Das Konzept der Vaterlandsliebe in der Epik der Moderne. Eine Analyse des Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine


Hausarbeit, 2018

22 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Analyse der Ambivalenz im Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen

3. Wahre Kritik oder enttäuschte Liebe zum eigenen Land? Eine autobiografische Entschlüsselung

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

״Aber das Leben ist im Grunde so fatal ernsthaft, daß es nicht zu ertragen wäre ohne solche Verbindungen des Pathetischen mit dem Komischen[1]

Ob Heines zwiespältiger Charakter, die widerspruchsvollen Verhältnisse seiner Zeit, die Diffamierung von Herkunft und Religion, die Ambivalenz im Patriotismus eines Exilanten. Egal welcher Forschungsstand den Kern Heinrich Heines am ehesten trifft, wird nur eine Annäherung an die Gesamtheit der Ambivalenzen bleiben. Auch Heines politisches Wirken steht ganz im Zeichen des Widerspruchs. Ein Werk, das als Spiegel dieser Ambivalenz betitelt werden kann, ist der Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen. In diesem Gedichtszyklus[2], wie er es selbst in seinem Vorwort nennt, beschreibt Heine mittels eines reisenden Ich­Erzählers, seine Sicht auf Deutschland und die Restaurationszeit. Diese Sicht basiert nur in Teilen auf eigenen Erfahrungen, da er während des Verfassens in Paris im Exil lebte.[3] Seine Ambition mündet in der Reaktion eines 27 Kapitel langen Epos, in dem er Deutschland und dessen politische Verhältnisse, sein Leben im Exil in Frankreich und seine Reise zurück nach Deutschland niederschreibt. Es handelt sich um einen Zustandsbericht aus einer Zeit, die geprägt war, von Umbrüchen. Der Protagonist berichtet von seinen Begebenheiten auf einer Reise quer durch Deutschland. Das Werk enthält markante biographische Züge aus dem Leben Heinrich Heines, welcher die historische Umstände seiner Zeitepoche verarbeitet.

Die folgende wissenschaftliche Ausarbeitung ״Liebe - Kritik - Ambivalenz. Das Konzept der Vaterlandsliebe in der Epik der Moderne. Eine Analyse des Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen von Heinrich Heine“ fokussiert den widerspruchsbehafteten Patriotismus im Werk. Die einzelnen Komponenten, die zu der aufkommenden Ambivalenz beitragen, werden selektiert und analysiert. Wichtige Analysepunkte sind die Ironie und die zeitgenössische, politische Kritik, die sich stark auf das deutsch-französische Verhältnis, den Katholizismus und Persönlichkeiten der deutschen Bourgeoise bezieht.

In der Analyse des Epos in Abschnitt 2 wird weitestgehend textimmanent gearbeitet. In Punkt 3, in dem es sich um einen biografischen Interpretationsansatz handelt, wird dann verstärkt auf

Sekundärliteratur zurückgegriffen. Grundlage für diese Hausarbeit ist vor allem H. Tischer[4], welcher einen älteren Forschungsstand vertritt. A. J. Kruse[5] und mehrere Werke von H. Kircher[6] decken einen aktuellen Forschungsstand ab. Der zuletzt genannte Autor verfasste mehrere Biografien zu Heinrich Heine.

2. Analyse der Ambivalenz im Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen

״Die Sehnsucht des Emigranten ist das Heimweh des entlaufenen Romantikers. “[7]

Dieses Zitat Heines verdeutlicht die gespalteten Liebe zu zwei Ländern. Die Treue zur Heimat Deutschland und der Zufluchtsort in der Not - Frankreich. In diesem Poem gehen Vaterlandsliebe und Kritik gleichermaßen einher. Als Patriot spricht er von Heimweh, durch die Kontextualisierung mit dem entlaufenen Romantiker konstruiert er ein Paradoxon, welches für den Leser zu einer lesbaren Ambivalenz wird. Exakt dieses Prinzip, zusammen mit der verwendeten Ironie bilden das sprachliche Fundament in dem Epos, welcher aus 27 Kapiteln und einem Vorwort besteht. In dem Vorwort erläutert Heine bewusst als Autor die Entstehungsbedingungen, unter welchen er dieses Werk verfasste. Dazu zählt die Zensur, seine eingeschränkte Lebenssituation als Exilant, die Intention hinter dem Epos und vor allem seinen ungebrochenen, j edoch ambivalenten Patriotismus. Er greift Aussagen seiner Kritiker auf, die ihn als Franzosenfreund und Verächter des Vaterlandes betiteln, diese spricht er direkt an und beteuert seine Liebe zu Deutschland: ״Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebenso sehr wie ihr. “[8] Dieser Milderung der Gemüter wirkt jedoch affektiert, da er sich wenige Zeilen später so äußert: ״ Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exil verlebt (...) “.[9] Es zeigt eine Kränkung in der Liebe zu eigenen Land, aus der eine Ambivalenz resultiert, die sich auch im anfänglichen Zitat erkennen lässt. Schon in dem Prolog äußert sich Heine bewusst sehr nationalistisch, in dem er klassische, patriotische Phrasen als Ausdruck von Ironie aufgreift ״Die ganze Welt wird deutsch werden (...) “.[10] [11] [12] Seine Darstellung von Patriotismus, die aber nur eine Traumvorstellung ist, entspricht bewusst nicht der Realität ״Das ist mein Patriotismus. “u Hier zeigt sich ein stimmiges Muster seines ,Sensualismus‘, in dem sich die eigene Wahrheit individuell aus Erfahrungen konstruiert. Seine Auffassung von Patriotismus ist nicht zwangsweise an Deutschland gebunden, sondern kann hier universeller verstanden werden.

Außerdem bezieht er sich im Vorwort auf den Wunsch, der Beendigung der deutsch­französischen Feindschaft. Dieser starke intrinsische Drang wird durch die zwiegespaltene patriotische Haltung hervorgebracht. Durch die Feindschaft und den Konflikt der Länder, spürt auch Heine diesen Konflikt in sich, der mit einer kognitiven Disharmonie einhergeht. Trotz der jahrelangen Trennung zu seinen Landsleuten, fühlt er sich dennoch mit ihnen verbunden.[72] “Eine große Vorliebe für Deutschland grassiert in meinem Herzen, sie ist unheilbar. “[13] [14] Dies schrieb Heine schon 1843 an seinen Verleger Campe. Er empfindet für beide Länder eine eigene Art der Vaterlandsliebe, die derzeit durch die politischen Gegebenheiten nicht miteinander vereinbar sind. ״Ich binder Freund der Franzosen, wie ich ein Freund aller Menschen bin (...). Deutschen und die Franzosen, die beide auserwählte Völker der Humanität [14] Von Beginn an ist er sich der Diskrepanz zwischen dem Ist-Zustand und seiner ideologischen Zielvorstellung bewusst.[15] Daraus resultiert eine Form von Wut auf Persönlichkeiten der Aristokratie und Bourgeoise, die er in den folgenden 27 Kapiteln, Caput genannt, niederschreibt.

Jedes Caput besteht aus einem Gedicht, welches vierzeilige Strophen in unterschiedlicher Anzahl enthält. Die Strophenform entspricht dem Vagantenpaar, bekannt aus mittelalterlichen Balladen oder Volkslieder, wie sie in der Sammlung ,Carmina Burana‘ zu finden sind.[16] In seiner Gesamtheit ist die metrische Gestaltung einheitlich, was einen fließenden Lesefluss ermöglicht und Homogenität erzeugt, jedoch fügt er gelegentlich überraschende Reime ein, die an das freie Reimschema der Romantik angelehnt sind. ״An die Burgfrau Johanna von Montfaucon/ An die Freiherrn Fouque, Uhland, Tieck. “[17] Kircher spricht in diesem Kontext von einer Verhinderung metrischer Monotonie.[18] Die Komik des Reimschemas ist kompatibel zum Inhalt. Eine absichtlich dilettantische Herangehensweise ist durchaus zu unterstellen. Außerdem haben einige Reime wie Hegel und Kegel oder Kaiser und Birkenreiser einen satirischen Effekt. In den einzelnen Gedichten werden Reisebildern, wie Z.B. in Ideen. Das Buch Le Grand[19] mit einer kritisch-satirischen Vorgehensweise kontextualisiert. Das Epos besteht sprachlich aus Erlebnisberichten, wie es in Caput II bei der Zollkontrolle ersichtlich ist.[20] Außerdem reflektiert der Reisende häufig seine Stationen und Erlebnisse, mit vorrangegangenen Erinnerungen. Präsent ist dies bei dem Monolog über deutsches Essen in Caput IX.[21] Die häufig eingeflochtenen Dialoge wie Z.B. mit dem Zensor[22] oder der Schutzgöttin Hammonia in Hamburg[23] ermöglichen eine personifizierte Kritik abstrakter Parameter wie der Zensur oder dem Kapitalismus. Viel wichtiger sind aber die Monologe, Träume und Visionen des reisenden Ich-Erzählers. Mittels dieser sprachlichen Ausführungen wird die Ambivalenz des Protagonisten deutlich. In den Traumsequenzen ist die Kritik an der politischen Realität in einen Alptraum eingebettet. Der Autor nutzt die allgemeine Auffassung, dass ein Traum nur illusionär ist und sich nicht zwangsläufig mit der Realität deckt, um seine Kritik mittels des Protagonisten unverblümter äußern zu können. Der Reisende jedoch empfindet dies nicht als Traum, sondern als reale Begebenheit. ״Gleicht einer kalten Zensorhand / Und meine Gedanken wichen “[24]

Nachdem Grenzübertritt und der Zollkontrolle in Deutschland reist der Ich-Erzähler über Aachen nach Köln. In Caput IV kommt der reisende Protagonist in Köln an und berichtet von dem ersten wahrnehmbaren Einfluss, den die deutsche Luft auf ihn hat.[25] [26] Dieser beginnende patriotische Gedanke wird jedoch zunächst von Kritik am Katholizismus unterbrochen. Durch solche Einschübe erhält das Epos einen fragmentarischen Charakter. ״Auf meinen Appetit. Ich aß / Dort Eierkuchen mit Schinken (...) Ja hier einst die Klerisei / Ihr frommes Wesen getrieben /Hier haben Dunkelmänner geherrscht /Die Ulrich von Hutten beschrieben. ‘a[6] Wie auch in Caput III, indem sich der Ich-Erzähler noch in Aachen befindet, äußert dieser sich kritisch zu den deutschen Verhaltensweisen und zu, wie das Zitat zeigt, religiösen Sachverhalten. Es deutet die Rückständigkeit der Stadt Köln an, indem er sich zusätzlich auf das bekanntlich rückständige Mittelalter bezieht. Hauptpunkt seiner Kritik in diesem Caput ist der unvollendete Dom. Die Ablehnung des Christentums als Machtinstanz, ist deutlich zu erkennen. Zum einen durch die Verhöhnung des Reformators Luther und seines Anhängers Ulrich von Hutten, auch ein Befürworter der Reformation.[27] Die Kritik am Bau des Doms ist ein Symbol der politischen und kirchlichen Unterdrückung, da er diese mit dem Königtum kontextualisiert. ״ Vergebens wird der große Franz Liszt / Zum Besten des Doms musizieren / Und ein talentvoller König wird/Vergebens deklamieren! “[28] Das nächste Caput ist ein starker Ausdruck einer enttäuschten Vaterlandsliebe, mit einer ambivalenten Grundhaltung. Diese Grundhaltung zeigt sich in Caput V schon in der zweiten Strophe, in welcher der Reisende einen Dialog mit dem Vater Rhein führt und seine Sehnsucht zum Ausdruck bringt.[29] Untermauert wird die Sehnsucht zum Vaterland von einem patriotischen Lied von Nikolas Becker in Strophe 5.

[...]


[1] Heine, Heinrich: Ideen.Buch Le Grand. In: Reisebilder. Zweiter Teil. Kapitel XI, 1920 [1826].

[2] Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermärchen. Anaconda Verlag, Köln 2005 [1844].

[3] Kruse, Joseph A.: Heinrich Heine. Leben Werk Wirkung. Basisbiographie. Suhrkamp, Frankfurt 2005, S.39.

[4] Tischer, Heinz: Ironie und Resignation in der Lyrik des Heinrich Heine. Band 1, Analyse und Reflexion. Beyer Verlag. Hollfeld, 1973.

[5] Vgl. Kruse, 2005.

[6] Vgl. Kircher, Hartmut: Heinrich Heine. Tectum Verlag, Marburg, 2012, S.169.

[7] Vgl. Tischer, 1973.

[8] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Vorwort, S.6.

[9] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Vorwort, S.6.

[10] Ebd. S.7.

[11] Ebd.

[12] Vgl. Tischer, 1973, S.49.

[13] Heinrich, Heine: Sämtliche Schriften. Hg. Von Klaus Briegab. Bd. 1 - 6Л1. München 1969 - 1976. Briefwechsel bs.2, s. 472.

[14] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Vorwort, S.6.

[15] Vgl. Kircher,2012, s. 169.

[16] Willnauer, Franz: Carmina Burana von Carl Orff. Entstehung, Wirkung, Text. Schott, Mainz 2007.

[17] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Caputili, S.14.

[18] Vgl. Kircher, 2012, s. 166.

[19] Heine, Reisebilder. Zweiter Teil.,1920, [1862].

[20] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput II, s.11-12.

[21] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput IX, s. 32.

[22] Ebd. Caput VII, s. 26-27.

[23] Ebd. Caput XXIII, S.64-67.

[24] Ebd. Caput XVIII, S.54.

[25] Ebd. Caput IV, s. 16.

[26] Ebd.

[27] Vgl. Wehr, Gerhard: Christentum. Diedrichs Kompakt, München, 2003, s. 54-58.

[28] Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput IV, S.17.

[29] Ebd. Caput V, S.20.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Konzept der Vaterlandsliebe in der Epik der Moderne. Eine Analyse des Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine
Autor
Jahr
2018
Seiten
22
Katalognummer
V437488
ISBN (eBook)
9783668785540
ISBN (Buch)
9783668785557
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konzept, vaterlandsliebe, epik, moderne, eine, analyse, versepos, deutschland, wintermärchen, heinrich, heine
Arbeit zitieren
Sabrina Pöhl (Autor:in), 2018, Das Konzept der Vaterlandsliebe in der Epik der Moderne. Eine Analyse des Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437488

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