Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Relevanz in der (Migrations-)Forschung
2. Schule als
2.1. Teil des Bildungssystems
2.2. Institution
2.3. Schulkultur
2.4. Raum
2.5. Gesamtheit
3. Bourdieu und der Habitus
3.1. Grundsätzliche Überlegungen
3.1.1. Ökonomisches Kapital
3.1.2. Kulturelles Kapital
3.1.3. Soziales Kapital
3.2. Anwendbarkeit in Bezug auf schulische Bildung
3.3. Kritik an Bourdieus Modell
4. Bevorteiligung und Benachteiligung
4.1. Ausschluss und Zugang nach Bourdieu
4.2. Ausschluss und Zugang an Schulen
4.3. Elite und Exzellenz
4.4. Migrationshintergrund: (Immer noch) ein Problem?
5. Ausblick: Wie können Ungleichheiten überwunden werden?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Kaum ein System in Deutschland ist so komplex wie das Schulsystem: flächendeckend, für verschiedene Altersgruppen, privat oder öffentlich und dabei zusätzlich föderal organisiert. Die Spannbreite an dem, was Schule leistet oder darstellt, ist groß. Diese Hausarbeit versucht, sich dem System Schule zu nähern.
Ausgangspunkt dieser Hausarbeit ist das vorangegangene Seminar ״Migration Regimes and Space“, was auf den ersten Blick nichts mit Schule gemein hat. Und doch soll, aus einer interdisziplinären Perspektive, dieses Feld thematisiert werden. Dazu wird erziehungswissenschaftliche, aber auch soziologische Literatur zur Erklärung von schul¡- schem Ausschluss und Zugang herangezogen. Der räumliche Aspekt des Systems Schule wird miteinbezogen. Auch Ansätze des Regimebegriffs werden einfließen. Trotzdem bleiben diese Schlagwörter eher im Hintergrund der Ausarbeitung.
Die Leistung dieser Hausarbeit soll zum einen darin bestehen, dass Thema unter dem Aspekt ״Migration Regimes & Space“ zu fassen.
Zum anderen versuche ich, Mechanismen der Benachteiligung und der Bevorteiligung unter Zuhilfenahme der Kapitaltheorie von Pierre Bourdieu zu erläutern. Es wird versucht, mit Hilfe der Beispiele von Zugängen zu Eliteschulen und des Kontrastes der sich durchziehenden Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter- grund[1] Mechanismen aufzuzeigen. Dazu sollen beide Phänomene der Illustrierung dienen und werden, auf Grund des knappen Umfangs der Arbeit, nicht bis ins Detail beschrieben und erforscht.
Der Anspruch soll sein, Bevor- und Benachteiligungsmechanismen zu markieren und Anstöße für Veränderungen aufzuzeigen.
1.1. Relevanz in der (Migrations-)Forschung
Unter dem Fokus der Migrationsforschung (in dem sich das Seminar sowie das Masterprogramm bewegt), ist Bildung eines der relevantesten und wichtigsten Themen (vgl. Neumann/Karakaşoğlu 2011: 47).
״Sie [die Bildung] ist Grundlage für die Partizipationschancen des Einzelnen in Beruf und im gesellschaftlichen Leben und sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft wie die der Bundesrepublik, zu deren Grundwerten die Chancengleichheit in und durch Bildung gehört“ (ebd.).
Diese normative Forderung beschreibt die Ziele der Bildung, die Ist-Situation sieht jedoch momentan in Deutschland noch anders aus: Der Kernpunkt der Chancengleichheit wird in dieser Hausarbeit unter dem Punkt der Bevor- und Benachteiligung diskutiert.
Forschungen in der Erziehungswissenschaft und der Soziologie nehmen sich ebenfalls dem Thema an, so dass die Literaturbasis und -Aktualität breit gefächert ist. Zu dem Anwendungsbeispiel der exklusiven, elitären Schulen wurde 2014 eine Ausgabe der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft veröffentlicht, welche ebenfalls eine breite Basis bietet.
2. Schule als...
2.1. Teil des Bildungssystems
Einzelne Schulen sind, allgemein gesagt, kleine Teile eines flächendeckenden Schulsystems in Deutschland. Es herrscht eine gesetzliche Schulpflicht. Wichtig ist vor allem zu sagen, dass das Schulsystem in Deutschland föderal organisiert ist, Bildung ist also Ländersache. Das heißt, dass verschiedene Schulformen in verschiedenen Bundesländern existieren, die es an anderer stelle nicht gibt (bspw. u.a. im Bundesland Bremen das Modell der Zweigleisigkeit mit Oberschulen und Gymnasien[2] ). Eine Folge davon für diese Arbeit und die Forschung ist eine erschwerte Vergleichbarkeit. Grundsätzlich gibt es jedoch überall Grund- und Sekundarschulen.
Gemeinsam haben Schulen ebenfalls, dass sie unter staatlicher Aufsicht stehen, unabhängig, ob sie in öffentlicher Trägerschaft oder unter einer freien Trägerschaft stehen.
Freie Trägerschaften deklarieren eine Schule zu einer Privatschule. Diese können kirch- liehe Organisationen, Vereine oder private Personen sein. In Europa ist es jedoch so, dass auch private Schulen einer staatlichen Aufsicht unterstellt sind.
Privatschulen sind in sich zusätzlich breit gefächert: Es gibt Schulen, die der Ausbildung von Exzellenz und Eliten dienen, aber auch alternative Ansätze wie Waldorf- oder Mon- tessorischulen. Diese Arbeit konzentriert sich auf elitefördernde Schulen im Privatschulbereich.
2.2. Institution
Was ist das Besondere an Schule als Institution und inwiefern grenzt sie sich von Wirtschaftlichen oder politischen Institutionen ab? ״Bildungssysteme sind, inhaltlich gesehen, Institutionen, die die gesellschaftlich gewollte, verstetigte und methodisierte Menschenbildung und Kulturübertragung realisieren“ (Fend 2008: 29). Das heißt, sie vermit- tein Wissen und Fertigkeiten für das spätere (Berufs-)Leben. Sie erzeugen demnach Wertorientierungen, Fähigkeiten und ein bestimmtes Selbst- und Wertverständnis bei ihren Schülerinnen und Schülern[3] (vgl. ebd.). Außerdem muss die Schule ihren Erziehungsauftrag ernst nehmen und sich ihrer Verantwortung bewusst sein, Menschen zu erziehen und in gewisser weise zu formen (vgl. ebd.: 30).
Alle Schulen unterliegen Richtlinien, die sie einhalten müssen: Dazu gehören festgelegte Elemente wie Lehrpläne, Stellenvergabe und -besetzung, zentrale Abschlussprüfungen oder finanzielle Vorgaben. Eine Schule ist also, anders als ein wirtschaftliches Unternehmen, an viele Vorgaben gebunden und strukturellen Zwängen unterworfen. Dies ist der Kernpunkt der institutioneilen Seite.
Diese sind zwar individuell einschränkend, doch Fend erläutert, warum ein solch enger Spielraum doch nützlich sein kann: Er bezeichnet die Situation des Einwirkens auf Mensehen und das Lernen und Lehren über einen langen Zeitraum, wie in der Schule geschieht, als ״Unschärfesituation“ (Fend 2008: 32). ״In dieser Unschärfesituation schaffen institutioneile Regelungen, Lehrpläne, Lehrgänge und Prüfungsregelungen, Stabilität“ (ebd.).
Auch wenn Bildungsorganisationen den Organisationscharakter von anderen Institutionen teilen (vgl. ebd.), so ist doch ihr Bildungsauftrag einzigartig. Dieser wird durch pädagogische Arbeit ausgeführt
Trotzdem sind Kinder keine unbeschriebene Blätter und jede/r Pädagogin unterrichtet und erzieht auf seine/ihre eigene Weise, so dass zwischen einzelnen Schulen, Klassen und SuS immer Unterschiede vorhanden sein werden.
Der institutioneile Charakter einer Schule kann als Art von Regime verstanden werden, da ein solches als Regelungs- oder Ordnungssystem gesehen wird. Diese Regimeformen produzieren Ordnungssysteme und Entscheidungsverfahren, wie es die Vorgaben der Schule tun. Ebenfalls enthält der Regimebegriff den Umgang untereinander und die Entscheidungskraft der beteiligten Akteure (bspw. eines Schulleiters/einer Schulleiterin) (vgl. Wahrig 1997: 1017). So bildet sich eine erste Macht- und Dominanzrelation, auf die später noch eingegangen wird.
2.3. Schulkultur
Die Schulkultur kann, im Gegensatz zum institutioneilen Feld, die eben genannten Spielräume für sich nutzen. Nicht alle Schulen sind gleich, obwohl sie institutioneile Vorgaben zu erfüllen haben. Unterschiede werden durch die Schulkultur generiert. Hier kann die fundierte schulvergleichende Untersuchung von Schulkultur durch Helsper hinzugezogen werden, welche sagt, dass Schule als symbolische Sinnordnung fungiert (vgl. Helsper 2008: 66). Was ist damit gemeint?
Es wird angenommen, ״dass jede Schule durch eine kulturelle Ordnung gekennzeichnet ist, die sich spezifisch ausformt. Die schulkulturelle Vielfalt innerhalb einer Schulform ist enorm“ (Böhme/Herrman 2011: 33). Dadurch, dass schulische Akteure unter ihren institutionellen Vorgaben und historischen Rahmenbedingungen handeln, entsteht eine ein- zelschulspezifische Strukturvariante: die jeweilige Schulkultur (vgl. Helsper 2008: 67).
Die Akteure sind Schulleiterinnen, Lehrkräfte, SuS und Eltern[4], deren Zusammenarbeit oft spannungsreich und von verschiedenen Interessen geprägt ist (vgl. Helsper 2008: 67). ״Durch dieses institutionalisierende Handeln der schulischen Akteure wird eine Schulkultur generiert [und] reproduziert bzw. transformiert“ (Helsper 2008, 67). Je nach diesen Interessen und Machtverhältnissen bilden sich Dominanzverhältnisse, und diese erzeugen ein Feld voller Ausdrucksgestalten, welche Praktiken und habituelle Handlun- gen[5] als legitim, wertschätzend und anerkennend betrachtet werden können - und welche nicht (vgl. ebd.).
Erzeigt vier Dimensionen auf, welche Schulkultur generieren können: die pädagogische Orientierung, die inhaltliche Schwerpunktsetzung, der Leistungsanspruch und die schulischen Partizipationsverhältnisse (vgl.: ebd.).
Es ist nicht von Belang, ob die Schule in staatlicher oder privater Hand ist - jede Schule bildet mehr oder weniger automatisch ihre eigene Schulkultur aus. Trotzdem muss bei der Analyse von Schulkulturen darauf geachtet werden, welchen Leitbildern gefolgt wird und wie groß sie Spielräume sind, die eine Schule (bspw. eine private Schule mit hohen Schulgeldern durch finanzielle Vorteile) hat.
2.4. Raum
Diese Kategorie möchte ich einführen, da das Seminar unter dem Einfluss von Raumkonzepten stand. Raum wird hier zunächst einmal nicht tatsächlich greifbar und traditionell räumlich verstanden, sondern als sozialer Raum[6], in welchem Machtstrukturen deutlieh werden (vgl. Hummrich 2011: 63).
Macht ist hier kein Besitz o.ä., sondern vielmehr ein Begriff, welcher ״Verhältnisse und Beziehungen als Wirkungsgefüge bezeichnet“ (Böhme/Herrmann 2011: 40). Das heißt, dass der verwendete Machtbegriff nicht personengebunden begriffen werden muss, sondern auch als Wirkung auftreten kann, die sich entfaltet, Abläufe strukturiert und EntScheidungsfreiheiten einschränken kann (vgl. Böhme/Herrmann 2011: 41 nach Foucault 2007).
Schule wird also als ein Raum verstanden, in dem sich ein Geflecht von Machtbeziehungen zwischen Akteuren, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten auftut.
Das Bild des Raumes bietet sich überdies an, um den Ausschluss, auf den in der weiteren Hausarbeit stärker fokussiert wird, zu verdeutlichen: Es gibt den abgeschlossenen Raum der Schule, in den man eintreten kann bzw. eingelassen wird - oder auch nicht. Eine Studie über Raumentwürfe im schulischen Bereich hat empirisch belegt, dass Schulen eine monopolisierende Tendenz hätten und oft gegen eine deinstutionalisie- rende Entgrenzung des pädagogischen Raumes arbeiten würden (vgl. Böhme/Herrmann 2011: 163). Das würde bedeuten, dass Schulen sich nach Außen in gewisser Weise abgrenzen.
Innerhalb des Raumes bildet sich ein Beziehungsgeflecht, in dem dominante Akteure und Strukturen Sichtbarwerden.
2.5. Gesamtheit
Zusammenführend kann man sagen, dass Schulen sich stark unterscheiden können. So sehr sie an ihre Funktion im Sinne einer Institution gebunden sind, so vielfältig nutzen sie ihre Spielräume und entwickeln ihre eigene Schulkultur. Die Einbeziehung des räumliehen Aspekts verdeutlicht noch einmal den Individualismus, nach dem Schulen, trotz aller Zusammenarbeit und Vernetzung, neigen zu streben. Es gibt übergreifende Projekte von Schulen (z.B. ״Schule ohne Rassismus“ oder ״Schulen ans Netz“), die der Vernetzung, Öffnung und schulischer Individualisierung dienen sollen, doch nach Böhmes und Herrmanns Theorie stoßen sie damit an die Grenzen ihres schulpädagogischen Raums (vgl. ebd.: 163). Auch wenn man es nicht ganz so provokativ sehen möchte, deutet sich vielleicht doch eine Tendenz an, die Schulen innehaben.
Je nachdem, wie der Fokus der Schule ausgerichtet ist und wie stark er die Schulkultur dominiert, schafft Schule ein gewisses Maß an Ausschluss und kann Bevor- und Benachteiligung beeinflussen. Auch von der Schulkultur hängt es ab, wie viel Macht bestimmten Akteuren zugeschrieben werden kann. Ein Beispiel wäre, wie viel Einflussnähme die SuS als Akteure auf die Mitgestaltung ihrer Schule haben.
3. Bourdieu und der Habitus
Pierre Bourdieus Theorie zum Habitus wird für die verschiedensten Bereiche bis heute genutzt. Er befasste sich intensiv mit Bildung und Bildungsungleichheiten und nutzte dafür u.a. seine Habitus-Theorien. Viele der verwendeten Quellen an erziehungswissenschaftlicher und soziologischer Literatur nutzen seine Theorie, so dass seine überlegungen an dieser stelle erläutert und in Bezug zum Thema gesetzt werden sollen.
3.1. Grundsätzliche Überlegungen
Laut Bourdieu hat jeder Mensch eine gewisse Menge an Kapital. Dieses Kapital positioniert Menschen oder Gruppen im sozialen Raum und gibt ihnen damit gleichzeitig Möglichkeiten und Grenzen zur Gestaltung ihres individuellen Lebens (vgl.: Schroeder 2002: 230).
Der soziale Raum ist konstruiert und dreidimensional, in ihm werden Menschen oder Gruppen anhand ihrer Kapitalausstattung und ihrer Merkmale wie Alter, Ethnie oder Geschlecht positioniert. Es ergibt sich dadurch die Verteilungsstruktur des gesamtgesellschaftlichen und des individuellen Kapitals (vgl.: ebd.). Im Sozialraum werden Macht- und Dominanzverhältnisse deutlich.
[...]
[1] Der Begriff Migrationshintergrund wird in dieser Arbeit sehr weitläufig verwendet. Er gilt für Personen, die eigene oder familiäre Migrationserfahrungen haben.
[2] http://www.bildung.břemen.de/allgemeinbildende_schulen-3716
[3] Im Folgenden: SuS
[4] Mit der Verwendung des Terminus ״Eltern“ oder ״Familie“ beziehe ich mich auch auf andere Lebensformen (wie Adoptiveltern, Verwandtenpflege und gleichgeschlechtliche Paare als Betreuungspersonen)
[5] Dazu mehr in Kapitel 3
[6] Hier folge ich der Definition nach Bourdieu, der den sozialen Raum zur Darstellung und Analyse sozialer Strukturen und individueller Strukturen einführte. Der soziale Raum soll die Verteilungsstrukturen des individuellen und gesamtgesellschaftlichen Kapitals aufzeigen.