Zeitfiktionen im Rahmen von Wirklichkeit und Eigenzeit bei "Repo Men" von Miguel Spochnik" und "Flugangst 7A" von Sebastian Fitzek


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Wirklichkeit?

3. Eigenzeit und psychologische Zeit

4. Miguel Sapochniks „Repo Men“
4.1. Analyse der Traumsequenz von Remy in „Repo Men“
4.2. Zeitfiktion in „Repo Men“

5. Sebastian Fitzeks „Flugangst 7A“
5.1. Zeitfiktion in „Flugangst 7A“

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang
8.1. Sequenzprotokoll „Repo Men“
8.2. Bildnachweise aus dem Film
8.3. Songtext

1. Einleitung

Im Seminar wird Zeit innerhalb unterschiedlicher literarischer Werke unter dem speziellen Aspekt der Abweichung von „Normalzeit“ analysiert. Normalzeit bedeutet in diesem Fall, dass die Zeit in der Diegese sich unabhängig von gestalterischen Mitteln unserer physikalisch fassbaren Zeit unterordnet. Im Kontrast dazu stehen als real dargestellte alternative Zeitverläufe, wie beispielsweise Zeitschleifen oder Zeitreisen, ebenso wie das Anhalten oder Modifizieren von Zeit. Physikalische Begründungen der Autoren ergeben häufig Kausalitätsprobleme, die nur zum Teil logisch erklärt werden können. Deswegen wird in anderen Werken häufig der Traum als Lösung für Zeitfiktionen verwendet. Im Laufe des Seminars stellte sich daher zunehmend die Frage, inwiefern sich Zeitfiktionen, die vom Protagonisten als real wahrgenommen werden, aber rein mental ablaufen, mit den erworbenen Kenntnissen verknüpfen lassen. Konkret handelt es sich hierbei um Arten von Träumen oder Nahtoderlebnissen wie Koma. Welchen Einfluss hat es, wenn eine Person das Leben als real empfindet, obwohl es sich nur in ihrem Kopf abspielt? Und inwiefern kann diese Erfahrung mit einer Zeitfiktion begründet werden? Schließlich beziehen sich die Veränderungen in „echten“ Zeitfiktionen häufig auf die Eigenzeit des Protagonisten, die nicht konform mit der Weltzeit ist. Eben dieses Phänomen lässt sich auch in den nachfolgenden Werken „Repo Men“ von Miguel Sapochnik und „Flugangst 7A“ von Sebastian Fitzek feststellen, obwohl die beiden unterschiedlichen Genres und Medien angehören.

2. Was ist Wirklichkeit?

Betrachtet man Zeitfiktionen, sieht man sich unweigerlich mit der Frage „Was ist Wirklichkeit?“ konfrontiert. Die genauste Beantwortung dieser Frage aus verschiedenen Blickwinkeln würde jedoch den Rahmen dieser Hausarbeit überschreiten. Der Fokus soll daher auf die Empfindungen und Eindrücke der Protagonisten gelegt werden. Denn, wenn dieser eine Situation als wahr oder wirklich erlebt, wird sie dies auch für ihn werden. Beispiele hierfür lassen sich in großer Zahl finden.

Die Ärztin Lissa Rankin schreibt in ihrem Buch „Mind over Medicine“ über Placebos und deren statistisch fassbaren Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Wenn der Patient glaubt, ihm werde durch ein bestimmtes Medikament geholfen, ist es möglich, dass die pure Vorstellung der Heilung, Selbstheilungskräfte im Körper aktiviert.[1] Diesen Effekt weisen Forscher auch anhand von Scheinoperationen nach. Patienten mit Knieproblemen werden teils einer echten Knieoperation unterzogen, teils einer nur vorgetäuschten. Das überraschende Ergebnis: In beiden Gruppen zeigt sich eine Verbesserung der Schmerzen und Symptome.[2] In beiden Fällen wird deutlich, dass eine als wahr dargestellte Lüge, die Versionen der Realität beeinflusst. Der zunächst rein gedankliche Prozess des Patienten zu glauben, dass es ihm besser gehe, führt unweigerlich zu einer physischen Veränderung und damit ebenfalls zu einer Veränderung seiner Wirklichkeit.

Wie sehr das Gehirn Einfluss auf die Sicht der Wirklichkeit nimmt, lässt sich aber auch anhand von Traumstudien belegen. Michael Schredl, ein Traumforscher aus Deutschland, untersucht die Gehirnaktivität von schlafenden Menschen im Schlaflabor und findet heraus, dass das Traumbewusstsein identisch ist mit dem Wachbewusstsein, da die gleichen Hirnarreale aktiviert werden. Auch der Psychologe Marc Wittman sieht Träume als Simulationen von Belastungssituationen, um in der Realität besser mit möglichen Komplikationen umgehen zu können.[3] Das Gehirn simuliert also ständig mögliche Versionen von Wirklichkeit, um entweder Eindrücke zu verarbeiten oder anstehende Probleme bewältigen zu können. Die dadurch hervorgerufenen Emotionen gleichen echten Erlebnissen. Es wird also deutlich, dass der Traum durchaus als eine Art von Realität wahrgenommen werden kann.

3. Eigenzeit und psychologische Zeit

Zeit spielt in der Literatur eine große Rolle, da die Erzählung immer zeitlich verhaftet sein muss, sei es, dass die Zeit fiktional ist oder sei es, dass das Geschehen realzeitlich zu verorten ist. Aber auch wie die Erzählung dargeboten wird, ist häufig zeitlichen Kriterien untergeordnet. So findet man selten eine lineare Anordnung der Geschehnisse, sondern immer eine Diegese, die durchdrungen ist von Anachronien.[4] Dennoch wird die Art, wie sich Zeit verhält, selten zum Thema gemacht. Man findet Zeitfiktionen in dieser Form oftmals nur in Science-Fiction Literatur oder in fantastischen Romanen. Die Abweichung zur Normalzeit besteht dabei in unterschiedlichen Darstellungsformen, wie beispielsweise Zeitreisen, Rückwärtslaufende Zeit oder das Stehlen und Anhalten von Zeit.[5] Betrachtet man diese Phänomene eingehender, genügt ein Zeitbegriff zumeist nicht. Es muss unterschieden werden zwischen der Weltzeit in der Diegese und der Eigenzeit des Protagonisten, der jene verändert oder sich modifiziert in ihr bewegt. In besonderer Form lässt sich das am Beispiel „Replay“ von Ken Grimwood erkennen: der Protagonist Jeff Winston erwacht nach einem Herzinfarkt in seinem alten Studentenzimmer im Jahr 1963 im Körper seines 18-jährigen Ichs, jedoch mit seinem 43-jährigen Geist.[6] Gerade hier kommt es also auf die Abgrenzung der Eigenzeit zur übrigen Zeit an, denn darin besteht letztendlich die Zeitfiktion, wenn man nicht behaupten wollte, dass der Protagonist nur träumt.[7]

Was aber ist die Eigenzeit und durch welche Faktoren wird sie beeinflusst? Eigenzeit ist laut Genç eine Art „Parzellierung der Zeit“[8], die mit anderen Eigenzeiten zusammengenommen und synchronisiert eine Weltzeit ergibt. Eine Geschichte gliedert sich demnach in „verschiedene narrative Stränge und Beobachtungsselektionen“[9]. Das bedeutet, dass jeder vorgestellte Charakter einer eigenen Zeit folgt und aus dieser heraus ein dauerhaftes Selbst mit Geschichte und Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft bildet.[10] Für das Verständnis verschiedener Handlungen und der Taktung der jeweiligen Eigenzeit wird Zeit daher psychologisiert. Es finden verschiedene Begriffe Anwendung, wie Zeitperspektive, Zeiterleben oder der Umgang mit der Zeit.[11] Das Zeiterleben definiert sich durch die emotionale Beziehung zur Zeit, was sich häufig unbemerkt in der Literatur niederschlägt, da die Zeitwahrnehmung stark abhängig ist von Gefühlen.[12] Wittmann beschreibt es als „gefühlte Zeitdehnung“[13] „in Situationen erhöhter emotionaler Aufregung“[14], wie sie vor allem in Actionfilmen als Zeitlupe zu sehen sind. Aber auch in Thrillern lassen sich solche Zeitdehnungen finden, wenn Situationen beinahe in Form einer Pause ausführlich beschrieben werden, um Spannung zu erzeugen.

Diese Grundlagen sollen helfen, die folgenden Werke auf einer Basis des Zeitverständnisses von Eigenzeit analysieren und verstehen zu können.

4. Miguel Sapochniks „Repo Men“

Der Science-Fiction-Thriller „Repo Men“ vom Regisseur Miguel Sapochnik basiert auf der literarischen Vorlage „Repossession Mambo“ von Eric Garcia und spielt in einer dystopischen Zukunft.

Im Jahr 2025 ist es dem technischen Fortschritt gelungen, künstliche Organe, sogenannte „ArtifOrgs“, zu produzieren. Die Firma „The Union“, die sich darauf spezialisiert hat, mit Organtransplantaten Gewinn zu machen, ist Marktführer und beschäftigt sogenannte „Repo Men“, um nicht bezahlte Organe zurück zu holen, was zumeist zum Tod des Kunden führt. Der Protagonist Remy, gespielt von Jude Law, ist einer der besten Repo Men und arbeitet mit seinem früheren Freund Jake (Forest Whitaker) zusammen. Bei einem Unfall wird Remy jedoch selbst zum Kunden der Union und bekommt ein künstliches Herz. Nun, da er selbst Besitzer eines künstlichen Organs ist, kann er seinen Job nicht mehr ohne ethische Bedenken ausführen und gerät daher in Zahlungsverzug. Auch ein Wechsel in den Produktverkauf bringt wegen seiner emotionalen Verstrickung keine Veränderung. Als die Firma das Herz zurück verlangt, wird Remys Partner auf ihn angesetzt und die beiden kämpfen miteinander. Remy kann jedoch mit seiner neuen Bekanntschaft Beth (Alice Braga) fliehen, die ebenfalls überfällige künstliche Organe besitzt, und beschließt, sich mit ihr zusammen illegal aus dem System des Hauptrechners zu nehmen, um wieder frei zu sein. Nachdem sie in das Hauptquartier eingebrochen und sich aus dem System löschen können, liegen Remy, Beth und Jake am Strand. Das Bild springt nun aber für den Zuschauer zurück zum Zeitpunkt nach dem Kampf von Remy und Jake und man sieht, dass Remy künstlich am Leben erhalten wird und alles nach dem Kampf nur geträumt hat. Der Film endet mit einer Großaufnahme seines lächelnden Gesichtes und seinem Traum vom Strand.

4.1. Analyse der Traumsequenz von Remy in „Repo Men“

„Denke ich aufmerksamer (…) nach, so sehe ich ganz klar, da[ß] niemals Wachen und Traum nach sicheren Kennzeichen unterschieden werden können.“

[René Descartes, später widerrufen]

Wie real die Traumsequenz in „Repo Men“ dargestellt wird, soll im Folgenden erkennbar werden. Da „Repo Men“ ein Science-Fiction-Film ist, finden sich natürlich genretypische Elemente wie alternative Wahrnehmungs- und Erlebnisräume.[15] Zudem sind aber auch Elemente des Thrillers wiederzuerkennen, da die Induzierung von Horror einen „Thrill“[16] beim Zuschauer auslöst. Selbstverständliches wird fragwürdig, da der Film den Zuschauer hinters Licht führt und einen großen Teil[17] als irreal darstellt, nachdem der Zuschauer sich mit dem Protagonisten und dessen Charakterentwicklung identifiziert hat.

Die Traumsequenz beginnt am zentralen Punkt im zweiten Akt, als Remy von Jake mit einem Stein niedergeschlagen wird. Wie in allen Träumen finden sich auch hier logische Probleme und überspitzte Darstellungen. Denn zunächst wird das Bild schwarz und zeigt dann in verschiedenen Einstellungen emotional geladene Flashbacks und zum Teil auch Bilder, die vorausdeutend oder so nie geschehen sind.[18] Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Handlungsgeschwindigkeit zu, was sich gut anhand der zunehmenden Einstellungen nachvollziehen lässt.[19] Es folgen weitere logische Brüche, wie der Raum voller Leichen in Klamotten von Remy[20] und der sterile weiße Arbeitsraum[21]. Ebenso wie das Schild, das zur „pinken Tür“[22] führt. Kurz vor dem Ziel muss Remy zudem noch einen Gang mit zwanzig Gegnern überwinden, die in Slow Motion auf unterschiedliche Weise umgebracht werden und seinen Kampf gegen das System symbolisieren.[23] Endlich im weißen Raum angekommen, mutet der Schluss wie eine Version einer Liebesszene[24] an und verläuft beinahe tragisch. Aber trotz der traumtypischen visuellen Vielfältigkeit fehlt die für Träume charakteristische Orientierungslosigkeit.[25] Gerade unter der Betrachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Traum und Wachzustand, lassen sich die Erlebnisse Remys nicht eindeutig als Traum klassifizieren. Die „Negation der eigenen Sterblichkeit“[26] verhindert Remys Ausscheiden aus der Welt. Sowohl da Jake sich nicht für seinen Fehler, den Defibrillator manipuliert zu haben, verantworten will, als auch weil Remy durch das M5 Neuronetz künstlich am Leben gehalten wird.

[...]


[1] Vgl. Lissa Rankin, Mind over Medicine, S. 35.

[2] Vgl. Lissa Rankin, Mind over Medicine, S. 37f.

[3] Vgl. Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, S. 112.

[4] Vgl. Gérard Genette, Die Erzählung, S. 23.

[5] Siehe dazu die Werke, die im Seminar besprochen wurden: H.G. Wells, The Time Machine; Ilse Aichinger, die Spiegelgeschichte; Michael Ende, Momo.

[6] Vgl. Ken Grimwood, Replay, S. 26.

[7] Natürlich lassen sich im Roman weitere Hinweise zur veränderten Welt Jeffs finden, die die Möglichkeit verringern, dass er nur geträumt hat. Dennoch wirft es den Gedanken auf, inwiefern es die Geschichte beeinflusst, dass nur die Zeitspringer selbst mitbekommen, dass sich alles wiederholt.

[8] Metin Genç, Ereigniszeit und Eigenzeit. Zur literarischen Ästhetik operativer Zeitlichkeit, S. 98.

[9] Ebenda, S. 97.

[10] Vgl. Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, S. 61.

[11] Vgl. Arnold Hinz, Psychologie der Zeit, S.9-11.

[12] Vgl. Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, S. 73.

[13] Vgl. Marc Wittmann, Wenn die Zeit stehen bleibt, S. 14.

[14] Ebenda.

[15] Vgl. Werner Faulstich, Grundkurs Filmanalyse, S. 40.

[16] Ebenda, S. 49.

[17] Repo Men. Miguel Sapochnik, TC: 01:23:44-01:46:32.

[18] Siehe dazu: Repo Men, Miguel Sapochnik, TC: 01:23:44 und den Anhang 8.2. Bild 1 und 2.

[19] Siehe dazu die Sequenzanalyse 8.1. im Anhang.

[20] Repo Men, Miguel Sapochnik, TC: 01:27:17.

[21] Siehe Anhang 8.2. Bild 3

[22] Siehe Anhang 8.2. Bild 4

[23] Repo Men, Miguel Sapochnik, TC: 01:33:09-01:36:40.

[24] Siehe Anhang 8.2. Bild 5

[25] Michael Huber, Vom Nutzen des Träumens. Neurobiologische und psychoanalytische Überlegungen zu Traum und Gedächtnis, S. 157.

[26] Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, S. 116.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Zeitfiktionen im Rahmen von Wirklichkeit und Eigenzeit bei "Repo Men" von Miguel Spochnik" und "Flugangst 7A" von Sebastian Fitzek
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
SFNL Zeitfiktionen
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
17
Katalognummer
V437200
ISBN (eBook)
9783668786882
ISBN (Buch)
9783668786899
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literatur, Psychologie, Erzähltheorie, Film, Diegese, Genette, Zeit, Fiktion
Arbeit zitieren
Selina Wenz (Autor:in), 2018, Zeitfiktionen im Rahmen von Wirklichkeit und Eigenzeit bei "Repo Men" von Miguel Spochnik" und "Flugangst 7A" von Sebastian Fitzek, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437200

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