Die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf. Welche Rolle spielt Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen?


Seminararbeit, 2013

15 Seiten, Note: 1,8

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Vorgehensweise und Auswahl der Theorie für die Untersuchung

2. Strukturtheoretische Rollentheorie nach Dahrendorf
2.1 Homo Sociologicus
2.2 Soziale Rolle
2.3 Position und Positionsfeld
2.4 Erwartungsarten
2.5 Bezugsgruppen

3. Empirische Ergebnisse

4. Interpretation der Ergebnisse

5. Ausblick und Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Vorgehensweise und Auswahl der Theorie für die Untersuchung

In dieser Arbeit soll die empirische Fragestellung beantwortet werden, welche Rolle Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen spielt. Ebenso werden die Bedingungen, unter denen Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen auftritt analysiert. Es wird untersucht, wie zwei Aspekte des Berufslebens mit der Hilfsbereitschaft zusammenhängen. Diese Aspekte sind die Angewiesenheit der Kollegen untereinander und die Konkurrenzsituation. In dieser Arbeit wurden Interviews zu Hilfe genommen. Die Hilfsbereitschaft wird untersucht, da viele Interviewpartner über sie berichteten. Zunächst wird ausführlich Dahrendorfs Rollentheorie behandelt und eine Verbindung zur empirischen Fragestellung hergestellt. Anschließend wird das methodische Vorgehen zur empirischen Untersuchung erläutert und die empirischen Befunde dargestellt. Nach einer Interpretation der Ergebnisse wird schließlich ein Ausblick der Rolltheorie gegeben. Zum Schluss folgt eine Zusammenfassung der zentralen Kategorien von Dahrendorfs Theorie und eine empirische Verortung dieser sowie eine Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse.

Der Terminus der sozialen Rolle ist wahrscheinlich der am weitesten verbreitete und akzeptierte Terminus in sozialwissenschaftlichen Theorien (vgl. Ullrich, Claessens 1981: 19). Ebenso ist er eine Grundlagenkategorie in den Sozialwissenschaften (vgl. Kickhöfer 1981: 8). Nicht nur Sozialwissenschaftler beschäftigen sich mit der Rollentheorie, auch andere Wissenschaftsgebiete wie beispielsweise die Pädagogik oder die Psychoanalyse. Dennoch gibt es bisher keine einheitliche Rollentheorie. Vielmehr werden unter ihrem Namen vielfältige Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen erörtert (vgl. Joas 1973: 9). Im Allgemeinen ist die Rollentheorie eine „Theorie der Vergesellschaftung des Menschen“ (Haug 1994: 155). Vor 1933 war das Interesse der Soziologie an der Rollentheorie gering. Erst Ende der 50er Jahre wurde wieder von Ralf Dahrendorf auf den Rollenbegriff zurückgegriffen (vgl. Gerhardt 1971: 40f.). Dahrendorf entwickelte den homo sociologicus, um eine Elementarkategorie hervorzubringen, mit der die Probleme des sozialen Handelns erklärt werden können. Der Rollenbegriff ist nach seiner Ansicht noch nicht vollständig geklärt. Deshalb wollte er diesen Begriff weiter optimieren und erweitern (vgl. Dahrendorf 1960: Vorwort). Da Dahrendorfs „Homo Sociologicus" das einflussreichste rollentheoretische Werk in Deutschland ist (vgl. Joas 1973: 17), werde ich mich hauptsächlich mit dieser Schrift befassen. Zur umfassenden Behandlung werden stellenweise auch andere Rollentheorien herangezogen.

2. Strukturtheoretische Rollentheorie nach Dahrendorf

2.1 Homo Sociologicus

Der homo sociologicus ist der Mensch der Soziologie (vgl. Dahrendorf 1960: 21). Er ist kein Spiegelbild der Wirklichkeit, sondern reduziert die Komplexität der Wirklichkeit (vgl. Griese 1975: 338). Die soziologische Konstruktion des homo sociologicus soll ein Hilfsmittel liefern, um wissenschaftliche Probleme zu lösen (vgl. Griese 1975: 338). Für Dahrendorf ist sie der „Königsweg soziologischer Einzelerkenntnis“ (Gerhardt 1971: 43). Ob die Konstruktion für empirische Arbeiten hilfreich ist oder ob sie mit realistischeren Aussagen ergänzt werden muss, werde ich versuchen, durch meine Arbeit zu klären.

Nach der Theorie des homo sociologicus richtet sich das Verhalten von Individuen nach den Verhaltenserwartungen, die sich auf eine bestimmte Rolle beziehen. Diese Verhaltensweisen werden durch die Sozialisation erlernt, und zwar durch Beobachtung, Nachahmung, Indoktrination und bewusstes Lernen (vgl. Dahrendorf 1960: 38). Im Folgenden werden die zentralen Begriffe der Rollentheorie Dahrendorfs erläutert.

2.2 Soziale Rolle

„Soziale Rollen sind Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen.“ (Dahrendorf 1960: 21). Zu einer Rolle gehören also nicht die Verhaltensweisen von Individuen, sondern sie bezieht sich darauf, wie ein bestimmtes Verhalten zustande kommt (vgl. Gerhardt 1971: 138). In dieser Arbeit wird die soziale Rolle des Kollegen untersucht, und zwar hinsichtlich der Erwartung der Hilfsbereitschaft, die sich auf Kollegen bezieht. Darauf werde ich im Kapitel über die empirischen Ergebnisse näher eingehen.

Eine soziale Rolle kann nicht als Maske aufgefasst werden. Dies bedeutet, dass man nicht davon ausgehen kann, dass der Mensch ohne Rolle er selbst ist (vgl. Dahrendorf 1960: 17). Sie sagt auch nicht das tatsächliche Verhalten einer Person voraus, sondern nur die Erwartungen der Gesellschaft, die eine bestimmte Rolle betreffen. Von diesen Erwartungen kann der Einzelne durch sein Verhalten auch abweichen (vgl. Dahrendorf 1960: 21). Die Erwartungen beziehen sich dabei immer auf eine bestimmte Rolle und nicht auf eine bestimmte Person und werden von der Gesellschaft bestimmt sowie verändert (vgl. Dahrendorf 1960: 22). Eine Gesellschaft mit Menschen ohne soziale Rollen ist nicht möglich (vgl. Haug 1994: 32). Soziale Rollen dienen dazu, Verhalten vorhersehbar zu machen, da man in der Regel davon ausgehen kann, dass Individuen sich den Verhaltenserwartungen beugen. Diese Erwartbarkeit verringert die Verhaltensunsicherheit des Menschen, die sich durch seinen gering ausgeprägten Instinkt ergibt (vgl. Griese, Nikles, Rülcker 1977: 18).

Ferner besitzen die Verhaltenserwartungen eine Verbindlichkeit, da bei Abweichungen mit Sanktionen gerechnet werden muss, die den Rollenträger zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Der Zwang wird dadurch hergestellt, dass die Individuen bestrebt sind, negative Sanktionen zu vermeiden. Es gibt sowohl positive als auch negative Sanktionen. Für Dahrendorfs Rollentheorie sind die negativen Sanktionen von größerer Bedeutung, weil nur diese einen Zwang auf den Einzelnen auszuüben vermögen (vgl. Dahrendorf 1960: 22f.). Aufgrund von Normen (wie den Erwartungen) wird also die Handlungsfreiheit von Individuen begrenzt und es kommt zu einer Typisierung von Handlungen, die in bestimmten Situationen wiederholt auftreten. Diese Typisierungen erlernen Personen in jungem Alter im Kontakt mit anderen Menschen. Diese Lernprozesse geschehen durch Anpassung an die jeweilige Kultur des Landes, indem das Individuum lebt. Die Typisierungen unterscheiden sich also je nach Kultur (vgl. Nikles 1977: 19).

Nach dem deutschen Soziologen Popitz ist die soziale Rolle durch soziale Normierung und soziale Differenzierung der Gesellschaft entstanden. Die soziale Rolle ist umso beständiger, je größer die Akzeptanz der Normen ist und je stabiler die Arbeitsteilung ist (vgl. Ullrich, Claessens 1981: 27).

Geht man davon aus, dass ein Individuum sein Verhalten nach den Erwartungen der Gesellschaft richtet, so könnte man daraus schließen, dass dem Einzelnen kein Handlungsspielraum zur Verfügung steht. Ein bestimmtes Maß an Freiheit des Handelns kommt dem Individuum allerdings zu (vgl. Dahrendorf 1960: 26). So existieren Bereiche, die kein bestimmtes Rollenverhalten vorschreiben. Es ist zum Beispiel keine Rolle vorhanden, die vorgibt, welche Tätigkeiten Kollegen in ihrer Freizeit ausüben sollen. Da Personen mehrere soziale Rollen besetzen, können sie auswählen, an welcher Rolle sie ihr Verhalten orientieren. Ein Kollege kann beispielsweise auch die Rolle der Mutter, der Hausfrau, des Ehemannes oder des Freundes innehaben. Dadurch können Inter-Rollenkonflikte entstehen. Zu diesen kommt es, wenn sich die Erwartungen an verschiedene Rollen, die eine Person übernimmt, widersprechen (vgl. Ullrich, Claessens 1981: 32). Peters Kollegen könnten beispielsweise von ihm erwarten, dass er hilfsbereit ist. Sind deshalb gelegentlich Überstunden unvermeidlich, so wird Peters Partnerin dies nicht positiv aufnehmen, wenn sich die beiden verabredet haben und er sich deshalb verspätet. Denn seine Partnerin erwartet von Peter wahrscheinlich, dass sie sich auf seine Zusage verlassen kann.

Neben Inter-Rollenkonflikten kann es auch zu Intra-Rollenkonflikten kommen. Von einem Intra-Rollenkonflikt spricht man, wenn gegensätzliche Erwartungen bezüglich einer bestimmten Rolle existieren (vgl. Ullrich, Claessens 1981: 32). Je mehr die Mitarbeiter in einem Unternehmen aufeinander angewiesen sind, desto mehr birgt es ein Potenzial für einen Intra-Rollenkonflikt. Von einem Kollegen wird wahrscheinlich erwartet, dass er den anderen Kollegen hilft. Ebenso wird vermutlich auch erwartet, dass er seine Arbeit sorgfältig und schnell erledigt, damit die anderen Kollegen nicht auf die Erledigung seiner Arbeit warten müssen. Aufgrund der gegensätzlichen Erwartungen könnte es für den Kollegen schwierig sein, den anderen Kollegen zu helfen und gleichzeitig seine eigene Arbeit schnell und sorgfältig zu erledigen.

Der Begriff der Rolle kann auch anders definiert werden. In der amerikanischen Soziologie umfasst der Begriff der Rolle nach Linton kulturelle Muster, die zu einem bestimmten Status gehören. Zur Rolle gehören ebenso Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen von Statusinhabern sowie Erwartungen von Personen an Statusinhaber im selben System. Der Status wiederum ergibt sich aus dem Alter, Geschlecht und Herkommen einer Person oder dem Einheiraten in eine bestimmte Familie (Geller 1994: 17f.). Da diese Definition der Rolle sehr komplex und empirisch schwer zu ermitteln ist, werde ich in dieser Arbeit nicht näher darauf eingehen.

Dahrendorfs Schrift entfachte eine umfassende Diskussion über das Menschenbild der Soziologie (vgl. Joas 1973: 19). Durch eine Rolle wird die persönliche Freiheit und Individualität aufgegeben (vgl. Dahrendorf 1960: 38). Deshalb ist der Vorgang der Sozialisation für Dahrendorf eine „Entpersönlichung“ (ebd.). Auch Hartmut Martin Griese sieht dies ähnlich. Er bezeichnet die soziale Rolle als „etwas von der Person Ablösbares, Austauschbares, Äußerliches." (Griese 1975: 339). Der deutsche Soziologe Tenbruck hingegen ist der Ansicht, dass Rollen nichts Äußerliches oder Fremdes sein können, da sie durch die Sozialisation erlernt werden und daher auch dem Individuum angehören. Er setzt eine gewisse Identifikation mit der Rolle voraus (vgl. Griese 1975: 342f.). Wahrscheinlich assoziieren viele Menschen mit dem Begriff der Rolle Theaterspielen. In diesem Fall könnte man meinen, dass bei der Ausübung von Rollenverhalten die eigene Individualität aufgegeben werden muss. Schließlich ist die Rolle „ein vorgegebener, zu erlernender Komplex von Verhaltensweisen." (Joas 1973: 19). Auch Haug vergleicht den Begriff der Rolle mit dem Theater (vgl. Haug 1994: 34). Ferner ist eine Rolle für sie „etwas dem Spieler Äußerliches, ihm Vorgegebenes; sie bezieht sich auf sein Verhalten, dieses muß er lernen.“ (Haug 1994: 34).

Bei der empirischen Untersuchung einer sozialen Rolle stößt man auf das Problem, wie die Erwartungen an eine Rolle erfasst werden sollen. Eine mögliche Vorgehensweise ist die Befragung von Bezugsgruppen (vgl. Ullrich, Claessens 1981: 34). Ich werde in dem Kapitel über Bezugsgruppe noch einmal darauf zurückkommen, um Wiederholungen zu vermeiden.

2.3 Position und Positionsfeld

Dem Terminus der Position kommt eine geringere Relevanz zu als dem der sozialen Rolle (vgl. Dahrendorf 1960: 21). „Positionen […] [bezeichnen] Orte in Bezugsfeldern“ (Dahrendorf 1960: 21). Sie geben Auskunft darüber, welchen Beschäftigungen eine Person nachgeht, was sie ausmacht und mit wem sie in einer sozialen Beziehung steht (vgl. Dahrendorf 1960: 20). Die Position des Kollegen informiert beispielsweise darüber, dass der Positionsinhaber einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und in einer Beziehung mit anderen Kollegen steht, die im gleichen Unternehmen arbeiten.

„[J]ede Position impliziert [...] ein Netz anderer Positionen, die mit dieser verknüpft sind.“ (Dahrendorf 1960: 19). Dieses Netz kann als Positionsfeld bezeichnet werden. Beispielsweise steht ein Kollege mit anderen Kollegen, Kunden und Vorgesetzten in einem Positionsfeld. Es gibt also für jede Position ein Positionsfeld und einige überschneiden sich auch (vgl. ebd.).

2.4 Erwartungsarten

Dahrendorf unterscheidet drei Arten von Erwartungen: Muss-Erwartungen, Soll-Erwartungen und Kann-Erwartungen (vgl. Dahrendorf 1960: 24f). „Muß-Erwartungen basieren häufig auf rechtlichen Bestimmungen, während Soll- oder Kann-Erwartungen sich auf Lob, Tadel oder Wertschätzung beziehen.“ (Griese, Nikles, Rülcker 1977: 20). Im Folgenden werden diese Erwartungsarten beschrieben.

Der Großteil der sozialen Rollen enthält Muss-Erwartungen, die eine uneingeschränkte Verbindlichkeit aufweisen. Bei Missachtung folgen grundsätzlich negative Sanktionen (vgl. Dahrendorf 1960: 24). Ein Beispiel wäre die Körperverletzung. Das Gesetz legt die (negativen) Sanktionen fest, die bei dieser Straftat zum Einsatz kommen, sofern es zu einer Anzeige kommt. Eine berufstätige Person ist der Muss-Erwartung ausgesetzt, während ihrer Arbeitszeit zu arbeiten. Tut sie dies nicht, so muss sie sich negativen Sanktionen durch den Arbeitgeber oder den Vorgesetzten aussetzen. Diese Sanktionen können bis zum Verlust des Arbeitsplatzes reichen. In Kollegenbeziehungen existieren wahrscheinlich keine Muss-Erwartungen.

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Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf. Welche Rolle spielt Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen?
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Soziologie)
Note
1,8
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V437838
ISBN (eBook)
9783668779679
ISBN (Buch)
9783668779686
Sprache
Deutsch
Schlagworte
welche, rolle, hilfsbereitschaft, kollegenbeziehungen, bedingungen, rollentheorie, ralf, dahrendorf
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf. Welche Rolle spielt Hilfsbereitschaft in Kollegenbeziehungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437838

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