Deprivation und Wolfskinder. Die Folgen von schwerer Isolation am Beispiel der Wolfskinder


Facharbeit (Schule), 2018

39 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Vorwort

Einleitung

1 Begriffsdefinition Deprivation

2 Formen und Ursachen der Deprivation

3 Psychologische Folgen von Deprivation
3.1 Borderline - Persönlichkeitsstörung
3.2 Flospitalismus
3.3 Kaspar - Flauser - Komplex

4 Diagnose der Deprivation

5 Prävention von Deprivation

6 Wolfskinder
6.1 Begriffsdefinition Wolfskinder
6.2 Kriegswaisen als Wolfskinder veranschaulicht am Beispiel von Liesabeth Otto.
6.3 Wolfskinder im Laufe der Geschichte
6.3.1 Romulus und Remus
6.3.2 Mogli
6.3.3 Flomo ferus

7 Auswirkungen der Deprivation an Wolfskindern
7.1 Entwicklung des Gehirns
7.2 Sozialverhalten
7.3 Ess-und Trinkgewohnheiten
7.4 Körpermotorik

8 Resozialisierung von Wolfskindern mit Ausblick auf populäre Fälle
8.1 Die Wolfskinder von Midnapore - Amala und Kamala
8.2 Genie

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der konkreten Frage, wie sich Sinnesberaubung auf die Entwicklung des menschlichen Körpers, der menschlichen Sinne und letztendlich auf das Sozialverhalten auswirkt. Im Zusammenhang mit der Sensorischen Deprivation wird das Phänomen der Wolfskinder veranschaulicht. Ein spezielles Augenmerk wird dabei auf die Wolfskinder im 2. Weltkrieg gelegt. Des Weiteren beleuchtet die Arbeit die Möglichkeiten und Chancen einer Resozialisierung von deprivierten Kindern bzw. Wolfskindern. Am Ende des Werkes werden die Ausführungen noch mit bekannten Fällen aus der Geschichte belegt, bevor die Ergebnisse resümiert werden.

Als Methoden für die Erstellung meiner vorwissenschaftlichen Arbeit habe ich hauptsächlich spezifische Fachliteratur, Biografien und Tatsachenberichte, passendes Filmmaterial und Onlinequellen gewählt.

Vorwort

Nachdem im Fernsehen eine Dokumentation über Wolfskinder gezeigt worden war, stellte ich mir des öfteren die Frage, welche Erkenntnisse die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte über diesen Mythos gewinnen konnte. Die VWA schien mir eine gute Möglichkeit, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Um mehr darüber zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen ein Kind als Wolfskind bezeichnet werden kann und wie die Entwicklung eines sogenannten ״wilden Kindes“ aussieht, habe ich mich entschieden, den Aspekt der Deprivation in meine Arbeit miteinzubeziehen. Der Sinn meiner vorwissenschaftliche Arbeit besteht darin, durch sorgfältige Recherche zu beschreiben, inwieweit sich wissenschaftliche Studien und mündliche Überlieferungen bestätigen beziehungsweise widerlegen. Dadurch möchte ich allen Interessierten das Thema Deprivation und Wolfskinder näherbringen.

An dieser stelle möchte ich mich ganz besonders bei Mag.3 Laura Tildach für die optimale Betreuung während meiner Schreibphase bedanken, in der sie mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand.

Mittersill, am 02.01.2018

Einleitung

Bereits Geschichten und Sagen aus dem 13. Jahrhundert handeln von dem Phänomen der Deprivation, welches heute ein bedenkliches Krankheitsbild darstellt. Beispielsweise besagt eine Legende alter Chronisten, dass Kaiser Friedrich II. Pflegerinnen aufgetragen haben soll, Kinder ohne jeglichen Austausch von Zärtlichkeiten zu waschen und dabei alles Reden zu unterlassen. Dies begründete er mit der Absicht, die ursprüngliche Sprache der Menschheit beibehalten zu wollen, aber aufgrund der mangelhaft liebevollen Zuwendung starben die Kinder nach kurzer Zeit. In Märchen kann man die Bedeutung der emotionalen Zuwendung ebenfalls erkennen. Stiefmütter verkörpern immer das Böse, weil die Mutterliebe nicht ersetzt werden kann. Verlassene Kinder, die zwischen bösen Menschen oder Tieren aufwachsen, entwickeln sich zu den edlen Charakteren und Helden der Geschichten.

In dieser Arbeit wird zuerst der Begriff Depivation definiert, wobei die Ursachen besonders berücksichtigt werden. Im Anschluss wird ein Überblick über die Formen, die Folgen und die Diagnose der Deprivation gegeben, bevor der Schwerpunkt der Arbeit beginnt: Am Beispiel der Wolfskinder wird die Sensorische Deprivation durch Isolation aufgezeigt. Genauer durchleuchtet wird das Schicksal der Kriegswaisen, unter anderem mit einem Auszug aus der Biographie des damaligen Wolfskindes Liesabeth Otto. Als Nächstes werden die Geschichten und Legenden der Wolfskinder genauer untersucht und dementsprechend bestätigt beziehungsweise widerlegt. Ein eigenes Kapitel wird den Auswirkungen der Deprivation an Wolfskindern gewidmet, wo im Speziellen die Entwicklung des Gehirns, das Sozialverhalten, die Ess- und Trinkgewohnheit und die Körpermotorik beschrieben werden. Abschließend wird unter Ausblick auf populäre Fälle die Resozialisierung von Wolfskindern dargelegt, bevor die Erkenntnisse resümiert werden.

Diese VWA ist eine rein reproduktive Arbeit, die Rechercheergebnisse stammen aus verschiedenen gebundenen Quellen und Onlinequellen sowie passendem Filmmaterial. Als Hauptinformationsquelle dienten unter anderem die Bücher Psychische Deprivation im Kindesalter - Kinder ohne Liebe (1977) von Langmeier Josef und Matějček Zdeněk und Wolfskind (2016) von Ingeborg Jacobs.

1 Begriffsdefinition Deprivation

Der Begriff Deprivation leitet sich vom lateinischen Wort ,deprivare' ab und bedeutet wörtlich übersetzt ,berauben‘. Die Psychologie bezeichnet mit diesem Ausdruck den Verlust beziehungsweise den Mangel an der Befriedigung seelischer Bedürfnisse eines Menschen. Dieser psychische Zustand ist das Ergebnis der individuellen Verarbeitung des Reizmangels, dem ein Mensch ausgesetzt ist.

Die Deprivation ist ganz klar von der Privation zu unterscheiden, bei der ein Mensch keine Reize kennenlernt und somit gar keine Bedürfnisse ausbilden kann. Bei der Deprivation sind zunächst Reize vorhanden, die aber entzogen werden, nachdem bereits Bedürfnisse entstanden sind.

Die Deprivation muss von den Begriffen Frustration, Konflikt und Vernachlässigung abgegrenzt werden. Anhaltende Frustration kann zu Deprivation führen, ist aber nicht mit Deprivation gleichzustellen: Wenn ein Kind in ein Krankenhaus eingewiesen wird, gilt seine Reaktion als Ausdruck der Frustration. Erst durch langanhaltende ständige Routine geht die Frustration in einen Zustand der psychischen Deprivation über. Des Weiteren kann ein Konflikt durch deprivative Situationen hervorgerufen werden, was jedoch nicht dasselbe ist: Wenn sich ein Kind vergeblich nach Liebe sehnt, entsteht ein Gefühl der Leere und des Zorns und dies führt zu einem Konflikt. Vernachlässigung zeigt sich meist im Benehmen des Kindes, verletzt aber nicht direkt den seelischen Zustand: Ein Kind kann sich beispielsweise trotz mangelnder Flygiene angemessen entwickeln (vgl. Langmeier & Matějček, 1977, s. 9-14).

2 Formen und Ursachen der Deprivation

Über mögliche Ursachen der Deprivation liegen viele verschiedene Theorien vor. Am häufigsten wird die Ansicht vertreten, dass es Kindern an einer guten Erziehung fehlt und die Bindung zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, also der Mutter oder dem Vater, sehr schlecht ist. Nach E. Erikson (1973) bildet die konstante mütterliche Fürsorge nämlich die Basis für die Entstehung des Grundvertrauens eines Menschen und nur so kann sich ein Kind psychisch vernünftig entwickeln (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 225). Die einfachste Erklärung für die Deprivation ist der Mangel an der Gesamtstimulation, also der Art, der Menge und der Intensität der Reize (vgl. Sarl, Psychische Deprivation, 2017, [ONLINE]). Lerntheoretiker hingegen sind der Meinung, dass die verzögerte geistige Entwicklung einem Mangel an Gelegenheiten zu wirksamem Lernen zugrunde liegt. Wenn eine Person nicht lernt, wie man Dinge erfasst, entscheidet und orientiert handelt, fehlt es ihr an der Fähigkeit, alte Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen. Aus der Sicht von Soziologen wird einem Kind seelisch geschadet, wenn ihm der Kontakt zu den Eltern, Geschwistern oder Gleichaltrigen verweigert wird, denn dann kann es keine Erfahrungen sammeln, welche es sich in der Interaktion mit anderen aneignen würde (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 225ff.). Je nach Ursache und Ablauf der Deprivation unterscheidet man verschiedene Formen. Neben einigen Unterkategorien gibt es drei Flauptformen, die im Folgenden beschrieben werden.

Für eine gesunde Entwicklung braucht ein Kind ein Mittelmaß an Reizen und Freiheit. Wenn nicht genügend Triebe vorhanden sind, spricht man von Sensorischer Deprivation. Diese umfasst den Entzug aller sensorischen Reize, sprich der menschlichen Sinneseindrücke. Der Mangel an Reizen kann einerseits materiell, beispielsweise durch unzureichende Ausstattung der Wohneinrichtungen oder ein fehlendes soziales Umfeld, bedingt sein oder an der Einstellung der jeweiligen Erzieher liegen, wenn sie eine kalte, teilnahmslose oder auch ängstliche Pflegeinstellung zum Kind haben.

Ein Kind versucht stets seine Reizzufuhr durch eigene Aktivität konstant zu halten. Versiegt eine Reizquelle, führt dies im ersten Moment zu einem erhöhten Tätigkeitsdrang, mit dem Ziel, die verlorenen Reize wiederzuerlangen, über einen längeren Zeitraum gesehen wird diese Deprivation das Absinken der Emotionalität, Hypoaktivität und Apathie des Kindes bewirken (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 236๑.

Diese Form der Deprivation wird im zweiten Teil der Arbeit, in dem die Wolfskinder behandelt werden, ausführlicher erläutert.

Jeder Mensch benötigt im Kindesalter mindestens eine Person, die sich um ihn kümmert. In dieser Zeit bildet das Kind eine gefühlvolle Bindung zu seiner permanenten Bezugsperson, welche dem Kind sowohl physisch als auch psychisch zur Verfügung stehen muss. Wenn das Kind keine Möglichkeit hat, eine innige Beziehung zu einem sozialen Kontakt aufzubauen, von mehreren Personen gleichzeitig beziehungsweise abwechselnd bemuttert wird oder das Band zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson unterbrochen wird, spricht man von Emotionaler Deprivation. Auch wenn Erziehung und Pflege eines Kindes unpersönlich, ablehnend oder feindlich ablaufen, hat das Kind keine wirksame Gefühlsbeziehung. Dieser Prozess der Emotionalen Deprivation führt zur Unfähigkeit, konzentriert und sinnvoll mit dem sozialen Umfeld zu interagieren: Das Kind hat Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen beziehungsweise eine Beziehung zu erleben und aufrechtzuerhalten, weil es durch den Vorgang der Deprivation jegliches Vertrauen gegenüber Menschen verliert - sollte es überhaupt jemals vorhanden gewesen sein.

Oft versucht ein Kind, dieser Deprivation zu entgehen, indem es sich an ein anderes Objekt bindet, wie zum Beispiel an sich selbst, an ein Tier oder an ein Spielzeug (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 242๑.

Jedes Kind strebt danach, sich irgendwann zu verselbstständigen und sich von den Eltern zu trennen. Dieser Schritt in der Entwicklung erfordert jedoch den Aufbau eines unabhängigen ״Ichs“. Für diesen Prozess ist es wichtig, dass das Kind einen Einblick in gesellschaftliche Strukturen erhält. Es muss die sozialen Rollen kennenlernen und sich dem Verhältnis zwischen eigener Tätigkeiten und Erwartungen anderer bewusst werden, damit es lernt, selber zweckvoll zu handeln. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann sich das Kind nicht lösen, weil es nicht orientiert und gesellschaftlich angemessen handeln kann. In diesem Fall spricht man von Persönlich - Sozialer Deprivation.

In einem Heim beispielsweise findet ein Kind keine Vorbilder für sein eigenes soziales Verhalten und tut sich somit schwer, sich in eine Gesellschaft zu integrieren. Aber auch in der Familie kann es passieren, dass das Kind unter dieser Art von Deprivation leidet: Ein Junge, der ohne Vater aufwächst, wird sich schwer tun, selber ein guter Vater zu sein. Des Weiteren ist es möglich, dass dem Kind nicht ermöglicht wird, die soziokulturellen Eigenschaften seiner Umgebung kennenzulernen und seine eigenen Werte nicht mit jenen seiner Mitmenschen übereinstimmen.

Auch hier ergibt sich die für Kinder die Möglichkeit, die Deprivation zu umgehen, indem sie zum Beispiel vollständig in eine Welt der Fantasie oder Arbeit eintauchen. So versuchen sie, sich auf diesem Umweg selbst zu verwirklichen (vgl. Langmeier &MATĚJČEK, 1977, s. 245ff.).

3 Psychologische Folgen von Deprivation

3.1 Borderline - Persönlichkeitsstörung

Die Bezeichnung für die Borderline - Persönlichkeitsstörung (BPS) lässt sich vom englischen Wort ״border“ für ״Grenze“ ableiten, denn sie beschreibt eine Störung an der Grenze zwischen einer neurotischen und einer psychotischen Störung. Deprivation gilt unter anderem als ein möglicher Auslöser des Borderline - Syndroms, wenn man annimmt, dass die Symptome der BPS die Schäden einer Vernachlässigung darstellen - entweder im Sinne von fehlender Zuneigung oder häufig wechselnder Kontaktpersonen. Damit man die Diagnose stellen kann, muss eine bestimmte Anzahl an Symptomen vorliegen. Zu diesen Anzeichen zählen zum Beispiel Impulsivität bei Handlungen sowie eine schlechte Beherrschbarkeit, die sich in starken Gefühlsausbrüchen der Angst oder Wut äußern kann. Des Weiteren verhalten sich Erkrankte oft merkwürdig und widersprüchlich und wechseln schnell und oft ihre Verhaltensweisen. Die Beziehung zu anderen und auch zu sich selbst ist meistens sehr instabil, was in manchen Fällen selbstschädigendes Verhalten mit sich bringt: Dazu zählen beispielsweise Essstörungen, zu schnelles Autofahren, unkontrolliertes Sexualverlangen oder Drogenmissbrauch. Oft wird die Borderline - Störung von Dissoziation - dem Verlust der Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Bewusstsein, Gedächtnis, Identität und Motorik - Depressionen und Selbstverletzungen begleitet, was in den schlimmsten Fällen zu Suizidversuchen führt (vgl. Sarl, 2017, [ONLINE]).

3.2 Hospitalismus

Hat ein Mensch aufgrund eines langen Krankenhaus- oder Heimaufenthalts, einer Inhaftierung oder Folter mit negativen Begleitfolgen in psychischer oder physischer Hinsicht zu kämpfen, spricht man von Hospitalismus. Insbesondere Kinder leiden daran, wenn sie einen langen Heimaufenthalt hinter sich haben, der von schlechter Pflege und mangelnder Fürsorge gekennzeichnet war. Die Schäden entstehen durch die emotionale Vernachlässigung (vgl. Sarl, 2017, [ONLINE]). Aus den Augen des Kinderarztes A. Schloßmann (1926) ist der Hospitalismus wesentlich von drei Faktoren bestimmt: der Gleichgültigkeit der Ärzte, dem Mangel an der Pflege und an gesunder, ausreichender Ernährung. Aufgrund solcher Umstände ließ Schloßmann ein Säuglingsheim errichten, welches diese Faktoren und somit den Hospitalismus beseitigen sollte. Seine Tochter und eine weitere Mitarbeiterin berichteten jedoch, dass sich die Kinder trotz der ausgiebigen Pflege und Behutsamkeit nicht annähernd gleich gut entwickeln würden als Kinder, die in einer eigenen Familie aufwachsen. Der Grund dafür liegt darin, dass frühkindliche Erfahrungen einen großen Einfluss auf die psychische Entwicklung eines Kindes haben. Daraufhin wurden neue Untersuchungen durchgeführt, um die genauen Ursachen des Hospitalismus festzustellen. Der Vergleich einer 24-stündigen Beobachtung eines Familienkindes und des Tagesablaufs eines Heimkindes (Gindl, Hetzer, Sturm) ergab einen offensichtlichen Rückstand der Sprachentwicklung und eine Armut an Stimulation und Zuwendung bei Heimkindern. Des Weiteren treten bei Kindern in Heimen deutlich häufiger Störungen im Lern- und Sozialverhalten auf. Nach Beobachtungen des Psychoanalytikers R. Spitz (1945) sind die Entwicklungsrückstände und alle physischen sowie psychischen Schäden nach dem 15. Lebensmonat irreversibel. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass es im Vorschulalter und auch im späteren Alter möglich sein soll, die Entwicklungsrückstände auszugleichen (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 55ff.). Dem Hospitalismus kann engegengewirkt werden. Oft wird in Frühgeburtentstationen Musik gespielt, um die Entwicklung der Säuglinge zu begünstigen. Die Option, dass die Eltern Tag und Nacht bei dem Neugeborenen sein dürfen, wirkt sich ebenfalls deutlich fördernd auf die Gesundheit des Kindes aus (vgl. Lahmer, 2012, s. 62f.).

3.3 Kaspar - Hauser - Komplex

Der Kaspar - Hauser - Komplex beruht auf der Geschichte des gleichnamigen Jungen Kaspar Hauser.

Am 26. Mai 1828 fand man in Nürnberg einen äußerst verwahrlosten und geistig zurückgebliebenen Jungen im Alter von 16 Jahren. Der Bub konnte nicht sprechen, jedoch seinen Namen aufschreiben: Kaspar Hauser (vgl. Sarl, 2017, [ONLINE]). Späteren Aussagen zufolge war Kaspar Hauser als Kleinkind in einen Keller eingesperrt worden und hatte dort seine Kindheit verbracht. Wasser und Brot sollen ihm an die Seite gestellt worden sein, während er schlief. Er konnte im 17.

Lebensjahr einen einzigen Satz aussprechen, den er dauernd wiederholte. Er war sehr schwach und konnte kaum ein paar Schritte gehen (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 22f.). Der Gymnasialprofessor und Philosoph Georg Friedrich Daumer übernahm die fünfjährige Umerziehung und Ausbildung des jungen Kaspar. Der Junge lernte das Lesen, Schreiben und war begabt am Klavier und im Zeichnen. Er entwickelte sich gut, schnell und vor allem gesund, was an der totalen Isolation im Kindesalter zweifeln ließ. Normalerweise ist ein Kind ohne Körperkontakt und Ansprache nicht überlebensfähig. Daraufhin entwickelten sich zwei Theorien zu Kaspar Hausers Persönlichkeit. In der ersten Theorie wird Kaspar Hauser als Betrüger dargestellt. Er soll sich die Geschichte, ein Leben lang im Keller eingesperrt gewesen zu sein, nur ausgedacht haben. Die zweite Theorie beschrieb den Jungen als den erstgeborenen Sohn des badischen Großherzogs Karl Beauharnais. Er soll als gebürtiger Thronnachfolger nach der Geburt entführt und eingesperrt worden sein, um ihm den Thron zu nehmen. Nach dieser These hätte Kaspar Hauser die Wahrheit erzählt (vgl. Sarl, 2017, [ONLINE]). Selbst nach seinem Tod im Jahre 1833 hörten die Spekulationen nicht auf, während die einen von Mord sprachen, waren die anderen von seinem Suizid überzeugt (vgl. Langmeier & MATĚJČEK, 1977, s. 22f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Kaspar Hauser (Flocken, 2010)

Heute spricht man vom Kaspar - Hauser - Syndrom, wenn ein Kind aufgrund emotionaler Vernachlässigung seelische und körperliche Verhaltensauffälligkeiten aufweist. Das Syndrom wird oft mit dem psychologischen Phänomen des Hospitalismus verglichen, ist aber durch den vollständigen Reizentzug und der Misshandlungen nicht damit gleichzusetzen.

Bei Betroffenen treten seelische Verhaltensauffälligkeiten wie extreme Ängste, Depressionen, Teilnahmslosigkeit, starke Reizbarkeit und übertriebenes Misstrauen aufgrund des fehlenden Urvertrauens auf. Zu den körperlichen Anzeichen zählen mangelndes Konzentrationsvermögen, ständige innere Unruhe und eine hohe Infektionsanfälligkeit. Weitere Symptome sind ein gestörtes Essverhalten, ein negatives Sozialverhalten, monotone und sich wiederholende Bewegungen und eine Neigung zu selbstverletzendem Verhalten (vgl. Sarl, 2017, [ONLINE]).

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Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Deprivation und Wolfskinder. Die Folgen von schwerer Isolation am Beispiel der Wolfskinder
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
39
Katalognummer
V437337
ISBN (eBook)
9783668778184
ISBN (Buch)
9783668778191
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deprivation, Wolfskinder, Isolation, Kaspar Hauser, Liesabeth Otto, Entwicklungsrückstand
Arbeit zitieren
Simone Walser (Autor:in), 2018, Deprivation und Wolfskinder. Die Folgen von schwerer Isolation am Beispiel der Wolfskinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437337

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