Δ9-THC wurde von der WHO als Dronabinol definiert (EMCDDA o. J.). Das weltweit einzige Dronabinol-Fertigpräparat ist das in den USA zugelassene Marinol®. In Deutschland kommt Dronabinol hauptsächlich als preiswerteres Rezepturarzneimittel zur Herstellung von Kapseln oder Tropfen in den Apotheken zum Einsatz.

Der Cannabisextrakt Nabiximols ist ein zu gleichen Anteilen THC und CBD enthaltendes Spray (Sativex®) zur Anwendung in der Mundhöhle bei Spastiken infolge Multipler Sklerose, welche auf keine anderen Therapien anspricht.

Nabilon als synthetischer und nicht in Cannabis vorkommender (Pertwee 2014, S. VIII) THC-Abkömmling ist in Deutschland unter dem Namen Canemes ® zugelassen und wird in Kapselform zur Behandlung von Übelkeit bei Krebs-Chemotherapie angewandt. 1 mg Nabilon wirkt dabei so stark wie etwa 7-8 mg Dronabinol.

Weiterhin sind in Deutschland Cannabisblüten und Cannabisextrakte verschreibungsfähig. Von der Bundesopiumstelle sind die in

Tabelle 5 aufgeführten 14 Sorten Medizinalhanf-Blüten genehmigt, die in 5- oder 10-Gramm-Dosen z.T. bereits granuliert (zerkleinert) abgegeben werden. Fünf Sorten stammen dabei aus den Niederlanden (Unternehmen Bedrocan) und neun aus Kanada (Unternehmen Tweed und Peace Naturals). (vgl. ACM 2017, S. 2-5, 10).

Tabelle 5 : In Deutschland verfügbare Sorten Medizinalhanf-Blüten mit den jeweiligen Konzentrationen (in % der TS) an THC und CBD. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an ACM 2017, S. 5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unter Verwendung eines Auszugsmittels wird aus Cannabisblüten ein Extrakt hergestellt, der einen bestimmten Δ9-THC-Gehalt besitzt. In Apotheken wird dieser zu Darreichungsformen wie Kapseln oder Tropflösungen zur Einnahme verarbeitet. (vgl. BfArM 2017c) Die bisher nur von der Firma Bionorica Ethics hergestellten und in Deutschland erhältlichen Extrakte aus Cannabisblüten werden auf einen 5 %igen THC-Gehalt standardisiert ausgeliefert (ACM 2017, S. 2-5, 10).

3.3.3 Medizinische Einsatzmöglichkeiten

Cannabisprodukte sind zur Therapie bei einer Vielzahl von Erkrankungen einsetzbar. Oft lässt sich durch die Kombination mit anderen Medikamenten deren Dosis reduzieren (vgl. Piper et al. 2017). Weiterhin ergänzen sich Dronabinol und Opiate in ihren Eigenschaften, während das THC-haltige Medikament die Nausea hervorrufenden Nebenwirkungen der Opiate lindern kann. (vgl. ACM 2017, S. 1) Darüber hinaus ergeben sich häufig synergistische Wirkungen auf mehrere Symptome einer Erkrankung in der Kombinationstherapie. Bei Krankheiten und Symptomen folgender Bereiche lassen sich Behandlungserfolge mittels cannabishaltiger Produkte generieren: Übelkeit und Erbrechen; Appetitlosigkeit und Abmagerung; Spastik, Muskelkrämpfe, Muskelverhärtung; Bewegungsstörungen; Schmerzen; Allergien, Juckreiz und Entzündungen; psychische Erkrankungen; Magen-Darm-Erkrankungen; erhöhter Augeninnendruck; Hören, Schwindel, Gleichgewicht; Asthma; Epilepsie; Schluckauf; Förderung der Wehentätigkeit. (vgl. Grotenhermen 2015, S. 54 f.) Tabelle 6 sowie Abbildung 20 (S. 97) verdeutlichen, dass die einzelnen Cannabinoide unterschiedliche Wirkungen hervorrufen.

Tabelle 6 : Gesundheitliche Wirkungen der Cannabinoide THC, CBD, CBC, CBG sowie der Cannabionid-Carbonsäuren THCA. Quelle: Grotenhermen 2015, S. 36

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach einer Befragung von fast 1000 Patienten weltweit ging hervor, dass chronische Schmerzen (29,2 % der Teilnehmer), Spannungen oder Angst (18,3 %), Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust (10,7 %), Depressionen (5,2 %) und Schlafstörungen (5,1 %) die fünf Hauptanwendungsbereiche von Cannabis sind (Hazekamp 2016, S. 26).

3.4 Landwirtschaftlich-gärtnerischer Anbau

Schätzungen der WHO zufolge, werden weltweit über 21 000 Pflanzenarten für medizinische Zwecke verwendet, aber nur etwa 100 dieser Arten speziell für die Pharmaindustrie angebaut. In einigen Gegenden der Welt wie Kanada haben die vorherrschenden Klimabedingungen die Entwicklung von Nutzpflanzen gefördert, die unter Gewächshaus- und hydroponischen Bedingungen angebaut werden können und Cannabis ist das womöglich einzige, durch indoor-Anbau erzeugte pharmazeutische Ausgangsmaterial. (vgl. Nolin & Kenny 2002, S. 73; Pertwee 2014, S. 65) Wetter und Tageslänge sowie gegenseitige Bestäubung würden die Qualität von im Freiland erzeugtem Medizinalhanf stark beeinflussen. Für den Erhalt der spezifischen Wirksamkeit und chemischen Zusammensetzung speziell gezüchteter THC-reicher Sorten ist ein indoor-Anbau unumgänglich. (vgl. Chandra et al. 2015, S. 40) Für die Züchtung ist die Kreuzbestäubung ebenfalls ein Nachteil, sodass Anfang der 1970er Jahre in Kalifornien Züchtungsversuche weitestgehend in sogenannten „Indoor-Anlagen“ stattfanden. Mit speziellem Saatgut, künstlicher Bewässerung, geregelter Temperatur und UV-Lampen wurden die ertragreichen Sinsemilla-Sorten (siehe 3.4.1 ab S. 36) erzeugt. (vgl. Geschwinde 2007, S. 11) Aus kalifornischer Züchtung durch Hybridisierung und Selektion entstandene Medizinal-/Drogenhanf-Sorten erreichen unter Freilandbedingungen die Blühphase und eignen sich daher für den outdoor-Anbau (Small 2015, S. 210). In einer kontrollierten Umgebung respektive Umwelt wie in Inhouse-Plantagen ist jedoch die Qualitätsgarantie größer (Potter & Duncombe 2012, S. 618), die für den Medizinalhanf-Anbau gewährleistet sein muss. Indoor-Anbau kann über das gesamte Jahr erfolgen und so mehrere Ernten generieren. Das kontrollierte und schnelle Pflanzenwachstum unter optimalen Bedingungen in Kombination mit der Züchtung neuer leistungsfähiger Sorten führte zu wachsenden Blüten-Erträgen und THC-Gehalten. (vgl. Toonen et. al. 2006, S. 1050) Bei für das Pflanzenwachstum bestmöglichen Bedingungen kann der Cannabinoid-Gehalt der getrockneten Blütenkelche von Medizinalhanf aus indoor-Anbau bis zu 25 % betragen (Hazekamp 2016, S. 10).

Für den Medizinalhanf-Anbau in Deutschland wurde im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens mit der Formulierung „Anbau […] von Cannabis zu medizinischen Zwecken in einer gesicherten Inhouse-Plantage […]“ bereits eine Kultivierung im Freien ausgeschlossen. Darstellungen und Empfehlungen zur Einstellung eben genannter und weiterer Wachstumsfaktoren und Parameter für den Anbau von Medizinalhanf sind in den folgenden Abschnitten aufgeführt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Nutzung und Anbau von Medizinalhanf in der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden  (Fakultät Landbau / Umwelt / Chemie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
110
Katalognummer
V436341
ISBN (eBook)
9783668794030
ISBN (Buch)
9783668794047
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nutzung, anbau, medizinalhanf, bundesrepublik, deutschland
Arbeit zitieren
Claudia Miersch (Autor:in), 2018, Nutzung und Anbau von Medizinalhanf in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436341

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