"Elis Fröbom schritt guten Mutes vorwärts, als er aber vor dem ungeheuren Höllenschlunde stand, da gefror ihm das Blut in den Adern, und er erstarrte bei dem Anblick der fürchterlichen Zerstörung." [E. T. A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder. In: E. T. A. Hoffmann: Gesammelte Erzählungen und Märchen. München: Winkler Verlag 1976, S. 180]
So schildert E. T. A. Hoffmann in seiner Erzählung 'Die Bergwerke zu Falun' die erste Begegnung eines jungen Seefahrers, der sich durch die Erzählungen eines alten Mannes mit einem Mal zur Arbeit im Bergwerk berufen fühlt, mit dem ihm noch fremden Element. Und so stehen viele Figuren der erzählenden romantischen Prosa an Abgründen, sehen in Tiefen hinab und steigen hinunter ins unwirtliche Dunkel der Bergschächte. Was sehen, was finden sie dort? Warum ist das Motiv des Bergwerks ein in der romantischen Literatur so oft gebrauchtes?
Eine erste, oberflächliche Antwort auf letztere Frage formuliert Theodore Ziolkowski folgendermaßen: "If we begin by asking why the image of mining appealed so strongly to young writers in Germany between 1790 and 1820, one reason suggests itself immedeately: an astonishing number of them were actually trained as mining engineers." [Ziolkowski, Theodore: German Romanticism and Its Institutions. Princeton: University Press 1990, S. 19.] Als Beispiel führt er unter anderem Novalis an, der als Salinenverwalter tätig war. Doch Novalis spricht, wenn er im fünften Kapitel des Romans 'Heinrich von Ofterdingen' den alten Bergmann von der Arbeit im Bergwerk erzählen lässt, in keiner Weise von jenen Bergwerken, in die er selbst in Sachsen hinabgestiegen ist; er beschreibt nicht die schwere, mühevolle und schmutzige Arbeit des Bergmanns unter Tage. Wir haben es weder im 'Heinrich von Ofterdingen', noch in den 'Bergwerken zu Falun', noch in den übrigen romantischen Texten, in denen das Bergwerkmotiv eine Rolle spielt, mit Bergwerken im technologischen Sinne zu tun; es handelt sich vielmehr, wie Ziolkowski es nennt, um "Bergwerke der Seele" [Ziolkowski, Theodore: German Romanticism and Its Institutions. Princeton: University Press 1990, S. 19.]: "The mine in the German Romantic view ist not simply a cold dark hole in the ground; it is a vital, pulsing place into which man descends as into his own soul for the encounter with three dimensions of human experience: history, religion, and sexualitiy." [Ziolkowski, Theodore: German Romanticism and Its Institutions. Princeton: University Press 1990, S. 32 f.]
In meiner Arbeit möchte ich anhand dieser These das Motiv des Bergwerks im fünften Kapitel von Novalis‘ Roman 'Heinrich von Ofterdingen' und E. T. A. Hoffmanns Erzählung 'Die Bergwerke zu Falun' untersuchen und herausarbeiten, auf welche Weise sich in diesen literarischen Bergwerken jeweils die Dimensionen Geschichte, Religion und Sexualität eröffnen, wobei ich im Gegensatz zu Ziolkowski noch einen weiteren Bereich, den der Natur, in diesem Zusammenhang für wichtig erachte und deshalb mit in die Betrachtung einbeziehe.
Helmut Gold vertritt die Ansicht, dass sich "beinahe alle Bergbauromantik nach Novalis direkt oder indirekt - sei es verklärend oder karikierend - auf dessen Werk [...] bezieht." [Gold, Helmut: Erkenntnisse unter Tage. Bergbaumotive in der Literatur der Romantik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1990, S. 58.] Durch die Gegenüberstellung von Novalis‘ Text mit dem Hoffmanns soll deutlich werden, inwiefern auch die Erzählung 'Die Bergwerke zu Falun' deutliche Parallelen zum fünften Kapitel im 'Ofterdingen' aufweist, sich aber dennoch deutlich - gerade durch die Verarbeitung des Bergwerkmotivs - von diesem abgrenzt.
Inhalt
Einleitung
1. Novalis: Das fünfte Kapitel im Heinrich von Ofterdingen
1.1 Die Natur
1.2 Die Geschichte
1.3 Die Religion
1.4 Die Sexualität
2. E. T. A. Hoffmann: Die Bergwerke zu Falun
2. 1 Die Natur
2. 2 Die Geschichte
2. 3 Die Religion
2. 4 Die Sexualität
Schlussbemerkung
Literatur
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Einleitung
„Elis Fröbom schritt guten Mutes vorwärts, als er aber vor dem ungeheuren Höllenschlunde stand, da gefror ihm das Blut in den Adern, und er erstarrte bei dem Anblick der fürchterlichen Zerstörung.“[1]
So schildert E. T. A. Hoffmann in seiner Erzählung Die Bergwerke zu Falun die erste Begegnung eines jungen Seefahrers, der sich durch die Erzählungen eines alten Mannes mit einem Mal zur Arbeit im Bergwerk berufen fühlt, mit dem ihm noch fremden Element. Und so stehen viele Figuren der erzählenden romantischen Prosa an Abgründen, sehen in Tiefen hinab und steigen hinunter ins unwirtliche Dunkel der Bergschächte. Was sehen, was finden sie dort? Warum ist das Motiv des Bergwerks ein in der romantischen Literatur so oft gebrauchtes? Eine erste, oberflächliche Antwort auf letztere Frage formuliert Theodore Ziolkowski folgendermaßen: „If we begin by asking why the image of mining appealed so strongly to young writers in Germany between 1790 and 1820, one reason suggests itself immedeately: an astonishing number of them were actually trained as mining engineers.“[2] Als Beispiel führt er unter anderem Novalis an, der als Salinenverwalter tätig war. Doch Novalis spricht, wenn er im fünften Kapitel des Romans Heinrich von Ofterdingen den alten Bergmann von der Arbeit im Bergwerk erzählen lässt, in keiner Weise von jenen Bergwerken, in die er selbst in Sachsen hinabgestiegen ist; er beschreibt nicht die schwere, mühevolle und schmutzige Arbeit des Bergmanns unter Tage. Wir haben es weder im Heinrich von Ofterdingen, noch in den Bergwerken zu Falun, noch in den übrigen romantischen Texten, in denen das Bergwerkmotiv eine Rolle spielt, mit Bergwerken im technologischen Sinne zu tun; es handelt sich vielmehr, wie Ziolkowski es nennt, um „Bergwerke der Seele“[3]: „The mine in the German Romantic view ist not simply a cold dark hole in the ground; it is a vital, pulsing place into which man descends as into his own soul for the encounter with three dimensions of human experience: history, religion, and sexualitiy.“[4]
In meiner Arbeit möchte ich anhand dieser These das Motiv des Bergwerks im fünften Kapitel von Novalis‘ Roman Heinrich von Ofterdingen und E. T. A. Hoffmanns Erzählung Die Bergwerke zu Falun untersuchen und herausarbeiten, auf welche Weise sich in diesen literarischen Bergwerken jeweils die Dimensionen Geschichte, Religion und Sexualität eröffnen, wobei ich im Gegensatz zu Ziolkowski noch einen weiteren Bereich, den der Natur, in diesem Zusammenhang für wichtig erachte und deshalb mit in die Betrachtung einbeziehe.
Helmut Gold vertritt die Ansicht, dass sich „beinahe alle Bergbauromantik nach Novalis direkt oder indirekt – sei es verklärend oder karikierend – auf dessen Werk [...] bezieht.“[5] Durch die Gegenüberstellung von Novalis‘ Text mit dem Hoffmanns soll deutlich werden, inwiefern auch die Erzählung Die Bergwerke zu Falun deutliche Parallelen zum fünften Kapitel im Ofterdingen aufweist, sich aber dennoch deutlich – gerade durch die Verarbeitung des Bergwerkmotivs – von diesem abgrenzt.
1. Novalis: Das fünfte Kapitel im Heinrich von Ofterdingen
Novalis‘ Roman Heinrich von Ofterdingen entsteht zwischen Herbst 1799 und 1800. Nur der erste Teil des Romans – überschrieben mit dem Titel Die Erwartung, wurde fertiggestellt; der zweite Teil – Die Erfüllung – blieb unvollendet. Im Roman wird die Reise des jungen Heinrich von Ofterdingen von seinem Herkunftsort Eisenach nach Augsburg, dem Geburtsort der Mutter, geschildert. Es handelt sich jedoch nur im oberflächlichen Sinne um eine Reise mit realen geographischen Stationen: „Eigentliches Ziel ist [...] nicht Augsburg, sondern die Ausbildung zum Dichter, die Stationen der Reise sind keine geographischen, sondern allegorisch-philosophische Orte [...]“.[6] Heinrich vollzieht durch diese Reise, an deren Ende die Vollendung als Dichter steht, eine Reise nach innen, eine „Bewegung zu sich selbst“.[7] Die Blaue Blume, die Heinrich zu Beginn des Romans in einem Traum erblickt und die als romantisches Sehnsuchtsmotiv par excellence berühmt geworden ist, übernimmt auf dieser Reise eine „leitmotivische Funktion“.[8] Dass der Weg zum vollendeten Dichtertum einem Weg ins eigene Innere gleichkommt, deuten bereits die Kaufleute an, denen Heinrich auf seiner Reise begegnet: „Es ist alles innerlich, und wie jene Künstler die äußern Sinne mit angenehmen Empfindungen erfüllen, so erfüllt der Dichter das inwendige Heiligthum des Gemüths mit neuen, wunderbaren und gefälligen Gedanken.“[9] Der Weg in dieses „inwendige Heiligthum“ offenbart sich Heinrich durch mehrere Initiationsfiguren; zwei der wichtigsten erscheinen im fünften Kapitel des Romans: Der alte Bergmann, der von seinem erfüllten Leben und seiner Arbeit erzählt, und der Einsiedler, dem Heinrich in der Höhle, die er gemeinsam mit dem Bergmann aufsucht, begegnet. Das fünfte Kapitel ist somit stark vom Bergwerk- und Höhlenmotiv geprägt. Helmut Gold stellt zur Bearbeitung dieses Motivkomplexes durch Novalis fest: „Novalis ist dabei in vielfacher Weise zentral. Seine Gestaltung des Bergmanns im fünften Kapitel des ‚Heinrich von Ofterdingen‘ wirkte traditionsbildend fast für die gesamte Bergbauromantik.“[10]
Hält man sich noch einmal vor Augen, worum es in Novalis‘ Roman geht – um die Ausbildung eines jungen Mannes zum Dichter und damit um eine Reise dieses Mannes ins eigene Innere – wird klar, warum sich der Bildbereich des Bergwerks bei der Gestaltung dieses „Weg[s] nach innen“[11] – der Reise in die eigene Seele – geradezu aufdrängt. Der Grund für die Verwendung des Bergwerkmotivs liegt darin, dass, so formuliert es Otto Friedrich Bollnow, „die Tiefe der Natur [...] auf denselben dunklen Urgrund alles Seins zurück[weist] wie die Tiefe der Seele selber.“[12] Schon zu Beginn des Romans verwenden die Kaufleute das Bild einer Höhle, um gleichsam jene Erfahrung anzukündigen, die Heinrich bei der Begegnung mit dem Bergmann und dem Einsiedler machen wird: „Wie aus tiefen Höhlen steigen alte und künftige Zeiten, unzählige Menschen, wunderbare Gegenden, und die seltsamsten Begebenheiten in uns herauf, und entreißen uns der bekannten Gegenwart.“[13] Durch die Erzählungen des Bergmanns und durch den Gang in die Höhle eröffnet sich Heinrich sein eigenes „inwendige[s] Heiligthum“[14], seine Seele – denn genau diese „erscheint im Gleichnis des Bergwerks.“[15] Und hier, im Bergwerk der Seele, wird er konfrontiert mit den Dimensionen der Natur, der Geschichte, der Relgion, der Sexualität, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
1.1 Die Natur
Nachdem Heinrich den Erzählungen des alten Bergmanns gelauscht hat, fühlt er, dass sich in ihm eine Veränderung vollzogen hat: „Nun übersah er auf einmal alle seine Verhältnisse mit der weiten Welt um ihn her; fühlte was er durch sie geworden und was sie ihm werden würde, und begrif alle die seltsamen Vorstellungen und Anregungen, die er schon oft in ihrem Anschauen gespürt hatte.“[16] Was ist es, was Heinrich so tief bewegt hat? Was lag in den Berichten des Alten, das eine „versteckte Tapetenthür in ihm geöffnet“[17] hat?
Der alte Bergmann, den man einen „Schatzgräber“[18] nennt, erzählt Heinrich und den anderen Zuhörern „von seinem Gewerbe und seinen heutigen Entdeckungen.“[19] Dabei spricht er „sehr bescheiden von seinem Gewerbe und seiner Macht [...].“[20] Schon seit seiner Jugend „habe er eine heftige Neugierde gehabt zu wissen, was in den Bergen verborgen seyn müsse, wo das Wasser in den Quellen herkomme, und wo das Gold und Silber und die köstlichen Steine gefunden würden [...].“[21] Er berichtet, wie er, getrieben von dieser Neugierde, Bergmann wird und in diesem Beruf sein ganzes Glück und seine Erfüllung findet; im Innern der Berge schließen sich ihm die „verborgenen Schatzkammern der Natur“[22] auf. Die Erzählungen des Bergmanns sind erfüllt von einer Faszination für die Natur – insbesondere natürlich für die Natur, die sich im Erdinnern verbirgt. Für ihn wird das Bergwerk zum „Ort der intuitiven Hinwendung zur Natur, zu dem der Bergmann reinen Herzens hinabsteigt, um fernab vom oberflächlichen Getümmel den Frieden unter der Erde zu suchen [...].“[23]
Um zu verstehen, warum sich Heinrich die Natur gerade durch einen Bergmann erschließt, der also im Innern der Natur und nicht an ihrer „bunten Oberfläche“[24] tätig ist, muss man einen Blick auf das romantische Naturverständnis werfen. Dieses ist geprägt von einer „lebhafte[n] Rezeption hermetischer Wissenstraditionen“[25], denen allen gemeinsam ist, dass sie die Natur als „magische Einheit von Geist und Materie“[26] auffassen und eine „umfassende Ähnlichkeit aller denkbaren Lebensbereiche“[27] annehmen. Die Natur erscheint den Schriftstellern der Romantik als ein Zeichenkomplex, als Buch, dessen Chiffrenschrift zu entziffern nur der Dichter imstande ist.
[...]
[1] E. T. A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder. In: E. T. A. Hoffmann: Gesammelte Erzählungen und Märchen. München: Winkler Verlag 1976, S. 180.
[2] Ziolkowski, Theodore: German Romanticism and Its Institutions. Princeton: University Press 1990, S. 19.
[3] Vgl. ebd.
[4] Ebd., S. 32 f.
[5] Gold, Helmut: Erkenntnisse unter Tage. Bergbaumotive in der Literatur der Romantik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1990, S. 58.
[6] Kremer, Detlef: Romantik. Stuttgart; Weimar: Metzler 2001, S. 126.
[7] Ebd., S. 127.
[8] Ebd.
[9] Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Hrsg. v. Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel. Bd. I: Das dichterische Werk, Tagebücher und Briefe. Hrsg. v. Richard Samuel. München/Wien: Karl Hanser Verlag 1978, S. 255.
[10] Gold (1990), S. 35.
[11] Bollnow, Otto Friedrich: Unruhe und Geborgenheit im Weltbild der Dichter. W. Kohlhammer Verlag: Stuttgart 1953, S. 179.
[12] Ebd., S. 189.
[13] Novalis (1978), S. 255 f.
[14] Ebd., S. 255.
[15] Bollnow (1953), S. 189.
[16] Novalis (1978), S. 299.
[17] Ebd.
[18] Ebd., S. 286.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ebd., S. 288.
[23] Gold (1990), S. 34.
[24] Bollnow (1953), S. 188.
[25] Kremer, Detlef: Prosa der Romantik. Suttgart; Weimar: Metzler 1996, S. 70.
[26] Ebd., S. 71.
[27] Ebd.
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