Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Krisenfaktoren im politischen System der Weimarer Republik
2.1 Die Weimarer Verfassung
2.2 Der Weimarer Parlamentarismus und das Parteiensystem
3. Gesellschaftliche Krisenfaktoren in der Weimarer Republik
3.1 Stimmungen und Politische Kultur
3.2 Der Einfluss des Ersten Weltkriegs
4. Fortschrittliche Perspektiven der Weimarer Republik
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit widmet sich der Frage, inwiefern man bei der Weimarer Republik von einer krisenhaften Episode der deutschen Geschichte sprechen kann. Die Krisenhaftigkeit der Weimarer Republik wird hierbei – soweit es denn überhaupt möglich sein wird – losgelöst von deren Scheitern und dem damit verbundenen Übergang zum Nationalsozialismus in den 1930er Jahren untersucht. Auch die Weltwirtschaftskrise von 1929 soll hier keine große Rolle spielen, da sie ein globales und kein spezifisches Problem Weimars gewesen ist. Relevant ist diese Untersuchung, da das Krisenurteil keine Alternative zu haben scheint. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in ungelösten Strukturproblemen des Kaiserreichs, der Hypothek des verlorenen Ersten Weltkriegs, des Scheiterns und der anscheinenden Wehrlosigkeit gegen den Einbruch der nationalsozialistischen Diktatur sowie insbesondere in der Unterlegenheit im Vergleich zum Paradebeispiel einer funktionierenden Demokratie – der Bundesrepublik Deutschland.
Auch in der Forschung überwiegt die Bezeichnung der Weimarer Republik als krisenhaft. Dort wird allerdings größtenteils entweder der Beginn oder das Ende der Republik diskutiert. Abgesehen von Gesamtdarstellungen, die chronologisch durch die Weimarer Jahre führen, wird die Krisenhaftigkeit der Weimarer Republik als Ganzes nur in einzelnen Elementen untersucht.
Anhand der untenstehenden drei Leitfragen werden auf den folgenden Seiten Thesen entwickelt, mit deren Hilfe die Forschungsfrage der Arbeit beantwortet wird.
- Welche kritischen Elemente besaß das politische System der Weimarer Republik, sodass sie funktional eindeutig als eine krisenhafte Episode der deutschen Geschichte angesehen werden kann?
- Welche Rolle spielten die Stimmungen und Einstellungen der Gesellschaft zur Weimarer Republik, um sie als krisenhafte Episode der deutschen Geschichte bezeichnen zu können?
- Welche zukunftsorientierten und demokratischen Aspekte können dafür sorgen, dass die Weimarer Republik nicht ausschließlich mit dem Begriff der Krise assoziiert werden darf?
Das Ziel der Arbeit liegt darin, den Fokus bei der Untersuchung der Krisenaspekte gänzlich auf die Weimarer Republik und seiner politischen sowie gesellschaftlichen Elemente zu lenken. Gegliedert ist sie dabei anhand der Leitfragen in drei Kapitel. Das erste Kapitel handelt von der politischen Sphäre der Weimarer Republik und untersucht daher die Weimarer Verfassung und den Parlamentarismus mitsamt des Parteienspektrums. Im zweiten Kapitel geht es um die gesellschaftliche Sphäre. Dabei wird der Blick auf die Einstellungen und Stimmungen innerhalb des deutschen Volkes sowie insbesondere auf den Einfluss des Ersten Weltkriegs gerichtet. Das dritte Kapitel versucht letztlich die Frage zu beantworten, inwiefern der Begriff der Krise die Weimarer Republik möglicherweise in einem falschen Licht darstellen lässt. Dies wird mithilfe des Bezugs zur Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht.
2. Krisenfaktoren im politischen System der Weimarer Republik
Dass das politische System der Weimarer Republik einige Mängel besaß, ist in der Forschung insbesondere vor dem Hintergrund des Scheiterns in den 1930er Jahren nicht zu bestreiten. Es gilt jedoch die Frage zu beantworten, inwiefern die Zwischenkriegszeit primär durch die zunehmende Funktionsschwäche des parlamentarischen Systems geprägt wurde.[1]
2.1 Die Weimarer Verfassung
Heutzutage hat die Weimarer Verfassung einen schlechten Ruf und gilt normalerweise durchweg als missglückte Verfassung. Von den Zeitgenossen genoss sie dagegen vor allem im Ausland hohe Anerkennung. Es dauerte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, dass die Verfassung für das Scheitern der Weimarer Republik hauptsächlich verantwortlich gemacht wurde.[2] Hagen Schulze zufolge sei der Verfassungsentwurf, welcher von Reichspräsident Ebert am 11. August 1919 unterschrieben wurde, ein insgesamt als ehrwürdig zu betrachtendes sowie ein aus dem liberalen Geist erwachsenes Dokument.[3] In der Zwischenkriegszeit bestanden sogar äußerst viele Verfassungen mit ähnlichen Inhalten; demnach war die Weimarer Verfassung in ihren einzelnen Elementen keine herausstechende Besonderheit. Dieter Grimm tendiert gar dazu, dass auch die Weimarer Kombination der Verfassungselemente lange Zeit gut funktioniert habe, wodurch sie nicht für das Scheitern verantwortlich gemacht werden könne.[4]
Trotz alledem werden zahlreiche Probleme und krisenhafte Elemente in der Weimarer Verfassung deutlich: das Wahlsystem, normative Aspekte, die Rolle des Reichspräsidenten und schließlich die Rolle, die die Parteien laut Verfassung spielten.
Die Verfassung von Weimar hatte zwar den liberalsten und den am kompliziertesten denkbaren Wahlmodus, womit annähernd jede politische Meinung in gleicher Relation ins Parlament gelangen konnte[5] ; dies führte allerdings in der Konsequenz dazu, dass auch Demokratiefeinde Zugang zum Parlament bekamen. Es dauerte nicht lang, bis die verfassungsbefürwortenden Parteien ihre parlamentarische Mehrheit verloren hatten. Die Akzeptanz der Weimarer Verfassung litt stark darunter.
Auch normativ betrachtet war die Verfassung mit krisenhaften Elementen behaftet. Grimm zufolge stand die Weimarer Staatsrechtslehre in der Tradition des Deutschen Kaiserreichs, wodurch der Positivismus als Grundhaltung etabliert gewesen ist. Seines Erachtens nach war die Rechtsquelle das staatliche Gesetz und es spielte keine Rolle, ob dieses staatliche Gesetz im Sinne der Gerechtigkeit handelte oder ungerecht agierte.[6] Der mangelnde normative Charakter der Reichsverfassung spielte auch Schulze zufolge eine gravierende Rolle, da die Abwehrbereitschaft gegen Verfassungsfeinde so enorm gelitten habe.[7]
Das in der Forschung am meisten beachtete krisenhafte Element der Weimarer Reichsverfassung ist schließlich die übergewichtige Rolle des Reichspräsidenten im politischen System Weimars. Der Reichspräsident steht – vom Volk direkt gewählt – dem Reichstag mit der gleichen Legitimität und mit äußerst weit gefassten Machtbefugnissen direkt gegenüber. Er ist demnach nicht zu vergleichen mit der rein repräsentativen Stellung des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Die vor allem Anfang der 1930er Jahre in der Weimarer Republik üblichen präsidialen Reserveverfassungen waren Schulze zufolge jedoch nicht grundsätzlich dysfunktional, sondern relativ ambivalent und lediglich von der Anwendung des Reichspräsidenten abhängig. Sie hätten seines Erachtens nach genauso gut eine Lösung zur Bekämpfung von politischem Extremismus gewesen sein können, wie sie letztendlich zum Scheitern beigetragen haben.[8] Im Jahr 1925 wurde Hindenburg von der republikfeindlichen Mehrheit – welche bei Weitem nicht nur aus rechten Politikern bestand – als sogenannter „Ersatzmonarch“ installiert, womit die Sehnsucht nach einem nationalen Führer bestehen geblieben sei, so Hans-Ulrich Wehler.[9] Thomas Mergel kritisiert dieses Vorgehen sogar als „Fortführung der monarchischen Konstitution unter republikanischen Bedingungen.“[10]
Schulze kritisiert darüber hinaus, dass die Verfassung lediglich an einer Stelle die Rolle der Parteien erwähnt hat – und dies sogar im negativen Sinne. Er spricht an auf den Artikel 130, demzufolge die Beamten die Diener der Gesamtheit und nicht die einer Partei seien. Demnach bildete sich ein Dualismus von Gesamtheit und Partei, von dem es nicht mehr weit bis zu einem nicht funktionstüchtigen und heterogenen „Gewirr eigensüchtiger Interessen“ gewesen sei.[11]
2.2 Der Weimarer Parlamentarismus und das Parteiensystem
Infolge des genannten Dualismus wird deutlich, dass insbesondere das Parteiensystem und der Parlamentarismus krisenhafte Aspekte zu verzeichnen hatten. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Krise des parlamentarischen Systems in der Weimarer Republik nicht isoliert ablief. Sie reflektierte eine Tendenz der Aushöhlung von liberalen Strukturen, wie sie in ganz Europa nach dem Ersten Weltkrieg zu beobachten war.[12] Eine Besonderheit stellten dabei die im Ersten Weltkrieg unterlegenen Staaten dar, von denen keiner einen Verbleib des parlamentarischen Systems aufzeigen konnte.
Die äußerst hohe Parteienfragmentierung im Weimarer Parteiensystem führte erst einmal zu einer Einschränkung der Kompromissfähigkeit, da zu viele verschiedene und nicht miteinander in Einklang zu bringende Meinungen vorhanden waren. Da die Verfassung es versäumte, die demokratischen Verhältnisse gesetzlich zu sichern, bedeutete diese Fragmentierung also auch, dass sich Demokratiefeinde etablieren konnten. Der Weimarer Parlamentarismus zeigt insgesamt eine extrem hohe Instabilität der Regierung auf, denn innerhalb der vierzehn Weimarer Jahre gab zwanzig Regierungsbildungen. Die Instabilität begründet Mommsen weiterhin mit einem Autoritätsverlust der bürgerlichen Mittelparteien. Seit 1923 hat sich die verbandspolitische Segmentierung des Parteiensystems immer mehr beschleunigt, insbesondere durch mehrere Interessenverbände jeglicher Art.[13] Wirtschaftliche und gesellschaftliche Gruppen sahen es von da an als wichtig an, direkten Einfluss auf die Besetzung politischer Spitzenpositionen nehmen und so die Politik lenken zu können. Laut Schulze wurde die zunehmende Aushöhlung des Parlamentarismus durch die Einflüsse von außen, durch außenparlamentarische pressure-groups, geradezu herbeigezwungen.[14]
Schulze vertritt ferner die These, dass sich die Parteien im Zuge der Umwandlung einer monarchisch-konstitutionellen in ein parlamentarisch-demokratisches System selbst zerstörten. Sie sahen seines Erachtens nach ihren Zweck nicht in der Mehrheits- und Regierungsbildung, sondern in Sinnstiftung und Wahrheitsverkündung. Dies habe dazu geführt, dass die Parteien die Politikinhalte, welche nicht kohärent mit den eigenen waren, als feindlich einstuften.[15]
Auch die Praxis des Parlaments zeigt ein krisenhaftes Element. Das Parlament befand sich in einem Transformationsprozess, in dem aufgrund vieler Innovationen nicht alles reibungslos funktionieren konnte. Der Großteil der parlamentarischen Arbeit fand in Hinterzimmern statt – es wurden also Ausschüsse und parlamentarische Gruppen gebildet. Dieser Aspekt ist zwar sehr modern, allerdings kritisiert Mergel daran, dass die Ausschüsse sozusagen schon in der Bundesrepublik angekommen wären, während das Plenum noch im Kaiserreich verharrt hätte.[16] Die parlamentarische Praxis sei demnach alles andere als etabliert und funktionstüchtig gewesen.
Auch die Politiker waren nicht krisenfrei. Die in Weimar neu etablierte politische Oberschichte konnte nicht wie im deutschen Kaiserreich auf das eigene finanzielle Vermögen zugreifen, sondern musste von nun an Politik als Beruf ausüben. Das war verbunden mit neuen Abhängigkeiten und dem Aufstieg einer außerordentlich komplizierten Parteibürokratie, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hatte.[17] Weiterhin kritisch sei es laut Mergel gewesen, dass die Politiker noch in konstitutionellen Kategorien des Gegensatzes zwischen Regierung und Parlament dachten. Deshalb wurde die Differenz zwischen Regierung und Opposition, welche für eine funktionierende Demokratie von Nöten gewesen wäre, nicht wahrgenommen.[18]
[...]
[1] Vgl. Mommsen, Hans: Die Krise der parlamentarischen Demokratie im Europa der Zwischenkriegszeit. In: Wirsching, Andreas (Hrsg.): Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich. München 2007, S. 21-35, hier S. 22f.
[2] Vgl. Grimm, Dieter: Mißglückt oder glücklos? Die Weimarer Reichsverfassung im Widerstreit der Meinungen. In: Winkler, Heinrich A. (Hrsg.): Weimar im Widerstreit. Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland. München 2002, S. 151-162, hier S. 151f.
[3] Vgl. Schulze, Hagen: Weimar. Deutschland 1917-1933. Berlin 1982, S. 92.
[4] Vgl. Grimm: Reichsverfassung im Widerstreit, S. 154f.
[5] Vgl. Schulze: Weimar, S. 96.
[6] Vgl. Grimm: Reichsverfassung im Widerstreit, S. 157.
[7] Vgl. Schulze: Das Scheitern der Weimarer Republik als Problem der Forschung. In: Erdmann, Karl-Dietrich/Schulze, Hagen (Hrsg.): Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Düsseldorf 1980, S. 23-42, hier S. 30.
[8] Vgl. ebd., S. 30f.
[9] Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Radikalnationalismus – erklärt er das „Dritte Reich“ besser als der Nationalsozialismus? In: Ders. (Hrsg.): Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert. München 2000, S. 47-64, hier S. 53f.
[10] Mergel, Thomas: Das parlamentarische System von Weimar und die Folgelasten des Ersten Weltkriegs. In: Wirsching, Andreas (Hrsg.): Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich. München 2007, S. 37-59, hier S. 40.
[11] Vgl. Schulze: Weimar, S. 67.
[12] Vgl. Mommsen: Krise der parlamentarischen Demokratie, S. 32.
[13] Vgl. ebd.
[14] Vgl. Schulze: Weimar, S. 65.
[15] Vgl. ebd., S. 70.
[16] Vgl. Mergel, Thomas: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, S. 228.
[17] Vgl. Schulze: Weimar, S. 54.
[18] Vgl. Mergel: Parlamentarische Kultur, S. 229.