Sicher ist das Gefühl „Liebe“ keine Erfindung des Mittelalters oder gar der Neuzeit, vielleicht gibt es sie schon seit dem Entstehen der Menschheit selbst, vielleicht ist sie ein, wenn nicht das konstituierende Merkmal von Menschlichkeit1. Frühe literarische Zeugnisse der Liebe stellen die Strophen der griechischen Lyrikerin Sappho dar, die bereits vor 2600 Jahren die Liebe besang. Auch der römische Dichter Ovid versuchte das Wesen der Liebe in einigen seiner Werke zu ergründen. Eine spezielle Ausprägung der Liebe entstand jedoch an Adelshöfen des südlichen Frankreich ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und strahlte in den folgenden Jahrhunderten auf ganz Europa aus: die so genannte „höfische Liebe“. Eines der ersten wissenschaftlichen Werke, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, ist das Traktat „De Amore“ von Andreas Capellanus, das im späten 12. Jahrhundert entstand. Sein Titel ist Programm: Der Autor gibt dem Leser einen detaillierten Überblick über Wesen und Regeln der höfischen Liebe. „De Amore“ erfuhr im Mittelalter eine große Rezeption und wurde schon früh in mehrere Sprachen übersetzt. Die Intention des Werkes aber war und ist bis heute umstritten, ein Umstand auf den in dieser Arbeit noch näher einzugehen sein wird. Ein modernes Werk über die Liebe entstammt der Feder des Soziologen Niklas Luhmann. In „Liebe als Passion“ untersucht er den historischen Wandel der Liebessemantik nach systemtheoretischen Gesichtspunkten. Er sieht in Liebe weniger ein Gefühl als vielmehr ein Kommunikationsmedium, das sich im Zuge einer gesellschaftlichen Evolution von stratifikatorisch zu funktional differenzierten Gesellschaften herausgebildet hat und dessen Funktion es ist, das Problem der Individualität sozial zu integrieren. Im Folgenden wird das mittelalterliche Traktat „De Amore“ mit Luhmanns „Liebe als Passion“ kontrastiert um so zu einem vertieften wechselseitigen Verständnis beider Bücher zu gelangen. Die Arbeit stellt den Versuch dar, literarische Hermeneutik mit luhmannscher Systemtheorie zusammenzubringen. Hierfür wird im ersten Teil das Vorgehen der Systemtheorie dargestellt um die Grundlage für das Verständnis von „Liebe als Passion“ zu schaffen. Mit dem Wissen über die Grundthesen dieses Buchs wird im zweiten Teil der Arbeit das mittelalterliche Traktat „De Amore“ vorgestellt und nach systemtheoretischen Gesichtspunkten untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Systemtheorie nach Niklas Luhmann
- Die Evolution von Gesellschaften
- Segmentäre Gesellschaften
- Stratifikatorisch differenzierte Gesellschaften
- Funktional differenzierte Gesellschaften
- Die Folgen der Differenzierung
- Liebe als Passion
- Liebe: ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium
- Die historische Semantik des Liebesbegriffs
- Der Liebesbegriff in den Epochen von 1600-2000
- Die Rolle der Literatur
- Die Entstehung der höfischen Liebe
- Gesellschaftliche Grundlagen
- Wesen und Ziele der höfischen Liebe
- ,,De Amore“
- Autor
- Inhalt
- Stilistische Eigenschaften
- Rezeption
- Forschungsgeschichte
- ,,De Amore“ und Systemtheorie
- ,,Hof“ als System
- ,,De Amore“ als Zeugnis sich ausdifferenzierender Systeme
- Provokation als Potential
- Moderne Erzähltechniken in einem mittelalterlichen Werk
- Fazit
- Schluss
- Die Gegenwart des Mittelalters
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit setzt sich zum Ziel, das mittelalterliche Traktat „De Amore“ von Andreas Capellanus mit Niklas Luhmanns systemtheoretischer Betrachtung der Liebe in „Liebe als Passion“ zu kontrastieren. Sie soll zu einem vertieften wechselseitigen Verständnis beider Werke beitragen und die Verbindung zwischen literarischer Hermeneutik und luhmannscher Systemtheorie erforschen.
- Die Entwicklung der Liebeskonzeption von der höfischen Liebe im Mittelalter bis zur modernen systemtheoretischen Perspektive
- Die Rolle von Kommunikation und symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien in der Gestaltung von Liebe
- Die Bedeutung von gesellschaftlichen Veränderungen für die Entwicklung der Liebessemantik
- Die Rezeption von „De Amore“ und die Frage nach seiner Bedeutung in der Gegenwart
- Die Verbindung zwischen literarischer Analyse und soziologischer Theorie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und beleuchtet die Bedeutung von Liebe in der Geschichte und die Entwicklung der höfischen Liebe im Mittelalter. Sie führt die beiden zentralen Werke „De Amore“ von Andreas Capellanus und „Liebe als Passion“ von Niklas Luhmann ein und skizziert die Ziele und den methodischen Ansatz der Arbeit.
Der Hauptteil beginnt mit einer Darstellung der Systemtheorie nach Niklas Luhmann und erklärt die Grundprinzipien der Theorie. Anschließend wird die Evolution von Gesellschaften von segmentären, über stratifikatorisch differenzierte, hin zu funktional differenzierten Gesellschaften erläutert. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle von Kommunikation und symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Der Abschnitt „Liebe als Passion“ beschäftigt sich mit Luhmanns Analyse der Liebe als ein solches Kommunikationsmedium und beleuchtet den historischen Wandel der Liebessemantik. Die Rolle der Literatur in der Darstellung von Liebe wird ebenfalls beleuchtet, bevor die Entstehung der höfischen Liebe im Detail behandelt wird.
Der Abschnitt über „De Amore“ beleuchtet das Werk von Andreas Capellanus in Bezug auf Autor, Inhalt, stilistische Eigenschaften, Rezeption und Forschungsgeschichte. Anschließend wird das Werk im Kontext der Systemtheorie analysiert, wobei „De Amore“ als Zeugnis sich ausdifferenzierender Systeme betrachtet wird. Die Arbeit stellt die Bedeutung des Mittelalters in der heutigen Gesellschaft und dessen Relevanz für unser Verständnis von Liebe und Beziehungen heraus.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Schlüsselwörter „Liebe“, „höfische Liebe“, „Systemtheorie“, „Kommunikation“, „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“, „Differenzierung“, „Gesellschaft“, „Mittelalter“, „Andreas Capellanus“, „De Amore“, „Niklas Luhmann“, „Liebe als Passion“ und „Gegenwart des Mittelalters“. Diese Begriffe werden im Kontext der Entwicklung von Liebe als gesellschaftliches Phänomen und als literarisches Motiv analysiert.
- Arbeit zitieren
- Jörg Hartmann (Autor:in), 2005, "Liebe ist..." Liebeskonzeptionen in Mittelalter und Neuzeit am Beispiel von Andreas Capellanus' 'De Amore' und Niklas Luhmanns 'Liebe als Passion', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43747