Das politische Kapital der Angst. Politische Manipulation in den sozialen Medien


Fachbuch, 2018

110 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Referat

Review

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Angst-Begriff
2.1 Der Angst-Begriff in der Psychologie
2.2 Der Angst-Begriff aus Sicht der Philosophie
2.3 Psychologische Phänomene

3 Angst als Potenzial für die Politik
3.1 Grundlegende Methoden der Manipulation
3.2 Digitale Methoden

4 Tatsächliche Gefahrenlage
4.1 Ist-Analyse der kriminalstatistischen Lage
4.2 Medial dargestellte Gefahrenlage

5 Gezielte Nutzung der Angst am Beispiel AfD LV Sachsen/Wahlkreis Chemnitz
5.1 Vorstellung lokaler Akteure
5.2 Interaktion mit Social Media und Medien
5.3 Strategische Sprache in den Wahlkampfreden

6 Bedeutung für die Soziale Arbeit

7 Resümee

Literaturverzeichnis

Anhang

Transkription Wahlkampfreden Nico Köhler & Frauke Petry

Facebook-Eintrag Lars Franke

Referat

Diese Masterarbeit befasst sich mit dem Potenzial der Angst für die Politik und wie dieses bereits heute nutzbar gemacht wird. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien im Zusammenhang mit politischer Meinungsbildung wurde das Hauptaugenmerk auf diese gelegt.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf intensiver Literaturrecherche in Verbindung mit Recherchen in Social Media. Durch diese soll eine die Antwort auf die Fragestellung gegeben werden.

Vergleichend wurde weiter eine Analyse der Polizeilichen Kriminalstatistiken des Bundes aus 2015 und 2016, sowie der Asylzahlen aus diesen Jahren angefertigt und Wahl-kampfreden lokaler Politiker qualitativ untersucht.

Review

This Master’s thesis deals with the potential of anxiety for politics and how it can be harnessed today. Due to the increasing importance of digital media in the context of political opinion formation, the main focus has been placed on them.

The emphasis of the work is on intensive literature research in connection with research in social media. Through this one should be given the answer to the question.

A comparative analysis of police crime statistics of federal from 2015 and 2016, as well as the asylum figures from these years was prepared and qualitative selection of election campaign speeches was conducted by local politicians.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Beispiel: Selbstreferenz in der Kommunikation

Abbildung 2 Bevölkerungszahlen in Sachsen.

Abbildung 3 Registrierung Geflohener und Antragstellungen auf Asyl im Vergleich. Bundesweite Erfassung im Jahr 2016.Quelle: ZEIT.de

Abbildung 4 Anzahl der Asyl-Erstanträge in Sachsen, Vergleich Jahre 2010 – 2017. Quelle: Sächsische Staatskanzlei

Abbildung 5 Straftaten insgesamt ohne Ausländerrechtliche Verstöße in Sachsen, Jahre 2012 – 2016.

Abbildung 6 Vergleich Entwicklung deutsche und nichtdeutsche Tatverdächtige 2012-2016

Abbildung 7 Fälle von Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern [Jan - Sep 2017].

Abbildung 8 Häufigste Straftaten bei nichtdeutschen Tatverdächtigen in %.

Abbildung 9 Nichtdeutsche mutmaßliche Gewalttäter im Vergleich von Kriminalstatistik und Fernsehberichterstattung Januar-April 2017

Abbildung 10 Nichtdeutsche Gewaltopfer im Vergleich von Kriminalstatistik und Fernsehberichterstattung

1 Einleitung

„Unser Dealer sendet täglich seine Sicht der großen Welt.
Perfekt gestylte Plastiklügen schenk uns den großen Rausch.
Die Meinung gratis mitgeliefert -Denken war noch nie so leicht!
Und wir marschieren gleichgeschaltet
-Gleiches war noch nie so gleich.“

aus: „Laut“
Rosenstolz

Angst als eines der elementarsten, grundlegendsten Emotionen des Menschen ist der Motor für diverses menschliches Treiben. Als unangenehmes Gefühl ist sie nicht beständig, wechselt in Intensität und Dauer und dient im Ursprung dem Schutz vor (lebens-)bedrohlichen Situationen – als Frühwarnsystem und als Wegweiser. Schon im Mutterleib ist es Föten möglich, Angst zu spüren und sie werden durch das, auch bei Angst freigesetzte, Stresshormon Cortisol ihrer Mutter geprägt. Feten, welche dauerhaftem Stress ausgesetzt waren, sind postnatal regelmäßig ängstlicher als andere Säuglinge. Mittlerweile geht man davon aus, dass diese Prägung über Generationen hinweg mitgegeben werden kann (vgl. Wildermuth, 2015).

Auch und gerade im Säuglingsalter sind Ängste Auslöser für viele Verhaltensweisen, welche als problematisch eingestuft werden und teilweise als „langer Schatten“ das ganze Leben zu beeinflussen imstande sind. Für das kindliche Gehirn ist die Angst selbst neurologisch nachweisbar schädigend (vgl. ebd.). Aus diesem Grund waren die Angstbegriffe aus der Psychologie gleichwohl für die Pädagogik bedeutsam.

Doch nicht nur in diesen Wissenschaften wurde und wird allerlei zu diesem Thema geforscht, auch in der Philosophie war sie schon vor Jahrhunderten mit Interesse behaftet und mit Deutungen versehen. Heute wird die Angst zusätzlich zum Thema, wenn man sich mit der Politik beschäftigt, und ist damit von unabdingbarem Interesse für die Soziale Arbeit.

Soziale Arbeit und Politik – für viele Sozialarbeiter unvereinbare Gebiete und höchstens mit dem Doppel- beziehungsweise Trippelmandat verknüpft. Doch Staub-Bernasconi erklärte 2007 eindrücklich, welche Bedeutung die Soziale Arbeit als Sprachrohr für die Politik darstellt:

„(...) mit ihrem Bezug auf die Menschenrechte erhält die Soziale Arbeit als Profession die Möglichkeit theoretischer wie ethischer Gesellschafts- und Trägerkritik. Sie ist also ´ohne politisches Mandat politikfähig´ (Müller, 2001) und vor allem schließt Professionalität diese gesellschaftsbezogene Politikfähigkeit nicht aus, sondern ein. Aber, so paradox es klingen mag: die zentrale Voraussetzung für die Politikfähigkeit der Sozialen Arbeit als Profession ist ihre Entkoppelung von der Politik und ihrer Repräsentanten.“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 7.)

„(...) Wissenschaftsbasierung und Berufskodex verschaffen also der Sozialen Arbeit nicht nur die Basis für unabhängige Urteile über Situation, Probleme, deren Erklärung und Bewertung sowie über die Wahl von Vorgehensweisen, sondern zudem auch eine eigene, allgemeine Legitimations- und Mandatsbasis für eigenbestimmte, professionelle Aufträge. Sie muss bei gravierenden Problemen nicht unbedingt auf ein Mandat, einen Auftrag oder Vertrag warten, der ohnehin auf sich warten ließe.“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 7)

Ein solches Mandat ist erkennbar, wenn man die aktuellen, politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik betrachtet:

Die Manipulation über Emotionen, also auch der Angst, war seit jeher Mittel (nicht nur) populistischer Parteien. Gegenwärtig führt diese jedoch zunehmend zu einer Spaltung der Gesellschaft und stellt eine ernst zu nehmende Gefahr für das freiheitlich-demokratische Zusammenleben dar. Hier ist die Soziale Arbeit auch als Feld der Auseinandersetzung zu verstehen, in welchem die Interakteure diesen Mechanismen ausgesetzt sind. Es ist Aufgabe des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin, diese zu (er-)kennen und entsprechend innerhalb der Arbeitsbereiche zu agieren.

In dieser transdisziplinären[1] Masterthesis soll folglich zunächst in Kapitel 1 die Frage geklärt werden, wie sich der Angstbegriff definiert und welche psychologischen Phänomene diese zu manifestieren imstande sind. Im nächsten Schritt folgt eine Ist-Analyse der kriminalstatistischen Lage: Unter Einbeziehung der Daten aus den Polizeijahrbüchern 2015 und 2016 sowie verschiedener Studien wird untersucht, wo die Wahrnehmung der Menschen und der Medien mit der tatsächlichen Gefahrenlage konform gehen beziehungsweise an welcher Stelle sie sich scheiden. Daraus hergeleitet werden Risiken, welche mögliche Widersprüchlichkeiten bergen. Zu finden ist dies im Kapitel 2.

Im sich anschließenden Kapitel 3 finden sich Methoden, wie sich Akteure, beispielsweise aus der Politik, diesen basalen Affekt methodisch nutzbar machen können.

Bei der Recherche, vor allem in sozialen Netzwerken, sollen in Kapitel 4 zudem rechtspolitisch/konservativorientierte Bewegungen untersucht werden und wie diese sich auf die Meinungsbildung, weiterreichend auf die Interaktion in der realen Umgebung, auswirken. Ein Zusammenspiel aus Meinungsäußerungen auf öffentlichen Internet-Profilen oder in besagten Gruppen, medialem Auftreten und realer Gegebenheiten zeigt die Dimensionen der Einflussnahme auf. Exemplarisch geschieht das an Lokalpolitikern innerhalb ihres Wirkungskreises, der Stadt Chemnitz.

Kapitel 5 rundet die vorliegende Arbeit ab, in dem sie die Bedeutung dieser Interaktionen verdeutlicht und mögliche Lösungsansätze anbietet.

2 Der Angst-Begriff

2.1 Der Angst-Begriff in der Psychologie

„Angus“, der althochdeutsche und mit dem lateinischen „angustus“ verwandte Wortursprung des Begriffes „Angst“, bedeutet so viel wie „eng“. Angst, im psychologischen Sinne, steht damit umschreibend für „(die Kehle) zuschnürend“ (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Vorsorge (Hrsg.), 2002). Es wird klassisch unterschieden in die „Zustandsangst“ oder „Realangst“ und die „Eigenschaftsangst“[2]. Hier muss zu den Angststörungen, also den krankhaften Ausprägungen, abgegrenzt werden. Die Hauptsymptome dieser Störungen stellen Manifestationen der Angst dar, welche auf keine bestimmte Umgebungssituation bezogen sind. Das ICD-10 definiert, das Depressive- und Zwangssymptome als auch Elemente phobischer Angst vorhanden sein können, wobei vorausgesetzt sei, sie sind eindeutig sekundär oder weniger ausgeprägt (vgl. DIMI, 2018, F41).

Eingeordnet sind Angststörungen in der medizinischen Definition unter „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (F40-F4), wobei die Verbindung mit einer Störung des Sozialverhaltens exkludiert ist. Sie gehören zur großen Gruppe der Psychischen- und Verhaltensstörungen (vgl. ebd.).

Die medizinische Beschreibung der jeweiligen Störungen, die unter dem ICD-10-F41.f mit „Andere Angststörungen[3] „ festgehalten sind, machen deutlich, dass der Übergang zwischen einer regulären und der pathologischen Angst fließend sein kann, insbesondere bei der „Generalisierten Angststörung“: „Die Angst ist generalisiert und anhaltend. Sie ist nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt, oder auch nur besonders betont in solchen Situationen, sie ist vielmehr „frei flottierend“. Die wesentlichen Symptome sind variabel, Beschwerden wie ständige Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden gehören zu diesem Bild. Häufig wird die Befürchtung geäußert, der Patient selbst oder ein Angehöriger könnten demnächst erkranken oder einen Unfall haben.“ (DIMI, 2018, F41.1) Auch Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen, Affektive Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gehen zum Teil mit gesteigerter Neigung zu Ängsten einher, sodass es von außen, jedoch auch für den Betroffenen selbst, oftmals nur schwer zu beurteilen ist, ob die Ängste, insbesondere die Eigenschaftsängste, noch alltäglich sind oder schon einer psychischen Störung entspringen. Kaum abgrenzbar erscheint dies bei Anhängern ausgeprägter Verschwörungstheorien, da hier bisweilen der Faktor der subjektiven Wahrheit Beachtung finden muss.

2.2 Der Angst-Begriff aus Sicht der Philosophie

Der nicht genau definierte und eher aus dem Philosophischen entstammende, an die Eigenschaftsangst angelehnte Begriff der „abstrakten Angst“, wurde schon vor rund 1700 Jahren durch Aristoteles vorgeprägt. Er trennte den Angstbegriff in die „niedrige Furcht vor Strafe [und] der höher bewerteten Furcht vor Schuld aus Ehrfurcht vor Gott.“ (Althoetmar, 2016, Ev.d.A.) Später erklärte Kierkegaard sie als „existenzielle Angst, als Wesensmerkmal menschlichen Denkens und der Willensfreiheit.“ (ebd.) Die Religion, als eine Glaubensinstanz, sollte dieser Angst Abhilfe schaffen (vgl. ebd.). Heidegger führte diesen philosophischen Ansatz der Angstdefinition dann weiter und erklärte „Angst [als] eine Grundbefindlichkeit, in der das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen wird. In der Angst eröffnet sich der Existenz ihre Endlichkeit und ihre Nichtigkeit, denn der Mensch empfindet das Dasein als ‚Sein zum Tode‘.“ (ebd., E.d.A) Der Mensch fürchtet sich also, weil er begreift, dass er im Grunde genommen allein ist, der Lebenssinn nicht existent und der Tod unausweichlich ist. Jede Beziehung, die er führt, ist abhängig vom Sinnzusammenhang des anderen und unbeherrschbar.

Vor diesem Hintergrund des psychologischen und philosophischen Angstverständnisses kann man erahnen, dass Angst ursprünglich, wie eingangs genannt, das menschliche Überleben sichern sollte, doch mittlerweile zunehmend irrational ist. In der Wohlstandsgesellschaft ist die Angst vor elementarer Bedrohung durch Hunger, Kälte, Raubtiere etc. oft nicht mehr notwendig. Entsprechend haben sich neue Ängste herausgebildet: Die Angst vor Atomkraft, vor Arbeitslosigkeit oder vor genetisch veränderten Lebensmitteln. Diese neuen Ängste verbergen jedoch ebensolche elementaren, für den Einzelnen existenziellen, Ängste; treten stellvertretend auf. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, vor dem Verlust des eigenen Status, der eigenen Identität oder die Angst vor dem Unbekannten. Insbesondere bei Veränderungen und in unbekannten Situationen tritt diese auf, da der Mensch sein Gewohntes, und damit seine gefühlte Sicherheit, zu verlieren droht.

2.3 Psychologische Phänomene

Menschen neigen dazu, Ängste anderer, welche sie nicht nachvollziehen können, der Lächerlichkeit preiszugeben oder versuchen diese denjenigen mittels mehr oder weniger rationalen Argumenten auszureden. Um verständlich zu machen, weshalb dies nur selten von Erfolg gekrönt ist, ist es wichtig, einige psychologische Phänomene zu kennen. Dabei stellen diese holzschnittartig aufgeführten nur eine Auswahl dar.

Konstruktivismus/Wahrheit und Wahrhaftigkeit

Die Theorien aus Psychologie, Pädagogik und Philosophie zum Konstruktivismus beinhalten die Grundthese, dass der Mensch keinen unmittelbaren Zugriff auf die objektive Realität hat, wenngleich es diese gibt. Er kann entsprechend nie die wirkliche Beschaffenheit der Dinge erkennen, sondern ausschließlich das, was er mit seinen Sinnen aufnimmt und vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen interpretiert. Somit sagt der Konstruktivismus aus, dass jedes Individuum ein individuelles und subjektives Bild seiner Umwelt konstruiert. Aufgrund verschiedenster, persönlicher Erfahrungen entsteht so eine kognitive Landkarte der Welt, welche den Menschen in seiner, ihm eigenen, Weltsicht immer wieder beeinflusst und weiter konstruiert. Dieses Konstrukt ist ab dem Jugendalter weitgehend stetig.

Daraus leitet sich ab, dass es keine, für jedermann gültige Wirklichkeit gibt, sondern viele subjektive Wirklichkeiten , welche parallel jeweilige Berechtigung haben (vgl. Mair, 2005). Die Idee darüber, dass das jeweilige Gegenüber eine eigene Weltsicht mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Absichten hat, ist dabei ein Grundverständnis des zwischenmenschlichen Handelns und beginnt sich bereits im Kindesalter herauszubilden. Dieses Phänomen wird als „Theory of Mind[4] “ bezeichnet.

Damit erklärt sich der Unterschied zwischen Wahrhaftigkeit und Wahrheit: Wahrhaftigkeit meint, dass ein Individuum, entsprechend seiner subjektiven Wirklichkeit, glaubt, was er äußert. Die Divergenz von Wahrhaftigkeit ist der Irrtum.

Die Wahrheit hingegen beruht auf nüchternen Fakten der objektiven Wirklichkeit. Allerdings ist es nicht möglich Fakten ohne die eigene Konstruktion zu bewerten, sodass auch niemals von einer objektiven, sondern immer nur von einer subjektiven Wahrheit gesprochen werden kann. Wer entgegen der darum wissenden Fakten argumentiert, also wissentlich entgegen der Wahrheit, lügt.

Philosophisch stellen sich unteranderem Fragen danach, ob die konstruktivistische Einsicht selbst eine objektive Tatsache ist und wenn ja, wie man in diese objektiv-wahre Einsicht gelangt, wenn alles Objektive unzugänglich ist.

Durch die Idee des Konstruktivismus wird deutlich, dass es keine Wahrheit gibt, die ein Individuum objektiv erfassen kann, sondern sich dieser immer nur nähert. Daraus resultiert, dass hinsichtlich der menschlichen Ängste eine rein objektive Herangehensweise kaum zielführend ist, da man dabei das konstruierte Weltbild weitgehend außer Acht lässt. Zudem sind alle konstruierten Wirklichkeiten, unabhängig ihrer, für andere, Nachvollziehbarkeit, gleichberechtigt. Entsprechend gilt es, diese in sich ernst zu nehmen und empathisch zu erschließen, ohne die eigene in ihrer Geltung über sie zu stellen.

Kognitive Dissonanz

Die „kognitive Dissonanz“ bezieht sich im Wesentlichen auf Luhmanns Systemtheorie und Selbstreferenz der Kommunikation, wonach die Kommunikation eine Eigenschaft von Systemen[5] darstellt.

Nach ihm bestehen und entstehen Systeme durch und aus Kommunikation. Selbstreferenz heißt bei ihm, dass sich der Sinn des Gesagten erst in der Kommunikation, durch jeweilige Selektion, erschließt und erzeugt wird. Daraus wird hergeleitet, dass Systeme immer auch selbstreferenziell geschlossen sind, sodass man in der Kommunikation immer Bezug auf sich selbst nimmt. Das bedeutet, dass alles, was ein anderer sagt, immer durch den „eigenen Filter“ aufgenommen und gedeutet wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Beispiel: Selbstreferenz in der Kommunikation

Im abgebildeten Beispiel ist zu Beginn der Kommunikation noch nicht klar, weshalb ein Gesprächspartner äußert, dass er Hunger hat. Er könnte, neben anderen Gedanken, die er hat, damit meinen, dass er eine Pause benötigt, noch kein Frühstück hatte oder das Bedürfnis nach Essen seinen Gemütszustand beeinflusst. Passend zum Gesagten spricht das Gegenüber aus, dass es etwas essen mag, wenngleich es ebenfalls andere Gedanken kommunizieren könnte. Aus welchem Grund die jeweilige Selektion getroffen wurde, erschließt sich erst im Verlauf des Gespräches. Das Ergebnis wird in diesem Verlauf erzeugt, nach dem jeweils weitere Selektionen hinsichtlich der Rahmenbedingungen getroffen wurden: Man geht gemeinsam Essen. Dies war zu Beginn nicht vorhersehbar, das Ergebnis war offen, kontingent genannt. Da die Ergebnisse der Kommunikation zu jeder Zeit auf beiden Seiten offen sind, man somit dieses nie als „wenn-dann“-Regel verstehen kann, spricht man von einer doppelten Kontingenz .

In der Selbstreferenz kann man an dieser Stelle eine Wiederholung des Konstruktivismusgedankens erkennen: Auch Kommunikation und zwischenmenschliche Interaktion sind ein Ergebnis von eigenen Deutungen, basierend auf der individuell konstruierten Wirklichkeit.

Wenn die sozialen Systeme nicht übereinstimmen, also mehrere Kognitionen (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche, Absichten) nicht miteinander vereinbar sind, entsteht ein als unangenehm empfundener Gefühlszustand. Um diesem zu entgehen, sprich diese kognitiven Dissonanzen auszugleichen, versucht das Individuum diese zu vermeiden. Die Stärke dieser Dissonanzen hängt unter anderem von der Anzahl dissonanter und konsonanter Elemente, deren Relevanz, dem Gefühl von Freiwilligkeit oder Verantwortlichkeit und der Verankerung im kognitiven System ab (vgl. Busse, 2017).

Im Alltag ist das Individuum ständig kognitiven Dissonanzen ausgesetzt. Da der Mensch jedoch ein Bedürfnis nach einem Gleichgewicht hat, hat er mehrere Strategien um Kognitionen miteinander vereinbar zu machen, wobei diese Anstrengungen unterschiedlichste Stärke erfordern: Oftmals werden die dissonanten Elemente ignoriert und/oder abgewehrt. Da das Ausblenden nur geringen Aufwand darstellt, ist dies die häufigste Methode des Ausgleichs. Weiter wird die Stabilität gesucht, indem konsonante Elemente hinzugefügt werden - das sogenannte „Schönreden“. Die aufwendigste und deshalb nur dann, wenn die Relevanz groß erscheint, genutzte Variante ist das differenzierte Auseinandersetzen mit allen Elementen, um im Anschluss seine Einstellungen, die Meinung oder das Wissen anzupassen (vgl. ebd.).

In Bezug auf das konstruierte Weltbild verstärkt oder entstanden durch Ängste, bedeutet das, das scheinbar rationale Argumente, welche zu jener kognitiven Dissonanz führen, nur selten zum differenzierten Überdenken und resultierender Meinungsänderung führen, sondern sehr viel häufiger einfach ausgeblendet oder abgewehrt werden.

(Re-)Fraiming

Die Denkmuster, Zuschreibungen und Erwartungen des Menschen weisen in der Regel einen Rahmen, den sogenannten frame , auf. Dieser bildet die Ordnung, nach der Ereignisse interpretiert und wahrgenommen werden (fraiming ). Entsprechend des Bedeutungsakzentes des Einzelnen wird durch dieses fraiming ein scheinbar gleiches Ereignis von unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich besetzt. Es steht immer im Kontext der eigenen Erfahrungen und des eigenen Selbst- und Weltbildes (vgl. Reich, 2003, S. 1ff).

Gelingt es dem Individuum seinen eigenen Blickwinkel zu verändern, also dem Ereignis eine neue Bedeutung zukommen zu lassen, dann wird dieses als „ refraiming “ (Umdeutung) bezeichnet. Eine solche Rahmenverschiebung des Erlebens kann dabei durch externe und interne Ereignisse begründet sein.

Beispielsweise funktioniert nahezu jeder Witz nach dem Refraiming-Prinzip: Ein kontextbezogenes Ereignis wird in einen unerwarteten Kontext verrückt. Refraiming ist im Grunde eine Alltagskompetenz, die jeder besitzt (vgl. ebd., S. 3f).

Eine Grundannahme des Refraimings ist, dass alle Erfahrungen im menschlichen Leben nur dann einen Sinn ergeben, wenn man dessen Rahmen, also den Kontext, kennt. „Watzlawick u. a. setzen in ihren Ausführungen die Annahme voraus, dass eine isolierte Betrachtung des menschlichen Verhaltens nicht sinnvoll oder gar unmöglich ist. Es bleibt unerklärlich, wenn es nicht innerhalb einer bestimmten Umwelt, eines Kontextes betrachtet und analysiert wird. Darauf aufbauend kann konstatiert werden, dass grundsätzlich jedes Verhalten einen sozialen Sinn macht, wenn es bei den Wahrnehmenden nur im ‚richtigen‘ Kontext auftaucht.“ (Reich (Hrsg.), 2003, S. 4)

Grundlegend für das Refraiming ist außerdem eine Trennung von Funktion und Verhalten. Wie sich jemand verhält, erklärt noch nicht die Funktion des Verhaltens im System. Verhaltenssymptome sind immer nur die Oberfläche, hinter welcher stets ein – möglicherweise für den Handelnden unbewusster – Sinn für die Kohärenz des Gesamtsystems steckt (vgl. ebd., S. 5ff).

Entsprechend des systemischen Denkens wird der Mensch bei diesem Konstrukt in Gänze betrachtet, wenngleich ihm bewusste und unbewusste Elemente innewohnen. Der eben benannte Konstruktivismus weist allerdings darauf hin, dass selbst eine ganzheitliche Sicht immer nur eine Beobachtersicht ist, die in dem was sie behauptet, ein Weltbild konstruiert (vgl. ebd., S. 4), sodass dieses Konstrukt des Rahmens, den man von außen versucht zu verstehen, auch immer nur so weit zu verstehen ist, wie man sein eigenes fraiming und konstruiertes Weltbild versteht.

Fraiming entsteht unbewusst. Bezogen auf menschliche Ängste, welche immer auch in entsprechenden Rahmen entstehen und gleichzeitig einen Rahmen für neues Erleben bilden, kann man ein Refraiming der Ängste durch äußere Impulse nur dann erreichen, wenn man den benannten Kontext dieser Ängste, sowie diese entsprechend des eigenen Konstruktivismus, betrachtet. Man muss sich stets fragen, welche Bedeutung und welchen Sinn eine Angst des Menschen hat; welche positive Besetzung diese womöglich für ihn mitbringt und ob eine Änderung des Deutungsmusters notwendig ist, oder viel mehr auf dem eigenen, subjektiven Weltbild basiert. Weiter erklärt das Refraiming, ebenso wie der Ausgleich kognitiver Dissonanzen, weshalb scheinbar eindeutige Fakten von Menschen unterschiedlich bewertet und in neuen Kontexten gesehen werden.

Verzerrung

Schon mit der Grundidee des Konstruktivismus und der Systemtheorie kommt man unweigerlich zur Annahme, dass Wahrnehmung immer auch „verzerrt“ ist. Doch was genau versteht man unter einer Wahrnehmungsverzerrung ?

Unter diesem dem Begriff finden sich eine Vielzahl Bedeutungen, Phänomenen und Hypothesen über die Wahrnehmungen, Erwartungen und Vorstellungen des Menschen. In der Psychologie unterscheidet man drei Felder, die Fehlleistungen unserer Wahrnehmung beschreiben:

Die Wahrnehmungsstörung, als eine konkrete neurologische Störung, welche die Verarbeitung unserer sinnlichen Wahrnehmung betrifft.

Die Wahrnehmungstäuschung beschreibt, wenn es erklärbare Gründe dafür gibt, dass messbare physikalische Phänomene in unserer sinnlichen Wahrnehmung anders erscheinen.

Und der Wahrnehmungsfehler (oder auch kognitive Verzerrung ) , der im allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Begriff der Wahrnehmungsverzerrung gemeint wird. Obwohl die Grenzen teilweise fließend sind, steht hinter dem Wahrnehmungsfehler, im Unterschied zur Wahrnehmungsstörung, kein konkreter neurologischer Defekt. Hier handelt es sich in erster Linie um falsche oder ungenaue Wahrnehmungen bzw. Eindrücke von Personen, Dingen und Situationen, die uns zu irrationalen Urteilen führen. Bei der kognitiven Verzerrung geht es also um einseitige, befangene Wahrnehmungen (vgl. Softskills (Hrsg.), o. J.).

Zu den „cognitive bias“ zählen mittlerweile eine Vielzahl bekannter Phänomene, von denen ausgewählte an dieser Stelle vorgestellt werden sollen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 Wahrnehmungsfehler. Auswahl. Quelle: Manufaktur für Wachstum GmbH

Auch Angst wird oft als Wahrnehmungsfehler beschrieben. Aus Angst, beispielsweise vor offener Konfrontation, vor Entscheidungen oder vor Liebesentzug wird unentschlossen gehandelt, ausgesessen oder die Auseinandersetzung an eine stellvertretende Stelle übertragen. Mit Angst besetzte Situationen und Informationen werden anders wahrgenommen, als solche in denen man sich wohlfühlt. Entsprechend verrückt der Fokus im Alltag auf angstauslösende Inhalte (vgl. Manufaktur für Wachstum GmbH (Hrsg.), 2018).

Schaut man sich die psychologischen Phänomene an, so kommt man nicht umhin sich der Angst des Anderen anzunehmen, wenn man ihr begegnen und auf sie Einfluss nehmen will. Faktenwissen ist zwar basal, doch da Ängste affektiert und nicht objektiv konstruiert sind, sind die emotionale Zuwendung, das Ernstnehmen und aufrichtige Auseinandersetzung sehr viel bedeutsamer. Gleichsam heißt das auch, dass das Füttern vorhandener Ängste ohne Fakten besonders dann funktioniert, wenn das auf emotionaler Ebene stattfindet: Wer affektiv-intentional, also einfühlend und empathisch, kommuniziert, kann auf Ängste seines Gegenübers positiv wie negativ einwirken.

3 Angst als Potenzial für die Politik

Dieser Umstand ist nicht nur im Kleinen, sprich in direkter Interaktion mit dem Einzelnen, möglich, sondern kann ganze Gruppen erreichen.

Angst ist ein Affekt, welcher in einer Gesamtstimmung mitschwingt. Wenn man also gezielt auf die Ängste einwirkt, so wirkt man unweigerlich auch auf die Stimmung ein. „Während Emotionen dem Wetter gleichen, das kommt und geht, sorgen Stimmungen wie das Klima über längere Zeiträume hinweg für Grundtendenzen.“ (Schreiber, 2017) Menschen befinden sich immer in einer positiven oder negativen Stimmung. Es geschieht nie, dass sie sich in keiner oder einer neutralen Stimmung befinden, auch wenn sie dies vielleicht annehmen. Stimmung ist also immer da; positive oder negative Gefühle können in ihr mehr oder weniger in den Vorder- oder Hintergrund rücken (vgl. Eder, 2017).

Der Mensch braucht das Gespür für die ihn umgebenen Stimmungen. Eine soziale Interaktion funktioniert nur dann, wenn man sich (intuitiv) in andere hineinversetzt, deren Stimmung aufnehmen kann. Menschen fangen also unbewusst Stimmungen auf und passen sich an. Stimmungen erfüllen seit Urzeiten die Funktion, dass sie über aktuelle Ereignisse und wichtige Zusammenhänge in der Umwelt informieren und damit dem Individuum helfen, sich darin besser zurechtzufinden. Diese Fähigkeit, die Theory of Mind, ist so prägnant, dass diese bereits mit der Geburt vorhanden ist und sich im Laufe des Heranwachsens weiter herausbildet. Nur Menschen, die zu keiner Empathie fähig sind, können keine Stimmungen auffangen (vgl. ebd.).

Mit der Aufnahme der gesellschaftlichen Stimmung hat man also ein großes Kapital, diese nachhaltig zu beeinflussen.

Wer ängstlich ist, ist manipulierbar, stärker als der, der eine zuversichtliche Grundhaltung einnimmt. Deshalb sind Ängste unlängst zum politischen Faktor geworden. Heinz Bude verweist auf die Grundgedanken von Heidegger, dass jede Erkenntnis eine von außen gestimmte Erkenntnis ist, sowie jeder Weltbezug ein ebenso von außen gestimmter Weltbezug ist. Dadurch sind Stimmungen, die als unfokussierte Wertungszustände bezeichnet werden, bedeutender um kollektive Veränderungen zu erfassen, als harte Fakten: Enttäuschungen und Hoffnungen der Bürger beeinflussen politische Wahlen weitaus mehr als Argumente der Kandidaten (vgl. Bude, 2017). Wenn ein Mensch in negativer, besorgter Stimmung ist, dann wird er eher auf angstauslösende Dinge achten als auf diese, die Chancen eröffnen.

Wenn eine politische Wahl ansteht, ist deshalb für diesen besorgten Einzelnen von besonderem Interesse, wie Kandidaten mit Gefahren und Bedrohungen umgehen (vgl. Eder, 2017). Für das politische Kapital der Angst bedeutet das weiter, dass die ernst zu nehmenden Ängste der Bevölkerung aus parteitaktischem Kalkül bewirtschaftet und verstärkt werden können. Das derzeitige hohe Potenzial an Ängsten und Befürchtungen begünstigt daher auch eine „Politik der Angst“, welche beinhaltet den Kontinent stark vor Migration zu sichern, eine Verstärkung der Polizei gegen Kriminalität, Maßnahmen gegen die Ausnutzung des Sozialstaates und ein Kampf gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ (vgl. Zulehner, 2016. S. 1f.).

Wer also vor einer Wahl in einer Zeit, in welcher sich die Bevölkerung Unsicherheiten und Ängsten gegenübersieht, Sicherheitsgefühl-schaffende Maßnahmen aufgreift und sein Wahlprogramm maßgeblich auf diesen aufbaut, ist potenziell dann erfolgreicher, wenn er parallel gezielt Ängste aufzugreifen – zu manipulieren – vermag.

3.1 Grundlegende Methoden der Manipulation

In der Politik sind ein ganzer Wirtschaftszweig und eine wissenschaftliche Disziplin, die politische Psychologie, entstanden, welche sich mit den Möglichkeiten und Umsetzung gezielter Manipulation der Massen zu politischen Zwecken beschäftigen.

Jeder ist diesen manipulativen Mechanismen ausgesetzt, doch sie sind kein Schicksal. Ein jeder hat die Freiheit und eigene Verantwortung ausgeblendete Zonen und Risse im propagandistischen System zu untersuchen und sich so fragen, wem er wie weit vertraut (vgl. Schilling, 2017. S. 3). Um diese Frage stellen zu können, ist es jedoch wichtig, um die Methoden zu wissen. Aus diesem Grund werden folgend einige ausgewählter dieser erläutert.

(Nicht nur) Propaganda

Propaganda ist der Versuch, „kollektive Überzeugungen und Emotionen zu formen, zu synchronisieren und für zielgerichtetes Handeln zu Motivieren.“ (Schilling, 2017. S. 3) Hierbei wird sie von verschiedensten Akteuren für ideologische Zielsetzungen eingesetzt, wobei ihnen gemein ist, dass sie instrumentenunabhängig immer der Akteure eigener Ziele dienen (vgl. ebd.). Charakteristisch für Propaganda ist, dass sie die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht darlegt und Meinung und Information vermischt. Wer Propaganda betreibt, möchte nicht argumentativ oder im Diskurs überzeugen, sondern die Emotionen und das Verhalten der Menschen beeinflussen. Propaganda gibt dem Menschen das Gefühl, mit der übernommenen Meinung richtig zu liegen, ohne sich mit Fakten auseinandersetzen zu müssen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) 2011). Besonders in autoritären und totalitären Staaten wird Propaganda als Beeinflussungsstrategie verwendet. Dort ist sie meist verbunden mit anderen Formen staatlicher Informationskontrolle, Monopolisierung der Medien, Verfolgung Andersdenkender und direkter Zensur, um die staatliche Ideologie auf möglichst allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens zu indoktrinieren (vgl. ebd.).

Es gibt Propagandaformen, die ohne den Einsatz von Medien auskommen. Dazu zählen vor Publikum gehaltene Reden , Lieder oder auch Predigten.

Die Möglichkeiten der, vor allem elektronischen, Medien, sowie deren Vorteile im Hinblick auf den Verbreitungsumfang und der Schnelligkeit der Übertragung, haben allerdings dazu geführt, dass Propaganda heute fast ausschließlich mithilfe von Medien erfolgt. „Häufig eingesetzte Formen sind schriftliche Dokumente wie Flugblätter, Zeitungs- und Internetartikel oder Plakate, fotografische Aufnahmen, Filmaufnahmen , Radiosendungen oder Computerspiele.“ (ebd.) Es gehören jedoch auch gezielte Falschinformationen dazu, welche mit dem Anglizismus des Jahres 2016 „Fake News“ neu in den öffentlichen Fokus rückten, ebenso wie manipulierte Statistiken .

Die Propaganda wird dabei auf verschiedenen Wegen weitergeben: persönlich, über Massenmedien und über das Internet.

Die genannten Methoden werden nicht ausschließlich propagandistisch verwendet, sondern dienen auch anderen, oft subtileren, Zielen des Einwirkens auf politische Meinungen. Die (staatlichen) Akteure verfolgen dabei die Zielsetzung, das eigene Handeln in der öffentlichen Wahrnehmung in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Die mediale Darstellung soll dabei gemäß ihrer Deutung erfolgen. Die Medien werden genutzt, um diese Bilder weiter zu transportieren (vgl. ebd.). Das erfolgt mittels verschiedener Strategien, wie der Durchführung von Medienevents und der Initiierung eines öffentlichen Austauschs über die Medien, der öffentlichen Reaktion auf wenig vorteilhafte Berichte oder der Verbreitung eigener Medienbeiträge (vgl. ebd.).

Ab von der Politik werden diese Vorgehensweisen vorrangig in der Werbung genutzt, um Produkte aller Art zu vermarkten. Auch das Akquirieren von Spenden funktioniert bisweilen über diese Prinzipien.

Immer dann, wenn ein Ziel, gleich welcher Intention, erreicht werden soll, werden beeinflussende Kanäle genutzt. Somit kann man über jene Wege auch Angstgefühle positiv wie negativ beeinflussen.

3.2 Digitale Methoden

Während in der Vergangenheit vornehmlich das Radio, Printmedien und Film, später das Fernsehen genutzt wurden, sind die Mittel der Meinungseinwirkung in den letzten Jahrzehnten deutlich vielfältiger geworden. Immer mehr Bedeutung gewinnen dabei die verschiedenen Netzwerke und Formate digitaler Plattformen. Über diese erschöpft sich die Beeinflussung nicht mehr nur über Worte, Bilder oder Zahlen, sondern auch über Algorithmen, Likes und Social Bots.

Die „Fake-News“ haben dabei mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) sogar Einzug in die Gesetzgebung gefunden, da deren schädliche Auswirkungen nicht mehr nur für den Einzelnen, sondern teilweise bis auf Staatsebene reichen.

Nachfolgend eine Aufführung der momentan bekanntesten und wichtigsten Verfahrensweisen, welchen man in der Cyberwelt ausgesetzt ist und die kontinuierlich auf die Nutzer einwirken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es ist zu bedenken, dass es sich bei der Frage um Auswirkungen von False- Flag- und Honeypot-Aktionen, Social Bots und der Filterblasen um ein sehr junges Forschungsfeld handelt, in welchem man erst am Anfang der Untersuchungen steht. Eine umfassende empirische Datenerhebung ist notwendig, um gesicherte Erkenntnisse zu erlangen. „Es gehe darum, ein eigenes Ökosystem mit einem komplexen Wechselspiel maschineller und menschengemachter Tweets zu verstehen.“ (Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), zit. nach Stöcker, 2017) Eine konkrete Beeinflussung der politischen Willensbildung ist schwer nachweisbar und die Folgen für die Politik sind schwer einschätzbar. Der Einfluss von digitalen Manipulationsmethoden auf die politische Willensbildung ist unter Experten also umstritten. Im aktuellen Diskurs jedoch nicht bestritten ist, dass sie vorhandene Tendenzen mindestens verstärken (vgl. ebd.).

4 Tatsächliche Gefahrenlage

4.1 Ist-Analyse der kriminalstatistischen Lage

Das Thema der Zuwanderung aufgrund der vor Krieg und politischer Verfolgung als auch aus humanitären Gründen fliehender Menschen, ist im aktuellen Diskurs besonders geeignet, von Ängsten der in Deutschland lebenden Menschen besetzt zu werden. Hinter den abstrakten Ängsten, also hinter den Begriffen wie „Volkstod“ respektive „Umvolkung“, „Islamisierung“, oder auch zynischen Abwertungen bei der Nutzung des Begriffes „Fachkräfte“ für Geflohene, verstecken sich unter anderem Angst vor dem Verlust des sozialen Status, der Identität oder die Angst vor dem Unbekannten. Auch eine Angst vor Kontrollverlust hinsichtlich der neuen, für den Einzelnen nur schwer zu überschauende Situation, ist mitschwingend.

„Das Fremde wirkt größer und größer und irgendwann übermächtig. Die Bedrohung wächst noch einmal, wenn Kriminalität hinzukommt.“ (Löer, 2018)

Vor diesem Hintergrund wird die Untersuchung speziell auf diese Thematik und Problematik rund um Fluchtbewegung und Migration nach Deutschland fokussiert. Um dahin gehend zu untersuchen, ob die empfundene Gefahrenlage, auf welche sich auch später benannte Akteure regelmäßig beziehen, der Wahrheit entsprechen, werden im Folgenden zunächst die Kriminalstatistiken aus den Jahren 2015/ 2016 und im Vergleich zu den Schutzsuchendenzahlen herangezogen. Weiter liegt der lokale Fokus auf Sachsen, insbesondere Chemnitz.

Lokaler Fokus: Chemnitz

Chemnitz, als dem Hochschulstandort nächstgelegene Großstadt, birgt in seiner Geschichte einige für das Thema relevant-erscheinende Fakten:

Die Stadt ist seit den 1990er Jahren als eine Hochburg der rechten Szene bekannt. Besonders in den Jahren nach der Wende traf sich hier weitestgehend unbehelligt die internationale, rassistische Elite, unter anderem Dennis Mahon[8] (vgl. Meisner, 2015).

Dies war vermutlich die Zeit, in der sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) gründete, dessen Unterstützernetzwerk unter anderem aus der damals erstrahlten Chemnitzer Neonaziszene stammte. Hier soll der NSU zudem einige Jahre versteckt gelebt und agiert haben.

In Chemnitz konnte man seit den Jahren vor der Jahrtausendwende das gesamte sogenannte „Skinheadpotenzial“ nutzen, die Gewaltbereitschaft war in dieser Gruppe sehr hoch (vgl. ebd.).

Die verbliebenen Mitglieder des ehemaligen Netzwerkes rund um den NSU sowie weitere organisierte Neonazigruppierungen wirken bis heute und sind fester Bestandteil des Chemnitzer Lebens (vgl. DGB Region Südwestsachsen (Hrsg.), 2014, S. 34ff). Das Wirken der Akteure aus damaliger Zeit ist dabei auch heute zu erkennen. Einen genaueren Einblick in dieses erhält man im Abschnitt 4.

Bevölkerungs- und Asylzahlen

Grundlage für eine Gefährdungseinschätzung durch Bewertung der Kriminalstatistiken, ist eine Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung in Sachsen mit einem besonderen Augenmerk auf den Anteil der Ausländer und Asylbewerber.

Zum zuletzt angegebenen Stichtag, dem 31. Dezember 2016, lebten in Sachsen rund 4.100.00 Einwohner. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Freistaat einen Ausländeranteil von 4,2 %, wobei diese Zahl je nach Quelle unterschiedlich angegeben wird. Das liegt darin begründet, dass das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen und das Ausländerzentralregister beim Bundesverwaltungsamt in Köln, geführt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), unterschiedliche Verwaltungsregister mit eigenständigen bzw. unabhängigen Rechtsgrundlagen und Quellen sind (vgl. Statistisches Landesamt Sachsen, 2017). Von diesen 4,2 % (bis 4,5 %) war durchschnittlich jeder 3. EU-Ausländer, 21.090 waren Asylbewerber (vgl. Der sächsische Ausländerbeauftragte, 2016). Aktuell, zum 31.12.2017, lebten in Sachsen 23.917 Asylbewerber, 1.640 von ihnen waren ausreisepflichtig (vgl. Sächsische Staatskanzlei (Hrsg.), 2018).

[...]


[1] Transdisziplinarität: Interdisziplinarität wird klassisch nicht als echte Interaktion zwischen Disziplinen verstanden, sondern als fachliche und disziplinäre Parzellierung einzelner Problemstellungen. Transdisziplinarität versteht in Folge das Überschreiten fachlicher Grenzziehungen nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im nichtwissenschaftlichen, gesellschaftlichen Bereich. Sie meint das Lösen einer Problemstellung mit disziplinunabhängigen Definitionen bei einem gemeinsamen „axiomatischen System“. Dieses soll die erkenntnistheoretischen Grundlagen gegenseitig verstärken, sowie die komplexe Schnittstelle Wissenschaft und Gesellschaft abbilden. Entsprechend sind die Themen nicht von disziplinärer Ordnung oder Spezialisierung geleitet, sondern sollen als Methode eines Organisations-, Arbeits- und Forschungungsprinzips verstanden werden (vgl. Balsinger, 2005, S. 174ff und vgl. eigene Publikation, in: Mayrberger, Dr. (Hrsg.), 2018, S. 131f).

[2] Zustandsangst/ Realangst: Angst, die zu einem bestimmten Anlass auftritt und damit formell dem früher gebräuchlichen Begriff der Furcht am nächsten kommt. Sie setzt abrupt, als Reaktion auf eine akute oder vorausgeahnte Gefahr ein. So werden Hormone wie CRH (Corticotropin-Releasinghormon), Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet (vgl. Wehner, o.J.), was zur Erhöhung des Muskeltonus führt, Herzschlag- und damit Pulsfrequenz nehmen zu. -Der Körper ist leistungsbereit, der Geist ist hochkonzentriert. Wenn die Gefahrensituation vorüber ist, klingt die Stressphase wieder ab, es stellt sich Entspannung ein (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Vorsorge (Hrsg.), 2002).

[2] Eigenschaftsangst : Sagt aus, dass ein Mensch zeitlich überdauernd die Bereitschaft zeigt, mit erhöhter Angst zu reagieren. Diese Angst ist im Gegenzug zur Realangst eher latent in ihrer Ausprägung, wird dennoch als unangenehmes Gefühl der Unruhe, Angespanntheit, Enge oder des Bedroht-seins erlebt (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Vorsorge (Hrsg.), 2002).

[3] Andere Angststörungen: umfassen die „Panikstörung [episodisch paroxysmale Angst]“, die „generalisierte Angststörung“, welche die Angstneurose, Angstreaktion und den Angstzustand beinhalten, „Angst und depressive Störung, gemischt“, als auch sonstige spezifische Angststörungen bzw. nicht näher bezeichnete Angststörungen. Gemein ist ihnen, dass sie wiederkehrend oder generalisiert-anhaltend, ohne spezifische Situation oder Umstände, mit psychosomatischen Symptomen auftreten. (vgl Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.), 2018, F44.1)

[4] Theory of Mind : In der Psychologie und der Hirnforschung versteht man darunter die Fähigkeit, Bewusstseinsvorgänge (Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen, Meinungen) anderer Personen zu antizipieren bzw. das eigene und das Verhalten anderer durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren. Man kann zwei Arten unterscheiden: Kognitiv („ich weiß, was du weißt“) und eine Affektive („ich weiß, was du fühlst“). Manche Menschen wissen daher zwar, wie die anderen denken, aber sie können nicht emotional nachvollziehen, wie sich die anderen Menschen fühlen, sodass sie kein empathisches Verhalten/ kein echtes Mitgefühl zeigen können (vgl. Stangl, 2018).

[5] Systeme in der Psychologie sind von der Umwelt abgrenzte, strukturierte Ganzheiten, deren Elemente in Wechselwirkungen miteinander stehen. Dies kann der Organismus respektive der Mensch selbst, als auch eine ganze Organisation sein. In Luhmanns Systemtheorie meint sie vor allem eine gesellschaftliche Umwelt mit ihren individuellen Handlungen und Interaktionen. Entsprechend kann man einzelne Komponenten eines Systems nur ändern, wenn man das ganze System versteht und bewegt.

[6] Business Intelligence: gehört zur Geschäftsanalytik und entstammt begrifflich der Wirtschaftsinformatik. Es meint Verfahren und Prozesse zur systematischen Analyse eines Unternehmens mittels Sammlung, Auswertung und Darstellung von Daten in elektronischer Form (vgl. Klumbies, o.J.). Ziel ist es für die auf die Unternehmensziele gerichteten operativen und strategischen Entscheidungen unterstützende Erkenntnisse zu gewinnen. Die Auswertung von Daten geschieht mit Hilfe analytischer Konzepte, spezialisierter Software und IT-Systeme (vgl. ebd.).

[7] Big Data: beschreibt das Sammeln großer Datenmengen, welche beispielsweise zu groß, zu komplex oder auch zu schwach strukturiert sind, um sie mit manuellen, herkömmlichen Methoden der Datenverarbeitung auszuwerten. Mit ihm werden ergänzend auch die Technologien beschrieben, die zum Sammeln und Auswerten dieser, aus verschiedenen Quellen stammenden, Datenmengen verwendet werden (vgl. Baron, 2103, S. 1ff.).

[8] Dennis Mahon : US-amerikanischer Rechtsextremist, Mitglied des „Ku-Klux-Klan“ und der „White Aryan Restistance“ (WAR). Verbüßt aktuell eine Haftstrafe wegen eines Briefbombenangriffs auf die Stadtverwaltung in Arizona (vgl. Meisner, 2017).

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Das politische Kapital der Angst. Politische Manipulation in den sozialen Medien
Jahr
2018
Seiten
110
Katalognummer
V439327
ISBN (eBook)
9783960954002
ISBN (Buch)
9783960954019
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Abschnitt 5 zu digitalen Inklusion war Beitrag zur 19. Nachwuchswissenschaftlerkonferenzam 5./6. Juni 2018 in Köthen (Anhalt) Beitrags-ID: 189; Titel: „Digitale Inklusion als Reaktion auf politische und gesellschaftliche Spaltungstendenzen“.
Schlagworte
Aktuelle Diskurse, politische Bildung, Digitale Inklusion, Sozialwissenschaft, Angst, Manipulation, Chemnitz, AfD, Soziale Medien, Meinungsbildung
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Das politische Kapital der Angst. Politische Manipulation in den sozialen Medien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439327

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