Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Situation der Frau um 1900
3. Die proletarische Frauenbewegung und die Frauenfrage
3.1 Geschlechterverhältnisse im Marxismus
3.2 Sicht von Rosa Luxemburg
3.3 Die Sicht von Clara Zetkin
4. Fazit
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
"Clara ist gut, wie immer, aber sie läßt sich irgendwie ablenken, sie bleibt in Frauenangelegenheiten stecken und befaßt sich nicht mit allgemeinen Fragen. Also bin ich ganz allein." – Rosa Luxemburg an Leo Jogiches um 1890
So Rosa Luxemburg über ihre Freundin und politische Verbündete Clara Zetkin. Beide sind Sozialistinnen und vertreten die marxistische Weltanschauung, beide erleben die Industrialisierung und deren Folgen für die Frau, beide stehen an der Spitze der proletarischen Arbeiterbewegung, beide sind Frauen – und doch scheinen sie ganz unterschiedliche politische und soziale Überzeugungen davon zu haben, wie sie mit den Missständen um sich herum umgehen sollen. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen basieren auf den selben politischen und ideologischen Überzeugungen. Als klare Sozialistinnen bewunderten sowohl Luxemburg als auch Zetkin die Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels und waren Anhängerinnen und Verfechterinnen des Kommunismus. Und obwohl die Frauenfrage per se keine gesellschaftliche Klasse kannte, waren für Rosa Luxemburg und Clara Zetkin der klare Fokus auf das Proletariat und eine immerwährende Verachtung für die Bourgeoise maßgeblich. Und trotz all der Gemeinsamkeiten kristallisierte sich eines bereits früh in der politischen Karriere der beiden Sozialistinnen heraus: Während Rosa Luxemburg den politischen Diskus der Frauenfrage zu ignorieren scheint, widmet sich Clara Zetkin leidenschaftlich und rigoros den Missständen und Lösungskonzepten einer durch den patriarchalischen Kapitalismus gezeichneten Gesellschaft. In meiner Ausarbeitung möchte ich nun der Frage nachgehen, wie genau sich diese unterschiedlichen Positionen erkennen und erklären lassen.
Ich beginne mit einer kurzen Skizzierung der sozialen Situation der Frau um 1900 und gehe dann über in eine Definition der Frauenfrage und ihrem gesellschaftlichen Stellenwert. Dann gehe ich über zu Rosa Luxemburg und Clara Zetkin und zeige zunächst auf, welche politische und ideologische Basis beide teilen. Im nächsten Schritt stelle ich erst Rosa Luxemburgs und dann Clara Zetkins Position und Umgang mit der Frauenfrage vor. In einem kurzen Fazit reflektiere ich nochmal alle Erkenntnis im Rahmen der Fragestellung und zeige die verschiedenen Gesichtspunkte auf, unter denen man die Ansichten und Handlungen der beiden Sozialistinnen beurteilen kann.
2. Die Situation der Frau um 1900
Die soziale Situation der Frau im vorindustriellen Europa des 19ten Jahrhunderts war gekennzeichnet durch die harte Arbeit auf dem Land und innerhalb der Familie. Die Familie agierte als Produktionseinheit, jeder hatte seinen Teil beizutragen das Überleben der Familie jedes Jahr auf Neue zu sichern. Daher verstanden sich auch die Frauen und Kinder als Arbeiter und waren dementsprechend stark in die Feldarbeit eingebunden. Für die Frauen kam die Arbeit im Haushalt dazu, sodass sie insgesamt den kompletten Tag, ihr komplettes Leben lang für die Existenzsicherung ihrer Familie eintraten (Schenk 1983: 12). Diese Abhängigkeit des Landwirtes zu seiner Frau ist es, die die Ehen von damals eher zu einer Zweckgemeinschaften werden ließ, im Gegensatz zur Eheschließungen aus Liebe. Mit der Industrialisierung ergaben sich für die Frauen unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten, die alle ihre ganz speziellen Vor- und Nachteile für sie bereithielten. Im Rahmen der wachsenden Urbanisierung füllten sich die Städte mit immer mehr Menschen und die ersten Manufakturen lockten zahlreiche Arbeiter an, so auch die Frauen. Die Gesellschaft spaltete sich in die Industriearbeiterschaft und die neue bürgerliche Mittelschicht (Schenk 1983: 14). Dies spaltete auch die Frauen. Die Frauen der Arbeiterklasse waren gezwungen unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Fabriken und Manufakturen zu arbeiten, während die Frauen der Bourgeoise von ihren Männern und den gesellschaftlichen Normen am Arbeiten außerhalb des Heims gehindert wurden (Schenk 1983: 15). Jegliche Arbeit, die von Frauen verrichtet wurde, auch neu entstandene Heimarbeit, genoss in der Gesellschaft und vor allem bei den Männern nur einen sehr geringen Stellenwert. Dies führte nicht nur zu einer psychischen Unterdrückung der Frauen, der Manifestierung des Patriarchats, sondern war auch ein gefundenes Argument Frauen wesentlich weniger zu zahlen als Männern in einer vergleichbaren beruflichen Stellung.
Aus diesen weiblichen Nöten heraus entwickelte sich im Laufe des 19ten Jahrhunderts ein neues Politikum: Die Frauenfrage. Dieser politische Diskurs, der im Rahmen der Industrialisierung zu neuer Relevanz gefunden hatte, verlangte nach einer Gleichberechtigung der Geschlechter und nach einem allgemeinen Ausbau der Frauenrechte. Im politischen Programm der dadurch entstandenen Frauenbewegung waren drei Hauptziele zu identifizieren: einen besseren Zugang zu Bildung, Arbeit und die Forderung nach einem Frauenwahlrecht.
3. Die proletarische Frauenbewegung und die Frauenfrage
Im Folgenden gehe ich nun genauer auf das Verhältnis der proletarischen Frauenbewegung und dem politischen Diskus der Frauenbewegung ein. Trotz der selben politischen und ideologischen Basis herrschte nämlich auch innerhalb der proletarischen Frauenbewegung eine Uneinigkeit darüber wie man mit diesem Politikum umgehen soll und welche gesellschaftliche Relevanz man ihr zuschreiben sollte. Bevor ich im Detail die Positionen von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin eingehe, möchte im Rahmen eines kurzen Exkurses die Ideologie des Marxismus vorstellen.
3.1 Geschlechterverhältnisse im Marxismus
Die Ideologie des Marxismus beruht auf einer Ablehnung des Kapitalismus und der festen Überzeugung, dass die ungleichen Machtverhältnisse zwischen dem Proletariat und der Bourgeoise, als herrschende Klasse, unweigerlich in einem Klassenkampf zu Gunsten der Arbeiterschaft enden wird. Alle gesellschaftlichen Missstände werden als unmittelbare Ergebnisse des Kapitalismus angesehen (Marx/Engels 1990: 78).
Karl Marx und Friedrich Engels, als Leitfiguren des Marxismus, sahen daher auch das Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau innerhalb der Gesellschaft als Nebenprodukt des Kapitalismus an. Für sie war und blieb der Hauptwiderspruch, der zwischen der Arbeit und dem Kapital, und die Frauenfrage nur daraus entstandener Nebenwiderspruch. Als Teil der großen sozialen Frage skizzierten sie die Situation der Frau in mehreren ihrer Werke folgendermaßen: Innerhalb der Familie ist die Frau die Sklavin des Mannes (Marx/Engels 1990: 20) und unterliegt seiner vollen Kontrolle. Die reproduktive Arbeit, die von Frauen zu Hause geleistet wurde, ist daher auch als offene oder verhüllte Sklaverei zu sehen. Dabei beziehen sich Marx und Engels hauptsächlich auf die Verhältnisse in der feindlichen bürgerlichen Mittelschicht. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist dem Grunde nur eine Spiegelung des Hauptwiderspruchs zwischen dem Proletariat und der Bourgeoise. Somit wird die Frau, als Repräsentantin des Proletariats, vom Mann, als Vertreter der Bourgeoise, innerhalb des Haushaltes unterdrückt und ausgebeutet. Im Gegenzug dazu wird die Frau und ihrer Arbeit in der proletarischen Gesellschaft geschätzt und respektiert (Marx/Engels 1990: 35).
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